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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 30.03.2007
Aktenzeichen: 2 Not 1/07
Rechtsgebiete: BNotO


Vorschriften:

BNotO § 6 b
BNotO § 111
Zur Auswahlentscheidung bei der Besetzung einer Notarstelle (Punktesystem).
Gründe:

I.

Der Antragsgegner schrieb im Oktober 2004 im Justizministerialblatt für Hessen eine Notarstelle in der Stadt O1 aus, auf die sich neben dem Antragsteller der weitere Beteiligte bewarb. Im Auswahlverfahren ermittelte der Antragsgegner nach Abschnitt A II 3. des Runderlasses über die Ausführung der Bundesnotarordnung vom 25. Februar 1999 in der Fassung vom 10. August 2005 für den Antragsteller 161,95 Punkte und für den weiteren Beteiligten 131,9 Punkte.

Während der Antragsteller für Fortbildungskurse 72,5 Punkte und für insgesamt 15 Urkundsgeschäfte 1,6 Punkte erhielt, belief sich die Punktzahl des weiteren Beteiligten in der Rubrik Fortbildungskurse auf 7 und in der Rubrik Urkundsgeschäfte auf 39 Punkte; zusätzlich wurden dem weiteren Beteiligten 3 Punkte für seine Ausbildung zum württembergischen Notar im Landesdienst zuerkannt, die er vom 1. September 1978 bis zum 14. Dezember 1983 durchlaufen hat.

Mit Schreiben vom 11. März 2005 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller die Absicht mit, die ausgeschriebene Stelle mit ihm zu besetzen. Dagegen richtete sich der weitere Beteiligte mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Den diesen Antrag zurückweisenden Beschluss des Notarsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 19. Dezember 2005 (Az. 2 Not 2/05) sowie den Bescheid vom 11. März 2005 hob der Bundesgerichtshof auf die sofortige Beschwerde des hiesigen weiteren Beteiligten mit Beschluss vom 24. Juli 2006 (NotZ 3/06) auf.

Zur Begründung führte er aus, der Antragsgegner habe mit einer wertenden Gesamtschau zu prüfen, ob die in das - im Übrigen nicht zu beanstandende - Punktesystem aufgenommenen Kriterien und sonst eingeflossenen Gesichtspunkte im jeweiligen Einzelfall angemessen gewichtet seien. Der Antragsgegner habe aber nicht deutlich gemacht, in seiner Auswahlentscheidung den Umstand berücksichtigt zu haben, dass der - hiesige - Antragsteller über nahezu keine Erfahrungen in der Beurkundungstätigkeit verfüge und die Einseitigkeit der von ihm erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse offen zu Tage trete. In dem sich hieran anschließenden neuen Auswahlverfahren beabsichtigt der Antragsgegner nunmehr, die Notarstelle mit dem weiteren Beteiligten zu besetzen. Zur Begründung führt er in seinem Bescheid vom 7. Dezember 2006 aus:

Trotz der Tatsache, dass allein der Zahl der Urkundsgeschäfte nur eine beschränkte Aussagekraft für die fachliche Qualifikation eines Bewerbers beizumessen sei, habe im vorliegenden Fall die praktische Tätigkeit größeres Gewicht als die bloß theoretische Fortbildung, der mangels wirklicher Leistungskontrolle das Merkmal fehle, welches bei der Auswahl der Bewerber eine Differenzierung nach fachlicher Leistung ermögliche. Aus der von dem weiteren Beteiligten vorgelegten Bescheinigung ergäbe sich, dass er bei allen 731 zu berücksichtigenden Urkundsgeschäften Entwurfs- und / oder Vollzugshandlungen vorgenommen habe. Durch die Vielzahl der Geschäfte habe er in erheblichem Umfang praktische Erfahrungen in notarieller Tätigkeit erlangen können, was im Sinne einer Bestenauslese stärker zu gewichten sei als eine allein theoretische Ausbildung, die kaum eine praktische Umsetzung erfahren habe. Zudem würden mit jeder praktischen Beurkundungstätigkeit regelmäßig auch theoretische Kenntnisse erworben. Demgegenüber würden durch Fortbildungsveranstaltungen allein theoretische Kenntnisse vermittelt; eine praktische Umsetzung erfolge nicht.

Im Rahmen der Gesamtabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass der weitere Beteiligte durch seine Ausbildung zum Bezirksnotar in Baden-Württemberg bereits eine umfangreiche Schulung erfahren habe. Zwar seien ihm insoweit bereits 3 Sonderpunkte zuerkannt worden; dennoch handele es sich um einen Gesichtspunkt, der bei einer abschließenden Gesamtschau zu berücksichtigen sei. Gleiches gälte für die besonderen Kenntnisse auf dem Gebiet des Erbrechts, einem Kernbereich notarieller Tätigkeit.

Gegen diesen ihm am 12. Dezember 2006 zugegangenen Bescheid hat der Antragsteller mit einem am 5. Januar 2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, mit dem er die Auswahlentscheidung des Antragsgegners als ermessensfehlerhaft rügt. Zunächst "bagatellisiere" der Antragsgegner die theoretische Fortbildung des Antragstellers. Dass der theoretischen Fortbildung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein übergroßes Gewicht beizumessen sei, habe der Antragsgegner schon bei der Festlegung der jeweiligen Punkte für die erfolgreiche Absolvierung einer Fortbildungsveranstaltung angemessen berücksichtigt. Weiterhin sei die Ausbildung des weiteren Beteiligten zum Bezirksnotar bereits durch die Bewilligung von 3 Sonderpunkten berücksichtigt worden; eine nochmalige Berücksichtigung dieses Umstandes im Rahmen der Gesamtabwägung stelle eine Doppelbewertung dar. Zudem hätte der Antragsgegner nach richtigem Verständnis der Entscheidung des Bundesgerichtshofs von dem durch das Punktesystem gewonnenen Ergebnis ausgehen und klären müssen, ob der sich ergebende Punktevorsprung des Antragstellers gegenüber dem weiteren Beteiligten durch dessen intensive Beurkundungstätigkeit mehr als ausgeglichen sei.

Dieser Ausgangspunkt fehle bei der Abwägungsentscheidung völlig. Auch fehle eine Differenzierung der Urkundstätigkeit des weiteren Beteiligten nach Anzahl, zeitlicher Vornahme und Bewältigung während einer Notarvertretung von mehr als zwei Wochen. Es sei auch nicht zulässig, die von dem weiteren Beteiligten vorgelegte Bescheinigung, wonach er bei allen 731 zu berücksichtigenden Urkundsgeschäften Entwurfs- und / oder Vollzugshandlungen vorgenommen habe, ohne nähere Prüfung für die Auswahlentscheidung heranzuziehen. Außerdem lägen die Urkundsgeschäfte des weiteren Beteiligten außerhalb des dreijährigen Prüfungszeitraums.

Der Antragsgegner verteidigt die Auswahlentscheidung.

Der weitere Beteiligte verteidigt ebenfalls die Auswahlentscheidung. Er ist der Auffassung, die Einwendungen des Antragstellers seien aufgrund des vorangegangenen Beschwerdeverfahrens präkludiert. Zudem legt er nochmals seine Qualifikation dar.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach § 111 BNotO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die getroffene Auswahlentscheidung erweist sich insgesamt als rechtsfehlerfrei. Der Antragsgegner hat den ihm dabei zustehenden Beurteilungsspielraum (vgl. dazu grundlegend BGHZ 124, 327) zutreffend angewandt und ausgeschöpft.

Entgegen der Auffassung des weiteren Beteiligten ist der Antragsteller allerdings nicht bereits mit seinen Einwänden präkludiert. Es handelt sich nämlich gegenüber dem vorangegangenen Beschwerdeverfahren um ein neues Antragsverfahren mit einem unterschiedlichen Streitgegenstand.

Die Einwände des Antragstellers gegen die Auswahlentscheidung greifen jedoch nicht durch.

Nicht gefolgt werden kann der Auffassung des Antragstellers, die Auswahlentscheidung des Antragsgegners werde den sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2006 ergebenden Auswahlverfahrensschritten nicht gerecht. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat der Antragsgegner nach Sichtung der Bewerbungen auf der Grundlage des - zulässigen - Punktesystems zu prüfen, ob die in das Punktesystem aufgenommenen Kriterien und sonst eingeflossenen Gesichtspunkte im jeweiligen Einzelfall angemessen gewichtet sind. Um den Vorrang desjenigen zu gewährleisten, der die beste fachliche Eignung aufzuweisen hat, hat der Antragsgegner das über das Punktesystem gewonnene Ergebnis, das sich regelmäßig in einer nach der erreichten Gesamtpunktzahl bestimmten Rangfolge der Bewerber ausdrückt, mit einer wertenden Gesamtschau auf seine Richtigkeit zu hinterfragen.

Es geht also nicht darum, ob - wie der Antragsteller meint - sein durch Fortbildungen erreichter Punktevorsprung durch die Beurkundungstätigkeit des weiteren Beteiligten ausgeglichen werde; vielmehr geht es um eine Abwägung aller Umstände im Rahmen einer wertenden Gesamtschau. Diesen Ausgangspunkt hat der Antragsgegner erkannt und eine Abwägung zwischen den beiden aufgrund des Punktesystems ermittelten besten Bewerbern vorgenommen.

Diese Abwägung ist auch nicht zu beanstanden. Insbesondere hat der Antragsgegner die Bedeutung und Problematik der einzelnen bei der Gesamtschau einfließenden Kriterien erkannt und beachtet. So hat er zutreffend unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 (BVerfGE 110, 304) darauf hingewiesen, dass die Vorbereitungskurse keiner wirklichen Leistungskontrolle unterliegen und deshalb diesem wichtigen Eignungskriterium das Merkmal fehlt, das bei der Auswahl der Bewerber eine Differenzierung nach fachlicher Leistung ermöglicht. Er hat aber auch nicht verkannt, dass auch der Zahl der Urkundsgeschäfte ebenfalls nur eine beschränkte Aussagekraft für die fachliche Qualifikation eines Bewerbers beizumessen ist. Wenn er dennoch in dem konkreten Einzelfall der praktischen Tätigkeit des weiteren Beteiligten größeres Gewicht beigemessen hat als der bloß theoretischen, nicht durch wesentliche praktische Umsetzung untermauerten Fortbildung des Antragstellers, ist diese auf sachlichen Erwägungen beruhende Abwägung im Rahmen des beschränkten Prüfungsumfangs des Notarsenats bei einer Auswahlentscheidung nicht zu beanstanden. Darin liegt auch keine unzulässige "Bagatellisierung" der Fortbildung des Antragstellers.

Der Bundesgerichtshof hat dem Antragsgegner aufgegeben, differenziert zu bewerten und zu entscheiden, ob er dem weiteren Beteiligten, der Beurkundungserfahrung, aber nur geringe theoretische Fortbildung aufzuweisen hat, oder dem Antragsteller mit einer hohen Zahl von Fortbildungsveranstaltungen, aber einem nahezu völligen Defizit an fachbezogener beruflicher Praxis, den Vorzug gebe. Daraus folgt aber zwangsläufig, dass in dem zu entscheidenden Einzelfall entweder die Beurkundungstätigkeit oder die Fortbildung in ihrer Bedeutung zurückstehen muss.

Dabei durfte sich der Antragsgegner bei seiner wertenden Gesamtschau auch auf die den Anforderungen des Runderlasses entsprechende Bescheinigung des Notars A vom 11. November 2004 beziehen, derzufolge der weitere Beteiligte während seiner Notarvertretertätigkeit bei den 731 zu berücksichtigenden Urkundsgeschäften die Urkunden selbständig entworfen und protokolliert oder protokolliert und Vollzugshandlungen vorgenommen hat. Zwar ist zutreffend, dass der weitere Beteiligte selten Vertretungen von mehr als 2 Wochen übernommen hat und bei Notarvertretungen von längerer Dauer die Bewältigung aller - auch schwieriger - notarieller Tätigkeiten abverlangt wird, weil sich diese nicht bis zur Rückkehr des Amtsinhabers aufschieben lassen (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2006, NotZ 11/06); das spricht jedoch weder gegen die Richtigkeit der Bescheinigung - die der Notar A im Übrigen auf S. 3 seiner weiteren Bescheinigung vom 29. Januar 2007 bestätigt hat - noch gegen die umfangreiche Erfahrung, die der weitere Beteiligte aufgrund der häufigen Notarvertretungen durch die Vielzahl der Geschäfte in jedem Fall erworben hat.

Soweit der Antragsteller nunmehr mit Schriftsatz vom 20. März 2007 eine Bestätigung des Notars B vom 27. Februar 2007 eingereicht hat, wonach dieser seit mehr als 10 Jahren intensiv mit dem Büro des Antragstellers zusammen arbeite und der Antragsteller seine Sachkunde in Notarangelegenheiten auch bei Notarvertretungen unter Beweis gestellt habe, kann dies nach § 6b Abs. 2 BNotO keine Berücksichtigung mehr finden. Gleiches gilt für die vorgelegten Nachweise für Vertretungen ab September 2004, die im Wesentlichen außerhalb der Bewerbungs-frist erfolgt sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Juli 2006, NotZ 3/06).

Nicht zu beanstanden ist weiterhin, dass der Antragsgegner bei seiner wertenden Gesamtschau die Ausbildung des weiteren Beteiligten zum Bezirksnotar in Baden-Württemberg berücksichtigt hat. Darin liegt trotz des - von dem Antragsgegner erkannten - Umstands, dass der weitere Beteiligte dafür bereits 3 Sonderpunkte erhalten hat, keine unzulässige Doppelbewertung. Eine Abwägung zwischen den aufgrund des Punktesystems ermittelten besten Bewerbern erfasst naturgemäß auch und gerade jene Umstände, die bereits über das Punktesystem erfasst wurden; Sinn und Zweck der wertenden Gesamtschau ist es nämlich, sie einer angemessenen Gewichtung zuzuführen. Im Übrigen hat auch der Bundesgerichtshof in seinem Prüfauftrag an den Antragsgegner auf die Tatsache verweisen, dass der weitere Beteiligte über eine einschlägige theoretische "Vor-Ausbildung" verfügt.

Letztlich wird die Auswahlentscheidung auch dem Primat der Bestenauslese insoweit gerecht, als sie um ein ausgewogenes Verhältnis der fachspezifischen Leistungen zueinander bemüht ist.

Nach alledem war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO i.V.m. § 201 Abs. 1 BRAO, die Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswertes auf den §§ 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO, 202 Abs. 2 BRAO, 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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