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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 25.10.2001
Aktenzeichen: 24 U 25/00
Rechtsgebiete: StVO, StVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVO § 7 Abs. 5
StVG § 7 Abs. 2
StVG § 18 Abs. 3
StVG § 17 Abs. 1
BGB § 254
BGB § 284
BGB § 288
ZPO § 91
ZPO § 713
ZPO § 708 Ziff. 10
ZPO § 524 Abs. 4
ZPO § 546 Abs. 2
Im Rahmen der Verteilung der Haftung für einen Verkehrsunfall wird das Gewicht der bloßen Betriebsgefahr regelmäßig hinter demjenigen grob verkehrswidrigen Verhaltens (Fahren in Schlangenlinien) zurücktreten.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

24 U 25/00

Verkündet am 26.10.2001

in dem Rechtsstreit ...

Der 24. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2001 durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter gemäß § 524 Abs. 4 ZPO für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgericht Darmstadt vom 26.11.1999 abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Kläger über den erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 7.275,79 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 01.07.1996 zu zahlen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten sind mit 7.275,79 DM beschwert.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Die Beklagte sind den Klägern zum vollen Ersatz des materiellen Schadens aus dem Verkehrsunfall vom 10.02.1996 verpflichtet (§§ 7 Abs. 1 StVG, 3 Ziff. 1, 2 PflVG 1922 Abs. 1 BGB). Nachdem vorprozessual 25.000,00 DM gezahlt und mit dem angefochtenen Urteil weitere 4.103,18 DM zugesprochen wurden, stehen aus dem unstreitigen Gesamt-Sachschaden von 36.378,97 DM noch 7.275,79 DM zur Zahlung offen.

Wie das angefochtene Urteil zutreffend festhält, setzte der Beklagte zu 1) die wesentliche Unfallursache dadurch, dass er seinen Wagen in die Überholspur "treiben" ließ, dies ungeachtet dessen, dass der Sohn des Klägers dort mit höherer Geschwindigkeit heran fuhr und ­ sogar ­ bereits die Höhe des vom Beklagten zu 1) gesteuerten Wagens fast erreicht hatte (§ 7 Abs. 5 StVO). Durchweg überzeugend arbeitet das erstinstanzliche Urteil auch heraus, dass ein besonders vorsichtiger und umsichtiger Fahrer, ein "Idealfahrer" im Sinne der zu § 7 Abs. 2 StVG entwickelten Rechtsprechung, auf das sehr unsichere, objektiv grob verkehrswidrige Fahrverhalten des Beklagten zu 1) hätte aufmerksam werden und notfalls vom Versuch, zu überholen, hätte Abstand nehmen müssen.

Auch wenn damit im Grundsatz zu Lasten des Sohnes der Kläger die Voraussetzungen nicht gegeben waren, unter denen der Führer eines Kraftfahrzeuges von vornherein von jeder haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit freigestellt ist (§ 7 Abs. 2 StVG), tritt jede konkrete Verantwortlichkeit des Sohnes der Kläger doch hinter dem Gewicht des vom Beklagten zu 1) zu verantwortenden unfallursächlichen Verhaltens zurück.

Hängt die wechselseitige Verpflichtung der Unfallbeteiligten von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 1 StVG), so sind die beiderseitigen Verursachungsbeiträge in ihren Gewichten wertend gegeneinander abzuwägen.

Der "Vorwurf", der den Sohn der Kläger trifft, beschränkt sich darauf, dass er nicht jede Vorsicht und Umsicht hat walten lassen, die man von dem "idealen" Fahrer hätte erwarten können. Demgegenüber hat sich der Beklagte zu 1) ein hartnäckig grob verkehrswidriges Verhalten zu schulden kommen lassen: Ist er nämlich ­ wie im angefochtenen Urteil im einzelnen herausgearbeitet ­ über eine längere Strecke ­ und damit eine längere Zeit ­ in "Schlangenlinien" gefahren und hat er hierbei seine Fahrspur immer wieder verlassen, dann war dies nicht nur ­ wie keiner Begründung bedarf ­ für sich betrachtet grob verkehrswidrig; es muss vielmehr auch eine in einem umfassenderen Sinne grob verkehrswidrige Grundlage gehabt haben. Es lassen sich überhaupt nur drei Erklärungen für das Fahrverhalten des Beklagten zu 1) finden: Er muss entweder vorsätzlich in "Schlangenlinien" gefahren sein oder er muss völlig übermüdet gewesen sein und diese Übermüdung ignoriert haben oder er muss unter der Wirkung von Drogen - Alkohol oder anderen Substanzen ­ gestanden haben.

In der Rechtsprechung ist ausgetragen, dass die wertende Abwägung der Verursachungsanteile in der Anwendung der §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 1 StVG ebenso wie in der Anwendung des § 254 BGB neben dem äußeren gleichsam naturwissenschaftlichen Zusammenhang auch die rechtlichen Gewichte der jeweiligen Verursachungsbeiträge in den Blick nehmen muss. Wie der Vorsatz der einen Seite ein fahrlässiges Mitverschulden der anderen Seite regelmäßig zurückdrängen wird (BGHZ 98, 158), so wird das Gewicht der bloßen Betriebsgefahr, die von einem unfallbeteiligten Wagen ausgeht, regelmäßig hinter dem Gewicht grob verkehrswidrigen Verhaltens der anderen Seite zurücktreten (BGH VersR 1966, 39; 1969, 571; KG VersR 1993, 201). Aus der für die Entscheidung maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts muss das beschriebene, gleichsam in seiner gesamten Anlage grob verkehrswidrige Verhalten des Beklagten zu 1) die bloße Betriebsgefahr, die vom Wagen des Sohnes der Kläger ausging, als in der Gesamtbetrachtung letztendlich unbedeutend hinter sich zurücklassen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 284, 288 BGB, 91, 708 Ziff. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.



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