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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 27.08.2009
Aktenzeichen: 22 U 213/07
Rechtsgebiete: BBauG, BGB


Vorschriften:

BBauG § 11
BGB § 307
Eine zwanzigjährige Selbstnutzungsverpflichtung mit den Grundstückswert überschreitender Nachzahlungsverpflichtung ist auch im Rahmen eines "Einheimischenmodells" unwirksam.
Gründe:

I.

Die beklagte Stadt stellte in den 1990iger Jahren nach der Erschließung eines neuen Wohngebietes Bauinteressenten Grundstücke zu günstigen Konditionen im sogenannten "Einheimischenmodell" zur Verfügung. Ein solches - 307 qm großes - Grundstück haben die Kläger mit notariellem Kaufvertrag vom ... 1995 (Bl. 12 - 26 d. A.), dessen Bedingungen allen Verkäufen im Baugebiet zugrunde liegen, bei einem Bodenrichtwert von 530,00 DM/qm zum Preis von 266,00 DM/qm von der Beklagten erworben und das darauf errichtete Wohngebäude am 25. Juli 1996 bezogen. Als die Kläger im Jahre 2006 beabsichtigten, den Wohnort zu wechseln, hat die Beklagte einen Verzicht auf die vereinbarte Zuzahlung abgelehnt (Bl. 29 d. A.). Die Grundstückspreise sind heute nicht höher als im Jahre 1995. Im Februar 2009 sind die Kläger ausgezogen und haben das Haus vermietet.

Die Kläger begehren Feststellung, dass die im Vertrag enthaltenen Klauseln über eine zwanzigjährige Selbstnutzungsverpflichtung (§ 7 Nr. 9) in Verbindung mit der widrigenfalls nach Wahl der Klägerin entstehenden Rückübertragungs- oder Zuzahlungsverpflichtung von 400,00 DM/qm (§ 7 Nr. 15) nichtig seien.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das Bezug genommen wird, der Klage stattgegeben und die beanstandeten Klauseln für nichtig erklärt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel und beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze wird verwiesen.

II.

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht die Nichtigkeit der beanstandeten Klauseln festgestellt, weil sie die Kläger unangemessen benachteiligen (§ 6 Abs. 3 Satz 3 Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch in der Fassung vom 28. April 1993 - heute § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB in der ab 1. Januar 1998 gültigen Fassung - und § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. in Verbindung mit Art. 229 § 5 Satz 2 AGBGB). Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, die der Senat teilt, wird Bezug genommen.

1.

Maßstab für die Inhaltskontrolle des Vertrages der Parteien aus dem Jahre 1996, also nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Klauselrichtlinie 93/13/EWG, sind entgegen der Auffassung der Beklagten beide genannten Vorschriften (offengelassen: BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 - V ZR 33/06 - zitiert nach Juris Rn 8; Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 29. Mai 2008 - 8 U 239/07 - zitiert nach Juris Rn 5). Der Vertrag ist ein privatrechtlicher städtebaulicher im Sinne des heutigen § 11 Abs. 1 Nr. 4 BauGB, weil er mit der Durchsetzung des Einheimischenmodells der Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele dient, und der entsprechende Text ist Allgemeine Geschäftsbedingung, weil er von der Beklagten in einer Vielzahl von Fällen verwendet worden ist (§ 305 Abs. 1 BGB). Nach beiden Vorschriften ist eine umfassende Abwägung der typischen Interessen der Beteiligten erforderlich, wobei die Prüfung auf Grund des Gebots der angemessenen Vertragsgestaltung sogar weitergehender ist als nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, weil sie die Kontrolle des vertraglichen Austauschverhältnisses eröffnet (BGH, Urteil vom 29. November 2002 - V ZR 105/02 - zitiert nach Juris Rn 19 - vorgehend Senatsurteil vom 5. März 2002 - 22 U 229/99 - siehe dort auch zur grundsätzlich gleichen inhaltlichen Bedeutung von "angemessen" und "unangemessen" in beiden Vorschriften).

2.

Im Streitfall geht es - anders als in den bisher zum "Einheimischenmodell" entschiedenen Fällen - nicht um die Wirksamkeit einer Mehrerlösabführungsklausel nach Weiterveräußerung. Es geht auch nicht um ein Verbot der Fremdvermietung. Die Kläger wehren sich gegen die Wirksamkeit einer Klausel, nach deren Wortlaut sie aus ihrem Haus nicht ausziehen und es leer stehen lassen dürfen.

Zu Recht stellt das Landgericht zur Feststellung einer Benachteiligung der Kläger darauf ab, dass der Vertrag in § 7 Nr. 9 Absatz 1 a) für sie als Käufer eine Verpflichtung enthält, das Wohnhaus "mindestens zwanzig Jahre ab Bezugsfertigkeit selbst zu bewohnen" und dies auch für ihre eventuellen Rechtsnachfolger (gleich auf welchem Rechtsgrund eine solche Rechtsnachfolge beruhen mag) gelten soll, ohne dass hierfür eine mögliche Zustimmung der Stadt noch eine sonstige Härtefallregelung vorgesehen ist. Die in § 7 Nr. 9 Absatz 1 b) vorgesehene Zustimmungsmöglichkeit der Stadt zu einer Weiterveräußerung betrifft nicht eine Abstandnahme von der Selbstnutzung. Ein "Vor-die-Klammer-Ziehen" des Zustimmungserfordernisses erschließt sich entgegen der Darstellung der Berufung aus dem eindeutigen Textaufbau nicht, ohne dass es eines Rückgriffs auf die "kundenfeindlichste Auslegung" nach der Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) bedarf. Dass sich die mögliche Zustimmung allein auf die Weiterveräußerung bezieht, folgt auch aus § 7 Nr. 9 Absatz 2, der von "den dann anstehenden Beurkundungen" spricht, und aus § 7 Nr. 9 Absatz 5 c), der - wiederum im Fettdruck und unterstrichen - die schriftliche Zustimmung auf den Veräußerungsfall bezieht.

Dass sich möglicherweise aus einem zehn Jahre später verfassten Schreiben der Beklagten ein anderes "Vertragsverständnis" ergibt, ändert hieran nichts. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der Vertragsschluss (Palandt/Grüneberg, 68. Auflage, § 307 BGB Rn 3). Im Übrigen hat die Beklagte im Schreiben vom 24. Oktober 2006 (Bl. 29 d.A.) zum Ausdruck gebracht, dass sie weiterhin von einer Verpflichtung zur "mindestens 20-jährigen Bewohnung" ausgeht.

3.

Mit Recht sieht das Landgericht in der Verpflichtung, das eigene Wohnhaus mindestens zwanzig Jahre selbst bewohnen zu müssen, eine unangemessene Vertragsbestimmung. Auf die entsprechenden Ausführungen der Entscheidungsgründe (2 a) wird verwiesen. Die von der Beklagten vorformulierten Regelungen schießen in ihrer Gesamtheit über die Sicherung der billigenswerten Zwecke eines Einheimischenmodells, die Bodenspekulation zu verhindern und einheimische Familien zu fördern, deutlich hinaus.

3.1.

Für den Senat ergibt sich die Unangemessenheit einer Vertragsbestimmung, sein Haus zwanzig Jahre selbst bewohnen zu müssen, im Lichte der Wertung der Grundrechte der Menschenwürde (Art. 1 GG), der Freiheit des Einzelnen (Art. 2 GG) und der freien Wohnsitzbestimmung (Art. 11 GG). Dieses Grundrecht garantiert die Freizügigkeit im Bundesgebiet, das heißt das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz nehmen zu dürfen (BVerfGE 2, 266, 273; 43, 203, 211), also insbesondere auch die "interkommunale Freizügigkeit", das Recht des Umzugs von einer Gemeinde in eine andere (Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 12 I 2). Einer Primärverpflichtung, einen solchen Umzug zu unterlassen, muss die Zivilrechtsordnung die Anerkennung verweigern. Wäre diese Regelung gültig, müsste - im Falle eines entsprechenden Antrags - der Auszug der Kläger aus ihrem Haus im Wege der Unterlassungsklage - im Eilfall durch einstweilige Verfügung - unterbunden werden können.

3.2.

Auch der Senat hält die hier vorgesehene Dauer einer solchen Verpflichtung für zwanzig Jahre für unangemessen lang. Binnen zwanzig Jahren ist ein - im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht geborenes - Kind erwachsen und niemand kann sicher sein, dass berufliche und private Beziehungen einen solchen Zeitraum überdauern.

Hinzu kommt, dass gerade die heutige Zeit zunehmende Mobilität in der beruflichen Entwicklung verlangt. In der Rechtsprechung sind - im Rahmen der Beurteilung von Mehrerlösabführungsklauseln - Bindungsfristen von zehn Jahren für zulässig gehalten worden und der Bundesgerichtshof hat eine Bindung für die regelmäßige Geltungsdauer eines Bebauungsplans von etwa fünfzehn Jahren nicht beanstandet (BGH, Urteil vom 29. November 2002 - V ZR 105/02 - zitiert nach Juris Rn 24). Eine Selbstnutzungsverpflichtung über zwanzig Jahre ist nicht akzeptabel.

3.3.

Richtig vermisst das Landgericht im Vertrag auch eine Härteklausel. Eine solche ist durch das Vorhandensein des § 242 BGB keineswegs entbehrlich. Die gegenteilige Argumentation verkennt, dass die ausdrücklich getroffenen vertraglichen Regelungen als solche dem Angemessenheitsgebot entsprechen müssen. Des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hätte es nicht bedurft, wenn allein durch § 242 BGB der Kautelarjurisprudenz hinreichende Grenzen hätten aufgezeigt werden können.

3.4.

Schließlich folgt die Unangemessenheit der zwanzigjährigen Selbstnutzungsverpflichtung in diesem Fall zusätzlich aus der als Sanktion vereinbarten - grundbuchlich abgesicherten - Zuzahlungsverpflichtung von 400,00 DM/qm. Soweit damit - wie im Streitfall - sowohl der seinerzeitige als auch der aktuelle Grundstückswert überschritten wird, stellt sich der überschießende Teil nicht mehr als - zulässige - Abschöpfung der gewährten Förderung oder des erzielten Gewinns dar und ist deshalb eine - nach § 309 Nr. 6 BGB in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unzulässig vereinbarte - Strafzahlung für die Vertragsverletzung. Als eine solche Vertragsverletzung ist ausdrücklich auch das Nicht-mehr-selbst-Nutzen aufgeführt, obwohl in einem solchen Fall die Beklagten keinen Mehrerlös erzielen. Auch war die Situation, dass die Grundstückspreise nicht mehr steigen, nicht so ungewöhnlich, dass er nicht hätte berücksichtigt werden müssen.

4.

Die beanstandeten Klauseln sind - jedenfalls soweit sie eine unterlassene Selbstbewohnung sanktionieren - unwirksam, ohne dass die sonstige Wirksamkeit des Vertrages berührt wird (§ 306 Abs. 1 BGB). Eine Anpassung kommt nach dem in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit langem anerkannten Verbot der geltungserhaltenden Reduktion unangemessener Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht in Betracht. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, für eine den Gegner des Klauselverwenders unangemessen benachteiligende und deshalb unwirksame Klausel eine Fassung zu finden, die einerseits dem Verwender möglichst günstig, andererseits gerade noch rechtlich zulässig ist (BGHZ 84, 109, 115, 117; BGH, Urteil vom 3. November 1999 - VIII ZR 269/98 - zitiert nach JURIS Rn 42).

III.

Die Kosten des erfolglosen Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Frage der Anwendung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in derartigen Fällen städtebaulicher Verträge nach wie vor höchstrichterlich nicht geklärt ist; auch hat die Wirksamkeit solcher Verträge wie im Streitfall in einer Vielzahl von Fällen Bedeutung (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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