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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 28.03.2001
Aktenzeichen: 23 U 74/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 832
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2
Eltern haften nicht für den Exzess eines aufsichtsbedürftigen Kindes, dessen Folgen auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden wären
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

23 U 74/00

2/19 O 594/99 LG Frankfurt am Main

Verkündet am 28.3.2001

In dem Rechtsstreit ...

hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main durch die Richter ... auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7.3.2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 21.3.2000 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt 22.000,00 DM.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen einer Aufsichtspflichtverletzung in Anspruch. Die Parteien waren Nachbarn. Der seinerzeit 8-jährige Sohn der Beklagten sah dem 15-jährigen Sohn der Klägerin bei Ausbesserungsarbeiten am Verbundsteinpflaster zu. Die Klägerin bat ihren Sohn zum Schutz gegen den Lärm, der beim Festklopfen der Steine mittels Gummihammer und Holzlatte entstand, Oropax zu verwenden. Der Sohn der Beklagten bekam dies mit und besorgte dem Sohn der Klägerin daraufhin gegen den Lärm Ohrenschützer und zur Arbeitserleichterung einen schweren Eisenstampfer. Anschließend erklärte die Klägerin dem Sohn der Beklagten, der nunmehr zu erwartende Krach sei für seine Ohren schädlich und schickte ihn nach Hause. Nach Abschluß der Arbeiten kehrte der Sohn der Beklagten zur Baustelle zurück und fragte, ob er auch einmal den Eisenstampfer betätigen dürfe, was ihm die Klägerin unter Hinweis auf die Lautstärke untersagte. Gleichwohl nahm der Sohn der Beklagten unbemerkt den Eisenstampfer und ließ ihn auf ein Brett fallen. Die Klägerin hat behauptet, der dabei entstehende Knall habe bei ihr unter anderem zu einem fortdauernden Tinnitus geführt. Das Landgericht hat der Klägerin kein Schmerzensgeld zuerkannt, weil der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden wäre. Dem 8-jährigen Kind habe das Spielen im Freien ohne Aufsicht auch in einem räumlichen Bereich gestattet werden dürfen, welcher der Beklagten kein sofortiges Eingreifen ermöglichte. Selbst wenn angenommen würde, eine Aufsichtspflicht habe zumindest insoweit bestanden, als die Beklagte ihren Sohn über mögliche Gefahren bei dem Umgang mit dem Eisenstampfer hätte belehren müssen, sei ein solches Unterlassen nicht kausal, weil der Schaden auch bei Erfüllung einer derartigen Verpflichtung eingetreten wäre.

Die dagegen eingelegte Berufung ist zulässig - insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet - hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht angenommen, daß die Beklagte für die von der Klägerin vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die nach den Vorstellungen der Klägerin auf eine Verletzung der Aufsichtspflicht zurückzuführen sein sollen, nicht durch die Zahlung eines Schmerzensgeldes einstehen muß (§ 832 Abs. 1 BGB). Es ist nicht anzunehmen, daß die Beklagte die ihr als Inhaberin der Personensorge obliegende Aufsichtspflicht über ihren seinerzeit 8 Jahre alten Sohn verletzt hat. Zwar besteht grundsätzlich die Pflicht, einen Aufsichtsbedürftigen zu beobachten, zu belehren und zu leiten (OLG München, FamRZ 97, 740 [741], Palandt-Thomas, 60. Aufl., § 832 BGB, Rn. 8). Auch enthält § 832 BGB eine Beweislastumkehr, wonach vermutet wird, daß der Aufsichtspflichtige seiner Pflicht nicht genügt hat, wenn der Aufsichtsbefohlene einem Dritten widerrechtlich Schaden zufügt. Der Aufsichtspflichtige ist aber entlastet, wenn feststeht, daß er im konkreten Fall die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen getroffen hat oder feststeht, daß der Schaden auch bei gehöriger Beaufsichtigung entstanden sein würde (Palandt-Thomas, § 832 BGB, Rn. 13/14).

So liegen die Dinge auch hier. Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um Schäden Dritter durch ihr Kind zu verhindern (BGH FamRZ 64, 84 [85], BGH NJW 84, 2574 [2575], BGH VersR 93, 485 [486]). Danach war die Beklagte nicht verpflichtet, ihr zum damaligen Zeitpunkt etwa 8-jahre altes Kind auf Schritt und Tritt zu beaufsichtigen. Einem normal entwickelten Kind im Alter von 8-9 Jahren ist das Spiel im Freien ohne Aufsicht auch in einem räumlichen Bereich zu gestatten, der den Eltern ein sofortiges Eingreifen nicht ermöglicht (BGH NJW 84, 2574 [2575]). Eine ständige Beobachtung kann nicht verlangt werden (BGH FamRZ 64, 84 [85]). Von Verhaltensauffälligkeiten, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, ist nicht auszugehen. Es ist nicht ersichtlich, daß der Sohn der Beklagten vergleichbare Schäden angerichtet hat oder zu üblen Streichen neigte. Eine schwere Erziehbarkeit steht nicht in Raum. Der Hinweis der Klägerin auf seine Legasthenie sowie auf angebliche Lernschwächen und eine aggressive Reaktion, die bei einem Reizen durch andere Kinder entstehen würde, zeigt - selbst wenn die Schilderung der Klägerin als wahr unterstellt wird - kein aus dem Rahmen fallendes Verhalten. Hierbei ist besonders zu berücksichtigen, daß sich der Sohn der Beklagten - trotz seines Alters - bei den Bauarbeiten als sehr verständig erwiesen hatte. Ihm war nicht nur bewußt, daß die Klägerin bzw. ihr Sohn zunächst dazu nicht das optimale Gerät verwendet hatten, was dazu führte, daß er ihnen den Eisenstampfer übergab. Ihm war vor allem auch klar, daß die Ohren bei der Arbeit mit diesem Gerät gegen Lärm zu schützen waren. Dies wird dadurch deutlich, daß er den Sohn der Klägerin, der sich zuvor lediglich mit Oropax geschützt hatte, mit einem Ohrenschützer versorgte.

Zwar ist je nach Sachlage erforderlich, daß Eltern - verbunden mit einer entsprechenden Belehrung - das eine oder andere Verbot erteilen. Ein Verbot die Baustelle zu betreten und dort kein Gerät anzurühren (vgl. BGH FamRZ 65, 75) war unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen im vorliegenden Fall aber nicht zu verlangen. Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, daß die Beklagte auch nicht gehalten war, ihrem Kind noch einmal ausführlich zu erklären, wie gefährlich der Umgang mit Eisenstangen bzw. einem Stampfer aus Eisen ist. Es dürfte zwar im Naturell von Kindern liegen, Gegenstände aufzuheben und auf andere Dinge einzuschlagen. Der Sohn der Beklagten war sich aber über die Gefahr von lauten Geräuschen für die Gesundheit der Ohren anderer Menschen völlig im klaren. Zudem hatte ihn auch die Klägerin ermahnt, sich wegen dieser Risiken nicht in der Nähe der Arbeiten aufzuhalten und ihm noch kurz vor dem Vorfall untersagt, den Stampfer zu betätigen. Es ist daher nicht nur von der bloßen Möglichkeit, der Schaden wäre auch bei einer zusätzlichen Belehrung durch die Beklagte entstanden (vgl. Soergel-Zeuner, 11. Aufl., § 832 BG, Rn. 24, Palandt-Thomas, § 832 BGB, Rn. 14), sondern von einem Exzeß ihres Sohnes auszugehen. Der Senat ist auf der Basis des dargestellten Verhaltensmusters überzeugt, daß es auch bei der von der Klägerin geforderten weiteren Belehrung durch die Beklagte zu dem Vorfall gekommen wäre, dieser also nicht auf eine Verletzung der Aufsichtspflicht zurückzuführen ist. Da der Sohn der Beklagten um die Notwendigkeit von Ohrenschutz wußte, hätten weitere Ermahnungen nicht gefruchtet, um des schadensstiftende Verhalten zu vermeiden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Wert der Beschwer war gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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