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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 13.09.2001
Aktenzeichen: 3 U 99/00
Rechtsgebiete: VOB/B, BGB, ZPO


Vorschriften:

VOB/B § 13 Nr. 7 Abs. 2
BGB § 242
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Zu den Voraussetzungen der Inanspruchnahme aufgrund einer Bürgschaft auf erste Anforderung, insbesondere zur Dokumentationsstrenge und Effektivklausel.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 99/00

Verkündet am 13.09.2001

In dem Rechtsstreit ...

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.08.2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Streithelferin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.04.2000 wird zurückgewiesen.

Die Streithelferin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Streithelferin kann die Vollstreckung des Klägers wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 12.500,-- DM abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die jeweilige Sicherheit kann auch durch schriftliche selbstschuldnerische, unbefristete, unbedingte und unwiderrufliche Bürgschaft eines als Zoll- oder Steuerbürge zugelassenen inländischen Kreditinstitutes erbracht werden.

Der Wert der Beschwer beträgt 500.000,-- DM.

Tatbestand:

Der Kläger beauftragte am 26./27.10.1995 die Streithelferin, die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten ist, mit der Planung und Herstellung der Verfahrenstechnik der Biomüllvergärungsanlage in K. (s. Bauvertrag Bl. 10 f.). Am 29.10.1998 erfolgte die Unterzeichnung des Abnahmeprotokolls (Bl. 20). In der Anlage zum Abnahmeprotokoll (Bl. 22) heißt es unter Ziffer 1.: AG und AN stellen einvernehmlich fest, dass zumindest die Innenbeschichtung des Subventionsspeichers mangelbehaftet ist. Ursache und Umfang des Schadens sind bislang nicht eindeutig zwischen dem AN und seinen Subunternehmern geklärt.

Dies vorausgeschickt, erklärt der AN, dass er den Mangel anerkennt und den AG von allen im Zusammenhang mit der Mängelbeseitigung der Beschichtung anfallenden Arbeiten und Kosten freistellt; insbesondere sind dies Kosten ... der ggfls. notwendigen Abfallquertransporte einschließlich der Entsorgungsentgelte für die Bioabfälle, die während der Mängelbeseitigungsarbeiten nicht während der Betriebszeit verarbeitet werden können.

Zur Absicherung des zusätzlichen Gewährleistungsrisikos übergibt der AN dem AG eine einredefreie und auf erstes Anfordern fällige Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 500.000,-- DM einer Europäischen Großbank. Die Rückgabe der Bürgschaft erfolgt mit der Beseitigung des Mangels. Als Spätest-Termin für die Mangelbeseitigung wird der 31.07.1999 vereinbart."

Daraufhin unterzeichnete die Beklagte am 05.11.1998 eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern über 500.000,-- DM (Bl. 31), die Gegenstand der vorliegenden Zahlungsklage ist. Am 21.07.1999 kam es zu einer Besprechung, an der u.a. Vertreter des Klägers und des Streithelfers teilnahmen. Diesbezüglich wird auf die Verhandlungsniederschrift Bl. 297 f. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 27.07.1999 (Bl. 33) erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten erstmals die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft vom 05.11.1998. Am 28.07.1999 wurde die Bürgschaftsfrist von der Beklagten von ursprünglich 31.07.1999 bis zum 31.10.1999 verlängert (Bl. 37). Mit Schreiben vom 21.10.1999 (Bl. 49 f.) erklärte der Kläger erneut gegenüber der Beklagten die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft vom 05.11.1998. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 29.10.1999 eine Zahlung ab (Bl. 52). Mit Schreiben vom 10.11.1999 (Bl. 53) lehnte die Beklagte nach erneuter Prüfung eine Zahlung ab und verwies dabei u.a. auf den Inhalt des Abnahmeprotokolls vom 29.10.1998.

Außer der Bürgschaft vom 05.11.1998 gab die Beklagte gegenüber dem Kläger noch weitere Bürgschaftserklärungen über 1.722.666,-- DM sowie 1.700.000,-- DM ab. Die vorliegende Klage wird in erster Linie gestützt auf die Bürgschaft vom 05.11.1998, hilfsweise auf die Bürgschaft über 1.722.666,-- DM.

Zwischen dem Kläger und dem Streithelfer ist ein Rechtsstreit beim Landgericht München I anhängig (Az.: 2 O 10886/00), in welchem u.a. auch der Anspruch über die streitgegenständlichen Quertransportkosten klageweise geltend gemacht wird.

Im vorliegenden Rechtsstreit ist am 01.03.2000 ein klageabweisendes Versäumnisurteil ergangen, gegen das der Kläger rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.

Der Kläger hat behauptet, dass im Zeitraum 14.05.1999 bis 13.09.1999 Quertransport- Kosten in Höhe von 1.125.098,32 DM entstanden seien. Er habe die Auftragnehmerin über die anfallenden Kosten informiert, diese im einzelnen nachgewiesen und die Auftragnehmerin auch aufgefordert, den Betrag auszugleichen. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hafte als Bürgin. Für deren Pflicht komme es nicht auf die Kurzbezeichnung im Bürgschaftsvertrag an. Die Auftragnehmerin habe die Abnahme nur durch Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft erhalten. Die Bürgschaft nehme auf die Abnahmevereinbarung Bezug.

Der Kläger hat beantragt, das Versäumnisurteil vom 01.03.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 500.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit 28.10.1999 zu zahlen.

Die Beklagte und die Streithelferin haben beantragt, das Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten.

Sie haben eingewandt, der in der Bürgschaft vom 05.11.1998 genannte Sicherungsfall sei nicht schlüssig dargelegt worden. Das Anforderungsschreiben des Klägers vom 21.10.1999 entspreche nicht den Vorgaben der Bürgschaft, so dass die Bürgschaft nicht wirksam in Anspruch genommen sei. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht lägen die Voraussetzungen für eine wirksame Inanspruchnahme der Beklagten nicht vor. Die Ansprüche des Klägers seien nicht vor dem Verfalldatum 31.10.1999 fällig geworden. Außerdem habe sich die Zahlungszusage der Beklagten auf Gewährleistungsansprüche beschränkt und decke nicht die im Hauptschuldverhältnis möglicherweise entstandenen Quertransportkosten ab, die keine Gewährleistungskosten darstellten. Die Beklagte und die Streithelferin haben im übrigen behauptet, der Kläger habe bis Ende Oktober 1999 von der Auftragnehmerin keine Kosten für die Abfallquertransporte oder sonstige Entsorgungsentgelte angefordert. Die Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaft sei rechtsmissbräuchlich. Das Anforderungsschreiben vom 21.10.1999 habe darüber hinaus keinen konkreten Mangel dargelegt, so dass davon auszugehen sei, dass der Suspensionsspeicher ordnungsgemäß nachgebessert worden sei.

Das Landgericht hat das Urteil vom 14.04.2000 das Versäumnisurteil aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von 500.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit 28.10.1999 verurteilt. Anspruchsgrundlage sei die Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern vom 05.11.1998. Die Inanspruchnahme der Beklagten mit Schreiben vom 21.10.1999 sei erfolgt wegen der mängelbehafteten Innenbeschichtung des Suspensionsspeichers und den bei dessen Reparatur angefallenen Quertransport-Kosten. Diese Kosten würden von der Bürgschaftserklärung ebenfalls mitumfasst. Darauf, ob die Beklagte bei Abgabe der Bürgschaftserklärung das Abnahmeprotokoll vom 29.10.1998 gekannt habe, komme es nicht an. Die Hauptforderung sei auch fällig. Weitere Voraussetzungen seien nicht gegeben, da es sich um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern handele.

Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das landgerichtliche Urteil Bl. 161 f. Bezug genommen.

Gegen dieses der Streithelferin am 19.05.2000 zugestellte Urteil hat diese am 13.06.2000 Berufung eingelegt und die Berufung ­ nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 11.08.2000 ­ am 10.08.2000 begründet.

Die Beklagte hat kein Rechtsmittel eingelegt.

Die Streithelferin trägt vor, der Bürgschaftsvertrag vom 05.11.1998 sei wegen Übersicherung unwirksam. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung seien vorformulierte Vertragsbedingungen betreffend das Recht zur Einbehaltung von 5 % der Auftragssumme als Gewährleistungssicherheit wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam. Das gelte auch für eine zur Ablösung gestellte Bürgschaft auf erstes Anfordern. Die Bürgschaft vom 05.11.1998 sei zwar aufgrund der Individualvereinbarung im Abnahmeprotokoll vom 29.10.1998 gestellt worden, dem sei jedoch die formularmäßige Verpflichtung zur Vorlage einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern in Ziffer 34.4 der ZVB vorausgegangen.

Die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft vom 05.11.1998 sei zudem rechtsmissbräuchlich. Zum einen sei die Hauptschuldnerin bis zum Ende der Bürgschaftsfrist ­ 31.10.1999 ­ nicht zur Freistellung des Klägers von den streitgegenständlichen Quertransport-Kosten aufgefordert worden; der Gläubiger müsse bei einer Bürgschaft aber primär beim Hauptschuldner Befriedigung suchen. Zum anderen seien die Kosten für den Quertransport von der Bürgschaftserklärung vom 05.11.1998 nicht abgedeckt. Es handele sich bei diesen Kosten nämlich nicht um einen Gewährleistungsanspruch, sondern um einen entfernten Mangelfolgeschaden". Die Bürgschaft vom 05.11.1998 sichere aber nur Gewährleistungsansprüche nach der VOB aus dem Bauvertrag und lasse keine Verbindung zum Abnahmeprotokoll vom 29.10.1998 erkennen.

Schließlich sei die Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaft vom 05.11.1998 auch in formaler Hinsicht nicht ordnungsgemäß erfolgt. Zum einen sei die in der Bürgschaftsurkunde verlangte Vorlage einer schriftlichen Erklärung des Auftraggebers, dass der Auftragnehmer seinen vertraglichen Gewährleistungspflichten nicht oder nicht vollständig nachgekommen ist" bis zum 31.10.1999 nicht erfolgt, auch nicht im Klägerschreiben vom 21.10.1999. Die Beklagte habe daher den Eintritt des Bürgschaftsfalles und des behaupteten Schadens nicht überprüfen können. Darüber hinaus habe der Kläger mit dem Schreiben vom 21.10.1999 Zahlung des Bürgschaftsbetrages von 500.000,-- DM verlangt, obwohl die Hauptschuldnerin gemäß der Vereinbarung zum Abnahmeprotokoll nur Freistellung von den Kosten der Drittverwerter schulde. Schließlich seien die Mängel am Suspensionsspeicher im Schreiben vom 21.10.1999 auch nicht hinreichend konkret bezeichnet worden. Die genannten formalen Verstöße seien auch nicht durch die vorliegende Klageerhebung geheilt worden, weil diese erst nach Ablauf der Bürgschaftsfrist erfolgt sei.

Der Streithelfer beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage unter Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils vom 01.03.2000 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Er trägt vor, er habe erfolglos zunächst die Hauptschuldnerin zur Bezahlung der streitgegenständlichen Kosten für die Quertransporte aufgefordert und verweist diesbezüglich auf den zwischenzeitlich geführten Rechtsstreit beim Landgericht München I. Der Hauptschuldnerin sei im übrigen bereits bei dem Gespräch vom 21.07.1999 die Inanspruchnahme der Bürgschaft angekündigt worden. Die streitgegenständliche Bürgschaft sei in der Abnahmevereinbarung individuell vereinbart und von der Streithelferin selbst angeboten worden, um trotz des anerkannten Mangels die Abnahme zu erreichen. Bei den Quertransport-Kosten handele es sich um einen von der Bürgschaft umfassten Gewährleistungsanspruch aus § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B. Das klägerische Schreiben vom 21.10.1999 sei hinreichend konkret gewesen. Die Beklagte hafte auf Zahlung und nicht auf Freistellung.

Im übrigen wird Bezug genommen auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst deren Anlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Streithelferin ist zulässig, auch wenn die Beklagte, die von der Streithelferin unterstützte Partei, selbst nicht Berufung eingelegt hat (vgl. Zöller, ZPO, 22. Aufl. vor § 511, Rn. 22). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass sie mit der Durchführung des Rechtsmittels durch die Streithelferin nicht einverstanden sei (vgl. BGH NJW 88, 712).

Die Berufung der Streithelferin ist jedoch nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von 500.000,-- DM nebst Zinsen aus der Bürgschaft vom 05.11.1998 verurteilt.

Die im Berufungsverfahren von der Streithelferin geltend gemachten Einwände erweisen sich als unbegründet.

Der Bürgschaftsvertrag vom 05.11.1998, um den allein es im Berufungsverfahren noch geht, ist nicht wegen Übersicherung unwirksam. Soweit der Kläger auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verweist, wonach die Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern als Ersatz für einen Gewährleistungseinbehalt den Auftragnehmer unter bestimmten Umständen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen könne (BGHZ 136, 27; Baurecht 97, 829; NZ Bau 2000, 285), so findet diese nur auf Fälle Anwendung, in denen der Bürgschaft eine vorformulierte Vertragsbedingung zugrunde liegt. Daran fehlt es jedoch im vorliegenden Fall, in welchem die streitgegenständliche Bürgschaft vom 05.11.1998 individuell vereinbart worden ist. Soweit die Streithelferin diesbezüglich auf Ziffer 34.4. der ZVB hinweist, wonach formularmäßig von allen Bietern stets die Vorlage von Bürgschaften auf erstes Anfordern verlangt worden sei, ist dazu folgendes auszuführen: Die Bürgschaft vom 05.11.1998 betrifft nicht das allgemeine Risiko aus dem Bauvertrag vom 26./27.10.1995, für das vorliegend die Bürgschaft über 1.722.666,-- DM (Bl. 38, 39) gestellt wurde und auch nicht das zusätzliche Gewährleistungsrisiko", für das gemäß Ziffer 5 des Bauvertrages eine weitere Gewährleistungsbürgschaft über 1.700.000,-- DM gestellt worden ist. Die Bürgschaft vom 05.11.1998 betrifft vielmehr ein spezielles Gewährleistungsproblem, das sich anlässlich der Abnahme vom 29.10.1998 ergeben hatte und das in der Anlage zum Abnahmeprotokoll vom 29.10.1998 unter dessen Ziffer 1 im Rahmen einer Individualvereinbarung geregelt worden ist. Dabei ging es allein um den ­ von der Streithelferin anerkannten ­ Mangel an der Innenbeschichtung des Suspensionsspeichers und die im Zusammenhang mit der Beseitigung dieses Mangels anfallenden Kosten. Diesbezüglich werden in der Anlage u.a. die Kosten für Abfallquertransporte" ausdrücklich erwähnt. Zur Absicherung dieses zusätzlichen Gewährleistungsrisikos" wurde dann die Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern über 500.000,-- DM vereinbart. Diese Individualvereinbarung führte sodann zu der Unterzeichnung der Bürgschaft vom 05.11.1998, deren ursprüngliche Befristung zum 31.07.1999 folgerichtig mit dem für die Mangelbeseitigung genannten Termin 31.07.1999 korrespondierte. Der Kläger trägt darüber hinaus unbestritten vor, die Streithelferin habe die Bürgschaft vom 05.11.1998 von sich aus angeboten, um so die wegen des anerkannten Mangels gefährdete Abnahme zu erreichen. Nach alledem wurde die Bürgschaft vom 05.11.1998 ­ im Gegensatz zu den übrigen beiden Bürgschaften ­ nicht aufgrund einer vorformulierten Vertragsbedingung gestellt, auch nicht aufgrund von Ziffer 34.4 der ZVB. Vielmehr wurde die Vorlage dieser Bürgschaft zwischen den Parteien anlässlich eines speziellen Gewährleistungsproblems am 29.10.1998 individuell vereinbart.

Die Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaft vom 05.11.1998 ist auch nicht rechtsmissbräuchlich.

Die Bürgschaft auf erstes Anfordern soll dazu dienen, anstelle des früher gebräuchlichen Bardepots dem Gläubiger sofort liquide Mittel zuzuführen. Dieser Zweck lässt sich nur erreichen, wenn alle Streitfragen tatsächlicher und rechtlicher Art, welche die Begründetheit der Hauptforderung betreffen, im Regelfall in den Rückforderungsprozess verwiesen werden (BGH NJW 97, 255). Allerdings kann sich der Bürge gegenüber einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ausnahmsweise auf die materielle Unbegründetheit der Anforderung berufen, wenn es klar auf der Hand liegt, dass der Gläubiger eine formale Rechtsstellung missbraucht, § 242 BGB (BGH NJW 94, 380). Das ist aber nur dann der Fall, wenn es offensichtlich oder mindestens liquide für jedermann beweisbar ist, dass trotz des Vorliegens der formellen Voraussetzungen der Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist, also nur eine formale Rechtsstellung missbräuchlich ausgenutzt wird (BGH NJW 97, 255, 256; NJW 84, 2030).

Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers in diesem Sinne ist von der Streithelferin aber nicht dargelegt worden, und zwar auch nicht hinsichtlich des Zeitpunktes der Inanspruchnahme der Beklagten.

Die Streithelferin beanstandet, sie als Hauptschuldnerin sei bis zum 31.10.1999 nicht über die Höhe der Kosten für die Quertransporte informiert und auch nicht zur Zahlung bzw. Freistellung aufgefordert worden. Sie lässt dabei jedoch außer Acht, dass der Inanspruchnahme der Beklagten im Schreiben vom 21.10.1999 die Verhandlung vom 21.07.1999 vorausgegangen ist, an welcher u.a. Vertreter des Klägers und Rechtsanwalt Dr. Kl. für die Streithelferin beteiligt waren. Die Streithelferin bestreitet nicht, dass bei dieser Verhandlung über den Punkt Sanierung des Suspensionsbehälters" gesprochen und dabei die durch die Abfallquertransporte verursachten Kosten mit ca. 600.000,-- DM beziffert worden sind, wie es im Verhandlungsprotokoll vom 21.07.1999 heißt. Unstreitig hat Dr. Kl. diesbezüglich entgegnet, die Streithelferin werde sich zu diesem Schaden erst äußern, wenn die genauen Kosten durch den Kläger nachgewiesen seien. Unstreitig ist auch, dass am 21.07.1999 in diesem Zusammenhang auf die Bürgschaft vom 05.11.1998 über 500.000,-- DM hingewiesen und einvernehmlich vereinbart worden ist, dass die Streithelferin eine Verlängerung der für diese Bürgschaft geltenden Frist vom 31.07.1999 bis zum 31.10.1999 beantragen solle. Diesem Antrag ist durch die Erklärung der Beklagten vom 28.07.1999 entsprochen worden (Bl. 37).

Danach stellt sich die Inanspruchnahme der Beklagten am 21.10.1999 nicht als rechtsmissbräuchlich dar. Es war nämlich zu diesem Zeitpunkt nicht offensichtlich oder mindestens liquide für jedermann beweisbar, dass der in der Bürgschaft vom 05.11.1998 geregelte Bürgschaftsfall nicht eingetreten sei. Vielmehr waren die Quertransport-Kosten gegenüber der Streithelferin jedenfalls größenordnungsmäßig bekannt; der genannte Betrag von ca. 600.000,-- DM überstieg die Bürgschaftssumme von 500.000,-- DM. Die Streithelferin hatte eine Freistellung bzw. Zahlung verweigert mit dem Hinweis, sie warte den abschließenden Nachweis der Kosten ab. Die Streithelferin hat im übrigen bis heute nicht geleistet, sondern sich diesbezüglich verklagen lassen. Im übrigen wurde am 21.07.1999 gerade wegen des zuwartenden Verhaltens der Streithelferin ausdrücklich auf die Bürgschaft vom 05.11.1998 hingewiesen und einvernehmlich deren Verlängerung bis zum 31.10.1999 beantragt. Das Besprechungsergebnis vom 21.07.1999 kann letztlich nur so verstanden werden, dass die Streithelferin eine Regulierung der Quertransport-Kosten einstweilen abgelehnt hat und man im Hinblick darauf einverständlich der Auffassung war, der Kläger sei insoweit bis zur abschließenden Klärung der Kostenfrage durch die Bürgschaft vom 05.11.1998 ausreichend abgesichert. Unter diesen Umständen kann die Inanspruchnahme der Beklagten aus dieser Bürgschaft wegen der Quertransport-Kosten, deren Höhe bis heute streitig geblieben ist, nicht als treuwidrig bezeichnet werden. Insbesondere ist aus dem Verhandlungsprotokoll vom 21.07.1999 nicht ersichtlich, dass einer der Gesprächsbeteiligten ernsthaft davon ausgegangen wäre, die tatsächlichen Kosten für die Quertransporte könnten etwa unter dem Bürgschaftsbetrag von 500.000,-- DM liegen. Erst recht war letzteres nicht offenkundig im oben genannten Sinne.

Die Streithelferin kann auch nicht mit dem Einwand durchdringen, die Kosten für die Quertransporte seien von der Bürgschaft vom 05.11.1998 nicht mitumfasst.

Wer aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch genommen wird, kann ungeachtet des oben genannten besonderen Sicherungszweckes bereits im Erstprozess einwenden, die Bürgschaft sichere nicht die dem Zahlungsbegehren des Gläubigers zugrundeliegende Hauptforderung. Um die Funktion dieses zu Gunsten des Gläubigers stark formalisierten Sicherungsmittels uneingeschränkt zu erhalten, sind indessen im Erstprozess nur solche Beschränkungen des verbürgten Risikos auf einzelne Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis zwischen Gläubiger und Hauptschuldner beachtlich, die im Wege der Auslegung dem Inhalt der Urkunde selbst zu entnehmen sind; sonstige unstreitige oder durch Urkunden belegte Umstände dürfen dabei freilich ergänzend berücksichtigt werden (BGH NJW 96, 717, 718; MDR 99, 816).

Für die Beklagte ergab sich aber aus der Bürgschaftsurkunde vom 05.11.1998 keine Beschränkung dahingehend, dass die Quertransport-Kosten davon nicht umfasst seien. Vielmehr heißt es bereits in der Urkunde selbst sehr weit gefasst, die Bürgschaft betreffe die Erfüllung sämtlicher Gewährleistungsverpflichtungen des Auftragnehmers aus dem Auftrag vom 27.10.1995." Diese weitgehende Formulierung spricht eher dafür, dass davon auch entfernte Mangelfolgeschäden" erfasst sein sollten, als welche die Streithelferin die Quertransport-Kosten qualifiziert.

Darüber hinaus dürfen aber ohnehin, wie dargelegt, bei der Auslegung der Bürgschaftsurkunde (§§ 133, 157 BGB) nicht sonstige relevante Umstände außer Betracht bleiben.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 10.11.1999 (Bl. 53), dass dieser das Abnahmeprotokoll vom 29.10.1998 vorlag. Aus diesem ergab sich jedoch unzweideutig, dass die streitgegenständliche Bürgschaft über 500.000,-- DM u.a. auch die ggfls. notwendigen Abfallquertransporte" betreffen sollte (Bl. 22). Die diesbezüglichen Kosten werden dort ausdrücklich unter dem Begriff des zusätzlichen Gewährleistungsrisikos" subsumiert. Im übrigen hat auch die Streithelferin selbst in der Verhandlung vom 21.07.1999 im Hinblick auf die Quertransport-Kosten auf die Bürgschaft vom 05.11.1998 verwiesen und diesbezüglich Fristverlängerung beantragt. Sie hat damit erneut klargestellt, dass die Bürgschaft vom 05.11.1998 auch die Quertransport-Kosten mit umfassen sollte. Im Hinblick darauf erscheint ihr jetziger Einwand, der dies in Zweifel zieht, nicht mit § 242 BGB vereinbar. Jedenfalls musste der Beklagten im Hinblick auf die Formulierung der Bürgschaftsurkunde in Verbindung mit dem Abnahmeprotokoll völlig klar sein, dass die Quertransport-Kosten ebenfalls von der Bürgschaft mitumfasst waren.

Die Streithelferin kann schließlich auch nicht mit dem Vorwurf durchdringen, der Kläger habe mit seinem Schreiben vom 21.10.1999 die Beklagte in formaler Hinsicht nicht ordnungsgemäß in Anspruch genommen.

Nimmt der Gläubiger einen Bürgen aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch, so hat er dafür im Rahmen der formellen Dokumentenstrenge" grundsätzlich dasjenige eindeutig erkennbar zu erklären, was als Voraussetzung der vorläufigen Zahlungspflicht in den Urkunden niedergelegt ist (BGH MDR 97, 565). Der Grundsatz der Dokumentenstrenge dient dem Schutz des Bürgen vor voreiliger und ungerechtfertigter Inanspruchnahme. Insbesondere soll er dem Bürgen die Möglichkeit eröffnen, die Voraussetzungen des Eintritts des Bürgschaftsfalles ausreichend zu prüfen. Eine wörtliche Übernahme der in der Bürgschaftsurkunde genannten Voraussetzungen im Anforderungsschreiben ist aber nur dann erforderlich, wenn dies ausdrücklich so vereinbart ist (BGH MDR 97, 565; MDR 96, 595). Anderenfalls würde die Funktion der Bürgschaft auf erstes Anfordern, die der schnellen und vereinfachten Durchsetzung der von ihr gesicherten Ansprüche dient (BGH MDR 99, 816) beeinträchtigt. Der Grundsatz der Dokumentenstrenge ist nämlich kein Prinzip um seiner selbst willen, sondern er ist immer von seiner Funktion her zu beurteilen, wonach dem Bürgen eine ausreichende Prüfungsmöglichkeit hinsichtlich des Eintritts des Bürgenfalles gewährt werden muss.

Im vorliegenden Fall ist in der Urkunde vom 05.11.1998 eine mit der Verpflichtung wörtlich übereinstimmende Anforderung nicht vereinbart. Allerdings enthält die Urkunde eine sogenannten Effektivklausel", wonach die Beklagte Zahlung zu leisten hatte gegen Vorlage einer schriftlichen Erklärung des Auftraggebers, dass der Auftragnehmer seinen vertraglichen Gewährleistungspflichten nicht oder nicht vollständig nachgekommen ist."

Eine förmliche Erklärung des Klägers mit diesem Wortlaut ist in dessen Anforderungsschreiben vom 21.10.1999 zwar nicht enthalten. Gemäß dem oben Gesagten genügt vorliegend die sinngemäße Erfüllung der Voraussetzungen der Effektivklausel. Davon ist mit dem Schreiben vom 21.10.1999 auszugehen:

In diesem Schreiben wird ausdrücklich auf das Abnahmeprotokoll vom 29.10.1998 Bezug genommen, das der Beklagten im übrigen vorlag. Zudem wird der wesentliche Inhalt von Ziffer 1 der Anlage zum Abnahmeprotokoll im Schreiben vom 21.10.1999 zusätzlich noch einmal wiedergegeben, insbesondere das Anerkenntnis des Mangels sowie die Haftung der Streithelferin für die Kosten der Abfallquertransporte. Damit waren die von der Streithelferin vertraglich übernommenen Gewährleistungspflichten für die Beklagte eindeutig und ausreichend beschrieben. Sie bestanden nämlich in den im Rahmen der Mängelbeseitigung an der Innenbeschichtung des Suspensionsspeichers anfallenden Arbeiten, wozu u.a. auch die ggfls. notwendigen Abfallquertransporte gehörten, deren Kosten ausdrücklich als Mängelbeseitigungskosten bezeichnet sind. Im Schreiben vom 21.10.1999 wird sodann ausgeführt, die Streithelferin habe den im Abnahmeprotokoll vereinbarten Termin für die Mängelbeseitigung 31.07.1999 nicht eingehalten. Bereits damit ist sinngemäß erklärt, dass die Streithelferin ihren vertraglichen Gewährleistungsverpflichtungen nicht vollständig nachgekommen sei. Die in der Bürgschaftserklärung vom 05.11.1998 vereinbarte Effektivklausel ist mithin durch das Schreiben vom 21.10.1999 vom Kläger erfüllt worden.

Auch in sonstiger Weise erfüllt dieses Schreiben die Voraussetzungen, die unter dem Gesichtspunkt der Dokumentenstrenge in formaler Hinsicht im Rahmen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen sind. In dem Schreiben wird die Reparaturzeit für den Suspensionsspeicher angegeben und die Menge des Bioabfalls, die in diesem Zeitraum wegen des nachbesserungsbedingten Beinahe-Stillstandes der Anlage quertransportiert" werden musste; anschließend werden die Quertransport-Kosten mit 1.125.098,32 DM beziffert. Durch diese Angaben in Verbindung mit dem Abnahmeprotokoll ist für die Beklagte der Eintritt des Bürgschaftsfalles in ausreichender Weise dargelegt worden.

Soweit die Streithelferin die Beifügung von Kostennachweisen, z.B. Rechnungen, als Formvoraussetzung geltend macht, kann dem nicht gefolgt werden. Ein solcher Nachweis wird in der Bürgschaftsurkunde vom 05.11.1998 gerade nicht als Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Bürgen genannt, insbesondere nicht in der darin aufgeführten Effektivklausel. Die Streithelferin verkennt, dass Einwendungen oder Einreden aus dem Hauptschuldverhältnis ­ vorliegend Einwände zur Höhe der Quertransport- Kosten ­ regelmäßig erst in einem Rückforderungsprozess geltend gemacht werden können. Der Gläubiger braucht nur die Bürgenleistung vertragsgerecht anzufordern, wozu nicht einmal die schlüssige Darlegung der Hauptforderung gehört (BGH MDR 97, 565; NJW 97, 255). Damit wäre es unvereinbar, wollte man zu den formalen Voraussetzungen der Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern den Nachweis der Hauptforderung verlangen. Dann wäre nämlich die Funktion der Bürgschaft auf erstes Anfordern als schnelles und wirksames Sicherungsmittel nicht mehr gewährleistet.

Soweit die Streithelferin als weiteres formales Hindernis geltend macht, der Kläger verlange von der Beklagten Zahlung statt Freistellung von den Kosten der Drittverwerter, kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden. Die Freistellungsverpflichtung gemäß Ziffer 1 der Anlage zum Abnahmeprotokoll betraf nur die Streithelferin. Diese aber hat am 21.07.1999 durch Dr. Kl. die Freistellung zumindest vorläufig abgelehnt und den Kläger auf die Bürgschaft vom 05.11.1998 verwiesen, indem sie dessen Verlängerung beantragt hat. Die Beklagte als Bürgin haftet aber nicht auf Freistellung, sondern auf Zahlung. Dies folgt schon aus Ziffer 1 der Anlage zum Abnahmeprotokoll, wonach zur Sicherung der Freistellungsverpflichtung der Streithelferin die Stellung einer Bürgschaft in Höhe von 500.000,-- DM", also über einen Geldbetrag, vereinbart worden ist. Und in der Bürgschaftsurkunde selbst heißt es ausdrücklich, die Beklagte hafte nur auf Zahlung einer Geldsumme."

Soweit die Streithelferin schließlich einwendet, das Anforderungsschreiben vom 21.10.1999 sei deshalb formal fehlerhaft, weil darin keine Angaben zu den beanstandeten Mängeln an dem Suspensionsspeicher enthalten gewesen seien, so kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden. Soweit die Streithelferin in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des OLG München (NJW-RR 95, 498) verweist, so sind die dort genannten Voraussetzungen jedoch im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben. Das OLG München verlangt in der genannten Entscheidung als Voraussetzung für die Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern die hinreichende Individualisierung der Mängel ­ eine pauschale Mängelrüge reiche nicht aus. Im vorliegenden Fall ist jedoch der Mangel an der Innenbeschichtung des Suspensionsspeichers von der Streithelferin im Abnahmeprotokoll ausdrücklich anerkannt worden, und dieses Anerkenntnis ist im Schreiben vom 21.10.1999 ausdrücklich wiedergegeben worden, so dass auch die Beklagte von diesem Anerkenntnis auszugehen hatte. Unter diesen Umständen war es vorliegend zweifellos nicht erforderlich, den anerkannten Mangel im Anforderungsschreiben noch einmal zusätzlich darzulegen. Der anerkannte Mangel war ja gerade der Grund für die Stellung der Bürgschaft vom 05.11.1998 gewesen.

Daß der im Zusammenhang mit der Beseitigung des anerkannten Mangels entstandene Eintritt des Bürgschaftsfalles im vorliegenden Schreiben vom 21.10.1999 nicht etwa nur pauschal, sondern hinreichend individualisiert dargelegt worden ist, ergibt sich aus den obigen Ausführungen.

Die Berufung der Streithelferin war damit mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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