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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 10.12.2004
Aktenzeichen: 21 AR 138/04
Rechtsgebiete: GVG, HBG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 95 I 1
GVG § 97 II
GVG § 102 S. 2
GVG § 105 I
HBG § 1
ZPO § 36 I 6
1. Bei einer Verweisung von Amts wegen durch die KfH nach § 97 Abs. 2 GVG - entgegen dem Antrag beider Parteien - ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob nicht doch eine Handelssache vorliegt.

2. Schließen sich Kaufleute als Vertragspartner eines beiderseitigen Handelsgeschäfts auf einer Seite zu einer GbR (sogenannte ARGE) zusammen, ändert sich nichts am Charakter des Vertrages als Handelsgeschäft, und zwar auch dann, wenn dies bereits vor Vertragsschluss geschieht.

3. Die Bau-ARGE wird ohne Publizitätsakt zur OHG und damit selbst zum Handelsunternehmen, wenn sie in einem kaufmännisch eingerichteten Betrieb ein Bauvorhaben von erheblichem Umfang ausführt.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

21 AR 138/04

Entscheidung vom 10.12.2004

In dem Rechtsstreit

...

hat der 21. Zivilsenat des Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 10. Dezember 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main ist für den Rechtsstreit zuständig.

Gründe:

Die X... AG, Ingenieurbau, Niederlassung O1, und die Y... AG, Bauunternehmung, Niederlassung O1, sowie die Z... GmbH, Niederlassung O2, haben sich zur Arbeitsgemeinschaft A1... A... O2 GbR zusammengeschlossen. Über das Vermögen der Z... GmbH ist durch Beschluss des Amtsgerichts Kiel am 01.03.2004 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Z... GmbH ist aus der Klägerin ausgeschieden; ihre Beteiligungsquote ist den verbleibenden Gesellschaftern angewachsen.

Die Klägerin macht als Generalunternehmerin entsprechend dem zwischen den Parteien geschlossenen Generalunternehmervertrag restlichen Werklohn für Modernisierungsarbeiten am A... O2 in Höhe von 5.122.936,13 € nebst Zinsen geltend. Sie hat die Klage bei der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main eingereicht.

Die Kammer für Handelssachen hat Zweifel an ihrer funktionellen Zuständigkeit mitgeteilt. Sie hat ausgeführt, aufgrund der derzeit geltenden Fassung des § 95 Abs. 1 Ziff. 1 GVG liege ein Handelsgeschäft nur vor, wenn die Parteien als Kaufleute in dem Handelsregister eingetragen seien. Die Klägerin sei allerdings als Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht in das Handelsregister eingetragen und damit auch nicht Kaufmann im Sinne dieser Vorschrift. Die Klägerin hat ihre Auffassung dargelegt, es liege eine Handelssache im Sinne des § 95 Abs. 1 Ziff. 1 GVG vor. Sie übe ein Handelsgewerbe aus, ihre Tätigkeit sei auf Gewinnerzielung gerichtet. Die Durchführung von Bauleistungen in einem Umfang der vorliegenden Art erfordere eine straffe betriebliche Organisation mit gefestigten Strukturen; das Bauvorhaben selbst sei von vornherein auf 19 Monate angelegt gewesen; mit der aufgrund der Nachtragsverhandlungen vom 15.05.2001 vereinbarten Verlängerung der Bauzeit habe sich die reine Ausführungsphase auf 4 Jahre belaufen. Da die Existenz der Klägerin erst mit Erfüllung der sich aus dem Bauvertrag ergebenden Rechte und Pflichten, insbesondere etwaiger Mängelansprüche, ende, sei ihr Vorhaben auf einen Zeitraum von nahezu 10 Jahren angelegt. Sie erfordere auch einen kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetrieb. Sie selbst verfüge über eine von den Gesellschaftern losgelöste Buchhaltung, die sie in eigener Verantwortung abgewickelt habe. Sie habe über ein Baubüro verfügt, welches einen kompletten Bürobetrieb einschließlich Telefon, Telefax und sonstiger Kommunikationsmöglichkeiten ermöglicht habe. Sie verweist auf die Entscheidungen des OLG Dresden (BauR 2002,1414, Kopie Bl. 101 ff d. A.) und des KG Berlin (BauR 2001, 1790, Kopie Bl. 106 d. A.). Auch die Beklagte, die der Klage entgegentritt und -eine zwischenzeitlich auch eingereichte- Widerklage angekündigt hat, hält die Kammer für Handelssachen für zuständig.

Beide Parteien haben beantragt, von einer Verweisung an die Zivilkammer Abstand zu nehmen.

Durch Beschluss vom 21.10.2004 hat die Kammer für Handelssachen sich von Amts wegen nach § 97 Abs. 2 GVG für funktional unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an die Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main verwiesen. Es handele sich nicht um eine Handelssache im Sinne des allein in Betracht kommenden § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG, da Ansprüche aus einem Vertrag geltend gemacht würden, der nicht mit einem Kaufmann geschlossen worden sei, sondern mit der Klägerin als rechts- und parteifähiger Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Auffassung, eine zum Zwecke der Errichtung eines Großbauvorhabens errichtete ARGE sei gewerblich tätig und sei zwingend als offene Handelsgesellschaft einzustufen, entspreche nicht der herrschendenden Meinung, insbesondere nicht der ständigen Rechtsprechung des BGH, wonach Bauarbeitsgemeinschaften in der Rechtsform der BGB-Gesellschaft auftreten würden. Es handele sich nicht um einen Gewerbebetrieb, da die für den Gewerbebegriff erforderliche planmäßige Tätigkeit am Markt fehle, die GbR wie hier nur einmalig gegenüber einem einzigen Bauherrn tätig werde. Einen Grundsatz, wonach jede rechtsfähige Personengesellschaft, die nach Art und Umfang kaufmännischer Einrichtungen bedürfe, dem Rechtsformenzwang unterliege und als oHG einzutragen sei, gebe es nicht.

Die Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main hat sich durch Kammerbeschluss vom 4.11.2004 ihrerseits für funktionell unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt. Sie hat sich auf die von den Parteien vorgetragenen Argumente bezogen.

Der Senat hat die seitens der Klägerin (auszugsweise) vorgelegte Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 22.08.2001 29 AR 54/01 in vollem Wortlaut zur Prüfung der Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 ZPO beigezogen.

Einer Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 36 Abs. 3 ZPO bedarf es nicht, da sich der Senat der Entscheidung des 29. Zivilsenats des Kammergerichts vom 22.08.2001 - 29 AR 54/01 - im Ergebnis anschließt.

Die Vorlage der Zivilkammer ist nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zulässig. Diese Vorschrift gilt auch für Kompetenzkonflikte zwischen der Kammer für Handelssachen und der Zivilkammer über die funktionelle Zuständigkeit (Baumbach- Hartmann, 63. Aufl. § 36 ZPO, Rn. 35 (G) mit Nachweisen; ebenso: Kammergericht a.a.O).

Der Verweisungsbeschluss der Kammer für Handelssachen an die Zivilkammer vom 21.10.2004 ist für diese ausnahmsweise nicht bindend. Ebenso wie im vom KG Berlin entschiedenen vergleichbaren Fall greift hier die Bindungswirkung des § 102 S. 2 GVG nicht ein. Diese Vorschrift bezweckt zwar, dass die Unsicherheit über die Zuständigkeit durch einen nach rechtlichem Gehör ergangenen Verweisungsbeschluss beseitigt und die Zuständigkeit endgültig und abschließend geregelt wird. Die Bindung kann jedoch dann nicht eingreifen, wenn dem Verweisungsbeschluss jegliche Grundlage fehlt, das verweisende Gericht vielmehr ohne Zweifel selbst zuständig ist, so dass sich die Verweisung objektiv als willkürlich darstellt.

Dies gilt insbesondere bei einer Verweisung von Amts wegen nach § 97 Abs. 2 GVG. Hier ist durch die Kammer für Handelssachen besonders sorgfältig zu prüfen, ob nicht doch eine Handelssache vorliegt, wenn beide Parteien den Vertrag, auf den die Klage gestützt wird, als Handelsgeschäft beschreiben und eine Entscheidung durch die Kammer für Handelssachen übereinstimmend begehren.

Tatsächlich ist der vorliegende Bauvertrag, aus dem die Klägerin ihre Rechte ableitet, eindeutig ein Handelsgeschäft im Sinn des § 95 Nr. 1 GVG.

Hätten sich die Gesellschafter der Klägerin, offenkundig kaufmännische Unternehmen, nicht bereits vor Vertragsschluss zur Klägerin als GbR zusammengeschlossen, stünde der Charakter des vorliegenden Bauvertrages als Handelsgeschäft völlig außer Zweifel. Die Gesellschafter waren und blieben Kaufleute und haben ersichtlich in der Absicht, diese kaufmännischen Ziele weiterzuverfolgen, den vorliegenden Bauvertrag als Handelsgeschäft angestrebt. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass sie sich nicht erst zur Durchführung, sondern bereits vor Abschluss des Vertrages zur Arbeitsgemeinschaft A1... A... O2 zusammengeschlossen haben. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 29.01.2001 (II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 ff. = juris) der GbR, namentlich der Bauarbeitsgemeinschaft, zwar Partei- und Rechtsfähigkeit zugebilligt, sie aber nicht als eigenständige juristische Person behandelt (juris Rnr. 5); er hat die Entscheidung der Kammer für Handelssachen (!), deren funktionale Zuständigkeit niemand in Zweifel gezogen hat, bestätigt. Durch den Zusammenschluss einzelner Kaufleute in der Rechtsform der Bürgerlichen Gesellschaft ändert sich mithin nichts an der Eigenschaft des geschlossenen Vertrages, der weiterhin ein Handelsgeschäft ist, selbst wenn die GbR selbst kein Handelsunternehmen sein sollte und sie die Rechte aus dem Vertrag als Partei geltend macht.

Hier kommt aber hinzu, dass die GbR selbst unstreitig als ein kaufmännisches Handelsunternehmen tätig ist- wie im Fall des Kammergerichts a.a.O. Denn betreibt eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Gewerbe, dann wird sie von Gesetzes wegen ohne jeden Publizitätsakt zu einer personen- und strukturgleichen oHG, sobald das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, wie der BGH in seinem Urteil vom 29.01.2001 (II ZR 331/00 a.a.O., juris Rnr. 10) unter Hinweis auf § 105 Abs. 1 i.V.m. § 1 HGB wörtlich ausführt.

Dass die Klägerin selbst ein Gewerbe betreibt und sich in der Absicht, Gewinn zu erzielen, in einem kaufmännisch eingerichteten Betrieb betätigt, hat sie im Einzelnen konkret vorgetragen. Angesichts eines Vertragsvolumens von fast 27 Mio. DM, einer in 18 Leitz-Ordnern untergebrachten Schlussrechnung und einer Abwicklungsdauer von vielen Jahren steht auch das Merkmal der Nachhaltigkeit der Gewinnerzielungsabsicht nicht in Frage.

Damit verbleibt es bei der Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen.

Ende der Entscheidung

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