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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 18.02.2003
Aktenzeichen: 2 Ss Owi 1/03
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 25
Die Einschränkung der indiziellen Wirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels bei einer im Sinne der Regeltatbestände der BKatV qualifizierten Überschreitung der durch Vorschriftszeichen 274 beschränkten Geschwindigkeit gilt nur, wenn der Kraftfahrzeugführer die ohne das Vorschriftszeichen maßgebliche Höchstgeschwindigkeit einhält.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

2 Ss Owi 1/03

Entscheidung vom 18. Februar 2003

In der Bußgeldsache

.....

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - Senat für Bußgeldsachen - auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Wildungen vom 22. Aug. 2002 am 18. Februar 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Das gegen den Betroffenen verhängte Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Rechtskraft dieses Beschlusses (19. Februar 2003).

Gründe:

Das Amtsgericht Bad Wildungen hat den Betroffenen mit Urteil vom 22. August 2002 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100 ? verurteilt. Außerdem hat es ihm für die Dauer von 1 Monat untersagt, Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Der Betroffene wendet sich gegen die Anordnung des Fahrverbots und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 2. November 2001 mit seinem PKW BMW, amtliches Kennzeichen KB ......, in der Gemarkung Bad Wildungen die Bundesstraße 253. Oberhalb der Einmündung zur K 43 in Richtung Bad Wildungen durchfuhr er ausserhalb geschlossener Ortschaften eine mobile Radargeschwindigkeitskontrollstelle mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 120 km/h. Angeordnet durch Vorschriftszeichen 274, das in Fahrtrichtung Bad Wildungen etwa 104 m vor der Meßstelle aufgestellt war, betrug die zulässige Höchstgeschwindigkeit 70 km/h. Das Amtsgericht hat die Einlassung des Betroffenen, er habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur aus Unachtsamkeit überschritten, nicht für widerlegt angesehen. Unter Berücksichtigung eines Toleranzabzugs von 4 km/h ist es von einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung von 46 km/h ausgegangen und hat die Regelbußen nach dem Bußgeldkatalog verhängt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und ebenso begründet worden. Aufgrund der wirksamen Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist der Schuldspruch rechtskräftig. Wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot wird der Rechtsfolgenausspruch von der Rechtsbeschwerde allerdings in vollem Umfang erfasst.

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Entgegen der Ansicht des Betroffenen und der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main reichen die Feststellungen des Amtsgerichts für die Anordnung eines sog. Regelfahrverbots aus.

1. Alleinige Grundlage für die Anordnung eines Fahrverbots wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit ist § 25 Abs.1 S.1 StVG. Nach dieser Vorschrift kann gegen den Betroffenen für die Dauer von einem Monat bis zu drei Monaten ein Fahrverbot angeordnet werden, wenn gegen ihn wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG, die er unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, eine Geldbuße festgesetzt wird. Gemäß § 2 Abs.1 Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) - seit 1. Januar 2002: § 4 Abs.1 BKatV - kommt die Anordnung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht, wenn einer der dort aufgeführten Tatbestände gegeben ist. Die Verwirklichung dieser Tatbestände indiziert sowohl in objektiver wie in subjektiver Hinsicht das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung. Dem Kraftfahrzeugführer muss sich bei den im einzelnen aufgeführten Fällen in der Regel die Gefährlichkeit seines Verhaltens aufdrängen (vgl. BGH, NZV 1997,525 f.).

2. Allerdings kommt die indizielle Wirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels bei einer im Sinne der Regeltatbestände der BKatV qualifizierten Überschreitung der durch Vorschriftszeichen 274 gem. § 41 Abs.2 Nr. 7 beschränkten Geschwindigkeit - wie hier - nur mit Einschränkungen zum Tragen. Dem Kraftfahrzeugführer kann das für ein Fahrverbot erforderliche grob pflichtwidrige Verhalten nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund für die von ihm begangene erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt, dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Zeichen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade diese Fehlleistung beruhe ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit (vgl. BGH, a.a.O.). Vergleichbar der Erschütterung des Anscheinsbeweises im Zivilrecht kann daher die indizielle Wirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels entfallen, wenn die Einlassung des Betroffenen, er habe das Vorschriftszeichen 274 aufgrund einfacher Fahrlässigkeit übersehen, aufgrund konkreter Tatsachen glaubhaft oder nicht widerlegbar ist. In diesen Fällen bedarf es grundsätzlich weiterer Feststellungen zum Vorliegen einer groben Pflichtverletzung. 3. Zur "Erschütterung" der indiziellen Wirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels reicht es aber nicht schon aus, dass der Kraftfahrzeugführer - nicht widerlegt - das Vorschriftszeichen 274 aufgrund einfacher Fahrlässigkeit übersehen hat. Voraussetzung ist weiterhin, dass er die ohne das Vorschriftszeichen maßgebliche Höchstgeschwindigkeit eingehalten hat (vgl. BGH, a.a.O.). Es ist nämlich kaum vorstellbar, dass einem Kraftfahrzeugführer keine grobe Pflichtwidrigkeit zur Last fällt, wenn er bereits die ohne das Vorschriftszeichen maßgebliche Höchstgeschwindigkeit überschreitet und zudem noch das die Geschwindigkeitsbeschränkung anordnende Vorschriftszeichen übersieht.

Hierbei reichen auch bereits geringfügige Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit aus, da das Ausnutzen der Höchstgeschwindigkeit jeden Kraftfahrzeugführer zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet. In diesen Fällen kommt daher die Indizwirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels ohne Einschränkungen zum Tragen.

4. In dem vorliegenden Fall hat der Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts die ohne das Vorschriftszeichen 274 maßgebliche Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h (§ 3 Abs.3 Nr. 2 c) StVO) bereits um 16 km/h überschritten. Die Indizwirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels (§ 2 Abs.1 S.1 Nr.1 BKatV i.V.m. Nr. 5.3.4 des Bußgeldkatalogs in der Tabelle 1 c) des Anhangs) kommt daher mangels entgegenstehender Umstände ohne Einschränkungen zum Tragen. Weitere Feststellungen, insbesondere dazu, ob das Zeichen 274 im Verlaufe der vor der Meßstelle befahrenen Strecke mehrfach wiederholt worden ist oder der Messstelle etwa ein sog. Geschwindigkeitstrichter vorausgegangen ist, sind hier entbehrlich. Mit Recht ist das Amtsgericht daher von einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers ausgegangen.

5. Die Erfüllung eines der Tatbestände des § 2 Abs.1 S.1 Nr. 1 bis 4 BKatV (seit 1. Januar 2002: § 4 BKatV) indiziert weiterhin die Erforderlichkeit eines Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen (vgl. BGHSt 38,125,134). Die Regelungen sind verfassungsgemäß und verstoßen nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Liegt ein Regelfall vor, muss daher in der Regel ein Fahrverbot verhängt werden (vgl. BVerfG NJW 1996,1809).

Gründe für eine Ausnahme von der Verhängung des Fahrverbots sind in dem vorliegenden Fall nicht gegeben. Eine Ausnahme käme unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit in Betracht, wenn das Fahrverbot zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art, z.B. zum Verlust des Arbeitplatzes bei einem Arbeitnehmer oder zum Existenzverlust bei einem Selbständigen führen würde. Berufliche Nachteile auch schwerwiegender Art sind jedoch grundsätzlich hinzunehmen. Nach der Neuregelung in § 25 Abs. 2a StVG, wonach ein verhängtes Fahrverbot maximal 4 Monate aufgeschoben werden kann, ist bei der Frage, ob und inwieweit wirtschaftliche Nachteile für die Beurteilung der Angemessenheit und Vertretbarkeit eines Fahrverbots überhaupt von Bedeutung sind, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen. Einem Betroffenen ist deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 10. Januar 2001 - 2 Ws (B) 4/01 OWiG; 14. März 2001 - 2 Ws (B) 94/01 OWiG; 4. April 2001 - 2 Ws (B) 128/01 OWiG; 4. September 2002 - 2 Ss OWi 208/02; 18. September 2002 - 2 Ss OWi 258/02 + 259/02) grundsätzlich zuzumuten, durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen die Zeit des Fahrverbots zu überbrücken, zum Beispiel durch Inanspruchnahme von Urlaub, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Inanspruchnahme einer Fahrgemeinschaft, Anstellen eines bezahlten Fahrers usw. Die hierdurch auftretenden finanziellen Belastungen hat der Betroffene hinzunehmen, notfalls durch Aufnahme eines Kredits. Im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer des Fahrverbots von einem Monat, bewegen sich eventuelle finanzielle Belastungen ohnehin in einem überschaubaren und grundsätzlich zumutbaren Rahmen.

Ein solcher Ausnahmefall ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts hier nicht gegeben.

Der Senat verkennt nicht, dass der Betroffene zum Erreichen seiner Arbeitsstelle grundsätzlich auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist. Wenn und soweit er die Dauer des 1-monatigen Fahrverbots jedoch nicht durch Urlaub überbrücken kann, muss er einen Fahrer anstellen oder an seinem Arbeitsort eine Wohnung nehmen. Die dadurch bedingten Belastungen hat er hinzunehmen. Ein Verlust des Arbeitsplatzes ist jedenfalls nicht zu besorgen. Das von dem Betroffenen angeführte Fehlen von Voreintragungen im Verkehrszentralregister rechtfertigt weder für sich noch im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen, von der Anordnung des Regelfahrverbots abzusehen.

Nach alledem ist die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Die Kosten des erfolglos eingelegten Rechtsmittels fallen dem Betroffenen zur Last (§ 473 Abs.1 StPO i.V.m. § 46 OWiG).

Ende der Entscheidung

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