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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 11.04.2002
Aktenzeichen: 20 W 512/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1835
BGB § 1836a
BGB § 1908 i Abs. 1
BGB § 1846
BGB § 1897 Abs. 1
BGB § 1899 Abs. 4
Die Übertragung sämtlicher Betreuungsaufgaben durch den Berufsbetreuer auf einen von ihm bevollmächtigten Dritten als Urlaubsvertreter ist unzulässig. Deshalb sind die für die Urlaubsvertretung aufgewendeten Kosten grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Eine Erstattung aus der Staatskasse kann ausnahmsweise geboten sein, wenn die Einschaltung des Urlaubsvertreters vor Klärung dieser Rechtsfrage durch obergerichtliche Rechtsprechung in Absprache mit der Betreuungsbehörde geschah und dem Vormundschaftsgericht rechtzeitig angezeigt wurde, ohne dass eine Beanstandung oder Bestellung eines Verhinderungsbetreuers erfolgte.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

20 W 512/01

In dem Betreuungsverfahren ...

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 26. November 2001 am 11. April 2002 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Das Amtsgericht Hanau bestellte mit Beschluss vom 15.05.2001 die Beteiligte zu 1) als Berufsbetreuerin für die mittellose Betroffene mit den Aufgabenkreisen der Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung und Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen. Auf Empfehlung der Betreuungsbehörde erteilte die Betreuerin einer von ihr ausgewählten Vertreterin Vollmacht, sie während ihrer urlaubsbedingten Abwesenheit in der Zeit vom 08. bis zum 22. Juli 2001 bei allen im Rahmen der Betreuung der Betroffenen notwendig werdenden Geschäften zu vertreten und teilte dies dem Vormundschaftsgericht mit Schreiben vom 02. Juli 2001 mit. Die Vertreterin wurde während der urlaubsbedingten Abwesenheit der Betreuerin wegen eines Notfalls für die Betroffene tätig und stellte der Betreuerin hierfür absprachegemäß fünf Arbeitsstunden zu je 60,- - DM sowie Telefonkosten und Fahrtkosten mit einem Gesamtbetrag von 371,10 DM einschließlich Mehrwertsteuer in Rechnung. Die Betreuerin beantragte unter dem 31. August 2001 für ihre Tätigkeit in der Zeit vom 19. Mai 2001 bis zum 30. August 2001 Vergütung und Aufwendungsersatz unter Einschluss des ihr von der Vertreterin in Rechnung gestellten Betrages in einer Gesamthöhe von 1.780,42 DM einschließlich Mehrwertsteuer.

Das Amtsgericht setzte mit Beschluss vom 24. Oktober 2001 einen Gesamtbetrag von 1.732,08 DM fest, wobei die von der Vertreterin in Rechnung gestellten Arbeitsstunden im Rahmen der Vergütung und deren Auslagen bei den Aufwendungen im wesentlichen berücksichtigt wurden; eine Erstattung abgelehnt wurde für eine Arbeitszeit von 40 Minuten und 14 Telefoneinheiten, die sich auf Besprechungen wegen der Vertretungsübergabe bezogen. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2) und die Anschlussbeschwerde der Betreuerin setzte das Landgericht mit Beschluss vom 26. November 2001 unter Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung den von der Betreuerin begehrten Gesamtbetrag von 1.780,42 DM fest, wobei es den von der Vertreterin in Rechnung gestellten Gesamtbetrag im Rahmen des Aufwendungsersatzes der Betreuerin berücksichtigte. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 2) mit der sofortigen weiteren Beschwerde, mit welcher sie weiterhin die Auffassung vertritt, Vergütung und Aufwendungsersatz für die Vertreterin und die diesbezüglichen Übergabetätigkeiten könnten nicht bewilligt werden, da die Übertragung der Betreuungsgeschäfte durch die Betreuerin auf eine Vertreterin unzulässig sei.

II. Die kraft Zulassung im angefochtenen Beschluss statthafte (§ 56 g Abs. 5 S. 2 FGG) sowie form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig. Sie führt in der Sache jedoch nicht zum Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Die Berücksichtigung der der Betreuerin durch die von ihr bevollmächtigte Urlaubsvertretung in Rechnung gestellten Kosten im Rahmen des gemäß §§ 1908 i Abs. 1, 1835 Abs. 1 und 4 BGB aus der Staatskasse zu erstattenden Aufwendungsersatzes erweist sich aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles im Ergebnis als zutreffend. Allerdings kann dem Landgericht nicht gefolgt werden, soweit dieses die rechtsgeschäftliche Bestellung eines Vertreters durch den Betreuer während dessen urlaubsbedingter Abwesenheit für die Dauer von mehreren Wochen generell für zulässig erachtet. Vielmehr ergibt sich aus dem in § 1897 Abs. 1 BGB hervorgehobenen Grundsatz der persönlichen Betreuung, dass die Übertragung von Aufgaben des Betreuers an Dritte grundsätzlich unzulässig ist (vgl. Jürgens, BtPrax 1994, 10/11 und Betreuungsrecht, 2. Aufl., § 1902 BGB Rn. 22; Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1897 Rn. 333; Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1897 BGB Rn. 33). Denn die Entscheidung über die Person des Betreuers ist dem Vormundschaftsgericht vorbehalten, das hierbei die gesetzlichen Vorgaben des § 1897 BGB und die hierzu ergangenen Verfahrensvorschriften zu beachten hat. Eine Delegation der Betreuungsaufgaben im Wege der Bevollmächtigung eines Dritten ist hiermit nicht vereinbar. Vielmehr hat der durch das Vormundschaftsgericht ausgewählte und bestellte Betreuer die ihm im Rahmen der gerichtlich bestimmten Aufgabenkreise zugewiesene rechtliche Besorgung der Angelegenheiten des Betreuten grundsätzlich selbst zu erledigen. Die Delegation der gesamten Betreuung oder kompletter Aufgabenkreise durch den Betreuer auf dritte Personen widerspricht dem gesetzlichen Leitbild der persönlichen Betreuung und stellt sich als dessen Umgehung dar. Deshalb darf sich die Bevollmächtigung Dritter zur Wahrnehmung von Betreuungsaufgaben nur auf einzelne Tätigkeiten beziehen, durch die sich der Betreuer nicht der ihm übertragenen Entscheidungskompetenz und Verantwortung für den Betreuten entzieht. Andere Personen darf der Betreuer somit nur als untergeordnete Hilfskraft", etwa zur Erledigung überschaubarer einzelner Verwaltungsaufgaben oder untergeordneter vermögensrechtlicher Angelegenheiten bevollmächtigen (vgl. Damrau/ Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1899 BGB, Rn. 27; Bienwald, a.a.O.; Jürgens, a.a.O.; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl., § 1899 Rn. 27; BayObLG BtPrax 2000, 214/215; LG Stuttgart BtPrax 1999, 200; LG Frankfurt/Oder FamRZ 1999, 1221). Diese Grundsätze gelten auch im Falle der tatsächlichen Verhinderung des Berufsbetreuers durch urlaubsbedingte Abwesenheit. Danach mag es ­ wie im Fall des BayObLG (BtPrax 2000, 214) - zwar zulässig sein, während der urlaubsbedingten vorübergehenden Abwesenheit des Betreuers eine Hilfsperson einzuschalten, die den Kontakt zu diesem aufrechterhält, ihn gegebenenfalls über wesentliche Vorkommnisse informiert und ihm so im Ernstfall eine eigene und schnelle Wahrnehmung der Betreuungsaufgaben ermöglicht. Unzulässig ist aber die Übertragung sämtlicher Betreuungsaufgaben durch den Betreuer selbst auf einen von ihm ausgewählten und von ihm bevollmächtigten Urlaubsvertreter (vgl. ebenso OLG Brandenburg, OLG Report 2001, 556/557; BayObLG, a.a.O.; OLG Dresden Rpfleger 2002, 25; LG Bad Kreuznach Rpfleger 1997, 66). Die Regelung des § 1899 Abs. 4 BGB, die dem Gericht die Bestellung eines Verhinderungs- oder Ersatzbetreuers ermöglicht, gilt nicht nur für den Fall der rechtlichen, sondern auch der tatsächlichen Verhinderung etwa durch Krankheit oder Urlaub (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1899 Rn. 5; Damrau/Zimmermann, a.a.O.; § 1899 Rn. 21; Jürgens, Betreuungsrecht, a.a.O., § 1899 Rn. 5; Erman/Holzhauer, BGB, 9. Aufl., § 1899 Rn. 7; Staudinger/Bienwald, BGB, 13. Bearb. § 1899 Rn. 11; Knittel, Betreuungsrecht, § 1899 BGB Anm. 22/23). Soweit vereinzelt Bedenken gegen die Anwendung auf die tatsächliche Verhinderung geäußert werden (vgl. Münch Komm/Schwab, BGB, 4. Aufl., § 1899 Rn. 23; HK-BUR/Bauer, § 1899 BGB Rn. 80) vermag der Senat sich dem im Hinblick auf Wortlaut und Zweck der Vorschrift nicht anzuschließen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann aus dem Wortlaut des § 1899 Abs. 4 BGB, der die Bestellung eines Verhinderungs- oder Delegationsbetreuers lediglich zulässt, jedoch auch für Berufsbetreuer nicht zwingend vorschreibt, aber nicht auf die Zulässigkeit der zeitlich befristeten Bevollmächtigung eines Urlaubsvertreters durch den Betreuer selbst mit dem Argument geschlossen werden, dem Berufsbetreuer sei ansonsten in unzumutbarer Weise der Verzicht auf einen Urlaub auferlegt. Denn nach den gesetzlichen Regelungen besteht im Falle der urlaubsbedingten Abwesenheit des Berufsbetreuers für das Vormundschaftsgericht neben der vorherigen Bestellung eines Verhinderungsbetreuers auch die Möglichkeit, im Falle eines dringenden Handlungsbedarfs die notwendigen Maßnahmen gemäß §§ 1908 i Abs. 1, 1846 BGB selbst zu treffen oder nur im Falle eines tatsächlich zutage tretenden konkreten Handlungsbedarfs erst dann einen vorläufigen weiteren Betreuer zu bestellen.

Aus der Unzulässigkeit der Delegation der gesamten Betreuungsaufgaben durch den Betreuer selbst für die Dauer seiner urlaubsbedingten Abwesenheit auf einen selbst gewählten Urlaubsvertreter folgt allerdings grundsätzlich auch, dass die hierdurch entstehenden Kosten nicht erstattungsfähig sind und deshalb auch nicht im Rahmen des Auslagenersatzes gemäß §§ 1908 i Abs. 1, 1835 BGB vom Betreuer geltend gemacht werden können. Allerdings ergibt sich für den vorliegenden Fall aufgrund der gegebenen Besonderheiten diesbezüglich eine Ausnahme. Die Betreuerin hatte sich mit der Betreuungsbehörde gerade wegen ihres beabsichtigten Urlaubes in Verbindung gesetzt und mit dieser die von ihr sodann gewählte Vorgehensweise der Bevollmächtigung einer Urlaubsvertreterin abgesprochen. Somit hatte die Betreuungsbehörde, zu deren gesetzlichen Aufgaben gemäß § 4 BtBG die Beratung und Unterstützung der Betreuer bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gehört, die Einschaltung der Urlaubsvertreterin ausdrücklich gebilligt und die Betreuerin nicht auf die aus dem Grundsatz der persönlichen Betreuung folgende Unzulässigkeit hingewiesen. Darüber hinaus hatte die Betreuerin ihre urlaubsbedingte Verhinderung und die Bevollmächtigung einer Urlaubsvertreterin drei Wochen vor Beginn ihres Urlaubs telefonisch und schriftlich dem Amtsgericht bekannt gegeben. Gemäss §§ 1908 i Abs. 1, 1837 Abs. 2 S. 1 BGB hat das Vormundschaftsgericht über die Tätigkeit des Betreuers die Aufsicht zu führen und gegen Pflichtwidrigkeiten durch geeignete Gebote und Verbote einzuschreiten. Nachdem das Gericht die Betreuerin in der Folgezeit weder auf Unzulässigkeit der Delegation sämtlicher Betreuungsaufgaben auf selbstgewählte Vertreter hinwies, noch einen Verhinderungsbetreuer bestellte oder auf die Notwendigkeit der Information des Vormundschaftsgerichts im Falle eines Notfalles hinwies, mussten sich der Betreuerin, die als Diplom-Sozialpädagogin nicht über eine juristische Ausbildung verfügt, Bedenken gegen die Bevollmächtigung einer Urlaubsvertreterin nicht aufdrängen. Deshalb durfte sie die für die Organisation dieser Urlaubsregelung aufgewendeten Kosten zur Erfüllung der Betreuungsaufgaben aus ihrer Sicht für erforderlich halten. Wegen des während des Urlaubes der Betreuerin eingetretenen Notfalles wäre ohne die Tätigkeit der von der Betreuerin eingeschalteten Urlaubsvertretung ansonsten die Bestellung eines Verhinderungsbetreuers erforderlich gewesen wäre, dessen Vergütung und Aufwendungsersatz in gleicher Höhe aus der Staatskasse hätte aufgebracht werden müssen. Aufgrund dieser besonderen Umstände würde sich eine Verweigerung der von der Berufsbetreuerin für die von ihr im Einvernehmen mit der Betreuungsbehörde und dem Vormundschaftsgericht organisierten Urlaubsvertretung aus der Staatskasse als unbillig und treuwidrig erweisen. Allerdings weist der Senat darauf hin, dass im Hinblick auf die durch die zitierte Rechtsprechung der Obergerichte in jüngster Zeit erfolgte Hervorhebung und Klarstellung der Unzulässigkeit der vollständigen Delegation der Betreuungsaufgaben durch den Be- treuer auf einen selbst gewählten Urlaubsvertreter für zukünftige Fälle eine Erstattung der hierfür von dem Berufsbetreuer aufgewendeten Kosten aus der Staatskasse auch im Falle der Empfehlung oder Billigung durch die Betreuungsbehörde und/oder das Vormundschaftsgericht nicht mehr in Betracht kommen dürfte.

Ende der Entscheidung

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