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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 02.11.2006
Aktenzeichen: 25 W 86/06
Rechtsgebiete: GVG, SGG


Vorschriften:

GVG § 17 a
SGG § 51
Zur Bestimmung des Rechtsweges bei einer Klage einer gesetzlichen Krankenkasse wegen nicht entrichteter Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach Insolvenz der Beitragsschuldnerin.
Gründe:

I.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Bei ihr waren in der Zeit vom 1.4.1997 bis 31.5.1997 Mitarbeiter der A GmbH krankenversichert. Über das Vermögen dieser GmbH wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 1.9.1997 das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 5.11.1997 meldete die Klägerin beim Beklagten von der Gemeinschuldnerin für die Monate April und Mai 1997 nicht entrichtete Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie Säumniszuschläge und Mahngebühren in Höhe von insgesamt 6.516,20 € (12.744,59 DM gemäß Substantiierung Blatt 3 der Klageschrift) als Masseschuld an. Weil die Masseanmeldung nicht in das Masseverzeichnis aufgenommen wurde, fand die Schlussverteilung ohne Berücksichtigung der Anmeldung der Klägerin statt. Aufgrund Nachfragen der Klägerin teilte der Beklagte ihr mit Schreiben vom 18.7.2005 unter anderem mit, die Masse reiche für eine Bedienung nicht aus, nachdem die Schlussverteilung bereits vollzogen worden sei.

Mit der im Januar 2006 beim Landgericht Kassel eingereichten und im Februar 2006 zugestellten Klage verlangt die Klägerin vom Beklagten persönlich Schadensersatz in Höhe von 6.516,20 € mit der Begründung, der Beklagte hafte ihr gemäß § 82 KO sowie aus § 823 Abs. 1 BGB (gemeint wohl: § 823 Abs. 2 BGB) auf Schadensersatz, weil er pflichtwidrig die angemeldete Masseverbindlichkeit nicht befriedigt habe.

Der Beklagte hat vorab die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs gerügt. Er ist der Auffassung, für die Klage sei die Sozialgerichtsbarkeit zuständig, weil es sich um einen Streit über eine Beitragsschuld handele.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht gemäß § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG den beschrittenen Rechtsweg für zulässig erklärt. Gegen diesen Beschluss, der dem Beklagten am 20.7.2006 zugestellt wurde, richtet sich die am 2.8.2006 eingelegte sofortige Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Der Beklagte meint, gemäß § 51 SGG sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben, weil es sich in der Sache um ein Streit über eine Sozialversicherungsbeitragsschuld handele. Insbesondere gehe es um die Frage, ob der Masseschuldcharakter von Sozialversicherungsbeiträgen durch Beitragsbescheid gegen den Konkursverwalter festgestellt werden müsse oder nicht. An der Rechtsnatur des Klagebegehrens ändere sich nichts dadurch, dass die Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen einer Haftung nach § 82 KO geltend gemacht würden. Den Konkursverwalter treffe nämlich auf konkursrechtlicher Grundlage einer Einstandspflicht, die mit der gesellschaftsrechtlichen Durchgriffshaftung vergleichbar sei.

II.

Die nach § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG statthafte und auch im Übrigen gemäß §§ 567 ff. ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg; denn die angefochtene Entscheidung ist richtig.

Zuständig für die von der Klägerin erhobene Leistungsklage sind gemäß § 13 GVG die ordentlichen Gerichte (Zivilgerichte); die Streitigkeit fällt entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung nicht in die gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG begründete Sonderzuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit. Nach § 51 Abs. Nr. 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zwar unter anderem über Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Um eine solche Streitigkeit handelt es sich aber vorliegend deshalb nicht, weil es nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung geht, insbesondere keine Ansprüche auf Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen streitbefangen sind.

Maßgebend für den Rechtsweg ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH NJW 1984,1622 ff.; 1978, 2091 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen) die Rechtsnatur des erhobenen Anspruchs, wie sie sich aus dem tatsächlichen Vorbringen der klagenden Partei ergibt. Grundlage der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist der Sachvortrag des Klägers (vgl. BGHZ 72, 56, 57 m.w.N.), da er über den Streitgegenstand bestimmt. Die Einwendungen des Beklagten sind daher unbeachtlich, es kommt mithin nicht darauf an, ob sie sich aus bürgerlich-rechtlichen oder aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben (vgl. BGH a.a.O.; NJW 1985, 2820 m.w.N.; Zöller/Gummer, GVG 25. Auflage, vor §§ 17 bis 17 b Rn. 8; § 13 Rn. 11). Stellt sich der Klageanspruch nach der vom Kläger gegebenen tatsächlichen Begründung als Folge eines Sachverhalts dar, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, so ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet (vgl. BGH a.a.O.).

So liegt der Fall hier.

Die Klägerin will unter Berufung auf § 82 KO sowie § 823 Abs. 1 BGB den Schaden ersetzt haben, der ihr nach ihrem Vortrag der Beklagte dadurch zugefügt hat, dass er entgegen der ihm als Konkursverwalter nach der Konkursordnung obliegenden Verpflichtung es fahrlässig (versehentlich) unterlassen habe, die von ihr mit Schreiben vom 5.11.1997 angemeldeten Masseschulden in die Masseliste aufzunehmen, weil ihre Anmeldung vom Beklagten beziehungsweise dessen Leuten verlegt worden sei. Dieser Anspruch auf Ersatz des der Klägerin entstandenen Vermögensschadens ist nicht etwa, wie der Beklagte zu meinen scheint, ein lediglich in das Gewand eines bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzanspruches eingekleideter Anspruch auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, er ist vielmehr seiner Natur nach dem bürgerlichen Recht zugeordnet. Anders wäre es nur, wenn der Beklagte nach dem maßgebenden Sozialversicherungsrecht selbst Schuldner der nicht in die Masseliste aufgenommenen Beitragsforderungen wäre oder wenn er nach den maßgeblichen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen jedenfalls neben der früheren Arbeitgeberin = Gemeinschuldnerin für die Beitragsschuld haftbar wäre (vgl. BGH, Versicherungsrecht 1962, 24, 25 m.w.N.; 1975,739 m.w.N.). Das ist indes nicht der Fall, zumal die nicht in die Masseliste aufgenommenen Beitragsforderungen auch nicht durch den Beklagten als Konkursverwalter, etwa infolge der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach Eröffnung des Konkursverfahrens, begründet worden sind, sondern aus der Zeit vor Konkurseröffnung stammen. Um eine sozialversicherungsrechtliche Streitigkeit mit der Folge der Zuständigkeit der Sozialgerichte gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 SGG könnte es sich bei dieser Sachlage nur dann handeln, wenn die Vorschriften, die zur Klärung der nach dem Vortrag des Klägers zwischen den Parteien streitigen Rechtsfragen heranzuziehen und auszulegen sind, im Sozialgesetzbuch geregelt sind (vgl. BSG vom 9.2.2006, SozR 4-1500 § 51 Nr. 2). Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Klägerin macht nach ihrem Sachvortrag nämlich Ansprüche aus § 82 KO mit der Begründung geltend, der Beklagte habe ihm als Konkursverwalter ihr gegenüber als Massegläubigerin obliegenden Verpflichtungen verletzt, worin sie zugleich eine ihr gegenüber begangene unerlaubte Handlung sieht. Die Frage der Entstehung der nicht in die Masseliste aufgenommenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge gegenüber der Gemeinschuldnerin ist demgegenüber unstreitig. Eine Frage des bürgerlichen Rechts und nicht des Sozialversicherungsrechts ist auch, ob die Ansprüche ordnungsgemäß angemeldet worden sind; denn davon hängt möglicherweise ab, ob die dem Beklagten von der Klägerin angelastete Pflichtwidrigkeit ursächlich für den von der Klägerin ersetzt verlangten Schaden geworden ist. In welcher Weise Masseschulden anzumelden sind, um eine Verpflichtung des Konkursverwalters zu deren Aufnahme in die Masseliste zu begründen, ist ebenfalls eine Frage des Konkursrechts und damit des bürgerlichen Rechts und nicht etwa des Sozialversicherungsrechts. Nach allem ist für die Beurteilung der vorliegend in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu klärenden Fragen auch nicht etwa eine besondere Sachnähe der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. Im Gegenteil spricht der Gesichtspunkt der Sachnähe im vorliegenden Fall dafür, es bei der allgemeinen Zuständigkeitszuweisung an die Zivilgerichtsbarkeit nach § 13 GVG zu belassen; denn die Zivilgerichte sind in erster Linie zur Beurteilung der Berechtigung von Ansprüchen aus Delikt und aus § 82 Konkursordnung berufen (vgl. BSG a.a.O.).

Auch der vom Beklagten angeführte Umstand, dass in Fällen der so genannten Durchgriffshaftung (insbesondere gegen Alleingesellschafter von Kapitalgesellschaften) wegen der von der Gesellschaft geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge die Sozialgerichte zuständig sind (vgl. BGH NJW 1972,1237 m.w.N.), vermag an der vorgenommenen Beurteilung nichts zu ändern. Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine Durchgriffshaftung gegen den Beklagten oder eine dieser Fallgestaltung gleich gelagerte Konstellation; denn die Voraussetzungen für einen Durchgriff gegenüber dem Beklagten sind schon deswegen nicht gegeben, weil die in Rede stehenden Sozialversicherungsbeiträge nicht durch ihm zurechenbare Rechtshandlungen, sondern bereits vor seiner Bestellung zum Konkursverwalter begründet worden sind. Aus diesem Grunde ist auch die vom Beklagten angeführte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9.7.2003 (ZIP 2003,1617 ff.), die sich im Übrigen in erster Linie mit der Frage der Rechtsnachfolge im Sinn des § 3 ArbGG auseinandersetzt, für die Auffassung, es handele sich um eine vor die Sozialgerichte gehörende Rechtsstreitigkeit, nicht nutzbar zu machen; denn in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall waren die vom Kläger gegenüber dem Insolvenzverwalter persönlich geltend gemachten Vergütungsansprüche durch von ihm nach Eröffnung des Konkursverfahrens abgeschlossene Arbeitsverträge begründet worden.

Da die sofortige Beschwerde nach allem keinen Erfolg hat, muss der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines Rechtsmittels tragen. Der Gegenstandswert der Beschwerde wird im Hinblick auf das geschätzte Interesse des Beklagten an einer Entscheidung durch das Sozialgericht statt durch das Landgericht gemäß § 34 Abs. 1 GKG, Ziffer 3 ZPO auf etwa 25 % des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs, mithin gerundet auf 1800 € geschätzt.

Die weitere Beschwerde konnte nicht zugelassen werden; denn die Voraussetzungen des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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