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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 29.02.2000
Aktenzeichen: 19 W 41/99
Rechtsgebiete: ZPO, GKG


Vorschriften:

ZPO § 519 b Abs. 2
GKG § 8 Abs. 1
Außerordentliche Beschwerde gegen die Verwerfung einer Berufung gegen ein amtsgerichtliches Urteil durch das Landgericht.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

19 W 41/99

Verkündet am 29.2.2000

In dem Rechtsstreit

Tenor:

... wird auf die sofortige Beschwerde des Beklagten der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 29.06.1999 aufgehoben.

Die Kammer wird über die form- und fristgerecht eingelegte Berufung gegen das 2. Versäumnisurteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 23.02.1999 erneut zu entscheiden haben.

Gerichtskosten sind für diese und für die angefochtene Entscheidung nicht zu erheben; im übrigen bleibt die Kostenentscheidung vorbehalten.

Gründe

Ungeachtet der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit von Entscheidungen des Landgerichts in zweiter Instanz (einer der in § 567 Abs. 3 ZPO genannten Ausnahmefälle liegt nicht vor) ist das Rechtsmittel des Beklagten hier als außerordentliche sofortige Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit analog § 519 b Abs. 2 ZPO zulässig. Als Folge eines Versehens der Kanzlei des Landgerichts und einer dadurch bedingten Verletzung des rechtlichen Gehörs ist es zu der in der Sache offensichtlich unrichtigen angegriffenen Entscheidung gekommen; sie verletzt im Ergebnis den verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz des gleichen Zugangs aller Bürger zu den Gerichten (BVerfG NJW 87, 2067) und ist deshalb, auch zur Vermeidung ei- ner sonst nötigen - und bereits angekündigten ­ Verfassungsbeschwerde, im Rahmen der jedem Gerichtszweig aufgegebenen Selbstkontrolle aufzuheben. Jedenfalls wenn es - wie hier - keine Möglichkeit zur Korrektur des offensichtlichen und gravierenden Versehens durch eine gesetzlich zugelassene sofortige Beschwerde oder durch ein Wiedereinsetzungsverfahren gibt, hält der Senat - freilich entgegen der herrschenden Meinung - eine solche Selbstkontrolle für geboten und deswegen die Möglichkeit einer außerordentlichen sofortigen Beschwerde für eröffnet (vgl. zu der strittigen Frage die Nachweise etwa bei Zöller/Gummer, 21. Aufl. Rz. C zu § 519 b ZPO; MüKo/Rimmelspacher, Rz. 53 vor § 511 und Rz. 14 zu § 519 b ZPO; Stein/ Jonas/Grunsky, 21. Aufl. Einl. IV 69 vor § 511 ZPO; Baumbach/Lauterbach/Albers, 58. Aufl. Rz. 6f. zu § 567 und Rz. 12 zu § 519 b ZPO). Wesentliche Unklarheiten in der Frage der Rechtskraft sind jedenfalls dann nicht zu besorgen, wenn es sich - wie hier - um eine fristgebundene sofortige Beschwerde handelt. Angesichts des offenbar nur versehentlichen, gleichwohl objektiv klaren Verfassungsverstoßes erscheint es entbehrlich, den Beklagten auf eine Verfassungsbeschwerde zu verweisen.

Gegen das dem Beklagten am 13.03.1999 zugestellte 2. Versäumnisurteil hat er durch Telefax seines Anwalts am 13.04.1999 rechtzeitig Berufung eingelegt. Da eine - ebenfalls auf den 13.04.1999 datierte, aber erst am 19. 04.1999 bei Gericht eingegangene - vom Anwalt eigenhändig unterzeichnete Berufungsschrift im Schriftbild der Unterschrift von dem Telefax abwich, hat der Vorsitzende der Zivilkammer am 17.05.1999 ein Schreiben an den Anwalt des Beklagten verfügt, in dem auf die mangelnde, aber nach Ansicht des Gerichts notwendige Identität von Fax und später eingereichter Berufungsschrift hingewiesen wurde. Dieses Schreiben ist von der Kanzlei des Landgerichts versehentlich an die klagenden Anwälte gerichtet worden; der Beklagtenvertreter, der hiervon keine Kenntnis erhielt, hat deshalb dazu keine Stellung genommen mit der Folge, dass seine Berufung als unzulässig verworfen wurde. Erst im Beschwerdeverfahren hat sich im Rahmen des nachgeholten rechtlichen Gehörs herausgestellt, dass das Telefax doch das vom Landgericht vermisste Abbild eines vom Anwalt des Beklagten unterzeichneten Originalberufungsschriftsatzes ist. Dies ergibt sich zur sicheren Gewissheit des Senats aus dem Vergleich des Faxes mit der nachträglich eingereichten und eigenhändig unterschriebenen Berufungsschrift (Bl. 298 d. A.). Wäre die Verfügung vom 17.05.1999 nicht fehlgeleitet worden und hätte der Beklagtenanwalt deshalb die zunächst vermisste, durch das Telefax abgebildete Originalberufungsschrift schon vor dem angefochtenen Verwerfungsbeschluss eingereicht, so wäre dieser nicht ergangen; er hätte auch nicht ohne schwerwiegenden Verstoß gegen den bereits erwähnten Grundsatz des gleichen Zugangs zu Gericht ergehen dürfen (vgl. BVerfG NJW 87, 2067 zum Fall der einheitlichen Rechtsprechung bei fernschriftlicher Rechtsmitteleinlegung). Die in der Rechtsprechung derzeit umstrittene und vom Landgericht bejahte Frage, ob mit Fax übermittelte bestimmende Schriftsätze Oberhaupt im Original eigenhändig unterschrieben sein müssen oder ob auch sogenannte Computerfaxe (mit eingescannter Unterschrift) zulässig sind, stellt sich hier nicht (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des BGH v. 29.09.1998 - NJW 98, 3649)

Gerichtskosten sind für die Entscheidung und für den angefochtenen Beschluss nach § 8 Abs. 1 GKG nicht zu erheben. Über die außergerichtlichen Kosten konnte ­ ebenso wie im Fall eines nach einem Verfahrensfehler eine Sache zurückverweisenden Urteils ­ noch nicht entschieden werden, da der Ausgang des Rechtsstreits noch ungewiss ist.

Ende der Entscheidung

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