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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 28.11.2002
Aktenzeichen: 19 U 133/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 516 Abs. 3
ZPO § 517
ZPO § 524 Abs. 4
ZPO § 522 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2 a. F.
BGB § 140
Nach § 524 IV ZPO n.F. verliert eine Anschlussberufung mit der Rücknahme der Berufung ihre Wirkung. Erklärt der Anschlussberufungskläger mit einem danach folgenden Schriftsatz, dass die Anschlussberufung als Berufung weitergeführt werden soll, ist für die Berechnung der Berufungsfrist der Eingang dieses Schriftsatzes maßgeblich. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Anschlussberufung ursprünglich als "selbstständige Anschlussberufung" bezeichnet wurde. (ZPO § 524 IV n.F.)
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

19 U 133/02

Verkündet am 28.11.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 28.11.2002 beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 17.6.2002 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hanau wird als unzulässig verworfen.

Die Rücknahme der Berufung des Beklagten hat den Verlust des eingelegten Rechtsmittels zur Folge. Damit ist auch die von den Klägern am 16.08.2002 eingelegte Anschlussberufung wirkungslos geworden.

Von den Kosten der Berufungsinstanz hat der Beklagte 48 %, die Kläger haben 52 % zu tragen.

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug wird auf 18.800 € festgesetzt.

Gründe:

Die Kläger haben gegen das am 16.7.2002 zugestellte Urteil des Landgericht mit Schriftsatz vom 16.8.2002 an diesem Tag "selbständige Anschlussberufung" eingelegt. Zuvor hatte der Beklagte am 9.8.2002 Berufung eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 2.10.2002 genommen hat.

Am 13.9.2002 haben die Kläger beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Die Entscheidung über diesen Antrag hat der Senat bis zum Eingang der Akten zurückgestellt.

Am 16.10.2002 ist eine Berufungsbegründung der Kläger eingegangen und Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des abgewiesenen Teils der Klage gestellt worden.

Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 1.10.2002, die unselbständige Anschlussberufung als unzulässig zu verwerfen.

Die Kläger tragen vor, beim Diktat und bei Unterschrift des Schriftsatzes vom 16.8.2002 sei dem Prozessbevollmächtigten ein Irrtum unterlaufen. Er habe das als Berufung beabsichtigte Rechtsmittel nur versehentlich statt als "selbständige Berufung" als "selbständige Anschlussberufung" bezeichnet. Weil eine Berufung beabsichtigt gewesen sei, sei das Rechtsmittel nicht begründet gewesen. Die geänderten Vorschriften der Zivilprozessordnung seien dem Prozessbevollmächtigten aufgrund einer Schulung bekannt gewesen.

Hierzu legen sie eine anwaltliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten vor. Auch nach früherem Recht sei es so, dass eine Anschlussberufung im Falle der Rücknahme der Berufung vom Senat so zu behandeln wäre, als ob es sich um eine Berufung handele.

Der Schriftsatz vom 16.8.2002 nehme auch ausdrücklich auf die Zustellung des Urteils Bezug, was bei einer Anschlussberufung überflüssig sei.

Die Anschlussberufung der Kläger vom 16.8.2002, die mangels beigefügter Begründung bereits unzulässig war (§ 524 Abs. 3 ZPO), hat mit Rücknahme der Berufung des Beklagten ihre Wirkung verloren; § 524 Abs. 4 ZPO.

Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 16.10.2002 zum Ausdruck gebracht, dass sie das Rechtsmittel als Berufung weiterverfolgen wollen und die Berufung begründet.

Hierin ist die Einlegung einer Berufung zu sehen, diese ist jedoch verfristet nach § 517 ZPO, da sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils eingegangen ist, und aus diesem Grunde gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Entgegen der Auffassung der Kläger wurde mit der Einreichung des Schriftsatzes vom 16.8.2002 dagegen keine Berufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt.

Der Schriftsatz ist unzweifelhaft überschrieben mit den Worten "selbständige Anschlussberufung".

Die Anschlussberufung ist jedoch kein selbständiges Rechtsmittel, sondern ein im Rahmen fremder Berufung gestellter Sachantrag, der im Falle der Berufungsrücknahme kraft Gesetzes wirkungslos wird. Eine Auslegung des Schriftsatzes als Berufung scheitert daran, dass ein eindeutiger Wille, ein Rechtsmittel unabhängig vom Schicksal der Berufung des Gegners einlegen zu wollen, sich dem Schriftsatz vom 16.8.2002 nicht entnehmen lässt.

Eine Prozesspartei hat nach neuem wie nach altem Recht die Wahl zwischen der Einlegung der Berufung und der Anschließung an die Berufung des Gegners. Ein durch Rücknahme der Berufung misslungener Anschluss kann nur ausnahmsweise in eine eigenständige Berufung umgedeutet werden.

Hat eine Partei ihr Angriffsmittel ausdrücklich als Anschlussberufung bezeichnet, so ist es auch dann als solche zu behandeln, wenn es in offener Berufungsfrist eingelegt ist (Zöller, Zivilprozessordnung, 23. Auflage, Anm. 6 zu § 524 ZPO). Will der Berufungsbeklagte sich die Berufung unabhängig vom Rechtsmittel des Gegners erhalten, so ist er gehalten, selbst Berufung einzulegen (Zöller, aaO).

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Kläger eine selbständige Anschlussberufung einlegen wollten.

Aus dem Schriftsatz vom 16.8.2002 ergibt sich, dass der Prozessbevollmächtigte möglicherweise verkannt haben könnte, dass das Rechtsmittel der selbständigen Anschlussberufung nach § 522 Abs. 2 ZPO a. F. durch die seit 1.1.2002 geltende Zivilprozessordnung abgeschafft ist.

Dies stellen die Kläger mit Schriftsatz vom 25.11.2002 jedoch in Abrede und tragen vor, es habe sich um einen Diktatfehler gehandelt, das Wort "Anschluss" sei versehentlich eingefügt worden. Dieser Irrtum des Prozessbevollmächtigten, den die Kläger sich zurechnen lassen müssen, ist zumindest nach dem Inhalt des Schriftsatzes nicht offenkundig, da die Einlegung der "selbständigen Anschlussberufung" erst nach dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung des Beklagten aufgeführt wird. Der Gesamteindruck des Schriftsatzes spricht nicht klar und eindeutig dafür, dass das Urteil des Landgerichts unabhängig von der Berufung der Gegenseite angefochten werden sollte.

Da die Möglichkeit, Berufung neben einer bereits von der Gegenseite eingelegten Berufung anstelle einer selbständigen Anschlussberufung einzulegen, bereits nach der bis zum 31.12.2001 geltenden Rechtslage bestand, ist der objektivierbare Wille der Kläger dahingehend auszulegen, dass eine Anschließung und keine Berufung beabsichtigt war. Der Schriftsatz vom 16.8.2002 enthält keinen Hinweis darauf, dass entgegen der ausdrücklichen Bezeichnung als Anschlussberufung etwas anderes gemeint war.

Nachträgliche Erklärungen wie die Schriftsätze vom 16.10.2002 und 25.11.2002 können nicht zur Auslegung des Schriftsatzes vom 16.8.2002 herangezogen werden (vgl. BGH, 4b. Zivilsenat, Urteil vom 6.5.1987, IVb ZR 51/86, abgedruckt BGHZ 100, 383-390).

Dass die Kläger die Rechtsfolge des § 524 Abs. 4 ZPO nicht bedacht haben, geht zu ihren Lasten und kann nicht im Wege der Auslegung korrigiert werden.

Die Auslegung findet ihre Grenzen in dem berechtigten Vertrauen des Gegners auf den objektiven Erklärungsinhalt des Schriftsatzes vom 16.8.2002 (vgl. BGH, 7. Zivilsenat, Beschluss vom 6.7.2000, VII ZB 29/99, abgedruckt NJW 2000, 3215).

Nach der geltenden Rechtslage durfte der Beklagte darauf vertrauen, dass einem ausdrücklich als Anschlussberufung bezeichneten Rechtsmittel mit der Rücknahme der eigenen Berufung der Boden entzogen wird.

So hat der Beklagte im vorliegenden Fall nach Einlegung der Anschlussberufung sein Rechtsmittel zurückgenommen und durfte nach seinem Antrag im Schriftsatz vom 1.10.2002 davon ausgehen, dass dies auch die Anschlussberufung zu Fall bringen werde und einer erneuten mit Begründung versehenen Anschlussberufung vorbeugen könne.

Hieran scheitert auch eine Umdeutung des unzulässigen Rechtsmittel in eine zulässige Berufung. Zwar ist der Rechtsgedanke des § 140 BGB auch im Zivilprozessrecht anzuwenden. Ein unzulässiger Antrag kann umgedeutet werden in das zulässige Angriffsmittel, das dem erkennbaren Willen am nächsten kommt. Dies findet seine Grenze jedoch in dem Gedanken der zum Schutz des Gegners gebotenen Rechtsklarheit einer Prozesshandlung. Ein als Anschlussberufung bezeichneter Antrag kann nicht umgedeutet werden in ein Begehren, das weiterreichende Folgen hat als der ausdrücklich gestellte Antrag.

Die Kostenentscheidung und der Ausspruch des Verlustes des Rechtsmittels des Beklagten beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.

Der Streitwert ergibt sich aus dem Wert der Berufung des Beklagten, 10.000 € für die Weiterverfolgung der Widerklage und 800 € für das gegen die zugesprochene Feststellung gerichtete Rechtsmittel, sowie aus dem Wert der Berufung der Kläger, welche die mit 8.000 € zu bewertende abgewiesene Feststellungsklage weiterverfolgen.

Ende der Entscheidung

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