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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 23.11.2004
Aktenzeichen: 3 UF 122/99A
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1360
BGB § 1360 a
BGB § 1601
BGB § 1603
An die Darlegungslast hinsichtlich des ehelichen Lebenszuschnitts für einen sieben Jahre zurückliegenden Unterhaltszeitraum können keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, wenn die Konsumgewohnheiten der Familie bislang nicht problematisiert worden sind.
Tatbestand:

Der Kläger hat als Träger der Sozialhilfe mit seiner am 16.10.1998 beim Amtsgericht -Familiengericht- eingereichten Teilklage Ansprüche auf Elternunterhalt beschränkt auf den Zeitraum vom 29.01.1996 bis zum 30.11.1997 in Höhe von 8.232,13 DM geltend gemacht. Er hat vorgebracht, die Beklagte sei in Höhe von monatlich 580 DM leistungsfähig.

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat mit Urteil vom 16.03.1999 (Bl. 88 ff d. A.) der Klage in Höhe von 1.346,13 DM nebst Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Es hat angenommen, dass die Beklagte einen monatlichen Unterhalt von 300 DM schulde. Auf den sich für den Klagezeitraum ergebenden Unterhaltsanspruch habe sie 5.283,87 DM gezahlt.

Der Kläger hat in der Berufungsinstanz die Unterhaltsforderung in Höhe von 7.532,13 DM zuzüglich Zinsen weiterverfolgt. Die Beklagte hat Anschlussberufung mit dem Ziel der Klagabweisung erhoben.

Der Senat hat durch Urteil vom 20.06.2000 (Bl. 215 ff d. A.) die Berufung des Klägers zurück- und auf die Anschlussberufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Er hat die Leistungsfähigkeit der Beklagten insgesamt verneint.

Dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof (XII ZR 224/00) auf die Revision des Klägers durch Urteil vom 17.12.2003 für die Zeit ab 26.04.1996 teilweise aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Soweit das Urteil Bestand gehabt hat, beruht dies auf geringeren Sozialleistungen bzw. dem Umstand, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme auf Unterhalt für eine vor Klageerhebung liegende Zeit aus sozialhilferechtlichen Gründen noch nicht vorgelegen haben. Der Bundesgerichtshof hat unter Zugrundelegung eines Mindestselbstbehalts von 4.000 DM (2.250 DM + 1.750 DM) ausgeführt, die von der Beklagten und ihrem Ehemann erzielten Gesamteinkünfte erreichten den doppelten Selbstbehalt zwar bei weitem nicht, das bedeute indessen aber noch nicht, dass keine freien Mittel zum Elternunterhalt mehr zur Verfügung stünden. Es seien diesbezügliche tatrichterliche Feststellungen zu treffen, insbesondere zu den Konsum- und etwaigen Spargewohnheiten der Ehegatten. Weiter werde die Frage zu prüfen sein, ob die geltend gemachten Unterhaltsansprüche nicht teilweise verwirkt seien.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe ihrer Darlegungslast zum Verbrauch des Familieneinkommens nicht genügt. Ferner sei es der Beklagten und ihrem Ehemann durchaus zuzumuten, die Darlehensrückführung für das Haus anders zu gestalten, damit Teile des der Vermögensbildung dienenden Einkommens zur Deckung des Unterhaltsbedarfs der Mutter herangezogen werden könnten.

Der Kläger bestreitet die Höhe der angegebenen Konsumaufwendungen, ebenso dass der Fehlbetrag aus dem Ehemann zugewendeten Vermögen gedeckt worden sei. Der Erhaltungsaufwand für das Haus sei mit 5.000 DM überhöht angesetzt.

Der Kläger bringt weiter vor, die Beklagte sei auf eine zusätzliche Altersvorsorge nicht angewiesen, da sie im Zeitpunkt der Rentenberechnung erst 52 Jahre alt gewesen sei und bis zum Alter 65 ihre Rente noch durch Beiträge aufstocken könne. Im übrigen habe der Ehemann eine höhere Rente zu erwarten, an der die Beklagte auch im Fall der Scheidung partizipiere. Auch sei keine unbillige Härte durch Heranziehung zum Unterhalt für die Mutter erkennbar.

Der Kläger beantragt, die Beklagten wie im Senatsurteil vom 20.06.2000 ausgeführt, zur Zahlung zur verurteilen, jedoch mit der Maßgabe, dass der Berufungsantrag nur insoweit aufrechterhalten wird, als er nicht bereits durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.12.2003 abgewiesen worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, sowie im Weg der Anschlussberufung, das Urteil des Familiengerichts Friedberg vom 16.03.1999 abzuändern und die Klage vollständig abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Beklagte beruft sich nunmehr ergänzend auf Verwirkung. Sie bringt im übrigen vor, sie und ihr Ehemann zahlten lediglich die gemeinsam erworbene und bewohnte Doppelhaushälfte ab. Außerdem erfolgten Prämienzahlungen auf eine Kapitallebensversicherung des Ehemannes. Eine weitere Vermögensbildung sei nicht betrieben worden und finde auch derzeit nicht statt. Sie sei 1996 und 1997 auch nicht möglich gewesen. Ergänzend macht die Beklagte Ausführungen zu ihrem Lebenszuschnitt mit durchschnittlichen Monats- und Jahresangaben hinsichtlich der Ausgaben des täglichen Lebens und der Freizeitgestaltung, der mit einem Fehlbetrag von über 10.000 DM endet. Dieser sei durch eine dem Ehemann zugedachte Schenkung einer Tante gedeckt worden. Hinsichtlich der Plausibilität beruft sich die Beklagte auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Die Beklagte trägt weiter vor, sie habe nach einer Proberrechnung der BfA vom 30.04.2003 mit einer Altersrente von 480,24 EUR zu rechnen. Bei einer auf das Alter vorgezogenen Rente ergäbe sich wegen der Abschläge nur eine Nettorente von 393,80 EUR. Bei einer so geringen Altersrente sei es abwegig, wenn der BGH meine, die Schaffung von Immobilieneigentum genüge zur Altersvorsorge.

Ein Missverhältnis der beiderseitigen Beiträge der Eheleute zum Familienunterhalt liege auch nicht vor. Sie habe nur gearbeitet, um den seit vielen Jahren gelebten Lebensstandard zu sichern. Sie habe täglich etwa fünf Stunden gearbeitet. Die Hin- und Rückfahrt zur Arbeitsstelle nehme ca. 2,5 Stunden in Anspruch, hinzu kämen Fortbildungsmaßnahmen. Ihre Abwesenheitszeiten wichen nur unwesentlich von denen des Ehemannes ab. Die Haushaltsführung hätten sie zu gleichen Teilen übernommen, die Hausaufgabenbetreuung des 16-jährigen Sohnes (Gymnasialschüler) habe dem Ehemann obgelegen. Eine Putzhilfe habe man wegen der Kosten nicht genommen. Im übrigen sei die Heranziehung zum Unterhalt auch eine unbillige Härte. Der jahrelange Unterhaltsrechtsstreit habe sie gesundheitlich beeinträchtigt. Sie sei seit dem 01.01.2004 arbeitslos, seit Wochen (wieder) krankgeschrieben und werde mit Psychopharmaka behandelt. Auch der Ehemann habe angedeutet, dass die drohenden Unterhaltsansprüche eine schwere Belastung für die Ehe darstellten. Sie sehe ihre Ehe inzwischen als gefährdet an. Sie macht weiter geltend, der Arbeitsplatz des Ehemannes sei stark gefährdet. Der Ehemann werde spätestens im Jahr 2008 in den Vorruhestand gehen.

Der Senat hat Beweis erhoben über die Frage, ob zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus Mitteln einer Tante ca. 10.000 DM zugeschossen worden seien durch Vernehmung des Ehemannes der Beklagten als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.10.2004 verwiesen (Bl. 327 ff).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Auf die zulässige Berufung und Anschlussberufung war das angefochtene Urteil insgesamt abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Geltendmachung der noch im Streit befindlichen Unterhaltsansprüche steht jedenfalls bis Juni 1997 der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen auch bei Unterhaltsansprüchen, die der Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht geltend macht, in Betracht, wenn der Sozialhilfeträger sein Recht längere Zeit nicht verfolgt, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Berechtigte auch in Zukunft sein Recht nicht geltend machen würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Zeitmoment der Verwirkung erfüllt sein, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die etwas mehr als ein Jahr zurückliegen (BGH, FamRZ 2002, 1678 ff). Vorliegend hat der Kläger mit Schreiben vom 21.02.1997 die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche angekündigt. Die Beklagte hat auf diese Ankündigung mit Schreiben vom 02.03.1997 geantwortet und um eine Stellungnahme bezüglich der Überleitung und Verfolgung der Ansprüche aus der Pflegeversicherung gebeten. Bis zu Klageeinreichung am 16.10.1998 ist der Kläger dann der Beklagten gegenüber untätig geblieben. Dadurch hat die Beklagte berechtigterweise darauf vertraut, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, so dass wegen der noch im Streit befindlichen Zeit jedenfalls bis einschließlich Juni 1997 von einer illoyal verspäteten Rechtsausübung auszugehen ist.

Für den sich anschließenden restlichen von der Klage erfassten Zeitabschnitt bis zum 30.11.1997 ist eine Leistungsfähigkeit der Beklagten nicht gegeben.

Die Beklagte hatte ein Einkommen unterhalb des Selbstbehalts, das sie für den Familienunterhalt eingesetzt hat. Dieser Beitrag zum Familienunterhalt war entgegen der Ansicht des Klägers nicht überobligatorisch. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Die Beklagte hat insoweit nachvollziehbar dargelegt, wieso es zu einer ungefähr gleichen Belastung der Eheleute bei der Haushaltsführung und der Kindererziehung gekommen ist. Ein erhebliches Missverhältnis zu ihren Lasten zwischen den Beiträgen beider Ehegatten zum Familienunterhalt bestand danach nicht. Aufgrund des Umstands, dass der gemeinsame Sohn damals bereits 16 Jahre alt war und die Hausaufgabenbetreuung dem Ehemann oblag, konnte von der Beklagten der Zuverdienst erwartet werden.

Nach dem Vorbringen der Beklagten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass die Beklagte und ihre Familie einen Lebenszuschnitt hatten, der neben dem Abtrag für ihr eigengenutztes Hauseigentum keine weitere Vermögensbildung gestattete. Soweit in der von der Beklagten vorgelegten Ausgabenaufstellung vermögenswirksame Leistungen der Beklagten und ihres Ehemannes aufgeführt sind, handelt es sich um Kosten des Wohneigentums. Bei den Aufwendungen in Höhe von 1.075,20 DM für die Lebensversicherung des Ehemannes handelt es sich nicht um eine Ansparung nicht verbrauchten Einkommens, sondern im Ergebnis lediglich um die Anlage der speziell dem Ehemann von dessen Tante schenkweise zur Verfügung gestellten Mittel.

Zwar ist die Beklagte für ihre eingeschränkte Leistungsfähigkeit darlegungsbelastet (BGH, FamRZ 2004, 443 ff, 445). An die Darlegungslast hinsichtlich des ehelichen Lebenszuschnitts, der nicht zu einer Vermögensbildung geführt hat, kann aber im vorliegenden Fall keine zu hohe Anforderung gestellt werden, da die Konsumgewohnheiten der Familie bislang nicht problematisiert worden sind. Es kann daher nicht erwartet werden, dass die Beklagte für den 7 Jahre zurück liegenden Zeitraum ihre Ausgaben noch in der Art eines Haushaltsbuches auflisten kann, insbesondere können keine Belege für Telefon- Restaurant- und Cafebesuche oder die Beschaffung kleiner Verbrauchsgüter erwartet werden. Es muss hier dabei verbleiben, dass die Beklagte eine Vermögensbildung über den Hausabtrag hinaus in diesem Zeitraum verneint und die Angaben hinsichtlich der Familienausgaben der Größenordnung nach nachvollziehbar darlegt (vgl. BGH, FamRZ 2000, 358 ff, hier zur konkreten Bedarfsermittlung beim Kindesunterhalt). Dies hat sie getan. Die gemachten Angaben, insbesondere zu den Urlaubskosten sind in sich stimmig, der Bekleidungsaufwand ist möglicherweise, wie die Beklagte selbst vorgebracht hat, zu niedrig angesetzt. Der Erhaltungsaufwand für das 1983 erbaute Haus ist mit 5.000 DM nicht unangemessen. Es kommt im einzelnen aber auch nicht darauf an, dass und in welchem Umfang die jeweiligen Schätzbeträge für die durchschnittlichen Konsumaufwendungen in den einzelnen Lebensbereichen von den tatsächlich aufgewendeten Beträgen nach oben oder nach unten abgewichen sind. Entscheidend ist hier nicht der vom Kläger beanstandete Verbrauch, sondern die neben den Aufwendungen für das Haus fehlende weitere Vermögensbildung. Diesen Umstand bzw. die Abdeckung des Fehlbetrags aus ihm schenkweise von einer Tante zugewendeten Beträgen hat der Ehemann der Beklagten in seiner Zeugenaussage bestätigt. Der Ehemann der Beklagten hat nachvollziehbar und glaubwürdig bekundet, dass der Lebenszuschnitt der Parteien letztlich nur durch den Verbrauch von Mitteln zu finanzieren war, die eine Tante ihm als ihrem Lieblingsneffen zugewendet hatte. Der Senat sieht diesen Sachverhalt damit als bewiesen an.

Die Tilgungsleistungen für das Haus übersteigen den der Beklagten und ihrem Ehemann zuzubilligenden Altersvorsorgeaufwand nicht. Der Bundesgerichtshof hat der Beklagten eine Altersvorsorgeaufwand zugebilligt und lediglich ausgeführt, dass eine Notwendigkeit im angemessenen Rahmen eine zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben, neben dem Immobilieneigentum nicht bestehen dürfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 II ZPO nach Rückkehr des Verfahrens aus der Revisionsinstanz nicht (mehr) vorliegen. Die noch zu entscheidenden Fragen sind nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat weicht auch nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab. Solches ist auch nicht vorgebracht worden.

Ende der Entscheidung

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