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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 18.12.2003
Aktenzeichen: 21 U 24/03
Rechtsgebiete: AGBG, VOB/B


Vorschriften:

AGBG § 9 I
VOB/B § 17
Zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Bürgschaft auf erste Anforderung (hier: Einwendungen des Bürgen aus dem früheren AGBG).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

21 U 24/03

Verkündet am 18.12.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter am Oberlandesgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 5. November 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 20. Februar 2003 verkündete Urteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main - 3-10 O 174/02 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 37.000,00 € abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die am 9.11.01 in Insolvenz gefallene H. & G. GmbH hatte von dem Kläger bzw. einer für den Kläger handelnden "M. Gesellschaft" 3 Aufträge über Dacharbeiten an der S. Neubaus der S. des Klägers in P. erhalten und ausgeführt:

5.7.95 Hauptauftrag Dachverblechung

25.7.97 Auftrag Laufgänge

13.1.98 Auftrag Leitersystem.

Allgemeine Vertragsgrundlagen waren in dieser Reihenfolge die besonderen Vertragsbedingungen (BVB) des Klägers, die VOB, Teile B und C und das Werkvertragsrecht des BGB. Die BVB sehen unter Ziffer 14.2 einen Einbehalt von der Schlussrechnung in Höhe von 5% der Bruttoabrechnungssumme für die Gewährleistungszeit (5 Jahre) vor, der gemäß Ziffer 17.3 verzinst auf ein Verwahrgeldkonto des Auftraggebers zu nehmen ist und den die Auftragnehmerin durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern ablösen kann. Letzteres tat die Schuldnerin durch Bürgschaft der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 22.7.97 in Höhe von maximal 45.000 DM für den Hauptauftrag und vom 24.8.98 in Höhe von maximal 8.172,78 DM für die Aufträge über Leitern und Laufgänge. Über Mängel der Auftragsausführung wurde ein selbstständiges Beweisverfahren durchgeführt, in dem der gerichtlich bestellte Sachverständige die Mängelbeseitigungskosten auf 245.163,68 € bezifferte. Mit Anwaltsschreiben vom 26.3.02 forderte der Kläger unter Beifügung des Gutachtens von der Rechtsvorgängerin der Beklagten die Zahlung der beiden Bürgschaftssummen von zusammen 53.172,78 DM (= 27.186,81 €). Die Beklagte verweigerte die Zahlung, die der Kläger vorliegend im Urkundenprozess weiter verfolgt. Die Beklagte hat dem Insolvenzverwalter und ihrer Rückbürgin den Streit verkündet.

Sie verteidigt sich mit dem Argument, Ziffer 14.2 der BVB sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam. Grund für die BGH-Rechtsprechung sei nicht nur das Insolvenzrisiko des Auftraggebers, sondern der Entzug von Liquidität beim Auftragnehmer durch den Restwerklohneinbehalt, weswegen die Unwirksamkeit auch bei öffentlichen Auftraggebern gegeben sei.

Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage durch Vorbehaltsurteil stattgegeben.

Die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da wegen der in Ziffer 17.3 BVB vorgesehenen Lagerung des Gewährleistungseinbehalts auf einem Verwahrkonto, die der VOB entspreche, die Gestellung eine Bürgschaft nicht die dem Auftragnehmer alleinig gegebene Möglichkeit und bei einem öffentlichen Auftraggeber das Bonitätsrisiko ausgeschlossen sei. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter. Sie führt ergänzend aus, dass der aus § 242 BGB herzuleitende Einwand der Unangemessenheit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 147, 99 = ZIP 2001, 833 = NJW 2001,1857 = MDR 2001, 1003) schon im Erstprozess über die Bürgschaft auf erstes Anfordern zulässig sei. Die vorliegende Abrede über den Gewährleistungseinbehalt sei nach § 9 Absatz 1 AGBG unwirksam (BGHZ 136, 27 = NJW 1997, 2598 = MDR 1997, 929), da die BVB keinen angemessenen Ausgleich vorsähen. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern sei kein angemessener Ausgleich. Auch zusammen mit der in Ziffer 17.3 BVB vorgesehenen alternativen Möglichkeit, 5 % der Bruttoabrechnungssumme auf einem Verwahrgeldkonto des Klägers zu belassen, sei die Regelung nicht angemessen, da dadurch dem Auftragnehmer Liquidität entzogen werde. Öffentlichen Auftraggebern komme keine Sonderstellung zu, zumal der Kläger die Regelung des § 17 VOB/B, insbesondere dessen Nr. 3, abgewandelt habe. Eine Regelung entsprechend § 17 VOB/B könne der Vereinbarung des Sicherheitseinbehalts nur dann die Unangemessenheit nehmen, wenn sie insgesamt vereinbart werde.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Möglichkeit, den einbehaltenen Betrag auf einem Verwahrgeldkonto des Auftraggebers zu belassen, reiche nach der BGH-Rechtsprechung zur Wirksamkeit der Sicherungsabrede aus. In den Fällen, in denen die Gerichte Unangemessenheit angenommen hätten, habe diese Wahlmöglichkeit stets gefehlt. Die in Ziffer 17.3 VOB/B vorgesehene Verwahrung sei "insolvenzfest".

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Dem Kläger steht aus den beiden Bürgschaften vom 22.7.1997 und 24.8.1998 der vom Landgericht zugesprochene Betrag gegen die Beklagte zu.

Unstreitig ist zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten (die durch Verschmelzung in der Beklagten aufgegangen ist) jeweils ein Bürgschaftsvertrag unter Ausschluss von Einreden und im Sinne einer Bürgschaft auf erste Anforderung zu Stande gekommen.

Die von der Beklagten gegen ihre daraus resultierende Einstandspflicht geltend gemachten Einwände sind zwar materiellrechtlich und prozessual beachtlich. Der Bürgschaftsvertrag begründet "eine von der Verpflichtung des Hauptschuldners verschiedene, rechtlich selbständige Verpflichtung, die ihren Rechtsgrund in sich selbst trägt und daher grundsätzlich unabhängig vom Bestand der Hauptschuld gültig ist" (BGHZ 113, 287, 288; 139, 214, 217; 147, 99). Der Einwand, die Sicherungsabrede aus dem Bauvertrag verstoße gegen das (frühere) AGB-Gesetz, betrifft nicht den Bürgschaftsvertrag selbst. Er betrifft jedoch "die materielle Begründetheit der Anforderung" (so BGHZ 143, 381 = ZIP 2000, 576-580 = WM 2000, 715-718 = NJW 2000,1563-1565). Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Bürgschaftsversprechens selbst kann die Beklagte der Geltendmachung der Bürgschaftssumme aus materiellrechtlichen Gründen nur in ganz begrenztem Umfange entgegenhalten. Sie kann sie wie auch Einwendungen gegen die zugrundeliegende Verpflichtung aus dem Bauvertrag im Urkundenprozess nur geltend machen, so weit sie sich aus der Vertragsurkunde oder der Bürgschaftsurkunde oder aus sonstigen Urkunden ergeben und ohne Zuhilfenahme weiterer Erkenntnisquellen beurteilt werden können.

Ein materiellrechtlich beachtlicher Einwand ist z.B. dann gegeben, wenn nach dem Vortrag des Bürgen "der Gläubiger eine formale Rechtsstellung offensichtlich missbraucht (§ 242 BGB). Es muss mit anderen Worten auf der Hand liegen oder mindestens liquide beweisbar sein, dass trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Alle Streitfragen, deren Beantwortung sich nicht ohne weiteres ergibt, sind im Rückforderungsprozess auszutragen" (BGH aaO). Nach BGHZ 147, 99 (= ZIP 2001, 833) sind "Einwände des Bürgen gegen den Anspruch ... ausnahmsweise schon im Erstprozess beachtlich, sofern sich deren Berechtigung aus dem unstreitigen Sachverhalt oder dem Inhalt der Vertragsurkunden ohne weiteres ergibt (BGH, Urt. v. 10. Februar 2000, BGHZ 143, 381). In solchen Fällen missbraucht der Gläubiger, der sich gleichwohl auf die ihm durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern eingeräumte formale Stellung beruft, seine vertraglichen Befugnisse. Er verlangt etwas, was er im Rückforderungsprozess sofort erstatten müsste. Ein solches Verhalten begründet den Arglisteinwand ("dolo facit...") aus § 242 BGB (vgl. BGHZ 56, 22, 25; 74, 293, 300)." Wie in BGH NJW 2002, 743 (= MDR 2002, 653 = WM 2002, 743) ausgeführt ist, kann "der aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern Verpflichtete ... seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nach ständiger Rechtsprechung nur entgegensetzen, wenn der Gläubiger seine formale Rechtsstellung offensichtlich missbraucht. Das ist nur dann der Fall, wenn es offen auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist, dass der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Alle Streitfragen, deren Beantwortung sich nicht ohne weiteres ergibt, sind nicht im Erstprozess, sondern im Rückforderungsprozess auszutragen (vgl. z.B. BGHZ 143, 381, 383; 147, 99, 102; jeweils m.w.Nachw.). Diese Grundsätze finden nicht nur auf Einwendungen gegen die Hauptforderung Anwendung, sondern auch dann, wenn der Bürge geltend macht, der Gläubiger sei im Verhältnis zum Hauptschuldner verpflichtet, von der Bürgschaft keinen Gebrauch zu machen (BGHZ 143, 381, 384; 147, 99, 102 f.; BGH, Urteil vom 24. Januar 2002 - IX ZR 204/00, Urteilsumdruck S. 5)." Die Beklagte macht vorliegend geltend, dass sich aus den zu den Akten gereichten Vertragsurkunden, deren Inhalt unstreitig ist, ergebe, dass der Bürgschaftsfall nicht eingetreten sei. Derart zulässige Einwände können auch im Urkundenprozess vorgebracht werden (§ 598 ZPO, vgl. BGH ZIP 1993,1851 = NJW 1994, 380 = WM 1994, 106 oder OLG Jena, OLG-Report 1998, 98.

Die Einwände der Beklagten sind jedoch nicht begründet.

Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die dem Auftraggeber ohne weitere Einschränkung die Möglichkeit eines Gewährleistungseinbehalts von 5 % der Auftragssumme für die Dauer der Gewährleistungsfrist einräumt, ist allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gemäß § 9 Absatz 1 des früheren AGBG (das nach Art. 229 § 5 EGBGB anwendbar ist) unwirksam (BGHZ 136, 27 = NJW 1997, 2598 = MDR 1997, 929). § 9 Absatz 1 AGBG gilt auch gegenüber Kaufleuten und juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 24 AGBG). Solche Klauseln "beeinträchtigen den Auftragnehmer als Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, ohne dass ihm ein entsprechender Ausgleich zugestanden wird." Der BGH bezeichnet zwar das Interesse des Auftraggebers an einer angemessenen Sicherheit für etwaige Gewährleistungsansprüche nach Abnahme des Werkes als schutzwürdig, da erfahrungsgemäß kaum ein Bauwerk völlig mangelfrei errichtet wird und sich nach Abnahme innerhalb der Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche immer wieder Mängel zeigen, die der Auftragnehmer auf seine Kosten zu beseitigen verpflichtet ist. "Ohne eine Sicherheit müsste der Auftraggeber während dieser Zeit uneingeschränkt das Bonitätsrisiko des Auftragnehmers tragen." Da jedoch nach dem Werkvertragsrecht des BGB die volle Vergütung bei Abnahme des Werkes zu entrichten und von diesem Zeitpunkt an im Zweifel zu verzinsen ist (§ 641 BGB) und das Gesetz den Einbehalt eines Teils des Werklohnes als Sicherheit für etwaige Gewährleistungsansprüche nicht vorsieht, ihn allerdings auch nicht verbietet, seien die berechtigten Interessen des Auftragnehmers durch die isolierte Vereinbarung eines Gewährleistungseinbehalts nicht hinreichend gewahrt. Aufgrund des vereinbarten Einbehalts habe er für die Dauer von fünf Jahren nach Abnahme des Werkes - auch im vorliegenden Fall gilt gemäß Ziffer 13 BVB die Gewährleistungsfrist von fünf Jahren -, also für einen verhältnismäßig langen Zeitraum, das Bonitätsrisiko des Auftraggebers zu tragen, bis er den restlichen, eigentlich bei Abnahme des Werkes fälligen nicht unbeträchtlichen Teil des Werklohnes erhalte. Sein Interesse an eigener Liquidität in Höhe des Einbehalts bleibe ebenso unberücksichtigt wie sein Interesse, zumindest die vom Gesetz vorgesehene Verzinsung hierfür zu erhalten. Demgegenüber sei die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eingeräumte Möglichkeit der Beibringung einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern kein angemessener Ausgleich. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern führe dem Gläubiger sofort liquide Mittel zu, wenn er den Bürgschaftsfall für eingetreten erkläre. Zahle der Bürge, so sei der Auftragnehmer wegen seiner Ansprüche auf einen u.U. langjährigen Prozess angewiesen. Während dieser Zeit habe er im vollen Umfang das Risiko der Bonität des Auftraggebers zu tragen. Für diese Risikoverlagerung bestehe ebensowenig eine Berechtigung wie beim Einbehalt; das Sicherungsmittel solle die werkvertraglichen Gewährleistungsansprüche des Bestellers sichern, nicht aber zu einer Steigerung seiner Liquidität führen und dadurch das Bonitätsrisiko verlagern. Schließlich könne eine Bürgschaft auf erstes Anfordern den Auftraggeber dazu verleiten, sich durch unberechtigte Inanspruchnahme des Bürgen einen Liquiditätsvorteil zu verschaffen.

Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof in späteren Entscheidungen bestätigt (BGHZ 147, 99 = ZIP 2001, 833 = NJW 2001, 1857 = MDR 2001, 1003; BGHZ 150, 299 = NJW 2002, 2388 = ZIP 2002, 1198 = MDR 2002, 1058; NJW-RR 2002, 1311 = WM 2002, 1508 = MDR 2002, 1366; NJW 2003, 2605 = MDR 2003, 1388 = BauR 2003, 1385).

Die vorliegend entscheidende Frage ist demnach, ob dadurch, dass Ziffer 17.3 BVB die Verwahrung des Gewährleistungseinbehalts auf einem eigenen Verwahrgeldkonto des Klägers vorsieht und der Auftragnehmer dementsprechend die Wahl hat, ob er sich mit der Verwahrung des 5-prozentigen Gewährleistungseinbehalts zufrieden gibt oder sich diese 5 Prozent durch die Stellung der Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern verschafft, ein ausreichender Ausgleich geschaffen ist. Dabei muss der Ansicht der Beklagten entgegengetreten werden, dass maßgeblicher Grund für die wiedergegebene BGH-Rechtsprechung die Entziehung von Liquidität (in Höhe von 5% der Vergütung) beim Auftragnehmer sei. Zwar erwähnt der BGH diesen Gesichtspunkt in seinen Überlegungen beispielsweise in BGHZ 136, 27 - wie oben wiedergegeben - als eines von mehreren Argumenten. Von entscheidendem Gewicht ist aber stets die Verteilung oder Verlagerung des Bonitäts- bzw. Insolvenzrisikos. Der auf den Liquiditätsentzug abstellenden Argumentation ist auch das bereits erwähnte, der Zulassung von Gewährleistungsvorbehalten überhaupt zugrundeliegende Argument entgegenzuhalten, dass kaum ein größerer Bau mangelfrei errichtet wird. Liegen Mängel vor, für deren Beseitigung der Auftragnehmer einzustehen hat, steht ihm die "Liquidität" in Höhe der vollen Vergütung ohnehin nicht zu. Vorliegend macht der Bürgschaftsbetrag nur rund ein Neuntel der vom Sachverständigen auf € 245.163,68 veranschlagten Mängelbeseitigungskosten aus.

Entscheidend führt in der wiedergegebenen BGH-Rechtsprechung zur Unwirksamkeit der beurteilten Gewährleistungseinbehaltsklauseln der Umstand, dass der Auftragnehmer "nicht verlangen (kann), dass (der Auftraggeber) den Einbehalt entsprechend § 17 Nr. 6 VOB/B auf ein Sperrkonto bei einem vereinbarten Geldinstitut einzahlt (und ihm) auch nicht die anderen, in § 17 VOB/B geregelten Rechte (zustehen)" (so BGHZ 136, 27) bzw. "dass für den Auftragnehmer eine andere Alternative nicht zur Verfügung steht" (so BGHZ 147, 99) oder dass "die Wahl anderer Austauschsicherheiten gemäß § 17 Nr. 3 VOB/B oder das Verlangen nach Einzahlung auf ein Sperrkonto gemäß § 17 Nr. 6 Absatz 1 und 3 VOB/B... damit nicht eröffnet (ist)" (BGH NJW-RR 2002, 1311, ähnlich in NJW 2003, 2605 a. E.).

Vorliegend ist zwar die in § 17 Nr. 5 VOB/B vorgesehene Möglichkeit der Hinterlegung der Sicherheit auf einem Sperrkonto zur gemeinsamen Verfügung der Parteien mit Verzinsung zu Gunsten des Auftragnehmers als abbedungen anzusehen. Nicht ausgeschlossen sind jedoch die in § 17 Nr. 6 VOB/B vorgesehenen Regelungen. Diese sehen vor, dass der einbehaltene Betrag auf ein mit dem Auftragnehmer zu vereinbarendes Sperrkonto bei einem Geldinstitut einzuzahlen ist. Für öffentliche Auftraggeber ist in § 17 Nr. 6 Absatz 4 VOB/B die Berechtigung geregelt, den als Sicherheit einbehaltenen Betrag auf ein eigenes Verwahrgeldkonto zu nehmen; der Betrag ist dann nicht zu verzinsen. Dem entspricht die Regelung in Ziffer 17.3 BVB. Somit hat gemäß Ziffern 14 und 17.3 BVB der Auftragnehmer wie nach § 17 VOB/B (wenn die Hinterlegungsmöglichkeit des § 17 Nr. 5 VOB/B ausgeschlossen ist) bei öffentlichen Auftraggebern die Wahlmöglichkeit zwischen der Einzahlung des Einbehaltsbetrages auf ein eigenes Verwahrgeldkonto des Auftraggebers oder der Stellung einer Bürgschaft, wobei das Verwahrgeldkonto kein (gesperrtes) Bankkonto sein muss, sondern die rein buchhalterische Erfassung des Betrages auf einem Sonderkonto ausreicht (OLG Naumburg, NJW-RR 2003, 382 = OLG-Report 2003, 82 = Baurecht 2003, 909). Die vom OLG Naumburg vorgenommene Einschränkung für insolvenzfähige öffentlich-rechtliche Körperschaften hat vorliegend keine Bedeutung, da der Kläger nach seinem unwidersprochenen Vortrag "insolvenzfest" ist. Jegliches Insolvenz- und Vollstreckungsrisiko beim Auftraggeber ist ebenso ausgeschlossen wie die Vermengung des einbehaltenen Betrages mit anderen Haushaltsmitteln. Zumindest einen Teil der ihm so entzogenen Liquidität kann der Auftragnehmer sich durch die Stellung der Bürgschaft auf erste Anforderung beschaffen. Die Gefahr des Missbrauchs oder der leichtfertigen Inanspruchnahme der Bürgschaft dürfte beim öffentlichen Auftraggeber niedriger als allgemein zu veranschlagen sein. Die Privilegierung öffentlicher Auftraggeber durch die VOB hat, soweit ersichtlich, bisher keinen Anlass zu Zweifeln an der Angemessenheit der VOB-Regelungen gegeben. Der Senat sieht daher in den durch die BVB dem Auftragnehmer eingeräumten alternativen Möglichkeiten der Stellung einer Bürgschaft auf erste Anforderung oder der Zulassung der Verwahrung des Einbehaltsbetrages auf einem Verwahrgeldkonto des öffentlichen Auftraggebers einen ausreichenden Ausgleich zu der formularmäßigen Vereinbarung des 5-prozentigen Gewährleistungseinbehalts.

Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Absatz 2 Nummern 1 und 2 ZPO zuzulassen, da die Frage der Wirksamkeit einer von einem öffentlichen Auftraggeber verwendeten Formularklausel über einen Gewährleistungseinbehalt von 5% bei 5-jähriger Gewährleistungsfrist, der auf ein Verwahrgeldkonto des Auftraggebers zu nehmen ist und durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden kann, grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf das Urteil des OLG Hamm vom 1. Juli 2003 -19 U 38/03 - (OLG-Report Hamm 2003, 351 = BauR 2003, 1720) eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, das OLG Hamm ist davon ausgegangen, dass auch die neben der Bürgschaft auf erstes Anfordern nach § 17 Nr. 6 Absatz 4 VOB/B gegebene Möglichkeit, den Sicherheitseinbehalt auf ein eigenes Verwahrkonto des öffentlichen Auftraggebers ohne Verzinsung zu nehmen, keinen angemessenen Ausgleich für die Formularklausel über einen 5-prozentigen Gewährleistungseinbehalt bedeutet.

Ende der Entscheidung

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