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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 24.03.2004
Aktenzeichen: 23 U 65/03
Rechtsgebiete: BGB, InsO


Vorschriften:

BGB § 138
InsO §§ 286 ff.
Die Rechtsprechung zur Nichtigkeit von den Bürgen krass überfordernden Bürgschaftsverträgen ist auch im Hinblick auf die mittlerweile in Kraft getretene InsO aufrechtzuerhalten.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

23 U 65/03

Verkündet am 24.03.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung wird das am 10.02.2003 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichtes in Frankfurt am Main abgeändert und wie folgt neugefasst:

Das Versäumnisurteil vom 09.08.1992 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Berufung zu tragen. Dies gilt nicht für die Kosten der Säumnis am 09.08.2002, die die Beklagte zu tragen hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in gleicher Höhe erbringt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Auf die ausführliche Darstellung im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen, § 540 1 Nr. 1 ZPO.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.

Zur Begründung führt sie aus, das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall keine krasse finanzielle Überforderung vorliege. Es sei in erster Instanz unstreitig gewesen, dass die Beklagte zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung über kein Vermögen verfügt habe, weswegen das Landgericht nicht berechtigt gewesen sei, festzustellen, die Beklagte habe nicht ausreichend substantiiert zu ihrem frei verfügbaren, veräußerbaren Vermögen vorgetragen (Bl. 217, 190). Das Landgericht habe weiterhin verkannt, dass es gleichfalls in erster Instanz unstreitig gewesen sei, dass die zum Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftserklärung in Erziehungsurlaub befindliche Beklagte keinerlei Einkünfte gehabt habe und auch ihr Ehemann aus seiner Stellung als Geschäftsführer und Gesellschafter der Gesellschaft, dessen Geschäftsanteilekauf die Klägerin finanzierte, nie Einkünfte erzielt habe (Bl. 212,134, 156). Wenn aber das Landgericht schon davon ausgehe, dass der diesbezügliche Vortrag der Beklagten bestritten sei, hätte es den insoweit als Zeugen angebotenen Ehemann der Beklagten hören müssen (Bl. 213). Im Übrigen sei das der Beklagten überhaupt nicht bekannte Einkommen ihres Ehemannes nach der ständigen Rechtsprechung nicht ausschlaggebend, da ihr mittelbare Vorteile aus dem dem Betrieb des Ehemanns gewährten Kredit nicht zugerechnet werden könnten (Bl. 223).

Zur Darlegung der Einkommenssituation ihres Mannes und von ihr selbst hat die Beklagte in zweiter Instanz u.a. die Einkommensteuerbescheide 1994, 1997 und 2000 vorgelegt (Bl. 226 ff.). Der Bescheid 1994 weist ein Bruttoeinkommen von 11.968 DM, der von 1997 kein Einkommen und der von 2000 ein Bruttoeinkommen von 8.040 DM aus.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10.2.2003 2/31 O 140/02 abzuändern und das Versäumnisurteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9.8.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie verweist darauf, dass sie den wiederholten Vortrag der Gegenseite betreffend die finanziellen Verhältnisse der Beklagten konkret bestritten habe (Bl. 253, 256ff.). Das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte nicht nachvollziehbar dargelegt habe, aufgrund welchen Vermögens und welcher Einnahmen die vierköpfige Familie ernährt werde. Es seien auch keine nachvollziehbaren Gründe für die strikte Verweigerung zur Darlegung der tatsächlichen Lebensgrundlage ersichtlich. Soweit die Beklagte behaupte, ihr sei nicht bekannt, womit ihr Ehemann sein Geld verdiene, sei dies in Anbetracht des Umstands, dass die Eheleute seit Jahren gemeinsame Steuererklärungen abgeben, unglaubhaft (Bl. 254). Soweit die Beklagte nunmehr unter Vorlage von Belegen mehr zu ihrer Einkommenssituation vortrage, werde dies als verspätet gerügt; die vorgelegten Unterlagen beträfen auch nicht die maßgeblichen Zeitpunkte der Jahre 1995 und 2001 (Bl. 256).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klage kann keinen Erfolg haben, weil die Bürgschaft, die die Beklagte übernommen hat, sittenwidrig und damit nicht ist.

Generell sieht die Rechtsprechung eine Bürgschaft gemäß § 138 Abs. 1 BGB als nichtig an, wenn die aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner handelnde Bürgin finanziell krass überfordert wird und die Bürgschaft sich aus Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers als wirtschaftlich sinnlos erweist. Insoweit besteht eine (im vorliegenden Fall nicht widerlegte) Vermutung. Die Bürgin ist krass überfordert, falls die Verbindlichkeit, für die sie einstehen soll, so hoch ist, dass bei Vertragsschluss nicht zu erwarten ist, dass sie im Falle einer Verwirklichung des Risikos die Forderung des Gläubigers zu wesentlichen Teilen tilgen kann. Davon ist bei nicht ganz geringfügigen Hauptschulden jedenfalls dann auszugehen, falls die Bürgin nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag (BGH NJW 2000, 1182 ff.). In solchen Fällen besteht eine (widerlegliche) Vermutung dafür, dass sich der Ehegatte bei der Übernahme der Bürgschaft nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und das Kreditinstitut die emotionale Bindung in sittlich anstößigerweise ausgenützt hat (BGHZ 146, 37ff.).

Im vorliegenden Fall ist das Landgericht nicht zu der Überzeugung gekommen, dass eine krasse Überforderung vorliege, da die Angaben der Beklagten dazu nicht ausreichend substantiiert gewesen seien. Dem kann im Ergebnis nicht gefolgt werden. Zutreffend ist zwar, dass die Angaben der Beklagten etwas bruchstückhaft sind. Fest steht jedoch, dass sie Mutter zweier minderjähriger Kinder ist im Alter von nunmehr zehn und sieben Jahren und sich zum Zeitpunkt der Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung in Erziehungsurlaub befand. Danach hat die Beklagte als Zahnarzthelferin 1 1/2 Tage in der Woche gearbeitet und ein dementsprechend niedriges Einkommen erzielte. Auf Grund der Angaben der Beklagten zu ihrer finanziellen Situation, die durch weitere in zweiter Instanz vorgelegte Unterlagen bestätigt werden, gibt es erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass doch eine krasse Überforderung vorlag. Abzustellen ist in diesem Zusammenhang nur auf die eigenen Vermögensverhältnisse der Bürgin (BGH NJW 2000, 1182). Die Bürgschaft wurde bis zu einem Höchstbetrag in Höhe von 100.000,00 DM übernommen. Mit einer Inanspruchnahme in Höhe dieses Betrages musste auch gerechnet werden, da die Darlehenssumme sich auf 500.000,00 DM belief und der Wert der Wohnung, für die als weitere Sicherheit eine Grundschuld zugunsten der Klägerin eingetragen wurde, unstreitig bei etwa 310.000,00 DM lag (und die Wohnung mittlerweile für ca. 77.000 € versteigert wurde, wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mitgeteilt haben). Bei einem Zinssatz von 8,75 % jährlich war und ist die teilzeitbeschäftigte Beklagte, bei der beispielsweise das Bruttoeinkommen im Jahre 2000 bei 8.040 DM lag, offenbar nicht einmal zur Zahlung der Zinsen aus einer Schuldsumme von 100.000 DM in der Lage.

In der Rechtsprechung wird die Frage diskutiert, ob eine Ausnahme von der dargestellten Rechtsprechung bei Bürgschaften in relativ geringer Höhe zu machen ist. So meint das OLG Koblenz, dass auch Ehegatten ganz ohne Einkommen und Vermögen "in angemessenem Rahmen" eine Bürgschaft rechtsgültig übernehmen könnten; es ging um 50.000,00 DM (NJW-RR 2000, 639 ff.). Ähnlich äußert sich das OLG Köln (WM 2002, 1549 f.), während das OLG Celle (Urteil vom 11.12.2002, 3 O 69/02) aus Sicht des Senats zu Recht darauf hinweist, dass diese Entscheidung nicht mit der Rechtsprechung des BGH in Einklang zu bringen sein dürfte, da auch ein Schuldbetrag von 50.000,00 DM bei gänzlich fehlendem Einkommen und Vermögen zu einer ausweglosen lebenslangen Überschuldung führen kann. Zumindest bei einem Schuldbetrag wie dem hier vorliegenden von 100.000,00 DM kommt es nicht in Betracht, die absolute Höhe der Bürgschaft als so gering anzusehen, dass deswegen keine krasse Überforderung der Bürgin vorliegen könnte.

Es stellt sich weiterhin die Frage, ob etwaige Vorteile, die die Beklagte aus der Darlehensgewährung genossen hat oder vielleicht auch noch genießt, eine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigen. Im vorliegenden Fall ist es bislang ungeklärt, ob die Familie aus dem gekauften Geschäft ihre wesentlichen Einnahmen bestreitet oder aus anderer Erwerbstätigkeit des Ehemanns der Beklagten. Die tatsächlichen Verhältnisse sind insoweit undurchsichtig. Der Ehemann der Beklagten ist Geschäftsführer der Firma A... mbH; ob es sich dabei um eine Nachfolgefirma der B... GmbH handelt, für deren Geschäftsanteilekauf das Darlehen gewährt wurde, ist nicht bekannt. Ob die von der Beklagten erwähnte C... GmbH überhaupt existiert, erscheint fraglich, da eine solche Firma ist zumindest nicht im Handelsregister eingetragen ist. Eine Beweisaufnahme zu diesem Fragenkomplex durch Vernehmung des Ehemanns der Beklagten als Zeugen auf Antrag der Beklagten hat jedoch nicht zu erfolgen, da es sich nur um mittelbare Vorteile handelt.

Der BGH hat es beispielsweise als nicht ausreichend angesehen, dass mit Hilfe des den Lebenspartner gewährten Darlehens dessen Haus ausgebaut wird und der Bürge so die Möglichkeit erhielt, in Bezug auf Wohnen seinen Lebensstandard zu verbessern (NJW 2000, 1182 ff.). Generell sieht der BGH bloß mittelbare Vorteile als unbeachtlich an. Er ist der Auffassung, dass bei vom Hauptschuldner aufgenommenen Betriebsmittelkrediten es nicht zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung der Ehepartner selbständiger Unternehmer ohne Rücksicht auf ihre eigene finanzielle Leistungsfähigkeit und Berufsausbildung kommen dürfe (BGHZ 146, 37 ff., ebenso Scholz DRiZ 2003, 27 f.). Diese Rechtsprechung hat Kritik erfahren, der zuzugeben ist, dass die Kategorie mittelbarer/unmittelbarer Vorteil in diesem Zusammenhang leider wenig leistet. Diese Abgrenzung ist ein Hauptproblem der derzeitigen Rechtsprechung (Scholz DRIZ 2003, 27 f.). Dementsprechend betont das OLG Koblenz (NJW-RR 2000, 639 f.), dass grundsätzlich davon auszugehen sei, dass die einem Familienbetrieb dienende Kreditgewährung den Wünschen und Interessen beider Ehepartner entspreche, auch wenn der Betrieb nur einem Ehepartner allein gehöre, und das OLG Köln (WM 2002, 1549 f.), dass eine krasse Überforderung dadurch kompensiert werden könne, dass der Kredit dem Gewerbebetrieb zugute komme, der die wirtschaftliche Lebensgrundlage für die Beklagte und ihren Ehemann darstellte; dies sei kein Verstoß gegen die Rechtsprechung des BGH. Es stellt in der Tat einen Unterschied dar, ob der Lebensstandard der Bürgin durch den Kredit - vielleicht im Sinne des Leistens von Luxus - verbessert wird, oder ob der Kredit zur Grundlage der finanziellen Existenz der Familie wird, wie es im vorliegenden Fall in Anbetracht des Umstandes, dass mit Hilfe des Kredits ein Geschäft begonnen wurde, möglicherweise der Fall war. Diese gegenteilige Rechtsprechung hat aber auch Abgrenzungsprobleme. Der Begriff des "Familienbetriebes" ist bei Minderheitenbeteiligungen Dritter schwer zu definieren. Ebenso unklar ist, wie hoch - absolut oder prozentual gesehen - der Anteil der Einkünfte aus der Firma sein muss, um anzunehmen zu können, der Kredit zum Ankauf dieser Firma habe die Grundlage der finanziellen Existenz der Familie gelegt. Stellt man auf Letzteres ab, ergibt sich auch das Problem, dass gescheiterte darlehensfinanzierte Investitionen unter Umständen anders zu behandeln sein könnten als erfolgreiche. Auch spricht für die Rechtsprechung des BGH der Umstand, dass ein Bürge die Mittelverwendung ja nicht aktiv beeinflussen kann (sollte dies der Fall sein wie etwa bei einem Geschäftsführer, der die Bürgschaft übernimmt für einen Kredit, der der von ihm vertretenen Firma gewährt wird, stellt sich die Rechtslage nach einhelliger Rechtsprechung anders dar).

Nicht übersehen darf aber in diesem Zusammenhang der Umfang der Bürgschaft. Die Beklagte hat die zeitlich nicht begrenzte Bürgschaft übernommen "zur Sicherung aller bestehenden, künftigen und bedingten Ansprüche der Bank oder eines die Geschäftsverbindung fortsetzenden Rechtsnachfolgers der Bank gegen den Hauptschuldner... aus der Geschäftsverbindung, insbesondere

- aus laufender Rechnung und aus der Gewährung von Krediten jeder Art, Wechseln, Schecks, Lieferungen und Leistungen

- aus Bürgschaften sowie sonstige Verpflichtungserklärungen für Dritte sowie

- aus im Rahmen der üblichen Bankgeschäfte von Dritten erworbenen Forderungen, Wechseln und Schecks,

auch wenn die Sicherheit anläßlich einer bestimmten Kreditgewährung bestellt wird" (Bl. 26). Die Bürgschaft umfasst also mit dieser banküblichen Formulierung nicht nur den anläßlich des Geschäftsanteilekaufs gewährten Kredit, sondern potentiell auch weitere Verbindlichkeiten. Gerade in einem solchen Fall erscheint es aber angebracht, nicht darauf abzustellen, ob die mit Hilfe des Kredits erzielten Einnahmen auch in gewissem Umfang dem Bürgen zu Gute gekommen sind. Ein rechtlich vertretbares Interesse des Kreditgebers an einer Verpflichtung in dem vereinbarten Umfang ist nicht erkennbar (vgl. BGH MDR 1999, 106). Dies muss nach Auffassung des Senats unabhängig davon gelten, ob die zitierte Klausel zum Umfang der Bürgschaft einer Inhaltskontrolle standhält (vgl. insoweit BGHZ 126, 174ff. und 143, 95, 101, BGH NJW 1996, 924ff und 1470).

Die Rechtsprechung zur Nichtigkeit von den Bürgen krass überfordernden Bürgschaftsverträgen ist auch im Hinblick auf die mittlerweile in Kraft getretene InsO aufrechtzuerhalten.

Im Hinblick auf das Inkrafttreten der Insolvenzordnung stellt sich die Frage der rechtlichen Bewertung von den Bürgen krass überfordernde Bürgschaften neu. Die Rechtsprechung des BGH zum Bürgschaftsrecht beruht u.a. darauf, dass der Bürge vor einer lebenslangen Überschuldung geschützt werden soll. Der im neuen Insolvenzrecht verankerte Gedanke der Restschuldbefreiung führt aber gerade dazu, dass der Eintritt einer lebenslangen Überschuldung vermieden werden kann. Der BGH hat sich (NJW 2002, 744 f.) bezüglich einer am 28.7.1997 vertraglich übernommenen Bürgschaft darauf beschränkt, festzustellen, dass für diesen Bürgschaftsvertrag die am 1.1.1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung keine Bedeutung haben könne, da für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit grundsätzlich der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend ist. Auf dieser Linie liegen die Ausführungen von Nobbe und Kirchhof, die für Fälle aus der Vergangenheit die Relevanz der Insolvenzordnung leugnen, für die Zeit am dem 1.1.1999 aber ausführen: "Die Möglichkeit der Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. kann, wenn sie sich künftig allgemein als praktikabel erweisen sollte, allerdings Anlass geben, die Grenze für eine krasse finanzielle Überforderung anders festzulegen" (BKR 2001, 5, 8).

Soweit in diesem Zusammenhang eine zeitliche Differenzierung vorgenommen wird, ist dem nicht zu folgen. Die Insolvenzordnung wurde bereits im Jahre 1994 Gesetz (verkündet im Gesetzblatt vom 5.10.1994). Sie trat gemäß Artikel 110 EGInso erst am 1.1.1999 in Kraft, um den Ländern Zeit zu geben für die erforderlichen Vorbereitungsarbeiten auch im amtsgerichtlichen Bereich und die Zurverfügungstellung entsprechender Gelder. Da für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrages unstreitig eine Zukunftsprognose erforderlich ist (so auch Nobbe und Kirchhof, a.a.O., 10), muss für seit dem 5.10.1994 abgeschlossene Bürgschaftsverträge die Frage erörtert werden, ob die Möglichkeit der Restschuldbefreiung der Sittenwidrigkeit entgegensteht, es sei denn, die Laufzeit des Darlehens hätte vor dem 1.1.1999 geendet (der vorliegende Fall liegt nicht so). Da es sich bei den Darlehensverbindlichkeiten meist um langfristige Verträge handelt und die Inanspruchnahmen aus Bürgschaften regelmäßig erst Jahre nach Eingehung dieser Verpflichtung erfolgen, kann die Möglichkeit der Restschuldbefreiung als Argument bezüglich der Wirksamkeit für Bürgschaftsverpflichtung, die in der Zeit vom 5.10.1994 bis zum 31.12.1998 eingegangen worden sind, nicht ausgeschlossen werden.

Eine beachtliche Meinung vertritt die Auffassung, dass im Hinblick auf die Restschuldbefreiung die Sittenwidrigkeit der Bürgschaftsverpflichtung zu verneinen sei (Medicus JUS 1999, 833, 835, Rellermeyer WuB I F 1c-1.03, Krüger MDR 2002, 856f. m.w.N.). Diese Auffassung beruft sich auf den Geist der Vertragsfreiheit.

Die Argumente liegen auf verschiedenen Ebenen. Die Sittenwidrigkeit betrifft den Vertragsschluss. Die Restschuldbefreiung mit der sie beinhaltenden Abtretung der pfändbaren Bezüge aus einem Dienstverhältnis auf die Dauer von sechs Jahren, § 287 II InsO, kann dagegen nicht die Sittenwidrigkeit selbst beeinflussen, sondern stellt einen umständlichen, lang andauernden Weg dar, um sich ohne oder mit geringem finanziellen Aufwand weit höherer Verpflichtungen entledigen zu können. Die Restschuldbefreiung als Norm des sozialen Schutzes dient strukturell einem ganz anderen Ziel als die rechtliche Sanktion des § 138 BGB. Man kann auch sagen, dass die Restschuldbefreiung dem redlichen Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang aus einer Verschuldung auf Grund wirksamer Schuldrechtsverpflichtungen ermöglichen soll, während es auf der anderen Seite im Grunde um eine Begrenzung der Vertragsfreiheit geht, wobei der Bank regelmäßig der Vorwurf gemacht wird, den objektiven Sittenverstoss zumindest billigend in Kauf genommen zu haben. Von Bedeutung ist auch, dass auch die Pfändungsfreigrenzen der ZPO dem Schuldner das wirtschaftliche Überleben sichern, ohne dass die Rechtsprechung daraus die Schlussfolgerung gezogen hätte, dass deswegen die Bürgschaften nicht als sittenwidrig anzusehen seien (Krüger MDR 2002, 855 ff.). Unter diesen Umständen ist es aber nach Ansicht des Senats gerechtfertigt, an der Rechtsprechung zur krassen finanziellen Überforderung von Bürgen auch im Hinblick auf das Inkrafttreten der InsO und dem damit verbundenen Wegfall des Argumentes, eine lebenslange Verschuldung müsse vermieden werden, festzuhalten.

Die Klage erscheint schließlich auch nicht im Hinblick auf die - im vorliegenden Fall rein theoretische - Möglichkeit von Vermögensverschiebungen zwischen dem Darlehensnehmer und der Bürgin die Bürgschaftsverpflichtung gerechtfertigt. Die Auffassung ist vertreten worden, dass in einem solchen Fall Klagen als zur Zeit unbegründet abgewiesen werden müssten (Scholz a.a. 30). Der 11. Zivilsenat des BGH hält dies in ständiger Rechtsprechung für unzutreffend, da allein das Ziel, etwaigen Vermögensverschiebungen vorzubeugen, ein wirtschaftlich sinnloses Mithaftungsbegehren des Kreditgebers grundsätzlich nicht rechtfertigt, und es den Kreditinstituten unbenommen bleibt, in ihren Formularverträgen eine Klausel des Inhaltes aufzunehmen, dass eine Bürgschaftsverpflichtung nur für den Fall und in dem Umfang entstehe, in dem es zu Vermögensverschiebungen zwischen dem Kreditnehmer und der Bürgin kommt (MDR 2002, 1018,1019 = NJW 2002, 2228 ff.). Dem schließt sich der Senat an.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 und 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr.10 und 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, § 543 II ZPO, da die Entscheidung in allen massgeblichen Fragen zumindest im Ergebnis der Rechtsprechung des BGH entspricht.

Ende der Entscheidung

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