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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 08.01.2002
Aktenzeichen: 20 W 479/01
Rechtsgebiete: HSOG, FGG, KostO, GG


Vorschriften:

HSOG § 26 Abs. 4 Satz 1
HSOG § 20 Abs. 1
HSOG § 26 Abs. 1
HSOG § 26 Abs. 4 Satz 2
HSOG § 39 Abs. 1 Satz 3
FGG § 19
FGG § 20 Abs. 1
KostO § 131 Abs. 2
KostO § 30 Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 1 Abs. 1
Bei einer richterlichen Anordnung nach § 26 Abs. 4 Satz 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG), durch die öffentliche Stellen zur Übermittlung von automatisiert gespeicherten personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen an Polizeibehörden zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen (Rasterfahndung) verpflichtet werden, haben die einzelnen von der Datenübermittlung betroffenen Personen ein Beschwerderecht im Sinne des § 20 Abs. 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG).Der Richtervorbehalt des § 26 Abs. 4 Satz 1 HSOG und das gerichtliche Verfahren sollen auch den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der von der Datenübermittlung betroffenen Personen gewährleisten.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

BESCHLUSS

In dem Verfahren nach § 26 Abs. 1 und 4 HSOG über die Verpflichtung öffentlicher Stellen zur Übermittlung automatisiert gespeicherter personenbezogener Daten bestimmter Personengruppen zum Zwecke des Datenabgleichs mit anderen Datenbeständen, an dem beteiligt sind: ...

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Landgerichts Wiesbaden - 4. Zivilkammer - vom 14. November 2001 am 8. Januar 2002 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Prüfung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des weiteren Beschwerdeverfahrens - an das Landgericht Wiesbaden zurückverwiesen. Beschwerdewert: 3.000,- Euro.

Gründe:

Am 24. September 2001 beantragte das H. LA., der Beteiligte zu 1), bei dem Amtsgericht Wiesbaden nach § 26 Abs. 1 und 4 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) anzuordnen, dass die Meldebehörden des Landes Hessen, die hessischen Universitäten und Hochschulen sowie das Luftfahrtbundesamt verpflichtet sind, ihm von näher bestimmten Personengruppen automatisiert gespeicherte personenbezogene Daten, nämlich Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort und Anschrift zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen (Rasterfahndung) zu übermitteln.

Der Beteiligte zu 1) begründete seinen Antrag im wesentlichen mit einer nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 anzunehmenden Gefährdungssituation im Falle eines Militärschlages gegen Ziele in Afghanistan und/oder Unterstützerstaaten.

Mit Beschluss vom 25. September 2001 gab das Amtsgericht Wiesbaden dem Antrag in vollem Umfang statt. Über die Entscheidung wurde in der Presse berichtet (vgl. juris - Pressemitteilungen Justiz/dpa, Stichwort: Rasterfahndung).

Am 15. Oktober 2001 legte der Beteiligte zu 2), der nach eigenen Angaben in Gießen studiert und sudanesischer Staatsangehöriger ist, gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde ein. Er sieht in der Übermittlung von Daten an den Beteiligten zu 1), die seine Person betreffen, einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Das Landgericht Wiesbaden hat mit Beschluss vom 14. November 2001 die nach den §§ 26 Abs. 4 Satz 2, 39 Abs. 1 Satz 3 HSOG, 19 FGG an sich statthafte Beschwerde mangels Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 2) als unzulässig angesehen und zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete - am 22. November 2001 eingegangene - weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist zulässig, weil das Landgericht die Erstbeschwerde als unzulässig behandelt hat (vgl. Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 7). Die weitere Beschwerde hat insoweit Erfolg, als die Sache an das Landgericht zur neuen Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen ist.

Die Verneinung des Beschwerderechts des Beteiligten zu 2) durch das Landgericht ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Nach § 20 Abs. 1 FGG steht die Beschwerde jedem zu, dessen Recht durch die Verfügung (hier: den amtsgerichtlichen Beschluss) beeinträchtigt ist. Das ist hier der Fall.

Soweit das Landgericht ausführt, dass die Rasterfahndung wegen der Bedeutung für Unbeteiligte unter Richtervorbehalt stehe, jedoch Unbeteiligten kein Beschwerderecht zustehen könne, trägt dies nicht die Annahme des Landgerichts, dass auch die durch die erlassene richterliche Anordnung betroffenen zu bestimmten Personengruppen gehörenden einzelnen Personen kein Beschwerderecht haben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht auch nicht die Rasterfahndung als solche unter Richtervorbehalt, sondern die Erhebung von fremden Daten (hier: automatisiert gespeicherten personenbezogenen Daten bisher unbekannter einzelner Personen) zum Zwecke des Datenabgleichs mit anderen Datenbeständen.

Der Senat vermag dem Landgericht auch nicht darin zu folgen, dass sich der amtsgerichtliche Beschluss allein gegen die von ihm zur Datenübermittlung verpflichteten öffentlichen Stellen richte, nur diese an den Beschluss gebunden seien und der Beschluss weiterreichende Bedeutung nicht habe.

Das Landgericht übersieht, dass es nicht um die Übermittlung/Weitergabe von Daten geht, die die verpflichteten Stellen selbst betreffen, sondern um personenbezogene Daten bestimmter Personengruppen, nämlich Namen, Anschriften, Tag und Ort der Geburt sowie auf im einzelnen Fall festzulegende Merkmale (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 1 HSOG). Das Landgericht, das augenscheinlich nur den zur Datenübermittlung verpflichteten Stellen ein Beschwerderecht einräumen will, hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die verpflichteten öffentlichen Stellen überhaupt eigene Rechte im Sinne des § 20 Abs. 1 FGG im Zusammenhang mit den ihnen anvertrauten und von ihnen verwalteten Daten haben können und welches Recht der verpflichteten Stellen gegebenenfalls durch die richterliche Anordnung nach § 26 Abs. 4 HSOG beeinträchtigt sein könnte.

Seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (BVerfGE 65, 1, 41 ff) ist geklärt, dass der Einzelne das Recht hat, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraussetzt, dass dieser Schutz daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst ist und dass das Grundrecht insoweit die Befugnis gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfGE aaO S. 43).

Soweit das Landgericht davon ausgeht, dass der grundrechtliche Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Beteiligten zu 2) nicht schon durch die richterliche Anordnung nach § 26 Abs. 4 HSOG, sondern erst durch die sich daran anschließende Durchführung der Rasterfahndung berührt wird, trifft dies nicht zu. Der Schutzbereich wird durch die richterliche Anordnung, die Übermittlung/Weitergabe der personenbezogenen Daten sowie den Besitz dieser Daten durch die Polizeibehörde berührt.

Das Landgericht hat auch nicht genügend berücksichtigt, dass das Verfahren über die richterliche Anordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugeordnet ist (§§ 26 Abs. 4 Satz 2, 39 Abs. 1 Satz 3 HSOG) und dass das HSOG auch in anderen Fällen auf die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) oder das zur freiwilligen Gerichtsbarkeit gehörende Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen verweist, wenn es um die richterliche Anordnung/Ermächtigung/nachträgliche Bestätigung von schwerwiegenden behördlichen, die Grundrechte einzelner Personen berührenden Maßnahmen ohne deren vorherige Zustimmung geht (vgl. §§ 15 Abs. 5, 16 Abs. 5, 17 Abs. 5, 30 Abs. 4, 33 Abs. 2, 36 Abs. 5, 39 Abs. 1 HSOG).

Der Umstand, dass sich das polizeiliche Ersuchen und auch die richterliche Anordnung auf die Übermittlung von automatisiert gespeicherten personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen und nicht auf einzelne Personen beziehen, bedeutet nicht, dass die einzelnen zu einer der Personengruppen gehörenden Personen durch die richterliche Anordnung und ihre Folgen nicht berührt werden.

Der Senat geht davon aus, dass der Richtervorbehalt und das gerichtliche Verfahren jedenfalls nicht nur dem Schutz der zur Datenübermittlung verpflichteten Stellen dienen, sondern vor allem dem Schutz der einzelnen Personen vor unrechtmäßiger Weitergabe der Daten. Eine andere rechtliche Beurteilung würde nach Auffassung des Senats den vom HSOG vorgesehenen und im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu verwirklichenden Grundrechtsschutz weitgehend leer laufen lassen.

Die unmittelbare Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung liegt nach Auffassung des Senats bereits in der richterlichen Anordnung nach § 26 Abs. 4 Satz 1 HSOG, weil durch sie die fehlende vorherige Zustimmung der einzelnen Personen bestimmter Personengruppen zur Weitergabe ihrer personenbezogenen Daten und zu deren Besitz durch die Polzeibehörde ersetzt wird.

Danach durfte das Landgericht die Erstbeschwerde nicht ohne weiteres als unzulässig behandeln. Das Verfahren ist, weil der Senat als Rechtsbeschwerdegericht selbst keine Feststellungen tatsächlicher Art treffen darf, an das Landgericht zurückzuverweisen.

Bei seiner neuen Entscheidung wird das Landgericht zunächst zu prüfen haben, ob der Beteiligte zu 2) zu einer betroffenen Personengruppen gehört. Wenn dies der Fall ist, wird das Landgericht zu prüfen haben, ob ein Rechtsschutzbedürfnis des Beteiligten zu 2) fortbesteht.

Nach Auffassung des Senats kann ein Rechtsschutzbedürfnis des Beteiligten zu 2) nicht bereits dann verneint werden, wenn der bloße Vorgang der Übermittlung/Weitergabe/Herausgabe der Daten als solcher abgeschlossen ist. Das Rechtschutzbedürfnis erfasst auch den fortdauernden Besitz der Daten mit der Möglichkeit der (weiteren) Verwertung. Dafür spricht auch die gesetzliche Regelung bei Gefahr im Verzug. In einem solchen Fall kann die Polizei die Anordnung zur Übermittlung der Daten selbst treffen. Sie muss dann aber unverzüglich die richterliche Bestätigung der Anordnung beantragen (§ 26 Abs. 4 Satz 4 HSOG). Die Anordnung tritt außer Kraft, wenn nicht binnen drei Tagen eine richterliche Bestätigung erfolgt (§ 26 Abs. 4 Satz 5 HSOG). Das Gesetz enthält keine Beschränkung dahin, dass die nachträgliche richterliche Bestätigung der polizeilichen Anordnung nur auf den Fall beschränkt ist, dass die Datenübermittlung als solche noch nicht oder noch nicht vollständig erfolgt ist.

Bei Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses des Beteiligten zu 2) wird das Landgericht den Antrag des Beteiligten zu 1) einer genauen Sachprüfung unterziehen müssen. Es darf sich dabei nicht auf eine Plausibilitätsprüfung beschränken, sondern muss selbst die Tatsachen feststellen, die eine richterliche Anordnung nach § 26 Abs. 4 Satz 1 HSOG rechtfertigen (vgl. zu dem Prüfungsumfang bei einer richterlichen Anordnung polizeilichen Gewahrsams nach dem HSOG: BVerfGE 83, 24 = NJW 1991, 1283).

Das Landgericht muss feststellen, ob eine gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person besteht und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Übermittlung der verlangten Daten zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist.

Den Beschwerdewert hat der Senat nach den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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