Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 21.10.2001
Aktenzeichen: 3 Ss 287/01
Rechtsgebiete: StPO, StVG, OWiG, StGB, StrEG, BGB


Vorschriften:

StPO § 265
StPO § 473 Abs. 3
StPO § 465 Abs. 1
StPO § 465 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StVG § 24 a
StVG § 25 Abs. 1
StVG § 24 a Abs. 2
StVG § 24 a Abs. 3
StVG § 26 Abs. 3
OWiG § 79 Abs. 6
OWiG § 82 Abs. 1
OWiG § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
OWiG § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 15
OWiG § 33 Abs. 3 S. 3
StGB § 316
StGB § 316 Abs. 1
StGB § 316 Abs. 2
StGB § 78 Abs. 3 Nr. 5
StrEG § 8 Abs. 1
StrEG § 4 Abs. 1
StrEG § 4 Abs. 2
StrEG § 5 Abs. 2
BGB § 276
BGB § 277
Zu den Voraussetzungen der Annahme der Fahruntüchtigkeit aufgrund Betäubungsmittelkonsums (Haschisch).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN Beschluß

3 Ss 287/01

Verkündet am 22.10.2001

In der Strafsache

gegen ...

wegen Verdachts des fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges trotz rauschmittelbedingter Fahruntüchtigkeit,

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 18. Juli 2001 am 22. Oktober 2001 gem. § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Unter Verwerfung der weitergehenden Revision wird das angefochtene Urteil im Schuld- und Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, daß der Angeklagte wegen einer Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels zu einer Geldbuße von 500 DM verurteilt wird. Ferner wird gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt.

Die Kosten der ersten Instanz und die insoweit entstanden notwendigen Auslagen des Angeklagten bleiben diesem auferlegt.

Die Kosten der Revision und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Es wird festgestellt, daß dem Angeklagten eine Entschädigung für die erlittene vorläufige Sicherstellung und Entziehung seiner Fahrerlaubnis nicht gewährt wird.

Angewandte Vorschriften: §§ 24 a Abs. 2, 3; 25 Abs. 1 StVG.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 18.7.2001 wegen fahrlässigen Führen eines Kraftfahrzeuges trotz rauschmittelbedingter Fahruntüchtigkeit zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 DM verurteilt. Ferner wurde seine Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und hinsichtlich der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eine Sperrfrist von 8 Monaten festgesetzt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese in gleicher Weise mit der Sachrüge begründet.

Unverzüglich nach Vorlage der Revision durch die Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat mit Beschluß vom 5. Oktober 2001 die durch Beschluß des Amtsgerichts vom 22.2.2001 angeordnete vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben und die Rücksendung des Führerscheins an den Angeklagten veranlaßt.

Die Revision des Angeklagten führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Schuld- und Rechtsfolgenausspruch.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen einer Straftat nach § 316 Abs. 1, 2 StGB kann keinen Bestand haben. Hierzu hat die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht in ihrer Stellungnahme vom 20.9.2001 ausgeführt: Nach den vom Amtsgericht vollständig und ohne erkennbaren Rechtsfehler getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte jedoch am Tattage einen PKW im Straßenverkehr geführt, obwohl er unter den Wirkungen des zuvor konsumierten Cannabisproduktes stand und hat hierbei fahrlässig gehandelt. Er hat sich mithin einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2, 3 StVG schuldig gemacht. Da von einer neuen Hauptverhandlung keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen zu erwarten sind, entscheidet der Senat nach §§ 82 Abs. 1, 79 Abs. 6 OWiG (vgl. hierzu Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 82 Rn. 16; OLG Düsseldorf, NZV 1999, 174) selbst. Denn während des gesamten Strafverfahrens ­ also auch in der Revisionsinstanz (vgl. Göhler aaO) - ist nach § 82 Abs. 1 OWiG die Würdigung einer festgestellten Tat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Ordnungswidrigkeit möglich und geboten. An einer Durchentscheidung ist der Senat auch nicht durch die Vorschrift des § 265 StPO gehindert. Bei der Vorschrift des § 24 a StVG handelt es sich nämlich um einen sogenannten unechten Mischtatbestand, weil die Einordnung des Verhaltens des Täters als Straftat lediglich von der Erfüllung eines zusätzlichen Tatbestandsmerkmals, nämlich der (relativen) Fahruntüchtigkeit abhängt (vgl. hierzu Göhler, vor § 1 Rn. 36). Will das Gericht in einem solchen Falle wegen der Ordnungswidrigkeit statt der Straftat verurteilen, bedarf es eines Hinweises nach § 265 StPO nicht (vgl. Göhler, § 82 Rn. 16; v. Steindorf, in: KK-OWiG, 2. Aufl., § 82 Rn. 17). Überdies ist ein Hinweis vorliegend schon deswegen entbehrlich, weil der Angeklagte sich gegen die Ordnungswidrigkeit ersichtlich nicht anders als geschehen verteidigen kann (vgl. Göhler, § 79 Rn. 45 d) und ­ wie aus seiner Erwiderungsschrift vom 15.10.2001 ersichtlich ­ auch nicht anders verteidigen will.

Verjährung der Ordnungswidrigkeit ist nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist beträgt gem. § 31 Abs. 2 Nr. 3 ein Jahr, da die Sondervorschrift des § 26 Abs. 3 StVG nur für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG gilt. Die Verjährung wurde rechtzeitig durch Beauftragung des Sachverständigen am 14.9.2000 gem. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG sowie durch Erlaß des Strafbefehls am 22.2.2001 gem. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 15 OWiG unterbrochen. Absolute Verjährung nach § 33 Abs. 3 S. 3 OWiG i.V.m. §§ 78 Abs. 3 Nr. 5; 316 StGB liegt nicht vor.

Nach der Bußgeldkatalogverordnung sind für Verstöße nach § 24 a Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 3 StVG eine Regelgeldbuße von 500 DM und ein Fahrverbot von einem Monat vorgesehen. Die insoweit noch ausreichenden Urteilsfeststellungen lassen erkennen, daß zum Abweichen hiervon beim Angeklagten keinerlei Anlaß besteht. Das festgesetzte Fahrverbot hat jedoch nur noch deklaratorische Bedeutung, da es durch die gebotene Anrechnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bereits verbüßt ist (§ 51 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 StGB).

Die Kosten der Revision und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen waren der Staatskasse aufzuerlegen, § 473 Abs. 3 StPO. Denn das Revisionsvorbringen läßt sich ­ auch mit Blick auf die Erwiderung der Verteidigung vom 15.10.2001 auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht ­ dahin auslegen, daß der Angeklagte mit seiner Revision nur das Ziel verfolgte, nicht wegen einer Straftat, sondern allenfalls wegen einer Ordnungswidrigkeit verurteilt zu werden. Da eine Rechtsmittelbeschränkung aus Rechtsgründen ausschied (sie ist nicht möglich, um eine Verurteilung wegen derselben Tat nur aufgrund einer milderen Vorschrift zu erreichen, vgl. OLG Düsseldorf, JR 1991, 120), erscheint es gerechtfertigt, einen vollen Erfolg des Rechtsmittels i.S.d. § 473 Abs. 3 StPO anzunehmen (vgl. hierzu BGHSt 19, 226, 229; KG bei Kotz, NStZ-RR 1999, 168; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 473 Rn. 22 m.w.N.). Hingegen hat der Angeklagte die Kosten der ersten Instanz zu tragen. § 473 Abs. 3 StPO ist insoweit nicht anwendbar, da es sich beim Einspruch nicht um ein Rechtsmittel im Sinne dieser Vorschrift handelt (Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 473 Rn. 1 m.w.N.). Vielmehr gilt § 465 Abs. 1 StPO. Da die Kosten wegen der Tat im prozessualen Sinne entstanden sind, wegen derer der Angeklagte verurteilt bleibt, muß er diese Kosten tragen. Daß die Verurteilung weniger schwer wiegt als der ursprüngliche Tatvorwurf (Straftat nach §§ 316 Abs. 2; 2 StGB), und über die Milderung des Schuldvorwurfes (Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG) erst in der Revisionsinstanz entschieden wurde, ist für die Anwendung des § 465 Abs. 1 ohne Bedeutung und rechtfertigt auch keine Ausnahmeentscheidung nach § 465 Abs. 2 StPO (vgl. BGH, NStZ 1982, 80; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 465 Rn. 7).

Eine Entschädigung für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, über die der Senat nach § 8 Abs. 1 StrEG zu entscheiden hatte, war dem Angeklagten nicht zu gewähren. Eine Entschädigung kommt nur nach § 4 Abs. 1 und Abs. 2 StrEG in Betracht. Eine Entschädigung ist aber nach der vorrangigen (vgl. Senat, Beschl. v. 26.7.1995 ­ 3 Ws 475/95) Vorschrift des § 5 Abs. 2 StEG ausgeschlossen, wenn und soweit der Angeklagte die Entziehung seiner Fahrerlaubnis grob fahrlässig verursacht hat. Aus Billigkeitsgründen ist sie zu versagen, wenn der Angeklagte schuldhaft (einfache Fahrlässigkeit) den dringenden Verdacht der weitergehenden Straftat (§ 316 Abs. 1, 2 StGB), die die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigen würde (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB), verursacht hat (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 5 StR Rn. 5; OLG Düsseldorf, NStZ 1989, 232; vgl. auch BayObLG, NJW 1994, 24, 27). Vorliegend ist bereits der Ausschlußgrund des § 5 Abs. 2 StrEG gegeben. Der Angeklagte hat die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis grob fahrlässig verursacht.

Der Begriff des Verschuldens im Sinne dieser Vorschrift ist nicht strafrechtlich, sondern ausschließlich im Sinne des Zivilrechts entsprechend den §§ 276, 277 BGB zu verstehen, so daß grob fahrlässig der handelt, der in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer acht läßt, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor Schaden durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu schützen (ständ. Rspr. d. Senats, z.B. Beschl. v. 26.7.1995 ­ 3 Ws 475/95 m.w.N.). Der Genuß von Cannabisprodukten hat Auswirkungen, die in vielen Fällen ­ was die Beeinträchtigung der intellektuellen und motorischen Fähigkeiten, nämlich plötzlich einschießende Wahrnehmungsveränderungen und Orientierungsstörungen, die vielfach zu unmotivierten Verhaltensweisen im Straßenverkehr führen, betrifft - mit denen des Alkohols zu vergleichen sind und jedenfalls Personen, die ­ wie der Angeklagte ­ häufiger zu dieser illegalen Droge greifen, bekannt sind. Wer daher, wie hier der Angeklagte, in so engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Konsum von Haschisch im Verkehr ein Fahrzeug führt, daß in einer von ihm entnommenen Blutprobe THC im Vollblut ­ zudem in einer so hohen Konzentration wie der vorliegend festgestellten - nachgewiesen werden kann, hat eine darauf gestützte vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis grob fahrlässig verursacht (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1994, 490; BayObLG, NJW 1994, 2427; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 5 StrEG Rn. 12; siehe auch BGHR § 5 StrEG ­ Fahrlässigkeit, grobe).

Der Zurechnungszusammenhang zwischen dem grob fahrlässigen Verhalten des Angeklagten und der vorläufigen Entziehung seiner Fahrerlaubnis bestand bis zur Aufhebung des sie anordnenden Beschlusses durch den Senat, so daß die gesamte Dauer der (überschießenden) vorläufigen Maßregel entschädigungslos bleibt.

Zwar entsprach der Sachstand bei Anordnung der Maßnahme und deren Aufrechterhaltung (Verwerfung der dagegen gerichteten Beschwerde durch das Landgericht) im wesentlichen bereits demjenigen nach Schluß der mündlichen Verhandlung und ist der Senat lediglich aufgrund einer anderen rechtlichen Bewertung dieses Sachstandes zu dem Ergebnis gelangt, daß dem Angeklagten lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG zur Last zu legen ist. Diese rechtliche Wertung wirkt aber auf die vorangegangenen Zeitpunkte der Anordnung, Aufrechterhaltung der Maßnahme und Urteilsfällung durch das Amtsgericht nicht zurück (vgl. Senat, Beschl. v. 17.6.1992 ­ 3 Ws 41/92; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 5 StrEG Rn. 10 m.w.Rspr.N.). Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs läge vielmehr nur vor, wenn die Anordnung und Aufrechterhaltung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis sich als grob fehlerhaft darstellen würde, mithin sich die rechtliche Beurteilung als schlechterdings unvertretbar erweisen würde (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner ebenda; Senat aaO; Senat, Beschl. v. 26.7.1995 ­ 3 Ws 475/95 ­ j.m.w.N.). Dies ist trotz der seitens der Verteidigung bereits frühzeitig erfolgten Hinweise auf die grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht der Fall.

Wie sich aus den obigen, die Ausführungen der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht ergänzenden Bemerkungen des Senats ergibt, focusierte sich die rechtliche Problematik auch für das Amts- und für das Beschwerdegericht auf die Frage, ob eine Katalogstat des § 69 StGB vorlag und mithin darauf, ob die von der Polizei festgestellten Auffälligkeiten" im Verhalten des Angeklagten bei der Anhaltesituation ausreichten, um hieraus dessen Fahruntüchtigkeit herzuleiten. Insoweit hat der Bundesgerichtshof zwar ausgeführt, daß die durch den Konsum illegaler Drogen bedingte Störung fahrrelevanter Einzelleistungen (z.B. die durch eine Pupillenverengung verursachte Sehbehinderung) als solche noch nicht ausreicht, um die Fahruntüchtigkeit beweiskräftig festzustellen, sondern daß es auf den Nachweis der Beeinträchtigung der Gesamtleistungsfähigkeit (schwerwiegende Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit) ankommt. Mit Blick auf die in der Vergangenheit durchaus gegenläufige Interpretation des damit eröffneten Beurteilungsspielraums (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1999, 174 einerseits und BayObLG, NZV 1996, 127 andererseits) führte der vom Senat festgestellte Bewertungsfehler des Amts- und des Beschwerdegerichts jedenfalls nicht zu schlechthin unvertretbaren Ergebnis. Dies gilt um so mehr als Toxikologen und Rechtsmediziner ­ so auch der Amtsgericht herangezogene Sachverständige- dazu neigen, eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit bereits bei den typischen, am Körper eines Drogenkonsumenten im Anschluß an den Konsum zu beobachtenden Veränderungen und Leistungsausfällen anzunehmen (vgl. hierzu Mettke, NZV 2000, 199, 202). Der von daher nach wie vor offene Diskussionsstand läßt überdies eine tatgerichtliche Abweichung von der BGH-Entscheidung sogar durchaus als vertretbar erscheinen.

Ende der Entscheidung

Zurück