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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 15.05.2007
Aktenzeichen: 17 U 242/06
Rechtsgebiete: BGB, StPO


Vorschriften:

BGB § 254
StPO § 8
Zur Anrechnung eines Mitverschuldens bei einem Verkehrsunfall, wenn ein angemessener Abstand zum vorausfahrenden Motorrad unterschritten wird.
Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen eines Unfalls, der sich am 18.9.2005 ereignet hat.

Wegen der in erster Instanz getroffenen Feststellungen wird auf den Tatbestand des am 07.09.2006 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main (Bl 152 ff d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat die Klage abgewiesen, da es aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme für erwiesen hielt, dass der Kläger den Unfall durch mangelnde Aufmerksamkeit selbst verschuldet hat, da es ihm im Gegensatz zu dem hinter ihm fahrenden Zeugen Z1 nicht gelungen war, rechtzeitig zu bremsen. Im übrigen hat das Landgericht die Auffassung vertreten, dass der Kläger bereits deshalb hafte, da die Betriebsgefahr des von ihm gefahrenen Motorrads eine auch nur teilweise Haftung des Beklagten überwiege, da sich die Betriebsgefahr der Motorradfahrer grundsätzlich als Verschulden gegen sich selbst begreifen lasse, so dass die Unfallfolgen schon deshalb als bewusst in Kauf genommen ganz überwiegend nicht auf einen Unfallgegner abgewälzt werden könnten.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Er rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts, das sich mit keinem Wort mit der Aussage des ebenfalls vernommenen Zeugen Z2 auseinandersetze und sich alleine auf die Aussage des Zeugen Z1 stütze, die es jedoch ebenfalls unzutreffend würdige. Im übrigen zeige das Urteil eine Voreingenommenheit gegen Motorradfahrer.

Der Kläger beantragt,

das am 07.09.2006 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main, Az.: 2/20 O 8/06 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 10.136,93 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.10.2005 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil. Er weist insbesondere daraufhin, dass der Kläger zu dem vor ihm fahrenden Zeugen Z2 lediglich einen angesichts der Geschwindigkeit unzureichenden Abstand von 10 bis 15 m eingehalten habe. Aus welchem Grunde dieser habe plötzlich bremsen müssen, spiele für die Beurteilung des Sturzes des Klägers keine erhebliche Rolle. Der Zeuge Z2 habe auf das Auftauchen des Beklagten - wohl aufgrund eines früheren Erlebnisses - mit einer sachlich nicht begründeten Panikreaktion reagiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 4.10.2006 (Bl 184 ff d.A.) und des Beklagten vom 30.01.2007 (Bl 215 ff d.A.), vom 21.04.2007 (Bl 241 ff d.A.) und vom 4.5.2007 (Bl 375 ff d.A.) Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat die Parteien persönlich zum Unfallhergang angehört und es hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Z1 und Z2 gemäß des Beweisbeschlusses vom 27.02.2007, Bl 222 d.A..

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gerichtliche Niederschrift vom 24.04.2007, Bl 344 ff d.A. Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt und begründet worden.

Die Berufung ist auch zum Teil begründet.

Dem Kläger steht gegen ein Schadenersatzanspruch in Höhe von und ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von zu.

Der Kläger kann von dem Beklagten Schadenersatz und Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 iVm 223 StGB verlangen, da der Beklagte den Verkehrsunfall des Klägers durch eine Verletzung der ihm gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVO obliegenden Wartepflicht verursacht hat. Allerdings muss der Kläger sich ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB wegen der Unterschreitung eines angemessenen Abstands zu dem vorausfahrenden Motorrad anrechnen lassen.

Aufgrund der in zweiter Instanz wiederholten Beweisaufnahme und der persönlichen Anhörung der Parteien steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Beklagte aus einem untergeordneten Waldweg auf die Landstrasse fuhr, um die Fahrbahn des in diesem Moment etwa 7 - 10 m weit entfernten Motorrad des Zeugen Z2 zu kreuzen und dann nach links abzubiegen, um seine Fahrt an der Landstrasse entlang in Gegenrichtung zu dem Zeugen Z2 fortzusetzen. Der Zeuge Z2, der sofort eine Vollbremsung vornahm, kam deswegen mit seinem Motorrad ins Rutschen und stürzte schließlich 20 bis 25 m weiter. Der Kläger, der mit seinem Motorrad in einem Abstand von maximal 10 m hinter dem Zeugen Z2 gefahren war, versuchte, mit seinem Motorrad auszuweichen, geriet dabei aber in den Graben und überschlug sich mit dem Motorrad. Dabei brach sich der Kläger zwei Rippen und renkte sich drei Wirbelkörper aus. Sowohl sein Motorrad als auch seine Motorradkleidung wurden dabei beschädigt.

Diese Feststellungen beruhen im wesentlichen auf der Aussage des Zeugen Z1, der mit seinem Motorrad hinter dem Kläger fuhr. Insbesondere widerlegt die Aussage des Zeugen Z1 die Erklärung des Beklagten, er habe, bevor er die Fahrbahn überquerte, angehalten und sich vergewissert, dass die Strasse frei sei; in diesem Moment seien die Motorräder 70 bis 100 m von seinem Standpunkt entfernt gewesen.

Denn der Zeuge Z1, der weder mit den Parteien noch mit dem Zeugen Z2 vor dem Unfall bekannt war und auch nicht in den Unfall verwickelt wurde, hat bekundet, dass es ausgeschlossen sei, dass die 10 bis 15 m vor ihm fahrenden Motorräder noch 70 m von dem Beklagten entfernt waren, als dieser die Strasse überquerte. Er hat dies damit begründet, dass es von die Abfahrt nach ... von dem Waldweg, aus dem der Beklagte kam, nur knapp 100 m Entfernung entfernt sei. Er selbst sei aber, als er den Beklagten erstmals auf dem Waldweg - und noch nicht auf der Strasse - gesehen habe, bereits 10 bis 30 m hinter der Abfahrt gewesen, während der Kläger und der Zeuge Z2 10 bis 15 m vor ihm gewesen seien.

Hinzutritt, dass der Zeuge Z1 bekundet hat, dass er, als er den Beklagten auf dem Waldweg habe kommen sehen, schon mal Gas weggenommen habe und begonnen habe, zu bremsen.

Der Zeuge Z1 konnte zwar nichts dazu bekunden, wie sich der Beklagte im weiteren bis zum Unfall verhielt, da er dann auf die vor ihm fahrenden, bremsenden Motorräder achtete, die ihm auch die Sicht nahmen.

Insoweit hat aber der Zeuge Z2 bekundet, dass der Beklagte in einer Entfernung von 7 - 10 m zu ihm aus dem Wald "herausgeschossen" kam und er deshalb eine Vollbremsung vorgenommen habe. Übereinstimmend mit dem Zeugen Z2 hat dies auch der Kläger so geschildert, wenn er auch die Entfernung mit 5 m angab.

Angesichts der Aussage des Zeugen Z1, die sich mit der Aussage des Zeugen Z2 und der Schilderung des Klägers in Übereinstimmung bringen lässt, während der Zeuge Z1 die Erklärung des Beklagten in dem wesentlichen Punkt der Entfernung widerlegt, ist das Gericht davon überzeugt, dass der Beklagte tatsächlich in dem von dem Zeugen Z2 bekundeten Abstand und ohne Anzuhalten dessen Fahrbahn überquerte.

Zu berücksichtigen ist auch, dass nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass der Zeuge Z2 nicht grundlos mit seinem Motorrad eine Vollbremsung vornehmen wird, da dies für einen Motorradfahrer mit einer erheblichen Eigengefährdung verbunden ist. Nach dem persönlichen Eindrucks, den das Gericht bei der Vernehmung von ihm gewonnen hat, handelt es sich bei dem Zeugen um einen besonnenen Mann.

Gestützt wird diese Überzeugung auch durch das Verhalten des Klägers am Unfallort. Denn dieser nahm sofort die Verfolgung des Beklagten, der sich entfernte, auf und machte ihn für den Unfall verantwortlich. Wäre eine Fehlreaktion des Zeugen Z2 ursächlich gewesen, hätte sich aber der Zorn des Klägers gegen diesen richten müssen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass der Kläger, nachdem er sich mit seinem Motorrad überschlagen hatte und sich verletzt hatte, sofort einen völlig Unbeteiligten beschuldigt hätte.

Indem der Beklagte - aus einem Waldweg kommend - die Strasse in einem Abstand von nur 7 bis 10 m Entfernung zu dem fließenden Verkehr überquerte, hat er gegen § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVO verstossen, da er danach keine Vorfahrt vor den fließenden Verkehr hatte, sondern vielmehr dessen Vorfahrt hätte beachten müssen.

Gemäß § 8 Abs. 2 StVO hätte er die Fahrbahn nur überqueren dürfen, wenn er übersehen kann, dass er den Vorfahrtsberechtigten weder gefährdet noch wesentlich behindert.

Angesichts der geringen Entfernung zu dem sich nähernden Motorrad wäre bei Aufbietung der im Strassenverkehr erforderlichen Sorgfalt für den Beklagten erkennbar gewesen, dass er durch sein plötzliches Auftauchen den Motorradfahrer zu einer Vollbremsung zwingt, dies zu einem Sturz und einer Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs führen kann, und der Beklagte hätte dies auch durch Anhalten und Erfüllung der Wartepflicht vermeiden können.

Der Beklagte hat in zurechenbarer Weise aufgrund seines Verhaltens nicht nur den Sturz des Zeugen Z2 verursacht, sondern auch den Sturz des Klägers und die daraus resultierenden Schäden und Verletzungen des Klägers. Denn angesichts des dichten Strassenverkehrs ist stets auch mit einer Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs zu rechnen, wenn sich ein Unfallgeschehen ereignet.

Die danach gegen den Beklagten bestehenden Schadenersatzansprüche des Klägers sind aber auf 70 % seines Schadens begrenzt, da gemäß § 254 BGB ein Mitverschulden des Klägers an dem Verkehrsunfall zu berücksichtigen ist. § 17 StVG ist nicht anzuwenden, da er die Beteiligung mehrerer Kraftfahrzeuge voraussetzt.

Der Sturz des Klägers ist auch dadurch verursacht worden, dass er zu dem vorausfahrenden Zeugen Z2 einen zu geringen Abstand einhielt. Denn der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muß gemäß § 4 StVO in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Zur Bemessung des Abstands gilt als Faustregel, dass der Abstand die halbe Tachometerzahl betragen soll (Janiszewski/Jagow/Burmann-Burmann, Strassenverkehrsrecht, § 4 StVO RdNr. 4). Bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h hätte der Abstand damit zumindest 35 m betragen müssen. Diesen Abstand hat der Kläger nach seiner eigenen Erklärung nicht eingehalten. Dabei ist unbeachtlich, dass er nicht direkt, sondern versetzt hinter dem Zeugen Z2 gefahren ist. Gerade dieser Unfall zeigt sehr anschaulich, dass bei einem Sturz auch ein Motorrad samt Fahrer die ganze Fahrspur einnimmt, da dem Kläger nach eigenem Bekunden beim Ausweichen im Graben landete.

Bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Kläger diesen Verstoß vermeiden können.

Allerdings ist bei der Bewertung der beiden Verkehrsverstösse der Parteien zu berücksichtigen, dass der Beklagte einen schweren Verkehrsverstoss begangen hat, der allein die auslösende Ursache des Unfalls war, und es deshalb rechtfertigt, dem Beklagten die Haftung ganz überwiegend zu 70 % aufzuerlegen. Denn die Verletzung der Vorfahrt führt im Regelfall zu einer Haftung zu 100 % und das Verschulden des Klägers ist weniger schwerwiegend zu bewerten. Es wäre, den Verstoß des Beklagten hinweggedacht, folgenlos geblieben.

Der Sachschaden des Klägers beläuft sich - ohne außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren - nach Überzeugung des Gerichts gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf insgesamt 8.747,29 €, nämlich Fahrzeugschaden in Höhe von 7.174,16 €, Sachverständigengebühren in Höhe von 1.016,35 €, Kostenpauschale in Höhe von 25,- €, Arztrechnungen in Höhe von 386,78 € und Kosten der Reparatur der Motorradlederkleidung des Klägers 145,- €. Davon kann der Kläger 70 %, also 6.123,10 € ersetzt verlangen.

Sämtliche Schadenspositionen - außer der Schadenspauschale, die gemäß § 287 ZPO geschätzt wird, hat der Kläger durch Rechnungen belegt, die keinen Anlass zu Zweifeln bieten. Sowohl die Beschädigung des Motorrads und seiner Kleidung sowie die erlittenen Verletzungen, die überdies der Lebenserfahrung nach zu erwarten sind, wenn ein Motorrad nach Vollbremsung bei 70 km/h in den Graben gerät und sich überschlägt, hat der Kläger in seiner Anhörung bestätigt. Anhaltspunkte für Vorschäden ergeben sich nicht.

Der Kläger kann weiterhin ein Schmerzensgeld in Höhe von 700,- € verlangen. Er hat bei dem Unfall Frakturen zweier Rippen und eine Thoraxprellung. Er war bis zum 15.10.2005 arbeitsunfähig. Angesichts der gerichtsbekannt besonders schmerzhaften Verletzung, der Dauer der Arbeitsunfähigkeit, des zu berücksichtigenden Mitverschuldens des Klägers und der lediglich fahrlässigen Begehung der Körperverletzung erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 700,- € angemessen, aber auch ausreichend.

Zusätzlich kann der Kläger Ersatz von Anwaltskosten in Höhe von 306,24 € verlangen, die außergerichtlich entstanden sind und gemäß § 13 RVG nicht auf die Gebühr des Gerichtsverfahrens anzurechnen sind. Allerdings ist diesen Anwaltskosten lediglich der Geschäftswert der berechtigten Forderung des Klägers, mithin 6.823,10 € zugrundezulegen (Palandt-Heinrich, BGB, § 249 RdNr. 39), so dass sich eine Gebühr in Höhe von 488,- € ergibt, der zur Hälfte zuzüglich Kostenpauschale und Mehrwertsteuer ersetzt verlangt werden kann.

Der Anspruch auf Verzugszinsen beruht auf § 298 Abs. 1 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs 2 ZPO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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