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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 28.04.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 401/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 463
1. Sind 5 Jahre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen, so kann von der Einholung eines externen Gutachtens gemäß § 463 IV StPO nur in ganz begrenzten Ausnahmefällen abgesehen werden.

2. Eine Entscheidung ohne Gutachten kommt in Betracht, wenn ein bereits von der Anstalt eingeholtes externes Prognosegutachten vorliegt, wenn bei Einholung des Gutachtens die Verzögerung einer unmittelbar bevorstehenden Entlassung des Verurteilten aus dem Maßregelvollzug zu besorgen ist oder aber die spätere Einholung des Gutachtens mit Blick auf die fehlende Aussetzungsreife der Reststrafe geboten erscheint.

3. Der Umstand, dass bei zuvoriger Einholung des Gutachtens die Einjahresfrist des § 67 e I, II StGB nicht eingehalten werden kann, rechtfertigt hingegen ein Absehen vom Gebot des § 463 IV StPO nicht.


Gründe:

Der Verurteilte befindet sich auf Grund des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29.05.2001 im Maßregelvollzug gem. § 63 StGB. Zuvor war er in vorliegender Sache in Untersuchungshaft und nach am 13.2.2001 erfolgter Umwandlung des Haft- in einen Unterbringungsbefehl bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils am 21.02.2002 in der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO. Durch Anrechnung sind mehr als die Hälfte der im Urteil verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren verbüßt. Die Fortdauer der Unterbringung wurde bisher ausschließlich auf Grund der Stellungnahmen der Maßregelvollzugsanstalt entschieden.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Vollstreckung von Restfreiheitsstrafe und Maßregel auf der Grundlage der Stellungnahme der Klinik vom 10.12.2007 und nach zuvoriger mündlicher Anhörung des Verurteilten im Beisein seiner Verteidigerin, die ihm vom Kammervorsitzenden unter Hinweis auf § 63 IV 1, 4 StPO beigeordnet worden war, abgelehnt und ausgeführt, das externe Gutachten werde in Rahmen eines neuen Verfahrens nach § 68e StGB unverzüglich eingeholt.

Die gegen den Fortdauerbeschluss form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat aus verfahrensrechtlichen Gründen vorläufigen Erfolg. Die Kammer hat entgegen § 463 IV StPO ohne Einholung eines externen Sachverständigengutachtens entschieden.

In dieser durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.7.2007 mit Wirkung vom 20.7.2007 eingeführten Bestimmung soll das Gericht im Rahmen der Überprüfungen nach § 67 e StGB nach jeweils fünf Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen, der nicht im Rahmen des Vollzuges der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem sich die untergebrachte Person befindet, arbeiten darf. Die Unterbringung wurde vorliegend vor der Entscheidung der Kammer schon länger als fünf Jahre vollzogen. Von der Einholung eines externen Gutachtens kann nur in ganz eng begrenzten Ausnahmefällen abgesehen werden (Senat, Beschl. v. 12.02.2008 - 3 Ws 155/08 und v. 29.02.2008 - 3 Ws 225/08; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.1.2008 - 2 Ws 14/08 - Juris). Ein solcher liegt hier nicht vor.

Der Senat (aaO) hat ausgeführt, dass ein Absehen vom Gebot des § 463 IV StPO nach dem Willen des Gesetzgebers in Betracht kommt, wenn ein bereits von der Anstalt eingeholtes externes Prognosegutachten vorliegt, wenn bei Einholung des Gutachtens die Verzögerung einer unmittelbar bevorstehenden Entlassung des Verurteilten aus dem Maßregelvollzug zu besorgen ist oder aber die die spätere Einholung des Gutachtens mit Blick auf die fehlende Aussetzungsreife der Reststrafe (vgl. § 67 V StGB) geboten erscheint. Diese Ausnahmefälle liegen hier ersichtlich nicht vor. Der Senat hat ferner ausgeführt (Beschl. v. 29.02.2008 - 3 Ws 225/08), dass ohne Bedeutung ist, wenn - wie hier der Fall - die Kammer nicht einmal erwogen hat, die Vollstreckung von Restfreiheitsstrafe und Unterbringung zur Bewährung auszusetzen.

Soweit das OLG Oldenburg (Beschl. v. 07.09.2007 - 1 Ws 481/07 - Juris) die Auffassung vertritt, dass ein weiterer Ausnahmefall gegeben sei, wenn die Erwartung künftiger rechtswidriger Taten und die darauf beruhende andauernde Gefährlichkeit des Untergebrachten für die Allgemeinheit - etwa wegen der Art der psychischen Erkrankung - völlig unzweifelhaft vorlägen, kann weiter offen bleiben, ob dieser Ansicht zu folgen ist.

Nach den letzten Stellungnahmen der Klinik ist nach Beginn der medikamentösen Behandlung mit A nämlich auch und gerade im deliktsrelevanten Bereich der Sexualität beim Verurteilten eine positive Veränderung zu verzeichnen. Namentlich hat der Verurteilte im Vollzug eine außerordentlich hohe Compliance in Bezug auf die medikamentöse Behandlung gezeigt, im Gegensatz zu früher nicht mehr von drängenden pädophil-sadistischen Phantasien berichtet, konnte kein spezifisches Stimulationsmaterial bei ihm mehr vorgefunden werden, hat er von der Teilnahme an der Rückfallvermeidungsgruppe für Sexual- und Gewalttäter profitiert und hat bei den begleiteten Ausgängen in den beiden außerhalb der Anstalt durchgeführten Sozialtrainingsmaßnahmen keinerlei auffälliges Verhalten gegenüber Kindern gezeigt. Die dennoch von der Klinik bejahte hohe Rückfallgefahr, die wesentlich damit begründet wird, dass zu erwarten stehe, dass der Verurteilte ohne den Struktur gebenden Rahmen des Maßregelvollzuzugs die Medikamentencompliance aufgeben und wieder in alte Verhaltensweisen zurückfallen werde, liegt von daher jedenfalls nicht auf der Hand.

Der Umstand, dass bei zuvoriger Einholung des Gutachtens die Einjahresfrist des § 67e I, II StGB nicht hätte eingehalten werden können, rechtfertigt entgegen der im Vermerk des Vorsitzenden vom 17.04.2008 niedergelegten Ansicht der Kammer das Absehen vom Gebot des § 463 IV StPO nicht. Im Gegenteil sie konterkariert die gesetzgeberische Intention der Neuregelung.

Bei lang andauernden Unterbringungen soll der der Gefahr von Routinebeurteilungen vorgebeugt, durch Hinzuziehung eines bisher mit der Sache nicht befassten Sachverständigen die nötige kritische Distanz zu den bisherigen Beurteilungen geschaffen und auf diese Weise die Prognosesicherheit des Gerichts entscheidend verbessert werden (vgl. BT-Drs. 16/1110, S. 19). Dieser Intention zu Grunde liegt die verfassungsrechtliche Pflicht der Vollstreckungsgerichte zur besonders sorgfältigen Sachverhaltsaufklärung bei lang andauernden Unterbringungen, die der Wirkkraft des Freiheitsgrundrechtes des Untergebrachten geschuldet ist und auch den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit Rechnung trägt (Senat, Beschl. v. 29.02.2008). Dieser Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ist - wie schon der Wortlaut des § 463 IV StPO erhellt - im Rahmen der Regelüberprüfung nach § 67e StGB Rechnung zu tragen. D.h. die Strafvollstreckungskammer hat das Gutachten in dem jeweils anstehenden Überprüfungsverfahren einzuholen und darf nicht - wie hier geschehen -auf ein neues, nach Abschluss des vorangegangenen einzuleitendes Verfahren verweisen. Letztgenannte Verfahrensweise führt nämlich nicht nur notwendig zu weiteren Verzögerungen (z.B. durch in beiden Verfahren erforderliche Anhörungen des Verurteilten und - wie vorliegend geschehen - durch das Abwarten auf den Ausgang des Beschwerdeverfahrens). Vielmehr zeitigt sie exakt das Ergebnis, dem die gesetzliche Regelung gerade vorbeugen sollte, nämlich dass trotz Ablauf der Fünfjahresfrist auf einer Tatsachengrundlage (klinikinterne Stellungnahmen) entschieden wird, welcher der gesteigerten Sachaufklärungspflicht nicht mehr genügt. Ferner darf der Umstand, dass Vollstreckungsbehörde und Kammer es verabsäumt haben, nach Inkraftreten der Neuregelung und schon zu diesem Zeitpunkt abgelaufener Fünfjahresfrist die Einholung des externen Gutachtens zu veranlassen, nicht zu Lasten des Untergebrachten gehen (vgl. auch Pollähne, KritV 2007, 386 [396]).

Der aufgezeigte Verfahrensmangel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgericht (Senat, Beschl. v. 12.02.2008 - 3 Ws 155/08 mwN). Da der Senat der sofortigen Beschwerde des Verurteilten stattgegeben hat, bedurfte es der beantragten zuvorigen Zuleitung der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft an die Verteidigung nicht.

Ende der Entscheidung

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