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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 18.06.2007
Aktenzeichen: 20 W 221/06
Rechtsgebiete: HSOG


Vorschriften:

HSOG § 32
Die Ingewahrsamnahme zur Verhinderung von Straftaten setzt voraus, dass diese Maßnahme unerlässlich ist um eine unmittelbar bevorstehende Straftat zu verhindern.
Gründe:

Der Betroffene wurde von der Polizei am 14.05.2006 gegen 04.30 Uhr vorläufig festgenommen. Am gleichen Tag hat das Amtsgericht nach persönlicher Anhörung des Betroffenen antragsgemäß beschlossen, dass die bisherige Freiheitsentziehung rechtmäßig gewesen sei. Gleichzeitig hat es eine Freiheitsentziehung bis längstens zum Ablauf des 19.05.2006 angeordnet (Bl. 5/6 d. A.). Das Amtsgericht hat dabei entgegen dem Bestreiten des Betroffenen angenommen, der Betroffene habe am 03.05. bzw. am 04.05.2006 ein Loch in die Eingangstür der Anwaltskanzlei RA1 gebohrt und eine bräunliche übel riechende Flüssigkeit in den Flur gesprüht. Am 08.05.2006 habe er gegen 0.45 Uhr Steine sowie Farbbeutel gegen die genannte Kanzlei geworfen. Am 14.05.2006 habe er gegen 2.37 Uhr eine Tür der XY-Partei (die Red.)-Geschäftsstelle A-Str. angebohrt. Er sei offensichtlich durch Bewohner, die ihrerseits die Polizei informiert hätten, gestört worden. Am Tatort seien Latexhandschuhe und eine Schablone mit einem Kürzel gefunden worden, wie es auf der Internetseite der "A" verwendet werde, an deren Arbeit der Betroffene maßgeblich beteiligt sei. Anschließend habe der Betroffene gegen 2.45 Uhr im Bereich B-Str. Kanaldeckel mit Farbe besprüht. Dagegen hat der Betroffene am 15.05.2006 sofortige Beschwerde eingelegt, auf die das Landgericht durch Beschluss vom 18.05.2006 (Bl. 43-46 d. A., Berichtigungsbeschluss vom 22.05.2006, Bl. 70/71 d. A.) die angeordnete Freiheitsentziehung aufgehoben hat. Die Beschwerde gegen die Rechtmäßigkeit der erfolgten Freiheitsentziehung hat es zurückgewiesen. Das Landgericht hat dabei ausgeführt, dass die dem Betroffenen vorgeworfenen Straftaten, sofern der Tatvorwurf zutreffen sollte, im Zusammenhang mit dem für den 18.05.2006 vorgesehenen Antritt der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Gießen vom 03.05.2005 begangen worden seien. Dafür sprächen die Umstände, wie dies auch der Antragsteller in seiner Antragsbegründung gesehen habe. Eine Prognose, dass weitere Straftaten unmittelbar bevorstünden, lasse sich darauf aber nicht mehr stützen, nach dem das Bundesverfassungsgericht mit einem Beschluss vom 17.05.2006 (1 BvR 1090/06) beschlossen habe, dass die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem genannten Urteil bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt werde.

Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene am 19.05.2006 sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Er hat ausgeführt, dass er am 13.und 14.05.2006 umfassend polizeilich überwacht worden sei. Die ihn überwachenden Polizeibeamten hätten genau gewusst, dass er die ihm zur Last gelegten Taten nicht begangen haben konnte. Tatsachen, die einen Tatverdacht hätten begründen können, seien den Vorinstanzen nicht mitgeteilt worden. Darüber hinaus hätten die Vorinstanzen auch keinerlei eigene Prüfung oder Würdigung von Verdachtsmomenten vorgenommen. Sie hätten sonst auch merken müssen, dass er am 03.05. und am 08.05.2006 - also den ersten ihm zur Last gelegten Taten - noch gar nicht gewusst habe, dass er die Strafe habe antreten sollen.

Der Betroffene rügt weiter, dass der Amtsrichter entschieden habe, obwohl er gegen ihn einen Befangenheitsantrag gestellt habe. Das Landgericht habe sich alsdann auch nicht weigern dürfen (Beschluss vom 16.05.2006, Bl. 62 d. A.), über die sofortige Beschwerde zu entscheiden. Die Entscheidung des Amtsgerichts über den Befangenheitsantrag sei nicht vorgreiflich gewesen. Die von den Gerichten gewählte Verfahrensweise müsse geradezu als unerträglich angesehen werden. Das Vorbringen des Antragstellers reiche über pauschale Behauptungen nicht hinaus. Der Vortrag, dass er in der Tatnacht nur lückenhaft habe observiert werden können, sei unrichtig. Er habe inzwischen die Akten der Staatsanwaltschaft auswerten können. Danach sei er von der Polizei beobachtet worden, wie er an verschiedenen Stellen im Bereich des Amtsgerichts, der JVA und des Landgerichts Badminton gespielt und sich danach auf den Heimweg gemacht habe. Der Betroffene legt hierzu einen Polizeivermerk vom 22.05.2006 über seine Beobachtung in der Nacht vom 13.05 zum 14.05.2006 vor (Bl. 144 d. A.). Der Antragsteller habe bewusst einen Unschuldigen verfolgt und verfolgen lassen.

Der Antragsteller verteidigt die angefochtenen Beschlüsse. Der Betroffene sei der in der Nacht vom 14.05.2006 begangenen Straftaten verdächtig gewesen. Dem Betroffenen sei auch bereits Ende März 2006 bekannt gewesen, dass seine Revision gegen das landgerichtliche Strafurteil verworfen worden sei, so dass er in nächster Zeit mit einer Ladung zum Strafantritt habe rechnen müssen. Auch in der Vergangenheit sei es im Vorfeld von Gerichtsverhandlungen gegen den Betroffenen oder Personen aus dem Umfeld der A zu Sachbeschädigungen an öffentlichen Gebäuden gekommen, wobei jeweils Sachschaden in Höhe von mehreren tausend Euro entstanden sei. Aufgrund der Gesamtumstände sei er im Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme des Betroffenen von dessen Täterschaft überzeugt gewesen. Die Ingewahrsamnahme sei aus seiner Sicht unerlässlich gewesen, um die Begehung weiterer Straftaten durch den Betroffenen zu hindern.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Beschlüsse und die Schriftsätze der Beteiligten nebst ihren Anlagen verwiesen.

Die zulässige Beschwerde führt zu der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Entscheidung.

Wenn eine Person - wie hier - aufgrund des § 32 I Nr. 2 HSOG festgehalten wird, richtet sich das gerichtliche Verfahren gem. § 33 II HSOG nach den Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG), das wiederum auf die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit verweist (§ 3 Satz 2 FEVG). Danach ist die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen zulässig (§§ 6 II, 7 II FEVG, 27 FGG), insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 29, 22 FGG). Die Maßnahme hat sich zwar durch Zeitablauf erledigt, jedoch lässt der Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person, das Begehren des Betroffenen, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu erreichen, auch nach Erledigung der Maßnahme im Hinblick auf sein Rehabilitierungsinteresse als schutzwürdig erscheinen (BVerfE 104, 220 ff = NJW 2002, 2456 ff). Eröffnet ist für die Fortsetzungsfeststellung in den Fällen, in denen eine richterliche Anordnung vorliegt, nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der nach dem FEVG vorgesehene Rechtsweg zu den Zivilgerichten (KG, KGR Berlin 2003, 174 ff; OLG Frankfurt am Main, OLGR 1993. 185 ff; Hess. VGH, NJW 1984, 821 ff; vgl. auch Meixner/ Fredrich, 10. Aufl. § 33 HSOG, Rn 8), wobei es für das Verfahren der weiteren Beschwerde auf diese Frage wegen der Bindungswirkung des § 17 a I GVG nicht mehr ankommt.

Ein hinreichender Anlass für einen Unterbindungsgewahrsam hat nicht bestanden. Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war insgesamt rechtswidrig.

§ 32 HSOG sieht in der hier nur in Betracht kommenden und vom Landgericht auch angewandten Alternative (§ 32 I Nr. 2 HSOG) vor, dass die Polizeibehörden eine Person in Gewahrsam nehmen können, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Da das Instrument des Gewahrsams während der Nazizeit äußerst massiv missbraucht wurde, sollte es durch die Tatbestandsmerkmale " unerlässlich" und " unmittelbar bevorstehend" rechtlich unmöglich gemacht werden, dass die Vorschrift zu einer Ermächtigung zum sog. Vorbeugegewahrsam (früher: Schutzhaft) ausgeweitet wird (Hornmann, § 32 HSOG Rn 16 und 3). Unerlässlich ist nicht gleichbedeutend mit erforderlich, sondern geht darüber hinaus. Eine Maßnahme ist nur dann unerlässlich, wenn die Gefahrenabwehr nur auf diese Weise möglich und nicht durch eine andere Maßnahme ersetzbar ist (Hornmann, § 32 HSOG Rn 17).

Diese Voraussetzungen lagen hier von Anfang an sämtlich nicht vor. Zwar ist die Nachprüfung tatsächlicher Verhältnisse in der dritten Instanz regelmäßig ausgeschlossen (§ 27 FGG i.V.m. § 559 ZPO). Die Bindung des Senats an die vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen ist jedoch entfallen, da die Vorinstanzen die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Unterbindungsgewahrsam viel zu weit gesehen, sich bei der Beurteilung des Sachverhalts nicht mit allen wesentlichen Umständen auseinandergesetzt (§ 25 FGG) und Beweisanforderungen völlig vernachlässigt haben (vgl. Keidel/ Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 27 Rn 42, 45, 56).

Der Betroffene ist bei keiner der ihm vorgeworfenen Straftaten auf frischer Tat ertappt worden. Er hat auch deren Begehung nicht eingeräumt. Das Amtsgericht hätte bei dieser Ausgangslage den Grad des Tatverdachts prüfen müssen, bevor es aus den Vorwürfen des Antragstellers irgendwelche Schlussfolgerungen zum Nachteil des Betroffenen zog. Keineswegs durfte das Amtsgericht - wie geschehen - den Betroffenen ohne irgendwelche Erwägungen zur Beweissituation hinsichtlich der Richtigkeit der Vorwürfe so behandeln, als ob alle Vorwürfe stimmten. Da der Antragsteller konkrete Beweismittel, die geeignet erschienen, den Betroffenen zu überführen, in seinem Antrag auf Ingewahrsamnahme nicht vorgetragen hat und - wie die weitere Entwicklung zeigt - auch nicht vorlegen konnte, hätte das Amtsgericht die Ingewahrsamnahme ablehnen müssen. Dass der Betroffene - wie der Antragsteller in seiner Antragsschrift vorgebracht hat - den ... (Bundesland A, die Red.) Innenminister C unsachlich kritisiert und sich auf der wohl vom Betroffenen betreuten Homepage der A, Begriffe befinden, wie sie auch auf die Fassade der Anwaltskanzlei RA1 aufgesprüht wurden, belegt die Täterschaft des Betroffenen nicht; ebenso wenig, dass auf der Homepage auch Artikel über den ... (Bundesland B, die Red.) Innenminister Dr. B zu lesen sind. Auch die Verwendung von Kürzeln am Tatort, die Kürzeln auf der Homepage gleichen, reicht allein oder zusammen mit den anderen Umständen nicht aus, um den Betroffenen als Täter der ihm zur Last gelegten Taten hinreichend sicher zu identifizieren. Dass der Betroffene nachts durch O1 zieht, macht ihn ebenfalls noch nicht hinreichend verdächtig. Im polizeilichen Antrag auf die Anordnung von Unterbringungsgewahrsam gibt es keine verlässlichen Anhaltspunkte, die für den Betroffenen als Täter sprechen. Es fehlt auch jeder Hinweis auf Umstände, die den Schluss zulassen, der Betroffene habe sich an den beiden fraglichen Tatorten aufgehalten und dort mit Farbe hantiert. Weder an dem Betroffenen noch an den von ihm mitgeführten Gegenständen sind Farbspuren oder sonstige Spuren festgestellt worden, die einen Rückschluss auf die Täterschaft zulassen. Das Amtsgericht durfte deshalb nicht davon ausgehen, dass der Betroffene die ihm vom Antragsteller zur Last gelegten Taten begangen hat. Was das Amtsgericht zu seiner Annahme veranlasst hat, bleibt im Dunklen, da es seine Annahme nicht begründet hat.

Das Landgericht hat wohl die mangelhafte Beweislage gegen den Betroffenen erkannt, hat sich aber rechtsfehlerhaft mit der Frage, ob der Betroffene die ihm zur Last gelegten Taten begangen hat, nicht auseinandergesetzt. Das dem Betroffenen vom Landgericht unterstellte Tatmotiv hängt ohne den Hintergrund begangener Taten aber völlig in der Luft und lässt allein die Schlussfolgerung auf eine konkrete Gefahrenlage nicht zu. Auf bloße Vermutungen darf die Anordnung von Unterbindungsgewahrsam nämlich nicht gestützt werden. Erforderlich ist vielmehr im Regelfall, dass die schädigende Einwirkung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht (Hornmann, HSOG, § 32 Rn 22 m.w.N.). Solches hat das Landgericht nicht nachvollziehbar festgestellt und konnte es nach der Sachlage auch nicht feststellen.

Bereits diese Fehler führen zu der Feststellung, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen von Anfang an rechtswidrig gewesen ist. Dies wird bestätigt durch den vom Betroffenen vorgelegten Polizeivermerk über die Observation des Betroffenen in der Nacht vom 13. auf den 14.05.2006. Der Senat darf diesen erst in dritter Instanz zu den Akten gelangten Polizeivermerk berücksichtigen, da er unstrittig ist und es keine schützenswerte Belange des Antragstellers gibt, die dem entgegenstehen (Keidel/ Kuntze/ Winkler, FGG, 15. Aufl. 2003, § 27 Rn 45). Aus dem Vermerk ergibt sich, dass der Betroffene in der Zeit von 02.28 bis 02.47 Uhr beobachtet worden ist, wie er im Bereich des O1er Justizkomplexes Badminton spielte. Danach ist es ausgeschlossen, dass der Betroffene zwischen 02.27 und 02.35 Uhr in der XY-Partei(die Red.)-Geschäftstelle ein Loch in die Eingangstür gebohrt hat. Auch für die gegen 02.43 Uhr festgestellten Farbschmierereien an der Grundstücksmauer des Hauses B-Str. fehlt es an konkreten Hinweisen auf den Betroffenen.

Mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme ist über den allein möglichen Streitgegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens entschieden. Mehr als die Feststellung, dass die Ingewahrsamnahme rechtswidrig war, kann der Betroffene in diesem Verfahren nicht erreichen. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere wieso es kommen konnte, dass dem Amtsgericht ein Antrag auf Ingewahrsamnahme vorgelegt wurde, in dem der Umstand der anderweitigen Observation in der Tatnacht und deren Ergebnis nicht deutlich mitgeteilt und auch das Landgericht insoweit nicht unterrichtet wurde, braucht hier nicht weiter zu erfolgen. Der Antrag des Betroffenen, das Verfahren unter Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse in die Lage vor Erlass der Entscheidungen des Landgerichts Gießen zurückzuversetzen, geht deswegen ins Leere. Der Betroffene hat auch keinen Anspruch darauf, dass bezüglich einzelner Verfahrensweisen des Landgerichts Feststellungen getroffen werden, ob diese rechtmäßig waren oder nicht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 33 II HSOG, 16 FEVG, 13 a I 2 FGG, §§ 11, 30 II KostO.

Ende der Entscheidung

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