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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 09.08.2004
Aktenzeichen: 21 AR 85/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 17 I
ZPO § 35
ZPO § 36 I 6
ZPO § 38 I
ZPO § 281 I
ZPO § 281 II 4
1. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt, wenn die Verweisung als objektiv willkürlich erscheint oder unter Versagung des rechtlichen Gehörs ergangen ist.

2. Die Wahl zwischen mehreren möglichen Gerichtsständen ist von der klagenden Partei auch dann wirksam getroffen, wenn sie sich hierbei nicht aller bestehender Gerichtsstände bewusst war und die Klage bei einem jedenfalls zuständigen Gericht eingereicht hat.

3. Ein Verweisungsbeschluss muss jedenfalls außerhalb einer mündlichen Verhandlung durch das Gericht in der Besetzung des gesamten zuständigen Spruchkörpers ergehen.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

21 AR 85/04

Entscheidung vom 09.08.2004

In dem Zuständigkeitsbestimmungsverfahren

hat das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ­ 21. Zivilsenat ­ am 9.8.2004 beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Hanau ist das zuständige Gericht.

Gründe:

Die Beklagte bestellte bei der Klägerin, welche Polstermöbel herstellt, Anfang des Jahres 2003 eine Postermöbelgarnitur zum Preis von insgesamt 5.138,80 €. In den in der Auftragsbestätigung enthaltenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin ist als Gerichtsstand das Landgericht Bielefeld bestimmt. Die Beklagte beanstandete nach Auslieferung der Garnitur an den Endkunden durch sie Transportschäden, deren Behebung die Klägerin ihr zu einem Preis von 668,- € netto anbot und sodann ausführte. Nach weiteren Mängelrügen des Endkunden auch an anderen von der Beklagten gelieferten Möbelteilen bot die Klägerin eine weitere Mängelbeseitigung an der Garnitur an. Die Beklagte behielt letztlich gegenüber der Klägerin den Kaufpreis abzüglich Skonto und Zurückbehaltungsrecht, insgesamt in Höhe eines Betrages von 4.676,31 €, von einer anderen Zahlung ein. Die Parteien streiten über den Umfang der Mängel und die Verantwortlichkeit für diese. Die Klägerin verlangt mit ihrer vor dem Landgericht Hanau erhobenen Klage von der Beklagten Zahlung des einbehaltenen Betrages sowie der Reparaturkosten von 774,88 € jeweils nebst Zinsen. In der Klageschrift ist darauf hingewiesen, daß die Parteien als Gerichtsstand das Landgericht Bielefeld vereinbart haben. Mit Schriftsatz vom 13.5.2004 fragte die Klägerin gegenüber dem Landgericht Hanau nach dem Sachstand ihrer vom 7.4.2004 erhobenen Klage. Am 26.5.2004 wurde ihr die Ladung zum Termin am 5.7.2004 zugestellt.

Auf ein Telefonat mit dem Klägervertreter, bei welchem dieser einen entsprechenden Verweisungsantrag stellte, verwies das Landgericht Hanau durch den Vorsitzenden den Rechtsstreit durch Beschluß vom 16.6.2004 ohne Begründung an das Landgericht Bielefeld. Nach dem Aktenvermerk des Vorsitzenden über das Telefongespräch sei die Klage irrtümlich in Hanau erhoben worden. Den Verweisungsantrag wiederholte die Klägerin unter Hinweis auf die Gerichtsstandsvereinbarung in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber dem Landgericht Hanau durch Telefax vom 16.6.2004, welches das Landgericht Hanau der Beklagten nicht zuleitete.

Das Landgericht Bielefeld hat die Übernahme des Rechtsstreits durch Beschluß vom 5.7.2004 abgelehnt, sich für unzuständig erklärt und die Sache zur Bestimmung der Zuständigkeit dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Hanau sei nicht bindend. Die Klägerin habe ihr Wahlrecht mit der Einreichung der Klage beim Landgericht Hanau endgültig ausgeübt. Dies habe sie spätestens mit der Sachstandsanfrage an das Landgericht Hanau bestätigt. Ferner fehle dem Verweisungsbeschluß die Bindungswirkung schon wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten.

Auf die nach § 36 Abs. 2 ZPO zulässige Vorlage hin war gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO das Landgericht Hanau als das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.

Das Landgericht Hanau ist für die Entscheidung des Rechtsstreits örtlich zuständig. Denn der Sitz der Beklagten befindet sich in Hanau (§ 17 Abs. 1 ZPO). Möglicherweise demzufolge hat sich das Landgericht Hanau in seinem Beschluß vom 16.6.2004 entgegen § 281 Abs. 1 S. 1 ZPO auch nicht für örtlich unzuständig erklärt, sondern den Rechtsstreit lediglich verwiesen.

Das Landgericht Bielefeld ist auch nicht durch den Verweisungsbeschluß des Landgerichts Hanau bindend zuständig geworden (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO). Die Vorschrift des § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bezweckt, daß die Unsicherheit über die Zuständigkeit durch einen nach rechtlichem Gehör ergangenen Verweisungsbeschluß beseitigt und die Zuständigkeit grundsätzlich endgültig und abschließend geregelt wird. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses wirkt im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO fort (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 36 ZPO, Rdnr. 28). Sie entfällt jedoch dann, wenn die Verweisung als objektiv willkürlich erscheint oder unter Versagung des rechtlichen Gehörs ergangen ist (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 281, Rdnrn. 17, 17a mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Hanau entfaltet keine Bindungswirkung, da er keinerlei rechtliche Grundlage hat sowie willkürlich und unter Versagung des rechtlichen Gehörs der Beklagten ergangen ist.

Das Landgericht Hanau durfte dem nachträglich gestellten Verweisungsantrag der Klägerin nicht nachkommen, da es wie dargelegt zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich zuständig ist. Ein mögliches Wahlrecht zwischen mehreren zuständigen Gerichten (§ 35 ZPO), nämlich dem Gerichtsstand des Sitzes der Beklagten (§ 17 Abs. 1 ZPO) und dem besonderen Gerichtsstand gemäß der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung (§ 38 Abs. 1 ZPO), hatte die Klägerin jedenfalls dadurch bereits ausgeübt, daß sie ihre Klage an das Landgericht Hanau gerichtet hatte. Selbst wenn dies auf einem Irrtum beruht haben sollte, da die Klägerin bzw. ihre Prozeßbevollmächtigten bei Einreichung der Klage die mit der Beklagten getroffene Gerichtsstandsvereinbarung übersehen hätten ­ näheres über die Art des angeblichen Irrtums hat die Klägerin nicht vorgetragen ­, so handelte es sich nicht um einen möglicherweise relevanten Irrtum etwa in Gestalt eines offensichtlichen Schreibfehlers. Vielmehr hat die Klägerin ersichtlich die Klage gerade bei dem für den Sitz der Beklagten zuständigen Landgericht eingereicht. Die Wahl zwischen mehreren möglichen Gerichtsständen ist auch dann wirksam getroffen, wenn sich die klagende Partei hierbei nicht aller bestehender Gerichtsstände bewußt ist und die Klage bei einem jedenfalls zuständigen Gericht einreicht.

Ferner hat das Landgericht Hanau das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Das rechtliche Gehör ist unverzichtbar (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 281, Rdnr. 12, Vor § 128, Rdnr. 3 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Denn niemand darf in seinen Rechten durch gerichtliche Maßnahmen betroffen werden, ohne vorher Gelegenheit zur Äußerung gehabt zu haben. Eine Zuständigkeitsrüge der in Hanau ansässigen Beklagten gegenüber dem Landgericht Hanau, wie von der Klägerin im Schriftsatz vom 29.7.2004 angesprochen, war auch nicht zu erwarten. Sie ist dementsprechend auch nicht erfolgt.

Danach kann dahinstehen, ob der Vorsitzende Richter des Landgerichts Hanau den Verweisungsbeschluß als zuständiger Einzelrichter (§ 348 Abs. 1 ZPO), was sich aus dem Beschluß nicht ergibt, oder als Vorsitzender getroffen hat, was unrichtig wäre, da ein Verweisungsbeschluß jedenfalls außerhalb einer mündlichen Verhandlung gemäß § 281 Abs. 1 ZPO durch das Gericht in der Besetzung des gesamten zuständigen Spruchkörpers ergehen muß.

Ende der Entscheidung

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