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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 17.06.2005
Aktenzeichen: 25 U 87/02
Rechtsgebiete: ZPO, AVB-BU


Vorschriften:

ZPO § 286
AVB-BU § 2 Nr. 1
AVB-BU § 2 Nr. 2
AVB-BU § 2 Nr. 3
AVB-BU § 2 Nr. 4
AVB-BU § 2 Nr. 5
AVB-BU § 2 Nr. 6
1. Zum Streitgegenstand einer Klage auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung (Anschluss an OLG München OLGR 2004, 4).

2. Zu den Voraussetzungen, Privatgutachten als Beweismittel im Prozess zu verwerten.

3. Übertreibt der Versicherungsnehmer seine Krankheit gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen und lässt sich deswegen nicht feststellen, ob der Versicherungsnehmer zu mindestens 50 % in der Ausübung seines Berufes gehindert ist, gereicht dies dem beweispflichtigen Versicherungsnehmer zum Nachteil.


Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

Aufgrund Versicherungsantrages vom 17.11.1997 und Versicherungsschein vom 27.11.1997 verpflichtete sich die Beklagte, während der Versicherungsdauer vom 1.11.1997 bis zum 1.11.2019 für den Fall, dass der Kläger zu mindestens 50 % berufsunfähig wird, für die Dauer der Berufsunfähigkeit, längstens aber bis zum Ablauf der Vertragszeit eine Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen. Dem Versicherungsvertrag wurden die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (AVB) zugrundegelegt.

Der Kläger wurde im Jahr 1979 als Maschinenarbeiter bei der X-AG eingestellt. Im Laufe der Zeit wechselte das Arbeitsfeld des Klägers. Er war als Güteprüfer im Getriebebau, als Maschinenführer und zuletzt als Staplerfahrer tätig.

Seit dem 23.2.1999 ließ sich der Kläger fortlaufend krankschreiben. Ein Einsatzversuch im Ersatzteilzentrum im März 1999 wurde nach einem Tag abgebrochen. Sein Arbeitgeber erklärte in der Folgezeit im Jahre 2001 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus personenbedingten Gründen.

Am 8.10.1999 begehrte der Kläger gegenüber der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Am 2./4.5.2000 vereinbarten die Parteien, dass die Beklagte ohne Anerkennung einer Rechts- und Leistungspflicht für die Zeit vom 9.8.1999 bis 31.10.2000 die für den Fall einer Berufsunfähigkeit vereinbarten Versicherungsleistungen erbringt. Im Rahmen der Leistungsprüfung holte die Beklagte ein Gutachten des Orthopäden Dr. A ein, der degenerative Veränderungen der Bandscheibe im Segment L5/S1 der unteren Lendenwirbelsäule ohne bedeutsames funktionelles Defizit und ohne neurogene Störungen sowie eine diskrete Bewegungsstörung der Rechten Schulter als Folge einer Luxation diagnostizierte. Für die ausgeübte Tätigkeit bedeute dies lediglich eine Leistungsminderung in Größenordnung von 10 %.

Mit Schreiben vom 19.12.2000 lehnte die Beklagte es daraufhin ab, weitere Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zu erbringen.

Mit der am 15.6.2001 eingereichten Klage hat der Kläger u. a. geltend gemacht:

Im Frühjahr 1999 hätten die beruflichen Belastungen zu einer Gesundheitsstörung am Haltungs- und Bewegungsapparat geführt. Infolgedessen habe er die Staplertätigkeit nicht mehr ausüben können, da er weder beschwerdefrei in den Stapler ein- und aussteigen habe können noch Gewichte habe heben und tragen können. Er sei infolgedessen nicht mehr in der Lage gewesen seinen Beruf auszuüben.

Dementsprechend hätten ihm auch die Dres. B und C bescheinigt, dass er die Tätigkeit nicht mehr ausüben könne. Eine Besserung sei nicht zu erwarten. Auf einem anderen Arbeitsplatz könne er insbesondere wegen seiner Kontaktallergie nicht gesetzt werden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte an den Kläger ab dem 1.11.2000 für die Dauer seiner Berufsunfähigkeit längstens jedoch bis zum Ablauf der vertraglichen Leistungsdauer am 1.11.2019 eine Berufsunfähigkeitsrente aufgrund des zwischen den Parteien des Rechtsstreits am 27.11.1997 für den Fall einer beim Kläger eintretenden Berufsunfähigkeit geschlossenen Versicherungsvertrages, zu zahlen hat, wobei sich die Höhe der zu leistenden Berufsunfähigkeitsrente nach dem Grad der Berufsunfähigkeit des Klägers sowie den weiteren vertraglichen Vereinbarungen richtet, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.500 DM nebst Zinsen zu zahlen

sowie festzustellen,

dass er ab 1.11.2000 nicht verpflichtet ist, die auf die Berufsunfähigkeitversicherung entfallenden Beitragsanteile zu bezahlen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 22. März 2002 die Klage abgewiesen. Aus dem Gutachten des Orthopäden Dr. A vom 6.9.2000 folge, dass die vom Kläger angegebenen Störungen am Haltungs- und Bewegungsapparat nicht zu einer Berufsunfähigkeit von mehr als 50 % führten, sondern nur zu einer Beeinträchtigung von 10 %. Zwar handele sich dabei um ein von der Beklagten eingeholtes Privatgutachten. Dies mindere aber nicht den Beweiswert. Das Gutachten überzeuge vielmehr, sei sachkundig und sorgfältig erarbeitet und setze sich mit den vom Kläger eingereichten anderweitigen Berichten auseinander, während der Kläger keine substantiierten Einwendungen gegen dieses Gutachten vorgebracht habe.

Mit seiner dagegen gerichteten Berufung macht der Kläger geltend, das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft seine Entscheidung auf das Privatgutachten des Dr. A gestützt. Der erstinstanzlich gehaltene Vortrag zu den Beschwerden des Klägers genüge auch den Anforderungen an ausreichende Darlegung. Dr. A und ihm folgend das Landgericht hätten sich nicht in der gebotenen Weise mit den Befunden der Dres. D, B und C auseinandergesetzt. Auch aus einer Bescheinigung des Dr. K vom 19.3.2003 ergebe sich, dass er aufgrund wiederkehrender Kreuzdarmbeingelenk-Blockierungen und einer Knieinstabilität nicht in der Lage sei, mehr als 3 Stunden pro Tag als Staplerfahrer eingesetzt zu werden. Auf Vergleichstätigkeiten als Anlagen- und Güteprüfer könne er nicht verwiesen werden.

Der Kläger beantragt zuletzt unter teilweiser Klageerweiterung,

festzustellen, dass die Beklagte an ihn ab 1. Januar 2002 für die Dauer seiner Berufsunfähigkeit, längstens jedoch bis zum Ablauf der vertraglichen Leistungsdauer am 1. November 2019 auf Grund des zwischen den Parteien am 27.11.1997 geschlossenen Versicherungsvertrages zu zahlen hat;

ferner die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.895,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen und festzustellen, dass er ab 1.11.2000 nicht verpflichtet ist, die auf die Berufsunfähigkeitsversicherung entfallenden Beitragsanteile zu zahlen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens des Oberarztes Dr. E und eines neurologisch-psychatrischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin, Psychatrie und Psychologie Dr. F.

Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

1. Die unbedenklich zulässige, insbesondere statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und innerhalb der gesetzlichen Frist mit Begründung versehene Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

2. Streitgegenstand bleibt auch in der Berufungsinstanz der Leistungsantrag des Klägers vom 8.10.1999 mit dem dort angegebenen Beschwerdebild. Soweit davon unabhängig sich beim Kläger eine Depression entwickelt haben könnte, ist deren Einfluß nur insoweit von Bedeutung für die Beurteilung des Falles, als die Beschwerden, die der Kläger zur Begründung seiner Berufsunfähigkeit anführt, gerade auch auf dieser Depression beruhen. Soweit sie eine selbständige neue Erkrankung ist, hat sie in der Berufungsinstanz demgegenüber unberücksichtigt zu bleiben (OLG München, OLGR 2004, 4).

3. Mit diesem Inhalt bestehen Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage nicht (mehr). Insbesondere ist der Kläger nicht gezwungen, anstelle der Feststellungsklage Klage gegen den Versicherer auf künftige Leistungen zu erheben (vgl. BGH, NJW 1999, 3774 f.).

4. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Allerdings beanstandet der Kläger zutreffend das landgerichtliche Verfahren. Das Verfahren hat durch die Verwertung des Privatgutachtens des Dr. A als Sachverständigengutachten § 286 ZPO verletzt. Zwar kann ein Privatgutachten die Erhebung des Sachverständigenbeweises entbehrlich machen, wenn der Tatrichter es ohne Rechtsfehler zur zuverlässigen Beantwortung der Beweisfrage für ausreichend halten darf (BGH, VersR 1987, 1007 f.) Indes darf das Gericht bereits dann, wenn beide Parteien sachkundige Stellungnahmen in den Prozeß einführen, nicht ohne besondere Begründung einer der Stellungnahmen den Vorzug geben. Als Sachverständigengutachten im Sinne eines Beweismittels kann ein Privatgutachten nur mit Zustimmung beider Parteien herangezogen werden (BGH, MDR 1997, 880; NJW 1993, 2382; NJW 1986, 3077, 3079). Eine solche Zustimmung fehlt offensichtlich auf Seiten des Klägers. Die Beweisfrage zu Lasten des Beweisführers mit einem von der Gegenseite (!) vorgelegten Privatgutachten als hinreichend beantwortet zu sehen, lässt sich in nachvollziehbarer Weise nicht begründen. Es gehört gerade zur Aufgabe des Gerichts im Falle eines solchen widerstreitenden, mit Privatgutachten besonders substantiierten Sachvortrages die Klärung der fachlich streitigen Frage mit Hilfe eines gerichtlichen Gutachtens herbeizuführen, wenn es keine eigene Sachkunde besitzt (OLG Naumburg, OLGR 2001, 249 f.).

5. Der Verfahrensfehler führt indes nicht zum Erfolg der Klage, weil die danach vorzunehmende ergänzende Beweisaufnahme dem Gericht keine hinreichende Überzeugung zu verschaffen vermochte, dass der Kläger den Versicherungsbedingungen gemäß zu mehr als 50 % berufsunfähig ist.

a) Die vereinbarte Versicherungsleistung für den Fall der Berufsunfähigkeit hätte die Beklagte nach dem Versicherungsvertrag i. V. m. mit den AVB zu erbringen, wenn der Kläger zu mindestens 50 % berufsunfähig im Sinne von § 2 Nrn. 1 bis 6 AVB-BU geworden wäre. Danach liegt die Berufsunfähigkeit nur vor, wenn und solange die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich ununterbrochen außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung und aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.

Eine solche Einschränkung zu mehr als 50 % ist nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit festzustellen.

b) Nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. E und Dr. F liegt beim Kläger ein chronisches somatoformes Schmerzsyndrom vor, das in der Gesamtheit der Beschwerden dem Kläger nicht mehr als 50 % der Berufsfähigkeit nimmt. In orthopädischer Hinsicht besteht nur eine sehr geringfügige Einschränkung, wie sich aus dem schlüssigen und überzeugend begründeten Gutachten des Sachverständigen Dr. E ergibt (wird ausgeführt).

c) In psychiatrisch-psychosomatischer Hinsicht überzeugt die Beurteilung durch Dr. F, dass auch unter Berücksichtigung der psychischen Erkrankung des Klägers insgesamt keine über 50 % hinausgehende Einschränkung der Berufsfähigkeit vorliegt. Dabei hindern insbesondere schon die vom Sachverständigen Dr. F festgestellten Aggravationstendenzen des Klägers das Gericht daran, eine hinreichend sichere Überzeugung von einem bestimmten tatsächlich vorliegenden Grad der Berufsunfähigkeit zu gewinnen. Der Anteil dieser Übertreibung konnte vom Sachverständigen nicht genau bestimmt werden, so dass im Falle voller Berücksichtigung der depressiven Tendenzen eine Überzeugungsbildung zugunsten des Klägers ausgeschlossen wäre. Differenziert man - wie erforderlich - danach, ob die Depressivität eine eigenständige, bisher nicht Gegenstand der Leistungsprüfung gewesene Erkrankung ist bzw. ob sie im Zusammenhang mit den Beschwerden zu sehen ist, die Gegenstand des zu beurteilenden Leistungsantrages sind, kommt erst recht keine Überzeugungsbildung in Betracht, dass der Kläger zu mehr als 50 % in der Ausübung seines Berufes behindert ist (wird ausgeführt).

Die Zweifel, ob die Berufsunfähigkeit des Klägers über 50 % liegt, gereichen ihm zum prozessualen Nachteil, so dass die Berufung im Ergebnis keinen Erfolg haben konnte.

Ende der Entscheidung

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