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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 01.10.2007
Aktenzeichen: 20 W 141/07
Rechtsgebiete: AktG


Vorschriften:

AktG § 103 Abs. 3 S. 1
AktG § 111 Abs. 1
1. Ein wichtiger Grund für die gerichtliche Abberufung eines Aufsichtsratsmitgliedes liegt vor, wenn ein Verbleiben des Mitgliedes im Aufsichtsrat bis zum Ablauf seiner Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist.

2. Die Überwachung der Geschäftsführung obliegt nach § 111 Abs. 1 AktG dem Aufsichtsrat als Organ. Maßt sich ein Aufsichtsratsmitglied diesbezügliche Kontrollbefugnisse wiederholt als Einzelperson an, so kann hierin ein wichtiger Grund liegen, wenn die gebotene Einzelfallbetrachtung ergibt, dass des sich um ein so gravierendes Fehlverhalten handelt, dass das Interesse der Gesellschaft an einem funktionsfähigen Aufsichtsrat die sofortige Abberufung als ulitma ratio erfordert.


Gründe:

I.

Der Antragsgegner gehört als einer von drei Arbeitnehmervertretern seit mehreren Jahren dem aus 12 Mitgliedern bestehenden Antragsteller, dem Aufsichtsrat der A AG an. Seine Amtszeit endet planmäßig im Jahr 2008. Der Antragsgegner ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender und außerdem Vorsitzender des Betriebsrates der A AG.

Auf der Grundlage eines diesbezüglichen Aufsichtsratsbeschlusses vom 30. Juni 2006, der mit acht Ja-Stimmen bei drei Enthaltungen angenommen wurde, stellte der Antragsteller mit am 31. Juli 2006 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Antrag auf gerichtliche Abberufung des Antragsgegners gemäß § 103 Abs. 3 AktG. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsgegner habe sich in der Vergangenheit wiederholt persönlich die nur dem Aufsichtsrat zustehenden Kontrollrechte gegenüber dem Vorstand angemaßt. Als unmittelbarem Anlass für die Einleitung des Verfahrens wurde insbesondere auf zwei an den Vorstandsvorsitzenden gerichtete Schreiben des Antragsgegners vom 15. März und 19. Mai 2006 Bezug genommen und ergänzend auf ein Gerichtsverfahren aus dem Jahre 2003 verwiesen. Ergänzend wurde geltend gemacht, der Antragsgegner habe ausweislich eines am 11. November 2005 in der Zeitung B unter der Überschrift "Lustreise für manche tabu" erschienenen Artikel vertrauliche Informationen über Aufsichtsratssitzungen weitergegeben.

Der Antragsgegner wandte sich gegen den Abberufungsantrag und machte geltend, das ihm vorgeworfene Verhalten stelle keinen wichtigen Grund zur Abberufung dar. Die Frage der Anmaßung von Kontrollrechten durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder setze schwierige rechtliche Abwägungen voraus, so dass ihm insbesondere unter Berücksichtigung einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Darmstadt ein schwerwiegender Vorwurf nicht gemacht werden könne. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass er das Schreiben vom 15. März 2006 mit E-Mail vom 11. April 2006 zurückgenommen und das weitere Schreiben vom 19. Mai 2006 aus einer Verärgerung über eine von ihm vermutete Indiskretion des Vorstandsvorsitzenden heraus verfasst habe. Aus dem vorgelegten Artikel ergebe sich, dass er sich gegenüber der Zeitung lediglich dazu geäußert habe, ob es im Aufsichtsrat zu der Frage, ob die Lebensgefährtinnen und Lebensgefährten der Aufsichtsratsmitglieder an einer Reise des Aufsichtsrates teilnehmen dürften und welche Kosten damit verbunden waren, eine entsprechende Diskussion gegeben habe.

Das Amtsgericht - Registergericht - berief den Antragsgegner mit Beschluss vom 15. Januar 2007 als Aufsichtsratsmitglied ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsgegner beanspruche als einzelnes Mitglied des Aufsichtsrates fortgesetzt und offensichtlich uneinsichtig Kontrollrechte gegenüber dem Vorstand, die nur dem Aufsichtsrat als Organ zustünden und habe durch Weitergabe vertraulicher Informationen aus dem Aufsichtsrat an die Presse gegen Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten verstoßen.

Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragsgegners hob das Landgericht den angefochtenen amtsgerichtlichen Beschluss unter Abweisung des Abberufungsantrages auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, die vom Amtsgericht aufgelisteten Verstöße, die dem Antragsgegner zum Vorwurf gemacht würden, reichten weder für sich genommen noch in ihrem Zusammenwirken aus, um ein so massives Fehlverhalten zu begründen, dass der Gesellschaft ein weiteres Verbleiben des Antragsgegners bis zum Ablauf seiner Mandatszeit unzumutbar oder untragbar sei. Dass der Antragsgegner sich in den beiden internen Schreiben vom 15. März und 19. Mai 2006 massiv im Ton vergriffen und den aus der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner vertrauten Ton in den überwiegend oder ausschließlich mit politischen Funktionsträgern besetzten Aufsichtsrat und Vorstand der stadteigenen Gesellschaft transportiert habe, sei zwar zu missbilligen, reiche aber zur Rechtfertigung der Abberufung nicht aus. Die Stellungnahme des Antragsgegners in der Presseveröffentlichung vom 11. November 2005 begründe keinen schwerwiegenden Vorwurf, zumal der Antragsgegner um Klarstellung bemüht gewesen sei, dass ihm die fragwürdige Exkursion und ihre Ausgestaltung nicht zu gerechnet werden könne. Zwar maße sich der Antragsgegner mit den beiden Schreiben vom 15. März und 19. Mai 2006 in Verkennung seiner Aufgaben und mit augenscheinlichem Mangel an Kompetenz, der kritikwürdig sei, Befugnisse an, die ihm als einzelnen Aufsichtsratsmitglied nicht zustehen. Dies reiche jedoch zur Abberufung nicht aus, zumal kein Dritter vom Inhalt dieser Schreiben Kenntnis erlangen konnte und die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrates als Organ hierdurch nicht erkennbar beeinträchtigt worden sei. Das mehr als drei Jahre zurückliegende Gerichtsverfahren könne heute nicht mehr zum Gegenstand eines Abberufungsantrages gemacht werden.

Gegen den landgerichtlichen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen weiteren Beschwerde, mit welcher er seinen Abberufungsantrag weiter verfolgt. Er macht insbesondere geltend, das Landgericht habe die Abberufungsvoraussetzung des wichtigen Grundes durch die Gleichsetzung des früher geforderten strengeren Maßstabes der Untragbarkeit mit der von der heutigen Rechtsprechung und Lehre geforderten Unzumutbarkeit rechtsfehlerhaft angewendet. Die dem Antragsgegner vorgeworfenen Verfehlungen erfüllten jedenfalls in ihrer Gesamtschau einen wichtigen Grund zur Abberufung, da durch die Vielzahl der Fälle der Anmaßung von Auskunfts- und Einsichtsrechten von einer Unverträglichkeit und Unfähigkeit des Antragsgegners zur Zusammenarbeit im Aufsichtsrat ausgegangen werden müsse. Auch wenn die persönlichen Beleidigungen gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden nur intern geäußert worden seien, handele es sich um mehrfache schwerwiegende und ehrenrührige Vorwürfe, durch die eine loyale Zusammenarbeit zerstört werde. Hinzu komme ein in die Gesamtbetrachtung einzubeziehender eindeutiger Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht durch die Mitteilung an die Presse. Außerdem hätte berücksichtigt werden müssen, dass dem Antragsgegner die Rechtslage bezüglich der Anmaßung von Kontrollrechten aus dem früheren Klageverfahren bereits bekannt gewesen sei. Im Übrigen habe das Landgericht verkannt, dass durch die beiden Schreiben des Antragsgegners vom 15. März und 19. Mai 2006 sowie die dortigen Beleidigungen die Belange der Gesellschaft und die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrates als Organ erkennbar beeinträchtigt worden seien.

Der Antragsgegner tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt die angefochtene Entscheidung des Landgerichts.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens wird auf die Entscheidungen der Vorinstanzen, die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten sowie die von ihnen eingereichten Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach §§ 103 Abs. 3 Satz 4 AktG, 27, 29 FGG statthaft und erweist sich auch im Übrigen als zulässig, da sie insbesondere form- und fristgerecht erhoben wurde. In der Sache führt das Rechtsmittel nicht zum Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO).

Nach § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG hat das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrates ein Aufsichtsratsmitglied abzuberufen, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt. Bei dieser Voraussetzung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, da das Tatbestandsmerkmal des wichtigen Grundes aufgrund einer wertenden Beurteilung der vom Tatrichter festzustellenden Tatumstände auszufüllen ist. Die dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit zugewiesene Überprüfung auf Rechtsfehler beschränkt sich darauf, ob der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff zutreffend erfasst und ausgelegt, insbesondere die ihm zugrunde liegenden Wertungsmaßstäbe erkannt und alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt hat. Hierbei sind die vom Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei festgestellten Tatsachen bindend, ihre Bewertung im Hinblick auf die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes aber nachprüfbar (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 530; OLG Schleswig NJW-RR 1991, 710; Keidel/Kuntze/Meyer-Holz, FGG, 15. Aufl., § 27 Rn. 27 m. w. N.). Auf einem derartigen Rechtsfehler beruht die Entscheidung des Landgerichts nicht.

Das Landgericht hat zunächst den unbestimmten Rechtsbegriff des "wichtigen Grundes" richtig erfasst und ist bei dessen Auslegung von zutreffenden Wertungsmaßstäben ausgegangen. Allerdings ist ein wichtiger Grund im Sinne des § 103 Abs. 3 AktG nicht nur im Falle eines krass gesellschaftswidrigen Verhaltens des Aufsichtsratsmitgliedes gegeben, welches dessen weitere Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat als schlechthin untragbar erscheinen lässt, wie dies der Bundesgerichtshof in einer älteren Entscheidung vom 21. Februar 1963 ( BGHZ 39, 116) zum früheren AktG 1937 entschieden hat, welches eine diesbezügliche ausdrückliche Regelung noch nicht enthielt (so auch AG München WM 1986, 974; Geßler AktG § 103, Rn. 14). Vielmehr geht der Senat für die Auslegung des § 103 Abs. 3 AktG in Übereinstimmung mit der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass ein wichtiger Grund im Sinne dieser Vorschrift bereits dann gegeben ist, wenn ein Verbleiben des Mitgliedes im Aufsichtsrat bis zum Ablauf seiner Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist (so OLG Zweibrücken WM 1990, 1388; OLG Hamburg AG 1990, 218; OLG Stuttgart NZG 2007, 72; LG Frankfurt NJW 1987, 505; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 103, Rn. 10; Hopt/Roth, Großkomm AktG, 4. Aufl., § 103 Rn. 56/57; Mertens Köln Komm, AktG, 2. Aufl., § 103, Rn. 32). Zwar begegnet es rechtlichen Bedenken, wenn das Landgericht diese Auffassungen bereits deshalb miteinander gleich setzen will, weil es in einer insoweit verkürzten Betrachtung eine sprachliche Differenzierung zwischen den Begriffen "untragbar" und "unzumutbar" nicht für durchführbar hält. Denn auch wenn man insoweit von einem graduellen Unterschied ausgeht und in Übereinstimmung mit der zitierten neueren obergerichtlichen Rechtsprechung von dem Prüfungsmaßstab der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Amtsverhältnisses aus der Sicht der Gesellschaft bis zum Ablauf der Amtsperiode ausgeht, hat das Landgericht der Sache nach keinen anderen Maßstab angelegt. Seiner Entscheidung lässt sich nämlich entnehmen, dass das Landgericht als wichtigen Grund ein massives Fehlverhalten fordert, das der Gesellschaft schädlich ist und dem im Hinblick auf die Belange der Gesellschaft nur durch die zwangsweise, sofortige Abberufung des betroffenen Aufsichtsratsmitgliedes begegnet werden kann. Diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wonach die Abberufung nach dem Grundsatz der "ultima ratio" nur bei groben Pflichtverletzungen gerechtfertigt ist und es letztlich jeweils einer Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung des Interesses der Gesellschaft an einem funktionsfähigen Aufsichtsrat bedarf (vgl. Semler MünchKomm AktG, 2. Aufl., § 103 Rn. 61/63; OLG Hamburg AG 1990, 218/220; Hopt/Roth, Großkomm, a.a.O Rn. 57).

Das Landgericht hat sich des Weiteren mit den im Einzelnen von dem Antragsteller aufgelisteten Verstößen und Umständen auseinandergesetzt und diese in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gewürdigt.

So ist es zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die dem Antragsgegner angelastete Verletzung der Verschwiegenheit im Zusammenhang mit dem Presseartikel vom 11. November 2005, die seinerzeit von den Organen der Gesellschaft nicht moniert worden war, angesichts der in der Öffentlichkeit nachvollziehbar aufgeworfenen Fragwürdigkeit dieser Exkursion und ihrer Ausgestaltung und des Bemühens des Antragsgegners, sich hiervon zu distanzieren, als nicht allzu schwerwiegend angesehen hat. Insoweit lässt der Senat dahin stehen, ob die Frage der Erörterung der Mitnahme der Lebensgefährten und der Kosten dieser Reise im Aufsichtsrat hier im Sinne der §§ 116, 93 AktG als vertraulich anzusehen ist und der Verschwiegenheit unterliegt (vgl. hierzu Hüffer, AktG, a.a.O., § 116 Rn. 6 ff; Semler, MünchKomm AktG, a.a.O., § 116 Rn. 464 ff), da jedenfalls von einer vorsätzlichen Pflichtverletzung insoweit nicht ausgegangen werden kann.

Des weiteren ist das Landgericht - insoweit in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Entscheidung - rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass der Antragsgegner durch die Versendung der beiden Schreiben vom 15. März und 19. Mai 2006 seine Pflichten als Aufsichtsratsmitglied verletzt hat, da diese in einem ungehörigen Ton abgefasst wurden und teilweise persönliche Beleidigungen gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden enthalten. Dabei ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nicht nur berücksichtigt hat, dass der Antragsgegner sich damit massiv im Ton vergriffen hatte. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war es in diesem Zusammenhang jedoch durchaus auch von Bedeutung und durfte deshalb in die Abwägung einbezogen werden, dass die entsprechenden Äußerungen in zwei Schreiben enthalten waren, die der Antragsgegner unmittelbar an den Vorstandsvorsitzenden gerichtet hatte und somit eine schädliche Außenwirkung weder in der Öffentlichkeit, noch im unmittelbaren Umfeld der Gesellschaft aufgetreten war. Im Hinblick auf die jeweils gebotene Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles war das Landgericht auch nicht gehindert, die hier gegebene überwiegende Besetzung der Organe der Gesellschaft mit politischen Funktionsträgern in gewissem Maße zu berücksichtigen, zumal die Verwendung des aus der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner vertrauten Tones durch den Antragsgegner bezüglich des hier gegebenen Umganges mit dem Vorstandsvorsitzenden und den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern zugleich ausdrücklich und eindeutig missbilligt wurde.

Das Landgericht hat des Weiteren zutreffend festgestellt, dass der Antragsgegner seine Pflichten als Aufsichtsratsmitglied dadurch verletzt hat, dass er sich in diesen beiden Schreiben Befugnisse anmasste, die ihm als einzelnem Aufsichtsratsmitglied nicht zustehen. Dabei ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die nach § 111 Abs. 1 AktG gesetzlich zugewiesene Aufgabe der Überwachung der Geschäftsführung dem Aufsichtsrat als Organ obliegt (vgl. Hüffer AktG, a.a.O., § 111 Rn. 9; BGH NJW 1983, 1991). Zwar kann der Aufsichtsrat als Organ gemäß § 111 Abs. 1 Satz 2 AktG einzelne Aufsichtsratsmitglieder zur Vorbereitung und Unterstützung der ihm als Organ obliegenden Überwachungstätigkeiten mit der Vornahme einzelner Überprüfungen oder Einsichtnahmen konkret beauftragen. Dies ändert jedoch nichts an der Rechtslage, wonach jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied seine eigenen Vorstellungen von einer sachgerechten Kontrolle des Vorstandes nur auf dem gesetzlich vorgegebenen Weg der Überzeugung der Aufsichtsratsmehrheit durchsetzen darf (vgl. Geßler, AktG, a.a.O., § 111 Rn. 8). Deshalb haben beide Vorinstanzen zutreffend festgestellt, dass der Antragsgegner als einzelnes Aufsichtsratsmitglied nicht berechtigt ist, sozusagen im "Alleingang" im Sinne einer Überwachung an den Vorstand heranzutreten.

Entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde lässt die Begründung des landgerichtlichen Beschlusses des Weiteren erkennen, dass die Kammer sehr wohl berücksichtigt hat, dass es sich nicht nur um eine einmalige diesbezügliche Verfehlung des Antragsgegners gehandelt hat, sondern - nachdem sich der Prüfungsausschuss in der Sitzung vom 10. April 2006 mit seinem Fehlverhalten befasst und dieses kritisiert hatte, er zwar mit der E-Mail vom 11. April 2006 sein Schreiben vom 15. März 2006 zurückgenommen, sodann aber mit dem weiteren Schreiben 19. Mai 2006 sich erneut die nur dem Aufsichtsrat als Kontrollorgan insgesamt zustehenden Befugnisse angemaßt hat. Das Landgericht hat diesen erneuten Verstoß des Antragsgegners gegen seine Pflichten als Aufsichtsratsmitglied nachvollziehbar als Ausfluss einer gewissen Selbstüberschätzung und eines augenscheinlichen Mangels an Kompetenz gewürdigt.

Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, der Antragsgegner habe die ihm in der Sitzung des Prüfungsausschusses vom 10. April 2006 eingeräumte "letzte Chance" vorsätzlich verspielt und hieraus den Schluss zieht, es liege eine Zerstörung der loyalen Zusammenarbeit sowie eine erwiesene dauerhafte Unverträglichkeit und Unfähigkeit zur Zusammenarbeit im Aufsichtsrat vor, setzt sie damit letztlich in unzulässiger Weise ihre eigene Beurteilung an die Stelle der dem Tatrichter zugewiesenen Einschätzung und Bewertung.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers musste das Landgericht nicht bereits bezüglich des ersten Schreibens des Antragsgegners vom 15. März 2006 davon ausgehen, dass dieser aufgrund des früheren Verfahrens vor dem Landgericht aus dem Jahre 2003 insoweit bereits in Kenntnis der Rechtslage seine Kompetenzen überschritten hatte. Vielmehr deutet die von dem Antragsteller vorgelegte Korrespondenz zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und dem Antragsgegner vom 21. Juli 2005 (Bl. 294/295 d. A.) darauf hin, dass der Antragsgegner - offenbar auf der Grundlage einer Fehlinterpretation der Rechtsausführungen in dem ebenfalls vorgelegten Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 14. Oktober 2004 zu § 111 AktG seine Kompetenzen als einzelnes Aufsichtsratsmitglied rechtlich falsch eingeschätzt hat. Allerdings kommt insoweit der erneuten Anmaßung einer Einzelüberprüfungskompetenz im Schreiben vom 19. Mai 2006 ein erheblicheres Gewicht zu, da dem die Erörterung des Fehlverhaltens des Antragsgegners in der Sitzung des Prüfungsausschusses vom 10. April 2006 vorausgegangen war. Gleichwohl ist die tatrichterliche Einschätzung des Landgerichts, dass das eindeutig gegebene Fehlverhalten des Antragsgegners bei einer Gesamtwürdigung nicht als so gravierend einzuschätzen ist, dass es die sofortige zwangsweise Abberufung des Antragsgegners aus dem Aufsichtsrat vor Ablauf der im Jahr 2008 endenden Amtsperiode erfordert, rechtlich nicht zu beanstanden.

Letztlich hat das Landgericht mit dieser Würdigung dem auch hier zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen und berücksichtigt, dass nur grobe Pflichtverstöße, die einen weiteren Verbleib des Mitgliedes im Aufsichtsrat aus der Sicht der Gesellschaft als unzumutbar erscheinen lassen, eine Abberufung vor Ablauf der Amtsperiode als "ultima ratio" rechtfertigen können.

Die sofortige weitere Beschwerde war deshalb zurückzuweisen.

Die Anordnung der Kostenerstattung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes ergibt sich aus §§ 30 Abs. 1 und 2, 131 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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