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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 15.09.2004
Aktenzeichen: 19 U 34/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 138
Das einem Zahnarzt in einem Praxisübernahmevertrag auferlegte Verbot, im Umkreis von 10 km eine eigene Zahnarztpraxis zu betreiben, ist sittenwidrig und trotz einer vertraglich vereinbarten Erhaltungsklausel nichtig.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

19 U 34/04

Verkündet am 15.09.2004

In dem Rechtsstreit

...

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. September 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 21. Januar 2004 verkündete Teilurteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung einer Vertragsstrafe wegen des Verstoßes gegen ein vertraglich vereinbartes Wettbewerbsverbot in Anspruch.

Der Beklagte war Inhaber einer Zahnarztpraxis in O 1 (...weg). Er verfügte über eine kassenärztliche Zulassung für das Stadtgebiet O 1.

Am 6. 2. 2002 kam es zwischen den Parteien zu einem Praxisübernahmevertrag, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 6 bis 15 d. A.). Der Kontakt zwischen den Parteien kam durch die X AG zustande, die auch einen Vertragsentwurf fertigen ließ.

Die Praxisübergabe erfolgte vertragsgemäß am 1. 4. 2002. Die Klägerin sollte für die Praxiseinrichtung 115.478,- € und für den ideellen Praxiswert (Goodwill) 98.241,92 € bezahlen.

In § 10 des Vertrages verpflichtete sich der Beklagte u. a., für die Dauer von 3 Jahren im Umkreis von 10 km keine eigene Zahnarztpraxis zu betreiben. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde eine Vertragsstrafe von 98.241,92 € vereinbart.

Entgegen der übernommenen Verpflichtung übt Beklagte zumindest seit Dezember 2002 eine Praxis in der ...straße ... in O 1 aus. Die Entfernung zum ...weg beläuft sich auf rund 5 km.

Die Klägerin hat den Beklagten mit der Klage auf Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe von 98.241,92 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10. 1. 2003 in Anspruch genommen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Außerdem hat er Widerklage auf Zahlung von 5.557,38 € nebst Zinsen erhoben.

Das Landgericht hat den Beklagten durch Teilurteil vom 22. 1. 2004 (Bl. 193 bis 200 d. A.) ) zur Zahlung des mit der Klage geltend gemachten Betrages verurteilt.

Gegen das ihm am 27. 1. 2004 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 26. 2. 2004 Berufung eingelegt und nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 13. 4. 2004 an diesem Tag begründet.

Er hält das vereinbarte Rückkehrverbot für sittenwidrig und nichtig.

Er beantragt,

das landgerichtliche Teilurteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf die Wirksamkeit des durch die geltend gemachte Vertragsstrafe gesicherten Rückkehrverbots.

Die zulässige Berufung führt zum Erfolg.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Der Beklagte hat die vereinbarte Vertragsstrafe nicht verwirkt (§ 339 BGB), da das in § 10 des Vertrags vom 6. 2. 2002 vereinbarte Rückkehrverbot sittenwidrig und damit nichtig ist (§ 138 BGB).

Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerfG NJW 1989, 1271; BGH WM 1986, 1251ff; WM 1990, 2121f; NJW-RR 1996, 741f; WM 1997, 86 ff; WM 1997, 1797ff; NJW 2000, 2584f; NJW 2002, 3536ff) der der Senat folgt, sind Konkurrenzschutzklauseln sittenwidrig und damit nichtig, wenn sie über die schutzwürdigen Interessen des durch sie Begünstigten hinausgehen und zu einer in örtlicher, zeitlicher oder gegenständlicher Hinsicht unangemessenen Beschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Vertragspartners führen. Dies beruht darauf, dass die im Art. 12 Abs. 1 GG zum Ausdruck gekommene Wertentscheidung des Grundgesetzes für die Freiheit des Berufes die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Vertragsfreiheit begrenzt.

Hier wird das grundgesetzlich geschützte Recht des Beklagten auf Berufsfreiheit, insbesondere auf freie Berufsausübung, durch das strafbewehrte vereinbarte Rückkehrverbot in erheblichem Maße verletzt. Es hat zur Folge, dass es dem Beklagten, der nur über eine kassenzahnärztliche Zulassung für das Stadtgebiet O 1 verfügt, nur kleinere, außerhalb des Radius von 10 km befindliche Randgebiete oder nicht gesperrte Gebiete zur freiberuflichen Ausübung seines Berufs als Zahnarzt verbleiben. Schon dies allein wird in der Literatur teilweise als auf jeden Fall unzulässige Einschränkung der Berufsfreiheit angesehen (so Laufs-Uhlenbruck, Hdb. des Arztrechts, 3. A. § 19 RZ 5; Spoerr NJW 1997, 3056, ebenso OLG Mündchen MedR 1996, 567).

Seinem Grundrecht steht allerdings das ebenfalls grundgesetzlich geschützte Recht der Klägerin auf Schutz ihres Eigentums gegenüber (Art. 14 Abs. I GG). Hierzu gehören alle vermögenswerten Rechtspositionen, mithin auch das Recht der Klägerin an dem von ihr durch den Vertrag vom 6. 2. 2002 erworbenen ideellen Praxiswert.

Der Konflikt zwischen dem Grundrecht des Beklagten auf freie Berufsausübung und dem der Klägerin, den erworbenen Kundenstamm behalten und nutzen zu können, ist, wie der Bundesgerichtshof in NJW 2002, 3536 f ausgeführt hat, nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu lösen. Dieser fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Dabei ist zu ermitteln, welche verfassungsrechtliche Position für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat. Die schwächere Position darf demgegenüber nur soweit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint.

Hier kommt dem Interesse der Klägerin; den gekauften ideellen Praxiswert auf Dauer nutzen zu können, ohne hierbei durch eine vorzeitige Rückkehr des Beklagten gestört zu werden, das deutlich höhere Gewicht zu. Gleichwohl gebietet es der Schutz der Klägerin nicht, es dem Beklagten zu verbieten, sich im Umkreis von 10 km erneut als Zahnarzt niederzulassen. Ein so weit gehendes räumliches Verbot ist nicht erforderlich, um die Klägerin vor einer illoyalen Verwertung des von ihr erworbenen Kundenstammes zu schützen. Ein darüber hinaus gehendes Interesse der Klägerin daran, den Beklagten überhaupt als potentiellen Wettbewerber auszuschalten, ist nicht schützenswert (NJW 2000, 2584f). Mit dem Erwerb des ideellen Praxiswertes hat die Klägerin - anders als möglicherweise bei der Übernahme einer Facharzt- oder Tierarztpraxis - lediglich die Chance erlangt, diejenigen Patienten auf Dauer zu übernehmen und betreuen zu können, die den Beklagten aus der Vielzahl der in O 1 niedergelassenen Zahnärzte wegen seiner leichten Erreichbarkeit und der räumlichen Nähe zu ihrem Wohn- oder Arbeitsort ausgewählt hatten. Darauf, dass sich auch solche Patienten von ihr als Nachfolgerin des Beklagten weiterbehandeln lassen würden, die den Beklagten wegen seiner besonderen Fähigkeiten und eines entstandenen persönlichen Vertrauensverhältnisses aufgesucht hatten, konnte sie von Anfang an nicht vertrauen. Denn solche Patienten hätten sich auch nicht von einer den Radius von 10 km übersteigenden Entfernung von der ursprünglichen Praxis davon abhalten lassen, den Beklagten weiterhin als Zahnarzt in Anspruch zu nehmen. Zum Schutz vor einer Abwanderung derjenigen Patienten, die die Praxis des Beklagten wegen ihrer leichten Erreichbarkeit aufgesucht hatten, war es nicht erforderlich, dem Beklagten die Niederlassung im nahezu gesamten Stadtgebiet und sogar Orten außerhalb von O 1 zu verbieten. Es hätte ausgereicht, das Verbot zur Rückkehr auf den Stadtteil, in dem sich die verkaufte Praxis befand, oder auf das südlich des Mains gelegene Stadtgebiet zu beschränken. Auch in der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass es zum Schutz eines übernommenen Patientenstammes ausreicht, ein Rückkehrverbot auf eine kleinere Stadt oder bei einer großen Stadt auf einen Stadtteil zu begrenzen (Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. A. RZ 110; Römermann, BB 1998, 1489, 1490).

Die Umdeutung des sittenwidrigen und damit nichtigen Rückkehrverbots in ein solches mit zulässigem Inhalt ist trotz der Erhaltungsklausel in § 13 Ziff. 2 des Vertrags nicht möglich. Es ist anerkannt, dass sittenwidrige Geschäfte grundsätzlich nicht rechtsgestaltend gemäß § 140 BGB umgedeutet werden können, weil andernfalls das sittenwidrige Rechtsgeschäft für denjenigen, den es begünstigt, das Risiko, mit dem es durch die vom Gesetz angedrohte Nichtigkeitsfolge behaftet sein soll, verlieren würde (BGHZ 68, 204ff; 107, 351ff; 146, 37ff; WM 1986, 1251; 1990, 2121). Hieran vermag die vereinbarte Erhaltungsklausel nichts zu ändern. Zudem haben die Parteien selbst nicht geregelt, welche konkrete Regelung an die Stelle der nichtigen treten sollte. Es ist aber nicht Aufgabe des Richters, für die Parteien eine Vertragsgestaltung zu finden, die den beiderseitigen Interessen gerecht wird und die Folge der Sittenwidrigkeit vermeidet (BGHZ 107, 351ff). Selbst aber, wenn man eine Umgestaltung des vertraglich vorgesehenen Rückkehrverbots auf das rechtlich mögliche Maß für zulässig halten wollte (so LG Limburg MedR 1997, 221, 223), erstreckte sich diese nicht auf den Bereich der ...straße. Die Gefahr, dass sich Patienten, die den Beklagten nicht wegen eines besonderen Vertrauensverhältnisses, sondern wegen der leichten Erreichbarkeit seiner Praxis im ...weg aufgesucht haben, ihn in seiner neuen Praxis aufsuchen werden, ist äußerst gering. Zwischen beiden Orten befindet sich nicht nur der Main, sondern die gesamte Innenstadt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin gemäß § 91 ZPO zu tragen, da sie hinsichtlich des Rechtsstreits, soweit darüber in der Berufungsinstanz zu befinden war, in vollem Umfang unterlegen ist. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz bleibt dem Landgericht überlassen, da sie auch vom Ausgang der Widerklage abhängt.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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