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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 19.03.2009
Aktenzeichen: 3 Ws 185/09
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 454
StPO § 463
StGB § 63
StGB § 67e
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss des Landgerichts Marburg - 7. Strafkammer, Strafvollstreckungskammer - vom 9. Februar 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Marburg zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht Limburg an der Lahn verurteilte den Beschwerdeführer am 14. März 2007 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und ordnete zugleich seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an (§ 63 StGB). Seit dem 14. März 2007 befindet er sich in der A-Klinik, zunächst aufgrund einstweiliger Unterbringung gemäß § 126a StPO und im Anschluss - nach Eintritt der Rechtskraft - aufgrund des genannten Urteils.

Die zuständige Strafvollstreckungskammer hatte nunmehr erstmals zu prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Maßregel zur Bewährung auszusetzen oder die Maßregel für erledigt zu erklären ist (§ 67e StGB). Sie hat entschieden, dass die Unterbringung und die verhängte Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der sofortigen Beschwerde.

Das gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1, 311 StPO zulässige Rechtsmittel führt zu einem vorläufigen Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil er hinsichtlich der mündlichen Anhörung des Beschwerdeführers an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet.

Zuständig für die getroffene Entscheidung ist die Strafvollstreckungskammer (§§ 463 Abs. 1, 462a Abs. 1 StPO), die hier in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden zu entscheiden hat (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG). Für die nach § 463 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgeschriebene mündliche Anhörung bedeutet dies indessen nicht, dass diese stets vor dem gesamten Spruchkörper durchzuführen ist (vgl. BGHSt 28, 138, 140 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 29). Es gibt Sachverhalte, bei denen dem persönlichen Eindruck sämtlicher an der Entscheidung beteiligten Richter geringere Bedeutung zukommt, etwa dann, wenn bereits schon einmal eine Anhörung in voller Besetzung stattgefunden hat (BGHSt 28, 138, 141; OLG Nürnberg NStZ-RR 2004, 318). Maßgebend hierfür sind die Umstände des Einzelfalles (OLG Frankfurt aaO), wobei es auch auf die Bedeutung der Sache und die Schwierigkeit der Entscheidung ankommt (BGHSt 28, 138, 143; BVerfG NJW 1992, 2947, 2954). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob hier eine Anhörung durch den gesamten Spruchkörper bereits deshalb geboten war, weil die Strafvollstreckungskammer erstmals nach Beginn des Vollzugs der Unterbringung des Beschwerdeführers über deren Fortdauer zu entscheiden hatte.

Dass die mündliche Anhörung nicht vor der gesamten Kammer durchgeführt wurde, war vorliegend jedenfalls aus anderen Gründen verfahrensfehlerhaft.

Mit Beschluss vom 2. Oktober 2008 hatte die Kammer die Anhörung dem berichterstattenden Mitglied der Kammer übertragen, weil derzeit (Hervorhebung im Beschluss) eine Anhörung vor der vollbesetzten Kammer nicht geboten erscheine. In diesem Beschluss ist weiter ausgeführt, dass - sollten sich bei der Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben, die eine Anhörung durch die gesamte Kammer erforderlich erscheinen ließen, diese nachgeholt werde. Am 8. Dezember 2008 hörte die Berichterstatterin den Beschwerdeführer mündlich an und fertigte hierüber am 9. Dezember 2008 einen Protokollvermerk (Bl. 89 VH). In einem weiteren Vermerk der Berichterstatterin vom selben Tage (Bl. 88R VH) heißt es: "Nach Rücksprache mit dem Vorsitzenden B soll eine Kammeranhörung erfolgen; Verteidigerin wurde darüber durch mich informiert". Bei dieser Sachlage hätte entsprechend der im Beschluss vom 2. Oktober 2008 angekündigten Vorgehensweise ohne weiteres eine Anhörung vor der gesamten Kammer nachgeholt werden müssen, weil die Berichterstatterin, die allein einen persönlichen Eindruck von dem Untergebrachten gewonnen hatte, eine Anhörung vor der gesamten Kammer für erforderlich hielt. Weder das Schreiben des Vorsitzenden an die Verteidigerin vom 12. Dezember 2008 noch der angefochtene Beschluss verhalten sich zu der Frage, weshalb abweichend von der im Übertragungsbeschluss vorgesehenen Vorgehensweise und dem im Vermerk der Berichterstatterin niedergelegten Ergebnis der Zwischenberatung keine erneute Anhörung vor der gesamten Kammer durchgeführt wurde (vgl. hierzu auch OLG Nürnberg aaO). Der Senat hat deswegen eine Stellungnahme der Strafvollstreckungskammer eingeholt. Daraufhin hat deren Vorsitzender mitgeteilt, er habe sich nach dem 9. Dezember 2008 intensiver mit der Sache befasst und sei nach weiterer Beratung mit der Berichterstatterin zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Kammeranhörung (doch) nicht erforderlich sei. Dem kann schon nicht entnommen werden, dass dieses Ergebnis von der Kammer getragen wurde. Soweit der Vorsitzende weiter darauf verweist, eine erneute Anhörung vor der gesamten Kammer sei entbehrlich gewesen, weil es nicht auf den persönlichen Eindruck von dem Untergebrachten ankomme, da ausschließlich Rechtsfragen der Erledigung der Maßregel in Rede stünden, verkennt er, dass die mündliche Anhörung vor dem gesamten Spruchkörper auch im Hinblick auf die jeweilige Bedeutung der Sache oder die Schwierigkeit der Entscheidung in Betracht zu ziehen ist (vgl. BGH aaO; BVerfG aaO). Im Übrigen stand die Frage einer Erledigung der Maßregel schon aufgrund des Prognosegutachtens der A-Klinik vom 21. August 2008 im Raume. Diese hatte die Prüfung der Erledigung der Maßregel ausdrücklich angeregt, weil es sich ihrer Einschätzung nach bei dem Untergebrachten um eine "Fehleinweisung" handele. Insofern handelte es sich um keine neue Entwicklung, die nunmehr ein Abweichen von dem früheren Beratungsergebnis nachvollziehbar erscheinen ließe.

Dass die Strafvollstreckungskammer den Beschwerdeführer nicht in der Besetzung mit drei Richtern angehört hat, begegnet schließlich im Hinblick auf die von ihr vertretene Auffassung, wonach es sich bei der Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus "höchst wahrscheinlich um eine Fehleinweisung", handele, durchgreifenden Bedenken. Sie meint, es handele sich nicht um eine im Tatsächlichen liegenden Fehldiagnose, sondern eine Fehleinweisung aus rechtlichen Gründen. Das Landgericht Limburg an der Lahn habe verkannt, dass das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB nicht erfüllt sei und sich die festgestellte Persönlichkeitsstörung im Übrigen auch nicht auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat ausgewirkt habe. Damit setzt sich die Strafvollstreckungskammer in klaren Widerspruch zum Urteil des erkennenden Landgerichts Limburg an der Lahn vom 14. März 2007, das - sachverständig beraten - seine erst zwei Jahre zurück liegende Entscheidung nach Durchführung einer Hauptverhandlung getroffen hatte und die im Revisionsverfahren, in dem der Beschwerdeführer die Unterbringung nach § 63 StGB ausdrücklich angegriffen hatte, durch den Bundesgerichtshof bestätigt wurde (BGH, Beschluss vom 12. September 2007 - 2 StR 313/07). Bei dieser Sachlage war die Anhörung durch den gesamten Spruchkörper aufgrund der Bedeutung der Sache geboten. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf die im angefochtenen Beschluss zitierte Rechtsprechung des Senats zu den Fragen der Fehleinweisung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen und die sich hieraus für den Beschwerdeführer und den weiteren Vollzug der Maßregel ergebenden weitreichenden Konsequenzen.

Der aufgezeigte Verfahrensfehler zwingt hier zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht (vgl. OLG Nürnberg aaO).

Ende der Entscheidung

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