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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 28.08.2008
Aktenzeichen: 2 UF 124/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1632 Abs. 4
BGB § 1666
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

A ist das Kind der Antragsgegnerin aus einer nur kurze Zeit andauernden Verbindung mit B (geboren am ... 1979), mit dem die Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt verheiratet war.

Die Antragsgegnerin hat sich bereits während ihrer Schwangerschaft an das Jugendamt gewandt, das sie schon während ihrer eigenen Minderjährigkeit betreut hatte. Sie bat um Hilfe, da sie das Kind zur Welt bringen wollte. Für die ersten Monate nach der Geburt des Kindes wurde sie von einer Familienhelferin unterstützt. Am 1. August 2002 sah sich das Jugendamt veranlasst, im Hinblick auf eine Kindeswohlgefährdung durch das Verhalten der Antragsgegnerin das Kind aus dem mütterlichen Haushalt herauszunehmen. Auf seinen Antrag hin erließ das Amtsgericht Marburg am 1. August 2002 eine einstweilige Anordnung, mit der das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Antragsrecht im Rahmen der Jugendhilfe auf das Jugendamt übertragen wurde, zugleich wurde unter Androhung von Gewalt die Herausgabe an das Jugendamt angeordnet. Dies geschah alsbald danach. Die einstweilige Anordnung wurde später nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens durch den jetzt aufgehobenen das ursprüngliche Verfahren abschließenden Beschluss inhaltlich bestätigt. A kam zunächst für etwa zwei Monate in eine Bereitschaftspflegestelle, danach wurde sie in die Obhut der Antragsteller gegeben, wo sie sich seitdem ohne Unterbrechung aufhält. Es fanden regelmäßige Umgangskontakte zwischen Mutter und Kind statt.

Am 15. Juni 2005 beantragte die Antragsgegnerin eine Überprüfung der Sorgerechtsentscheidung aus dem Jahr 2002 und beantragte, ihr die entzogenen Rechte wieder zurückzuübertragen. Dieses Verfahren, das bis zur Entscheidung des Senats formal noch kein Ende gefunden hat, weist als letzten Vorgang eine mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2005 auf, in der ein "Zwischenvergleich" geschlossen wurde, der die Einigkeit der Parteien dokumentierte, dass A zur Antragsgegnerin zurückkehren solle, sobald die verlässlichen Grundlagen für eine entsprechende Rückkehr vorlägen. Hierbei waren sich die Beteiligten darüber einig, dass zunächst die Umgangskontakte ausgeweitet werden sollten, insbesondere sollte es zu Besuchen mit Übernachtung noch im Jahr 2005 kommen. Auch verpflichtete sich die Antragsgegnerin, fachkundige Beratung einer Erziehungsberatungsstelle oder ähnlicher Einrichtungen in Anspruch zu nehmen.

An diesem Abänderungsverfahren, das im Rahmen des ursprünglichen Verfahrens nach § 1666 BGB ablief, waren die Pflegeeltern nicht beteiligt.

Die Antragsgegnerin, die 2004 geheiratet hat (aus dieser Ehe ist ein im Mai 2008 geborenes Kind hervorgegangen) hielt sich in der Folgezeit an diese Vereinbarung; die Besuchskontakte verliefen im Wesentlichen reibungslos. Die Antragsgegnerin nahm die vorgeschlagenen und vereinbarten Unterstützungsmaßnahmen in vollem Umfang in Anspruch. Im Hilfeplangespräch vom 29. Januar 2007 deutete das Jugendamt an, dass noch im Laufe des Jahres 2007 eine Rückführung des Kindes trotz der damit verbundenen Risiken in den Haushalt der Mutter erfolgen solle. Dies wird im Bericht vom 10. Juli 2007 an das Amtsgericht Marburg bekräftigt. Danach sollte die Rückführung im Sommer 2007 stattfinden.

Die Antragsteller streben mit ihrem am 16. Mai 2007 eingegangenen Antrag den Erlass einer Verbleibensanordnung bezüglich As an. Diese begründen sie damit, dass trotz der Positiventwicklung bei der Antragsgegnerin der Wechsel As in den Haushalt der Mutter zu einer erheblichen Gefährdung des Kindeswohls führen würde, da A sehr enge Bindungen an sie geknüpft habe und sie praktisch als ihre Eltern betrachte. Hierbei sei zu beachten, dass A fast ihr ganzes Leben in ihrem Haushalt verbracht habe.

Die Antragsgegnerin ist dem mit der Begründung entgegengetreten, ihre persönlichen Verhältnisse hätten sich seit ihrer Eheschließung erheblich stabilisiert. Ihr früheres unzuverlässige Verhalten sei darauf zurückzuführen, dass sie A in sehr jungem Alter zur Welt gebracht habe und als alleinstehende Mutter mit der ganzen Situation vor allem wegen ihrer Unerfahrenheit überfordert gewesen sei. Sie sei jetzt durchaus in der Lage, A angemessen zu erziehen.

Das Amtsgericht hat nach Einholung eines psychologischen Gutachtens der Sachverständigen SV1 dem Antrag auf Erlass einer Verbleibensanordnung mit der Begründung stattgegeben, zwar ergäben sich keine Anhaltspunkte mehr dafür, dass die Erziehungsfähigkeit der Antragsgegnerin eingeschränkt sein könnte, andererseits sei aber auch nicht dargetan, dass sie trotz der Diagnose des Prof. Dr. C aus dem Jahre 2002 (Borderline-ähnliche Störung) des Empfehlung gefolgt sei, sich einer Psychotherapie zu unterziehen. Allein der Zeitablauf beseitige die Ursachen für die diagnostizierte Störung nicht. Im Übrigen ergebe sich aus dem Gutachten der Sachverständigen, dass A eine innige Beziehung zu den Pflegeeltern gewonnen habe und ein Herauslösen aus dem Haushalt der Pflegeeltern angesichts des Umstandes, dass A fast die ganze Zeit ihres bisherigen Lebens bei ihnen verbracht habe, mit einer erheblichen Gefährdung des Kindeswohls verbunden sei.

Gegen diesen ihr am 3. April 2008 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 30. April 2008 eingelegten und zugleich begründeten Beschwerde. Sie ist der Auffassung, angesichts der in den letzten Jahren hergestellten intensiven Kontaktes zwischen ihr und A könne von einer Kindeswohlgefährdung durch Überwechseln in ihren Haushalt keine Rede mehr sein. So habe das Jugendamt noch im Jahr 2007 eine Rückführung des Kindes befürwortet. Das Amtsgericht habe nicht die Umstände berücksichtigt, unter denen das Kind der Mutter weggenommen worden sei sowie ihre spätere stabilisierende Entwicklung.

Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss abzuändern und die Antragsteller zu verpflichten, A an sie herauszugeben.

Die Antragsteller verteidigen den angefochtenen Beschluss. Dem schließt sich inzwischen auch das Jugendamt an.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig.

Zwar hat das Amtsgericht übersehen, dass das Verfahren betreffend die Verbleibensanordnung sich nicht gegen die Antragsgegnerin richten konnte, weil diese schon seit 2002 nicht mehr Inhaberin des Aufenthaltsbestimmungsrechtes war. Darüber, ob A im Haushalt der Antragsteller verbleiben sollte oder nicht, hat allein das Jugendamt zu entscheiden, das im Jahre 2007 noch keine endgültige Maßnahme hinsichtlich einer Rückführung in den Haushalt der Antragsgegnerin getroffen hatte, diese lediglich in Aussicht genommen war. Die Antragsteller hätten daher zuvor mit dem Jugendamt in Verhandlungen eintreten müssen, in welcher Form das Jugendamt in Zukunft das Aufenthaltsbestimmungsrecht auszuüben gedenkt, bevor sie überhaupt ein gerichtliches Verfahren einleiten.

Gleichwohl ist die Beschwerde der Antragsgegnerin zulässig. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob sie durch die angefochtene Entscheidung formal beschwert ist. Denn § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG bestimmt, dass beschwerdeberechtigt gegen eine Verfügung, die eine Entscheidung über eine die Sorge für die Person des Kindes enthält, jeder ist, der ein berechtigtes Interesse hat, diese Angelegenheit wahrzunehmen. Hierzu gehören die in § 1634 BGB geregelten Verfahren (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, Rdn. 35 zu § 57 FGG). Dass die Mutter eines Kindes ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift hat, liegt auf der Hand.

Die Beschwerde ist in der Sache jedoch nur zum Teil begründet, nämlich insoweit, als der Sorgerechtsbeschluss des Amtsgerichts vom 2. Dezember 2002 ersatzlos aufzuheben ist. Dies hat die Antragsgegnerin zwar nicht ausdrücklich beantragt, ist allerdings als weniger weitgehender Antrag in ihrem Beschwerdeantrag gerichtet auf Herausgabe des Kindes enthalten.

Hingegen bleibt die Beschwerde erfolglos, soweit diese Herausgabe selbst angestrebt wird.

Gemäß § 1632 Abs. 4 BGB kann das Familiengericht anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde , sich das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege befindet und die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen wollen.

Der an die Gefährdung des Kindeswohls anzulegende Maßstab entspricht dem des § 1666 BGB, es kommt also auf eine Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohles des Kindes an. Im Vordergrund steht hierbei allerdings nicht der einmalige Vorgang des Haushaltswechsels mit Wechsel der Betreuungsperson, der naturgemäß mit Belastungen für ein Kind verbunden ist, sondern, inwieweit eine langfristige Verlagerung der Beziehungen des Kindes mit seinem Wohl vereinbar ist.

Nach Auffassung des Senats hat das Amtsgericht die Voraussetzungen für den Erlass einer Verbleibensanordnung zu Recht angenommen.

Zwar verkennt der Senat nicht, dass sich die Antragsgegnerin redlich bemüht hat, ihre Tochter wiederzugewinnen und alles getan hat, was von ihr seit 2005 verlangt wurde. Hinzu kommt, dass die Erwägungen des Amtsgerichts, sie habe keine Therapiemaßnahmen seit der Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. C ergriffen, in dieser Form nicht überzeugen können. Dann hätte es nahe gelegen, ein neues Gutachten einzuholen, was jedoch unterblieben ist. Der Senat sieht in der nachvollziehbaren Entwicklung der Antragsgegnerin seitdem keinen Grund mehr, annehmen zu müssen, die Antragsgegnerin sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihr Kind angemessen zu erziehen.

Gleichwohl muss es bei dem angefochtenen Beschluss verbleiben. Gemäß § 1697a BGB hat das Kindeswohl uneingeschränkt Vorrang gegenüber den Belangen der Eltern.

Die Sachverständige SV1 kommt in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass dem Kind, das nun fast sechs Jahre bei den Antragstellern wohnt, ein Wechsel der Bezugsperson nicht zugemutet werden kann, ohne dass sein Wohl nachhaltig beeinträchtigt würde. Der Senat schließt sich diesen Erwägungen an, zumal sie schon deshalb plausibel und nachvollziehbar sind, weil sie auch der Lebenserfahrung entsprechen. Zwar spricht einiges dafür, dass die Unterbringung As bei den Antragstellern über einen so langen Zeitraum nicht zu einer so engen Bindung As an die Pflegeeltern geführt hätte, wenn nicht schon in den ersten drei Jahren der Herausnahme von Seiten des Jugendamtes eine Rückführung in den Haushalt der Mutter vielleicht für ausgeschlossen erachtet worden wäre.

Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Gutachterin bei ihrer Anhörung durch den Senat hat einräumen müssen, dass, was auch nachvollziehbar ist, die künftige Entwicklung bei einem Wechsel in den Haushalt der Mutter nur schwer vorauszusehen ist, dass aber eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass in der Entwicklung des Kindes ein abrupter Bruch zu erwarten wäre. Auch diese Erwägungen entsprechen durchaus der Lebenserfahrung. Nach menschlichem Ermessen ist damit eine Kindeswohlgefährdung durchaus realistisch; das erhebliche Risiko einer schweren Kindeswohlgefährdung verbietet jedenfalls aus heutiger Sicht eine Rückführung.

Weniger Gewicht ist allerdings - entgegen den Ausführungen der Sachverständigen - dem Willen des Kindes beizulegen. Denn dieses ist mit seinen sechs Jahren zwar in der Lage, seine Befindlichkeiten zum Ausdruck zu bringen, nicht aber im Hinblick auf seine Zukunft und künftige Perspektiven eine rechtlich beachtliche Äußerung abzugeben.

Der Senat hat sich A angesehen, und dabei wurde er in seiner Überzeugung bestärkt, dass diesem Kind gegenwärtig nicht zugemutet werden kann, die vertraute Umgebung zu verlassen, ohne dass das Kindeswohl in nicht verantwortbarer Weise gefährdet würde.

Diese Entscheidung des Senats führt dazu, dass die Antragsgegnerin das volle Sorgerecht wieder erhalten hat, die Antragsteller müssen sich auf die Befugnisse nach § 1688 BGB verweisen lassen. Sie können also, vorbehaltlich des Abs. 3 dieser Vorschrift, alle Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens treffen und den Inhaber der elterlichen Sorge, die Antragsgegnerin, in solchen Angelegenheiten auch rechtlich vertreten. Dies gilt auch für Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- und sonstige Sozialleistungen.

Den Antragstellern muss klar sein, dass ihnen ein fremdes Kind anvertraut worden ist, sie also in Zukunft alles unterlassen müssen, was bei A den Eindruck erwecken könnte, sie seien eigentlich die wahren Eltern. Sie müssen damit rechnen, dass A bei einer Veränderung der Sachlage zu einem späteren Zeitpunkt durchaus in den Haushalt der Mutter überwechseln kann, wenn die intensiven Besuchskontakte, die die Antragsteller zu unterstützen haben, zeigen, dass A doch eher in den Haushalt der Antragsgegnerin wechseln möchte und dies ohne Kindeswohlgefährdung möglich wäre. Sie werden auch darauf zu achten haben, dass sie ihre eigenen wirtschaftlichen Lebensverhältnisse nicht unbedingt auf A übertragen. Vielmehr sollten sie sich eher an der Lebenssituation der Antragsgegnerin orientieren.

Sollte es im Rahmen des § 1688 Abs. 3 BGB zu Unstimmigkeiten mit der Antragsgegnerin kommen, sollten sie auf jeden Fall die Vermittlung des Jugendamtes suchen (§ 38 SGB VIII).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG, § 131 Abs. 3 KostO.

Ende der Entscheidung

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