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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 27.04.2005
Aktenzeichen: 23 U 71/04
Rechtsgebiete: BGB, WpHG


Vorschriften:

BGB § 202
BGB § 203
BGB § 204
BGB § 294
WpHG § 37 a
Wenn in Fällen risikoreicher Papiere der Kunde über die für ihn objektiv relevanten Risiken nicht aufgeklärt wird, ist der Schaden immer schon im Moment des Erwerbes der Papiere entstanden, selbst wenn der Börsenkurs diese Risiken reflektiert, und nicht erst dann, wenn sich das Risiko realisiert, auf das nicht hingewiesen worden ist
Gründe:

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, die keiner Änderung oder Ergänzung bedürfen, wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Gegen das ihr am 1.3.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.3.2004 fristgerecht Berufung eingelegt und diese am 3.5.2003, einem Montag, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet.

Die Klägerin wendet gegen das Urteil des Landgerichts ein, dass dieses die Anforderungen an die Darlegungslast hinsichtlich einer zumindest bedingt vorsätzlichen Falschberatung übersteigert habe. Nach ihrer Auffassung sei von einer arglistigen Täuschung im Rahmen der Beratung durch den Mitarbeiter der Beklagten auszugehen mit der Folge des Nichteintritts einer Verjährung nach § 37a WpHG hinsichtlich des deliktischen Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 31, 32 WpHG.

Auch sei ein vertraglicher Anspruch entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht verjährt, weil die Beklagte den Eintritt der Verjährung nicht ausreichend dargetan habe, nämlich den Zeitpunkt der Entstehung des Schadens durch Fallen des Wertpapierkurses unter den Einstandspreis.

Darüber hinaus sei der Schadensersatzanspruch der Klägerin im Zeitpunkt der Klageeinreichung wegen des Gesichtspunkts der Hemmung aufgrund von zwischen den Parteien geführten Verhandlungen noch nicht verjährt gewesen.

Schließlich liege zudem eine nicht anlegergerechte Empfehlung der Beklagten in deren Schreiben vom 19.11.2001 vor, auf die der geltend gemachte Anspruch hilfsweise gestützt wird. Insoweit seien auch die Ausführungen des Landgerichts zum Schriftsatz vom 28.01.2004 nicht zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 3.5.2004 (Bl. 119-127 d.A.), vom 4.10.2004 (Bl. 145f d.A.) und vom 6.4.2005 (Bl. 167-169 d.A.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 6.2.2004 aufzuheben;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 35.790,43 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit 23.5.2003 Zug um Zug gegen Übertragung von 461,006 Stück Anteilen an dem Investmentfonds A Bank Aktien ... (WKN ...) zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 4.294,85 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit 23.5.2003 zu zahlen;

4. festzustellen, dass die Beklagte mit der Annahme der im Klageantrag Ziff. 1 genannten Fondsanteile in Verzug ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Landgerichts und bestreitet nach wie vor das Vorliegen eines Beratungsfehlers. Sie hält weder eine deliktische Haftung noch einen vertraglichen Schadensersatzanspruch für gegeben, zumal die Entscheidung des Ehemannes der Klägerin für die Anlage in einem Aktienfonds bereits unabhängig von dem Gespräch am 26.04.2000 gefallen gewesen sei.

Die Verjährung des geltend gemachten Anspruchs sei gegeben, da der Schaden auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin bereits bei Erwerb der angeblich ungeeigneten Papiere eingetreten gewesen sei. Eine Hemmung der Verjährung komme nicht in Betracht, weil das hierfür erforderliche Verhandeln zwischen den Parteien nicht stattgefunden habe.

Der Rat im Schreiben vom 19.11.2001 sei bereits in objektiver Hinsicht nicht fehlerhaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Beklagten wird auf die Schriftsätze vom 11.6.2004 (Bl. 131-137 d.A.) vom 17.11.2004 (Bl. 151-153 d.A.) und vom 30.3.2005 (Bl. 161f d.A.) verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet und auch ansonsten zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Es liegt kein Berufungsgrund nach § 513 ZPO vor, denn weder beruht die Entscheidung des Landgerichts auf einer Rechtsverletzung nach § 546 ZPO noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung.

Zu Recht hat das Landgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin (als Zessionarin) gegen die Beklagte wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem vom Ehemann der Klägerin (Zedent) am 26.4.2000 getätigten Kauf von Anteilen eines Aktienfonds "A Aktien ..." verneint.

Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, auf die im Einzelnen verwiesen werden kann, im Hinblick auf die am 26.4.2000 erfolgte Anlageberatung eine Verjährung nach § 194 BGB der von der Klägerin mit den Anträgen zu 1. und 2. geltend gemachten Schadensersatzansprüche (aus Vertrag, culpa in contrahendo oder deliktischer Haftung wegen Schutzgesetzverletzungen) unter Anwendung von § 37a WpHG als lex specialis angenommen.

Die insoweit vertretene Auffassung zum grundsätzlich eröffneten Anwendungsbereich des § 37a WpHG wird von der Berufung nicht angegriffen, die jedoch im Unterschied zum Landgericht vom Vorliegen eines mindestens bedingten Vorsatzes des Mitarbeiters der Beklagten hinsichtlich der angeblich fehlerhaften Beratung ausgeht mit der Folge einer fortbestehenden Haftung.

Die hierzu dargelegte Ansicht des Landgerichts, wonach die Klägerin für eine vorsätzliche Pflichtverletzung der Beklagten keine greifbaren Anhaltspunkte vorgetragen habe und im übrigen auch keine Vermutung für eine vorsätzliche Pflichtverletzung der Beklagten streite, begegnet indessen keinen Bedenken. Zur erforderlichen subjektiven Seite der Haftung hat die Klägerin nämlich weder in der Klageschrift noch den nachfolgenden Schriftsätzen substantiiert vorgetragen. Ein solcher Vortrag ist darüber hinaus auch mit der Berufungsbegründung nicht erfolgt und wäre ohnehin nach § 531 Abs. 2 ZPO mangels Vorliegens eines der dort genannten Ausnahmetatbestände auch als neues Angriffsmittel nicht zuzulassen. Selbst das Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung indiziert kein vorsätzliches Handeln des Mitarbeiters der Beklagten im Rahmen der Anlageberatung, weshalb es beim vom Landgericht festgestellten Fehlen konkreter Anhaltspunkte für ein solches vorsätzliches Handeln bleiben muss.

Soweit die Klägerin im Hinblick auf die Verjährung des vertraglichen Schadensersatzanspruchs die Auffassung vertreten hat, dass die Beklagte den Eintritt der Verjährung nicht ausreichend dargetan habe, ist ihr ebenfalls nicht zu folgen.

Das gilt bereits für ihre zunächst vorgetragene Rechtsmeinung, wonach für den Erwerber eines Wertpapiers erst dann ein Schaden entstanden sei, wenn der Wert des Wertpapiers unter den Einstandspreis gefallen sei. Es handelt sich hierbei um eine Einzelmeinung von Schwark (Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. 2004, § 37a WpHG Rn. 4), die im Widerspruch zur ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur steht. Nach dieser herrschenden Meinung ist jedoch ein Schaden bereits dann entstanden, wenn der Kunde ein Recht zur Aufhebung des Vertrages erworben hat, etwa weil die Anlage für den Zweck des Kunden nicht voll brauchbar ist, womit der Schaden hier bereits im Zeitpunkt des Erwerbs und nicht erst des tatsächlichen Kursverlustes eintritt (KG ZIP 2004, 1306; Assmann/Schneider-Koller, WpHG 3. Aufl. 2003, § 37a Rn. 7 unter Bezugnahme auf BGH ZIP 1998, 154 (158); Kritter, BKR 2004, 261). Hiernach kommt es wegen der neueren Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) darauf an, was nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen des Kunden nicht angemessen und damit als nachteilig anzusehen sei. Wenn in Fällen risikoreicher Papiere der Kunde über die für ihn objektiv relevanten Risiken nicht aufgeklärt wird, ist nach dieser Ansicht der Schaden immer schon im Moment des Erwerbes der Papiere entstanden, selbst wenn der Börsenkurs diese Risiken reflektiert, und nicht erst dann, wenn sich das Risiko realisiert, auf das nicht hingewiesen worden ist (Assmann/Schneider-Koller a.a.O.; Schäfer in: FS Schimansky, Seite 699, 710 f.). Dieses Ergebnis wird im übrigen mit der überzeugenden Erwägung begründet, dass der Anleger bereits wegen des für ihn nachteiligen Geschäftsabschlusses in seiner Vermögensdisposition beschränkt sei mit der Folge einer schadensgleichen Vermögensgefährdung und damit dem Eintritt des Schadens im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses (Schäfer a.a.O.; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 16 464 und 16 466; im Ergebnis auch Ellenberger WM 2001, Sonderbeilage 1, Seite 2 (15); LG Berlin Az.: 21 O 118/03 = NJ 2004, 275). Die Verjährungsfrist des § 37a WpHG, die auch Deliktsansprüche wegen fahrlässiger Falschberatung erfasst (KG aaO), beginnt danach unabhängig von der Kenntnis des Geschädigten mit der Entstehung des Anspruchs (ebenso Palandt-Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, § 280 Rn. 50 a), weshalb das Abstellen von Schwark (a.a.O.) auf das fehlende Bewusstsein des Anlegers hinsichtlich eines objektiven Schadens nicht zu überzeugen vermag.

Der BGH hat inzwischen mit Urteil vom 8.3.2005 (Az. XI ZR 170/04, Pressemitteilung Nr. 43/2005) die o.g. Entscheidung des KG sowohl hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist des § 37a WpHG als auch dessen Anwendbarkeit auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch wegen fahrlässiger Falschberatung und damit die oben dargelegte, vom Senat bereits in der mündlichen Verhandlung vom 2.2.2005 vertretene Auffassung bestätigt.

In Anwendung dieser herrschenden Meinung greift daher die Einwendung der Klägerin vom fehlenden Vorbringen der Beklagten zu Wertentwicklung des streitgegenständlichen Aktienfonds nicht durch, da der Schaden bereits mit Vertragsabschluss am 26.4.2000 eingetreten und somit die Verjährungsfrist mit Ablauf des 26.4.2003, also vor Klageeinreichung, verstrichen war.

Ohne Erfolg wendet sich die Klägerin auch gegen die Verneinung einer Hemmung der Verjährung nach § 203 BGB durch das Landgericht.

Die Vorschrift des § 203 BGB n.F. ist vorliegend schon wegen der Übergangsregelung des Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB nicht anwendbar.

Eine Hemmung nach den anwendbaren Bestimmungen der §§ 202-204 BGB a.F. ist offenkundig nicht gegeben.

Im Hinblick auf eine etwaige Hemmung der Verjährung aufgrund des Gebots von Treu und Glauben nach § 242 BGB wegen zwischenzeitlicher Vergleichsverhandlungen hat das Landgericht zu Recht die hierfür erforderlichen Verhandlungen vorliegend verneint unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH (NJW 1998, 2819) zur Ablehnung jeglicher Anstandspflicht durch die Gegenseite mit der Folge des Nichteintritts einer Hemmung. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 17.6.2003 (Bl. 60 d. A.) den von der Klägerin erhobenen Vorwurf einer fehlerhaften Beratung zurückgewiesen und eine eigene, abweichende Darstellung des Sachverhalts gegeben. Unter zusätzlicher Verwendung des Wortes "abschließend" hat die Beklagte daher im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung jegliche Einstandspflicht abgelehnt, womit keine Erklärung der Beklagten vorliegt, die die Klägerin zu der Annahme berechtigt haben könnte, die Beklagte lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs ein (Palandt-Heinrichs, § 203 Rn. 2). Auch aus dem Schreiben der Beklagten vom 2.7.2003 (Bl. 61 d. A.) folgt keine andere Beurteilung, denn in diesem Schreiben wurde inhaltlich in keiner Weise auf das Anliegen der Klägerin eingegangen.

Das KG (aaO) hat in einem ähnlich gelagerten Sachverhalt ebenfalls eine Hemmung im Falle der Zurückweisung des Anspruchs rechtskräftig verneint.

Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen in den Schreiben der Beklagten vom 17.6.2003 und 2.7.2003 einen Hemmungstatbestand sehen wollte, so würde dies dennoch nichts an dem Eintritt der Verjährung vor Erhebung der Klage ändern. Denn gemäß obiger Feststellung war vorliegend die Verjährung bereits mit Ablauf des 26.4.2003 eingetreten, also vor den genannten Schreiben der Beklagten, womit schon deshalb die Hemmung einer (noch laufenden) Verjährungsfrist im Sinne des § 205 BGB a.F. nicht mehr möglich war.

Schließlich führt auch das Hilfsvorbringen der Klägerin im Hinblick auf die Empfehlung der Beklagten im Schreiben vom 19.11.2001 (Bl. 15 d. A.) nicht zur Begründetheit der Berufung.

Zum einen hat sich die Klägerin insofern nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO entsprechend mit dem Urteil des Landgerichts auseinander gesetzt, das einen Anspruch hier bereits dem Grunde nach mit dem Argument verneint hat, dass dem Ehemann der Klägerin (und Zedenten) zu diesem Zeitpunkt die Risikohaftigkeit der Anlage bereits bekannt gewesen sei und er sich in Kenntnis dessen zur Fortführung der Anlage entschlossen habe, weshalb er auch das hiermit verbundene Kursrisiko tragen müsse. Diese Erwägung wird von der Berufungsbegründung nicht im Einzelnen angegriffen.

Darüber hinaus bestehen insoweit auch erhebliche Zweifel am Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung, denn die Empfehlung der Beklagten erscheint vor dem damaligen Hintergrund der außergewöhnlichen Ereignisse vom 9.11.2001 und den mit ihnen verbundenen Auswirkungen auf die Kursentwicklung im Interesse einer potentiellen Schadensminimierung durchaus als vertretbar und nicht per se fehlerhaft, gemessen an den Maßstäben einer anleger- und anlagegerechten Beratung. Diese Empfehlung kann nämlich nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss in den Kontext der im April 2000 getroffenen Anlageentscheidung und der potentiellen Kursentwicklung gestellt werden. Wenn denn dem Ehemann der Klägerin die Sicherheit der Anlageform und die Vermeidung jeglichen Kursrisikos tatsächlich so viel bedeutet hätte wie im Rechtsstreit vorgetragen, hätte er ohne weiteres entsprechende Dispositionen zum Verkauf des Aktienfonds und zur Reinvestition in Rentenfonds treffen können, was er jedoch trotz Kenntnis der Risikohaftigkeit und der stattgefundenen negativen Kursentwicklung nicht getan hat.

Die weitere, nicht abzusehende negative Entwicklung des Aktienfonds kann aber bereits aus grundsätzlichen Erwägungen über unvermeidbare Prognoserisiken bei Börsenkursen nicht der Beklagten angelastet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 ZPO).

Ende der Entscheidung

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