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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 17.02.2003
Aktenzeichen: 2 W 49/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 485
ZPO § 412
ZPO § 355
BGB § 839 a
Ein selbstständiges Beweisverfahren ist zulässig, wenn es sich gegen einen Sachverständigen richtet, der in einem Verfahren zwischen dem jetzigen Antragsteller und einem Dritten ein Gutachten erstattet hat und der jetzige Antragsteller durch einen neuen Sachverständigen den bereits begutachteten Zustand einer Sache erneut begutachten lassen will.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

2 W 49/02

Entscheidung vom 17. Februar 2003

In der Beschwerdesache

Tenor:

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Hanau vom 01. November 2002 wird aufgehoben.

Das Landgericht Hanau wird angewiesen, den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Der Wert der Beschwer beträgt EUR 15.000,--.

Gründe:

Der Antragsteller ist Eigentümer eines Grundstücks ..... 2 a in Steinau-Bellings. In einem Prozess vor dem Amtsgericht Schlüchtern - Az.: C 764/96 - nahm er den Eigentümer des Nachbargrundstücks .....2 wegen der Beseitigung von Vertiefungen auf dessen Grundstück in Anspruch. Er befürchtete, dass durch die Abgrabung sein höhergelegenes Grundstück, vor allem eine dort befindliche Florsteinwand, die Stütze verlieren könnte. In dem dortigen Verfahren ordnete das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Mit der Erstattung des Gutachtens wurde der jetzige Antragsgegner beauftragt. Dieser erklärte in seinem Gutachten, dass die vom Antragsteller behauptete Befürchtung, sein Grundstück könnte abrutschen und die Florsteinwand könnte ihre Stütze verlieren, unbegründet sei.

Nunmehr beabsichtigt der Antragsteller zur Vorbereitung eines gegen den Antragsgegner gerichteten Schadensersatzprozesses, gestützt auf § 839 a BGB, in einem Beweissicherungsverfahren ein neuerliches Sachverständigengutachten einzuholen. Auf Hinweis des Landgerichts Hanau hat er den zunächst gestellten Antrag:

Entgegen dem Gutachten, das der Antragsgegner am 05.11.1999 im Rechtsstreit - C 764/96 - des Amtsgerichts Schlüchtern erstattet hat, wird die natürliche Bodenerosion im Laufe der Zeit dazu führen, dass das Erdreich vom Grundstück .....2 a im Grenzbereich zum Grundstück ......2 der Gemarkung Steinau-Bellings mit samt der dort befindlichen Florwallsteinwand abdriftet, sich zum Grundstück ........2 hin verschiebt, die Florwallsteinwand zerstört wird und weiteres Erdreich unkontrolliert in Abhängigkeit von Witterungseinflüssen auf das Grundstück ...... 2 vom Grundstück ....2 a her hinunterwandert, geändert und anschließend beantragt:

Die natürliche Bodenerosion wird im Laufe der Zeit dazu führen, dass das Erdreich vom Grundstück ........2 a in 36396 Steinau-Bellings im Grenzbereich zum Grundstück ......2 der Gemarkung Steinau-Bellings mitsamt der dort befindlichen Florwallsteinwand abdriftet, sich zum Grundstück .....2 hin verschiebt, die Florwallsteinwand zerstört wird und weiteres Erdreich unkontrolliert in Abhängigkeit von Witterungseinflüssen auf das Grundstück ......... 2 vom Grundstück 2 a her hinunterwandert.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 01. November 2002 hat das Landgericht den Antrag abgelehnt. Es hat dazu ausgeführt, der vom Antragsteller gestellte Antrag sei unzulässig. Ihm fehle die Bezugnahme auf das in dem Rechtsstreit zwischen dem Antragsteller und seinem Nachbarn von dem jetzigen Antragsgegner erstellte konkrete Gutachten. Im Verhältnis der Parteien des Beweisverfahrens gehe es nicht um den Zustand des Grundstücks, sondern um das Ergebnis der Begutachtung durch den Antragsgegner.

Gegen den ablehnenden Beschluss des Landgerichts Hanau wendet sich der Antragsteller.

Er behauptet, das Gutachten des Antragsgegners, das dieser in dem Verfahren vor dem Amtsgericht in Schlüchtern erstattet habe, sei grob fahrlässig erstattet worden. Er meint, deshalb hafte ihm der Antragsgegner nach § 839 a BGB. Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Dem Antragsteller wurde der Beschluss des Landgerichts am 15. November 2002 zugestellt (Bl. 26 d.A.). Hiergegen hat er am 28. November 2002 Beschwerde eingelegt (Bl. 27 d.A.). Das Landgericht Hanau hat mit Beschluss vom 18. Dezember 2002 (Bl. 30 d.A.) der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die zulässige Beschwerde (§ 567 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist in der Sache auch begründet.

Der Antragsteller begehrt die Begutachtung über den Zustand einer Sache. Er will von einem neuen Sachverständigen festgestellt wissen, dass das Grundstück ..........2 a durch Abgrabungen eine Gefahr für sein Grundstück darstelle, da zu befürchten sei, dass Boden abwandern werde, und dass eine vorhandene Florsteinwand ihre Stütze verlieren könnte. Dieses Begehren betrifft den Zustand einer Sache (§ 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Vorliegend hat der Antragsteller auch ein rechtliches Interesse an der Feststellung, da durch das Abgraben eines tiefergelegenen Grundstücks durchaus Boden von einem höhergelegenen Grundstück abwandern oder abbrechen kann. Im übrigen ist die Voraussetzung des rechtlichen Interesses im Rahmen des § 485 ZPO weit auszulegen (s. Hartmann bei Baumbach, 61. Aufl. 2003, Anm. 8 zu § 485 m. w. N.).

Der Antragsteller begehrt die Beweissicherung, um einen sonst erforderlichen Rechtsstreit gegen den Antragsgegner zu vermeiden.

Zwar liegt ein Sachverständigengutachten im Verfahren vor dem Amtsgericht Schlüchtern - Az.: C 764/96 - vor. Es betrifft dieselben Beweisfragen wie das vorliegend beantragte Sachverständigengutachten. Doch betraf das dortige Verfahren andere Parteien als im vorliegenden Beweissicherungsverfahren. Dort war zwar auch der jetzige Antragsteller Partei, jedoch richtete sich sein Begehr gegen seinen Nachbarn, der nunmehr nicht mehr Partei ist.

§ 412 ZPO findet auf diesen Fall keine Anwendung, da nicht in ein und demselben Verfahren mit denselben Parteien über denselben Streitgegenstand ein weiteres Gutachten erstattet werden soll (anders in den Entscheidungen OLG Düsseldorf, Baurecht 1997, S. 515 - 517; OLG Report Düsseldorf 1998, S. 160; OLG Hamm, Baurecht 2000, S. 1372; BayObLG in NJW-RR 2608). Die Beantragung des Beweissicherungsverfahrens ist vorliegend deshalb auch keine Umgehung des § 412 ZPO durch Beantragung des Verfahrens nach § 585 ZPO. Denn dem Antragsteller ist es unbenommen, gegen den Antragsgegner in einem ordentlichen Verfahren Schadensersatz gemäß § 839 a BGB zu begehren. Wenn aber ein ordentliches Verfahren nicht ausgeschlossen ist, dann muss auch ein Beweissicherungsverfahren zuvor gemäß § 485 ZPO zulässig sein. Die Entscheidung in dem Rechtsstreit vor dem Amtsgericht in Schlüchtern bindet das Landgericht Hanau im vorliegenden Verfahren nicht, da dort andere Parteien betroffen waren.

Sinn und Zweck des § 485 ZPO ist es unter anderem neben einer Beweissicherung auch einen Prozess zu vermeiden. Somit gebietet die Intension des § 485 ZPO seine weite Auslegung aus prozessökonomischen Gründen (s. dazu auch Hartmann a.a.O., Anm. 2 vor § 485).

Da soweit erkennbar die Frage, ob der Antrag auf ein Beweissicherungsverfahren gegen einen Sachverständigen eines früheren Rechtsstreits mit anderen Beteiligten über die bereits dort begutachtete Beweisfrage (identische Beweisfrage) wegen der §§ 412 und 355 ZPO verbietet, dem Antrag gemäß § 485 ZPO im zweiten Verfahren stattzugeben, höchstrichterlich noch nicht entschieden worden ist, wird vorliegend wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache und der Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Ziff. 1 + 2 ZPO) die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Der Wert der Beschwer wird gemäß § 3 ZPO wie bereits vom Landgericht auf EUR 15.000,-- festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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