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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 06.11.2002
Aktenzeichen: 23 U 243/01
Rechtsgebiete: WA, LuftVG, EGBGB, BGB


Vorschriften:

WA Art. 17
WA Art. 24
LuftVG § 44
EGBGB Art. 28
EGBGB Art. 41
BGB § 631 a.F.
Zu den Voraussetzungen der Inanspruchnahme einer Fluggesellschaft wegen einer angeblich flugbedingten Thrombose
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

23 U 243/01

Verkündet am 6.11.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2.10.2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 29.10.2001 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert der Beschwer des Klägers beträgt 15.000,-- DM (= 7.669,38 €).

Entscheidungsgründe:

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen.

Die zulässige Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz bzw. Zahlung von Schmerzensgeld hat.

Das Landgericht hat dabei zunächst zutreffend festgestellt, dass vorliegend Art. 17 des Warschauer Abkommens (nachfolgend WA) nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, weil es bei dem vom Kläger vorgetragenen Schadensereignis nicht um einen Unfall im Sinne des WA geht, nämlich ein auf einer äußeren Einwirkung beruhendes, örtlich und zeitlich bestimmtes Ereignis, welches unvorhersehbar ist und einen Personen- oder Sachschaden verursacht (BGH, VersR 1982, 243). Vorliegend handelt es sich nicht um ein plötzliches Ereignis, sondern gegebenenfalls um einen Summationsschaden, der vom Unfallbegriff nicht erfasst wird (Kahlert/Hast, VersR 2001, 559; Mühlbauer, VersR 2001, 1480 (1481)).

Nicht ohne weiteres zu folgen ist dem Landgericht jedoch in dessen weiterem Ansatzpunkt, dass nach Art. 24 WA die Anwendbarkeit nationalen Rechts eröffnet ist. Nach Art. 24 WA kann ein Anspruch auf Schadensersatz auch in den Fällen des Art. 17 WA, gleichgültig "auf welchem Rechtsgrund er auch beruht", "nur unter den Voraussetzungen und Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Abkommen vorgesehen sind". Hierbei ist umstritten, ob die Ausschließlichkeit auch dann gilt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 17 WA - wie vorliegend - nicht erfüllt sind. Diese Frage ist in Deutschland -soweit ersichtlich - obergerichtlich noch nicht beantwortet. In der Literatur sind die Meinungen geteilt; so hat Riese (Luftrecht 1949 S. 443 Fn. 12) für Schäden, die nicht durch Unfall verursacht wurden, eine Haftung nach Landesrecht ausgeschlossen, was Schönwerth (in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 23. Aufl., Kap. 29, Rz. 82) offenbar ebenso beurteilt. Auf der anderen Seite vertreten Giemulla (Giemulla/Schmid, Warschauer Abkommen, Art. 24, Rz. 3) und Ruhwedel (Der Luftbeförderungsvertrag, 3. Aufl., 1998, Kap. 6, Rz. 329) die Auffassung, dass die Ausschließlichkeit der Haftung gemäß Art. 17 WA i.V m. Art. 24 WA nur dann gelten soll, wenn auch die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 17 WA, also das Vorliegen eines Unfalles, erfüllt sind. In einem neueren Aufsatz hat sich Mühlbauer (VersR 2001, 1480 (1481 f.) unter Berufung auf die gleichlautende Rechtsprechung in einer Reihe von Vertragsstaaten des WA (insbesondere in den USA, Kanada und in England) der erstgenannten Auffassung von der exklusiven Anwendung des WA angeschlossen. Von den dortigen Gerichten werden als Fälle des (exklusiven) Art. 17 WA auch solche gewertet, die nicht auf einem Unfall beruhen. Vielmehr werden darunter generell alle Personenschadensfälle verstanden, die sich aus Ereignissen an Bord eines Luftfahrzeugs oder beim Ein- und Aussteigen ergeben. Nach Ansicht von Mühlbauer (a.a.O.) soll im Interesse der Rechtsvereinheitlichung die ausschließliche Wirkung des Art. 24 WA immer dann gelten, wenn das Abkommen auf die konkrete Luftbeförderung und den dazu abgeschlossenen Beförderungsvertrag anzuwenden ist, also Abgangsort und Bestimmungsort in den Gebieten von vertragschließenden Staaten liegen (Art. 1 Abs. 2 WA). Ergänzend verweist Mühlbauer auf die Fassung des § 51 LuftVG, der bei Schäden, die bei der internationalen Luftbeförderung entstanden sind, auf die Geltung des WA verweist und dabei nur den Vorbehalt macht, dass das Übereinkommen für die Bundesrepublik Deutschland i n Kraft getreten und auf die Luftbeförderung anzuwenden sein muss. Hingegen schränke § 51 LuftVG die Verweisung nicht auf Schäden durch Unfälle ein.

Vorliegend sind sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch Südafrika als Bestimmungsort Vertragsstaaten des Warschauer Abkommens (Ruhwedel, Rn. 38). Ob damit im Sinne der Rechtsansicht von Mühlbauer sowie den vorgenannten Autoren auch sonstige, d.h. Rechtsgrundlagen nach deutschem Recht für einen Schadensersatzanspruch ausgeschlossen sind, weil der Beförderungsvertrag dem WA unterliegt, kann jedoch vorliegend dahingestellt bleiben, da ein solcher Anspruch aus anderen Gründen ohnehin nicht in Betracht kommt.

So ist ein Anspruch des Klägers weder nach luftrechtlichen Vorschriften noch aus positiver Vertragsverletzung wegen Verletzung einer nebenvertraglichen Pflicht des zwischen den Parteien geschlossenen Luftbeförderungsvertrages gegeben.

Dabei kann dahinstehen, ob die unterstellte Anwendbarkeit deutschen Rechts aus der Bestimmung des Art. 28 Abs. 2 EGBGB folgt (so Kahlert/Hast, VersR 2001, 559) oder als deliktischer Ersatzanspruch bei internationaler Luftbeförderung im Rahmen eines abgeschlossenen Luftbeförderungsvertrages aus dem maßgeblichen Vertragsstatut nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB folgt (so Mühlbauer, VersR 2001, 1480 (1482)), da sich auch hieraus die Anwendbarkeit des Art. 28 EGBGB ergibt. Über beide Anknüpfungen ist die Anwendbarkeit deutschen Rechts gegeben.

Nach zutreffender überwiegender Ansicht setzt indessen ein Anspruch aus § 44 LuftVG die Erfüllung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals "Unfall" voraus (Mühlbauer, VersR 2001, 1480 (1482) m. w.N.; Ruhwedel a.a.O., S.296, Rz.322) und kommt daher vorliegend nicht in Betracht. Es kann deshalb ebenfalls dahinstehen, ob der Auffassung Mühlbauers (a.a.O.) zu folgen ist, wonach aufgrund des § 48 LuftVG bundesrechtliche Vorschriften außerhalb des Luftrechts als selbständige Anspruchsgrundlagen für die Entschädigung von thrombosebedingten Schäden nicht mehr herangezogen werden können, denn ein solcher Anspruch scheitert bereits an einem fehlenden Unfall.

Der Luftbeförderungsvertrag ist als Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB a. F. zu qualifizieren, wobei Schäden aus dem Eintritt einer flugbedingten Thrombose Mangelfolgeschäden im Sinne einer positiven Vertragsverletzung darstellen könnten.

Der Kläger hat jedoch die Voraussetzungen eines solchen Schadensersatzanspruchs aus einer positiven Vertragsverletzung des Luftbeförderungsvertrages nicht schlüssig dargetan bzw. unter Beweis gestellt. Das gilt insbesondere für den Vortrag des Klägers zum Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung durch die Beklagte in Form einer Verletzung von Warn- und Hinweispflichten. Die Annahme einer solchen Verpflichtung der Beklagten zur Information des Fluggastes vor Reiseantritt über die jeweiligen Sitzabstände und über den (angenommenen) Zusammenhang zwischen erhöhtem Thromboserisiko und Sitzabstand setzt voraus, dass nach anerkanntem wissenschaftlichen Kenntnisstand überhaupt von einer signifikanten Erhöhung des Thromboserisikos bei Langstreckenflügen insbesondere im Zusammenhang mit dem Sitzabstand ausgegangen werden müsste und dies der Beklagten als Luftfahrtunternehmen auch bekannt war bzw. hätte bekannt sein müssen. Das Vorbringen des Klägers zu diesem Gesichtspunkt beschränkt sich aber lediglich auf die pauschale Behauptung einer Risikoerhöhung ohne jede Substanziierung und bleibt auch ohne den angesichts des Bestreitens der Beklagten erforderlichen Beweisantritt. Daran ändert auch die in der mündlichen Verhandlung vom Kläger aufgestellte Behauptung nichts, wonach sich bei einem Flug von mehr als acht Stunden die Thrombosegefahr eines gesunden Menschen verdoppele, zumal es ausgesprochen zweifelhaft erscheint, ob eine so gering dimensionierte Risikoerhöhung überhaupt grundsätzlich geeignet ist, die vom Kläger postulierte Warn- und Hinweispflicht zu begründen. Die Schwelle für eine relevante Risikoerhöhung dürfte höher anzusetzen sein.

Erstaunlicherweise wird auch von Kahlert/Hast (a.a.O.) ein solcher Zusammenhang zwischen beengter Sitzposition im Flugzeug und der Erhöhung des Erkrankungsrisikos lediglich unterstellt, nicht jedoch im Einzelnen unter Ausschöpfung der einschlägigen Literatur belegt, was demgemäss von Mühlbauer (a.a.O.) zu Recht kritisiert wird. Mühlbauer (a.a.O.) gelangt auf der Grundlage neuerer Studien und Reports stattdessen in nachvollziehbarer Weise zu der plausiblen Feststellung, dass es derzeit in der medizinischen Forschung offen ist, ob und inwieweit ein Zusammenhang zwischen den Bedingungen des Fliegens und dem Thromboserisiko besteht.

Auch nach Auffassung von Noll (RRa 2002, 9) liegen verlässliche Untersuchungen über die jeweiligen relevanten Risiken für das Entstehen einer Thrombose im Flugverkehr nicht vor, außerdem seien Art und Wirkung risikosenkender Maßnahmen nicht hinreichend untersucht. Ferner fehle es an gesicherten Zahlen über die Häufigkeit von Thrombosen im Zusammenhang mit dem Flugverkehr (Noll a.a.O.).

Darüber hinaus hat nicht nur die von der Beklagten im Rahmen des Rechtsstreits vorgelegte Dissertation keinen entsprechenden Zusammenhang belegt, sondern es ist auch aufgrund neuerer Forschungsergebnisse nicht als gesicherte Erkenntnis anzunehmen, dass Langstreckenflüge das Thromboserisiko signifikant erhöhen würden (FAZ vom 26.06.2002, S. N 2, unter Verweis auf eine Studie von Sebastian Schellong von der Abteilung für Angiologie der Universitätsklinik Dresden).

Die vom Kläger postulierte Warn- und Hinweispflicht der Beklagten kann aber nicht auf einen von ihm lediglich in pauschaler Weise behaupteten Zusammenhang gestützt werden, der etwa im Hinblick auf die Sitzabstände wissenschaftlich bislang weder als wahrscheinlich noch gar als feststehend erwiesen ist (ebenso Mühlbauer a.a.O.).

In jedem Fall ist der Kläger als für diesen Umstand beweisbelastete Partei den Nachweis für eine relevante Risikoerhöhung als Grundlage einer Warn- und Hinweispflicht schuldig geblieben.

Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung, inwieweit einer etwaigen Warn- und Hinweispflicht auf Seiten der Beklagten durch die Vorführung eines Bewegungsvideos Genüge getan wäre und ob bzw. wie intensiv die Anforderungen an die Erfüllung einer solchen Pflicht eingeschränkt sein könnten aufgrund einer Geläufigkeit des Risikos sowie unter dem besonders beachtenswerten Gesichtspunkt der Eigenverantwortung des Flugpassagiers. Hinzu kommt, dass jeglicher Vortrag des Klägers zum erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen einer etwaigen Verletzung einer Warn- bzw. Hinweispflicht durch die Beklagte und dem Eintritt der behaupteten Thrombose fehlt. So hat der Kläger nichts dazu vorgebracht, ob überhaupt und gegebenenfalls in welcher Weise er auf einen Hinweis der Beklagten über eine erhöhte Thrombosegefahr reagiert hätte, d. h. ob er möglicherweise den Flug erst gar nicht unternommen hätte oder aber dass er in einer anderen Klasse mit erhöhter Beinfreiheit geflogen wäre bzw. aufgrund vermehrter Bewegung sowie Flüssigkeitsaufnahme eine Thrombose vermieden worden wäre. Auch zu diesem anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmal fehlt sowohl ein schlüssiger Vortrag des Klägers als auch ein aufgrund des Bestreitens der Beklagten erforderlicher Beweisantritt.

Somit mangelt es bereits an einer schlüssigen Darlegung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs durch den Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 ZPO iVm § 26 Nr. 7 EGZPO).

Der Wert der Beschwer war gemäß § 546 Abs. 2 ZPO a.F. festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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