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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 02.12.2002
Aktenzeichen: 24 W 45/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 148
Zu den Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO wegen der Vorgreiflichkeit eines Verwaltungsstreitverfahrens.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

24 W 45/02

Entscheidung vom 2. Dezember 2002

in dem Rechtsstreit

Der 24. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat am 2. Dezember 2002 durch die Richter ........

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 14.06.2002 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 22.08.2002 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf 265.000,00 ?.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet; die Kammer durfte den Rechtsstreit bis zum Abschluss des Verwaltungsstreitverfahrens aussetzen.

Die Aussetzung des Zivilrechtsstreites ist eröffnet, wenn die Entscheidung des Zivilrechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Verfahrens bildet (§ 148 ZPO).

Gegenstand des anderen anhängigen Verfahrens, nämlich des Verwaltungsstreitverfahrens ist die Rechtmäßigkeit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens im Genehmigungsverfahren über das Bauvorhaben des Klägers; spiegelbildlich ist damit die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Versagung des Einvernehmens Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

Dieser Gegenstand begründet ein Rechtsverhältnis der beklagten Gemeinde zum Kläger: Unabhängig davon, dass die Erklärung der Gemeinde über die Erteilung oder Versagung des Einvernehmens lediglich ein Aktverwaltungsinterner Mitwirkung im Verfahren über den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung ist, entfaltet die Erklärung der Gemeinde doch rechtliche Auswirkungen gegenüber dem Bauwilligen.

Denn die Versagung des Einvernehmens hindert die Baugenehmigungsbehörde daran, den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung positiv zu bescheiden. Versagt die Gemeinde pflichtwidrig ihr Einvernehmen, dann folgen hieraus - für den Regelfall, dass der Bauwillige wirtschaftliche Nachteile erleidet - Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung oder Entschädigungsansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff (BGH NJW 1976, 185; VersR 1984, 849; BGH-DAT Zivil, Beschluss vom 30.10.1986, III ZR 208/85; vgl. auch BGH BRS 53 Nr. 40).

Die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu treffende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens ist zum Teil vorgreiflich für die Entscheidung im Zivilrechtsstreit; die verwaltungsgerichtliche Entscheidung wird Bindungswirkung für die Beurteilung von Tatbestandsmerkmalen entfalten, die das Zivilgericht zu berücksichtigen haben wird.

Die Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung für die Parteien des vorliegenden Zivilrechtsstreits folgt unmittelbar aus §§ 63, 121 VwGO: Der Kläger ist im Verwaltungsstreitverfahren beigeladen; damit ist er formell am Verfahren beteiligt (§ 63 Ziffer 3 VwGO). Rechtskräftige Urteile der Verwaltungsgerichte binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, u. a. die Beteiligten (§ 121 Ziffer 1 VwGO; BGHR BGB § 839 I 1 Dritter 25; VersR 1986, 372).

Diese Bindungswirkung betrifft Tatbestandsmerkmale, die das erkennende Zivilgericht - derzeit: das Landgericht - zu berücksichtigen haben wird. Denn der Kläger verlangt - teils durch Zahlungs-, teils durch Feststellungsantrag geltend gemacht - Schadensersatz wegen der von ihm als pflichtwidrig betrachteten vorläufigen Verhinderung des Ausbaus seiner Anlage. Die Rechtsauffassung des Landgerichts, dass die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die Beurteilung von Ansprüchen aus Amtshaftung oder enteignungsgleichem Eingriff wesentlich sei und solche Ansprüche im Zivilrechtsstreit zu prüfen seien, ist jedenfalls gut vertretbar; das ergibt sich unmittelbar aus den oben stehenden Ausführungen zu den Folgen rechtswidriger Versagung des Einvernehmens. Die vertretbare Einschätzung des Gerichtes, bei dem der Zivilrechtsstreit anhängig ist, ist auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens für die Anwendung des § 148 ZPO maßgeblich. Aus der Einräumung von Ermessen über die Rechtsfolge folgt eine Einschätzungsprärogative des erkennenden Gerichts in der Beurteilung der rechtlichen Voraussetzungen der Ermessensentscheidung.

Die Kammer hat auch die Grenzen des ihr in der Entscheidung über die Rechtsfolge - die Aussetzung oder Nicht-Aussetzung - eingeräumten Ermessens beachtet.

Wenn sie es für verfahrensökonomisch sinnvoll erachtet hat, die Aspekte des Falles, welche unmittelbar mit der Rechtsmäßigkeit der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens verknüpft sind, nicht gleichsam in eine zweite Reihe zu stellen hinter anderen rechtlichen Aspekten des Falles, so bewegt sich dies - aus der Sicht des Senats geradezu greifbar - im Rahmen einer verfahrensökonomisch sinnvollen Betrachtung.

Im Zivilprozess sind alle denkbaren Anspruchsgrundlagen zu prüfen; der Gegenstand des Zivilrechtsstreits wird in erster Linie bestimmt durch die Anträge und die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen. Den Prozess aufzuspalten in die Prüfung unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen zu demselben Gegenstand wird verfahrensökonomisch regelmäßig nicht sinnvoll sein; ein Teilurteil über eine von mehreren Anspruchsgrundlagen zu demselben Streitgegenstand wird ohnedies nicht in Betracht kommen.

Wenn die Kammer es nicht für angemessen erachtet, den Rechtsstreit unabhängig vom verwaltungsgerichtlichen Verfahren gleichsam auf der Suche nach einer Anspruchsgrundlage voranzutreiben, die von der Rechtsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens unberührt bleibt, dann sieht der Senat hierin nichts Sachfremdes. In der Tat würde die Kammer Gefahr laufen, nach aufwändiger Prüfung des Sachverhaltes sämtliche dieser von der Einvernehmensproblematik unabhängigen Anspruchsgrundlagen verneinen zu müssen und dann doch auf den rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungsstreitverfahrens zu warten, um die verbleibenden und dabei sehr nahe liegenden Anspruchsgrundlagen von Amtshaftung und enteignungsgleichem Eingriff prüfen zu müssen. Dann würde sich der vorläufige und angesichts der Kompliziertheit der Dinge zwangsläufig hohe Verfahrensaufwand als weitgehend sinnlos herausstellen; es wäree nicht einmal gewährleistet, dass später dieselben Richter, die sich bereits in die Sache vertieft haben, überhaupt noch entscheiden würden.

Da die Beschwerde erfolglos geblieben ist, hat der Antragsteller die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Den Wert des Beschwerdeverfahrens bemisst der Senat auf 1/3 des Wertes der Hauptsache (vgl. OLG Frankfurt am Main NJW-RR 1994, 957).

Ende der Entscheidung

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