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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 21.01.2005
Aktenzeichen: 3 Ws 42/05
Rechtsgebiete: StGB, StPO, ZPO


Vorschriften:

StGB § 73 I 2
StPO § 111 b
StPO § 111 d
ZPO § 917
1. Bei der Arrestanordnung muss noch nicht entschieden werden, ob die Ansprüche des Staates oder wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 73 I 2 StGB die Ansprüche des Verletzten zu sichern sind.

2. Ob eine Anordnung des dinglichen Arrestes selbst dann erfolgen kann, wenn zu sichernde Ansprüche des Staates nicht in Betracht kommen und die Anordnung allein dazu dient, im Wege der Rückgewinnungshilfe die Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen der Geschädigten zu erleichtern, kann offen bleiben. Jedenfalls kann ein dinglicher Arrest zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe dann angeordnet werden, wenn ohne diese Sicherungsmaßnahmen die Gefahr besteht, dass die Geschädigten ihre Ersatzansprüche nicht mehr erfolgreich geltend machen können.

3. Die Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Vollstreckung ist schon dann zu besorgen, wenn der Angeklagte nach den bisherigen Erkenntnissen sich Vermögensvorteile durch Straftaten verschafft hat. Auch eine unklare Vermögenslage beim Angeklagten kann bereits einen Arrestgrund bilden.


Gründe:

I.

Dem Angeklagten wird durch die Anklageschrift vom 08.11.2004 zur Last gelegt, in zehn Fällen unbefugt die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt geführt und in acht Fällen tateinheitlich hierzu Zahlungen der Geschädigten in Höhe des in der Beschlußformel genannten Betrages betrügerisch erlangt zu haben. Das Landgericht hat auf der Grundlage dieses Vorwurfs am 03.01.2005 einen internationalen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen. Den Antrag der Staatsanwaltschaft, zur Sicherung von Ansprüchen der Geschädigten (Rückgewinnungshilfe) den dinglichen Arrest in das Vermögen des Angeklagten anzuordnen, hat das Landgericht mit Beschluß vom 07.01.2005 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, der Zweck des Strafverfahrens sei nicht auf die Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen gerichtet, so daß die Anordnung eines dinglichen Arrests jedenfalls dann zu unterbleiben habe, wenn letzterer sich von seiner Intention her allein hierauf beschränke. Daß die Geschädigten die Sicherung ihrer möglichen Ansprüche zivilrechtlich nicht oder zumindest nicht rechtzeitig hätten durchsetzen oder sichern können, sei nach Aktenlage nicht ersichtlich. Im übrigen komme angesichts der Tatzeiten eine Verjährung möglicher zivilrechtlicher Ansprüche in Betracht.

Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde hat die Staatsanwaltschaft den Antrag verbunden, der dingliche Arrest solle entweder - wie bereits zuvor beantragt - zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe oder aber zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz angeordnet werden. Die Strafkammer hat der Beschwerde durch Beschluß vom 12.01.2005 nicht abgeholfen. Ebenfalls am 12.01.2005 ist der Angeklagte in der Schweiz festgenommen worden. Bei seiner Festnahme sind Wertgegenstände in erheblichem Umfang, darunter auch größere Mengen an Bargeld sichergestellt worden.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht hat auf einen Hinweis des Senats die Beschwerde teilweise zurückgenommen und erklärt, die Anordnung des dinglichen Arrests werde nur hinsichtlich des sich aus der Anklageschrift ergebenden Betrages von 211.097,08 € beantragt.

II.

Die Beschwerde ist - selbst wenn die Kammer inzwischen das Hauptverfahren eröffnet haben sollte - zulässig (§§ 304, 305 Satz 2 StPO) und hat in der Sache Erfolg.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines dinglichen Arrests liegen vor, so daß dieser von dem Senat als Beschwerdegericht anzuordnen ist (§ 309 Abs. 2 StPO).

Gemäß § 111 b Abs. 2 StPO kann der dingliche Arrest nach § 111 d StPO zur Sicherung angeordnet werden, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, daß die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz oder der Einziehung von Wertersatz vorliegen. Grundsätzlich käme hier der Wertersatzverfall gemäß § 73 a StGB in Betracht. Unter Zugrundelegung des Anklagevorwurfs ist davon auszugehen, daß der Angeklagte durch die ihm zur Last gelegten Betrugstaten Geldbeträge in beträchtlicher Höhe erlangt hat, die indes wegen der Beschaffenheit des Erlangten - da von einer Vermischung mit dem übrigen Vermögen auszugehen ist - nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB für verfallen erklärt werden können, so daß der Verfall eines dem Wert des Erlangten entsprechenden Geldbetrages anzuordnen wäre (§ 73 a StGB).

Wie das Landgericht jedoch zutreffend ausgeführt hat, spricht nach derzeitigem Sachstand einiges dafür, daß einer Anordnung des Verfalls von Wertersatz die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegensteht. Danach ist die Anordnung des Verfalls - und dementsprechend auch die Anordnung des Wertersatzverfalls - ausgeschlossen, wenn dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Hierdurch soll zum einen der Angeklagte vor einer doppelten Inanspruchnahme, andererseits der Geschädigte vor einem Entzug der Ersatzmöglichkeiten geschützt werden (BGH, Beschlüsse vom 30.10.2003 - 3 StR 276/03 - und 31.03.2004 - 1 StR 482/03 -; vgl. auch Tröndle/Fischer, 51. Auflage, § 73 StGB, Rdnr. 11). Dabei steht der Verfallsanordnung grundsätzlich schon allein die rechtliche Existenz von tatbedingten Ansprüchen des Verletzten entgegen, ohne daß es auf deren Geltendmachung ankommt (BGH, a.a.O.; Tröndle/Fischer, a.a.O. - mit weiteren Nachweisen). Soweit der Bundesgerichtshof es in der Entscheidung vom 31.03.2004 in Bezug auf den Wertersatzverfall für ausreichend erachtet hat, wenn kein Anhalt dafür vorliegt, daß der Geschädigte einen Anspruch gegen den Angeklagten geltend zu machen gedenkt, und eine doppelte Inanspruchnahme daher nicht zu besorgen ist, ergibt sich hieraus für den vorliegenden Fall keine abweichende Bewertung, weil es hier an ausreichend deutlichen Anhaltspunkten für eine solche Annahme fehlt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Staatsanwaltschaft angeführten Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 19.04.2004 (wistra 2004, 353, 354/355), in welcher aus dem Sinn und Zweck der Verfallsbestimmungen das Erfordernis einer restriktiveren Auslegung abgeleitet und es für ausreichend erachtet wird, daß der Geschädigte trotz Kenntnis von der Durchführung des Ermittlungsverfahrens über einen längeren Zeitraum hinweg keine Anstalten gemacht hat, seine Ansprüche geltend zu machen. Denn im vorliegenden Fall fehlt es zumindest an dem von dem Oberlandesgericht München aufgestellten (zusätzlichen) Erfordernis, daß auch (was hier erst im Zuge der Festnahme am 12.01.2005 geschah) eine Sicherstellung der Tatbeute erfolgt ist und der Geschädigte Kenntnis hiervon erlangt hat. Ein zivilrechtliches Vorgehen der Geschädigten ist hier gerade nicht in Kenntnis einer erfolgten Sicherstellung von Vermögenswerten unterblieben.

Ob die Voraussetzungen eines Wertersatzverfalls vorliegen oder nicht, bedarf im derzeitigen Verfahrensstadium indes keiner abschließenden Klärung. Denn es liegen jedenfalls die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines dinglichen Arrests zur Sicherung von tatbedingten Ansprüchen der Geschädigten (Zurückgewinnungshilfe) vor (§§ 111 b Abs. 5, 111 d StPO).

Zwar geht das Landgericht im Ansatz zutreffend davon aus, daß das Strafrecht nicht zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche dient (vgl. Nack in Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Auflage, § 111 b, Rdnr. 18). § 111 b Abs. 5 StPO sieht indes die Anordnung eines dinglichen Arrests - als vorläufige Sicherung - gerade auch für den Fall vor, daß tatbedingte Ansprüche des Verletzten vorliegen, die gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB einer Wertverfallsanordnung grundsätzlich entgegenstehen (vgl. BGH wistra 2003, 228; OLG Zweibrücken NStZ 2003, 446; OLG Köln NJW 2003, 2546; OLG Schleswig SchlHA 2002, 145; OLG Hamburg, Beschluß vom 10.12.2004 - 1 Ws 216/04 -; OLG München wistra 2004, 353, 354; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2002, 173; Tröndle/Fischer, 51. Auflage, § 73 StGB, Rdnr. 14). Dabei wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung auch die Auffassung vertreten, daß eine Anordnung des dinglichen Arrests selbst dann erfolgen könne, wenn zu sichernde Ansprüche des Staates nicht in Betracht kämen und die Anordnung des dinglichen Arrests allein dazu diene, im Wege der Rückgewinnungshilfe die Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen der Geschädigten zu erleichtern oder zu gewährleisten (OLG Zweibrücken NStZ 2003, 446). Ob dies zutrifft, bedarf hier keiner abschließenden Klärung, da im vorliegenden Fall ein Wertersatzverfall nach derzeitigem Stand durchaus noch in Betracht kommt.

Jedenfalls aber kann ein dinglicher Arrests zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe dann angeordnet werden, wenn ohne diese Sicherungsmaßnahme die Gefahr besteht, daß die Geschädigten ihre Ersatzansprüche nicht mehr erfolgreich geltend machen können (vgl. Nack in Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Auflage, § 111 b, Rdnr. 18; Meyer-Goßner, 47. Auflage, § 111 b StPO, Rdnr. 6; KG, Beschluß vom 16.02.2000 - 1 AR 99/00 - 4 Ws 29/00 -). So liegt der Fall hier. Angesichts der Art und des Umfangs der dem Angeklagten zur Last gelegten Betrugstaten, seines bisherigen Aufenthalts im Ausland und seiner dort entfalteten Geschäftstätigkeit steht ernsthaft zu befürchten, daß er ohne die Anordnung des dinglichen Arrests versuchen wird, sein vorhandenes Vermögen dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Die derzeit vollzogene Untersuchungshaft vermag diese Gefahr nicht in ausreichendem Maße zu bannen.

Die von dem Landgericht geäußerten Bedenken gegen die Durchsetzbarkeit der Ersatzansprüche der Geschädigten im Hinblick auf eine mögliche Verjährung rechtfertigen es nicht, von einer Anordnung des dinglichen Arrests zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe abzusehen. Zum einen ist nach Aktenlage nicht zu erkennen, daß die Einrede der Verjährung erhoben worden ist. Zum anderen wäre selbst dann im derzeitigen Verfahrensstadium eine Nichtdurchsetzbarkeit der tatbedingten Ansprüche der Geschädigten nicht ernsthaft zu besorgen. Zwar würde für Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB) die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. gelten (Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB). Es steht derzeit jedoch weder fest, zu welchem Zeitpunkt genau die Geschädigten erkannt haben, von dem Angeklagten geschädigt worden zu sein, und zu welchem Zeitpunkt sie von der für eine erfolgreiche Inanspruchnahme erforderlichen Anschrift des Angeklagten erfahren haben. Hinzu kommt, daß neben Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung auch solche aus den zwischen dem Angeklagten und den Geschädigten bestehenden Vertragsverhältnissen möglich sind, bei denen eine Verjährung derzeit ohnehin nicht zu befürchten ist. Außerdem ist zu bedenken, daß selbst im Falle einer Verjährung die Anordnung des dinglichen Arrests schon deshalb nicht zu unterbleiben hätte, weil die fehlende Durchsetzbarkeit der Ersatzansprüche zur Folge hätte, daß die Ausschlußwirkung des § 73 Abs. Satz 2 StGB entfiele und somit der Wertersatzverfall ohne Einschränkung zum Tragen käme.

Der für die Anordnung des dinglichen Arrests erforderliche Arrestgrund (§§ 111 d Abs. 2 StPO, 917 ZPO) ist gegeben. Gemäß § 917 Abs. 1 ZPO muß zu besorgen sein, daß ohne die Verhängung des dinglichen Arrestes die Vollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Dies ist hier sowohl hinsichtlich der Ansprüche der Geschädigten als auch hinsichtlich der alternativ in Betracht kommenden Wertersatzverfallsanordnung anzunehmen. Die Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Vollstreckung ist schon deswegen zu besorgen, weil der Angeklagte nach den bisherigen Erkenntnissen sich Vermögensvorteile durch Straftaten verschafft hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23.12.1993 - 3 Ws 767/93 -, 03.01.1995 - 3 Ws 2/95 - und 07.11.2000 - 3 Ws 1105/00 -; ebenso OLG Düsseldorf RPfl 1991, 216, 217 und Meyer-Goßner, StPO, 47. Auflage, § 111 d, Rdnr. 8).

Hinzu kommt als Arrestgrund, daß der in Untersuchungshaft befindliche und nach wie vor fluchtverdächtige Angeklagte eine unklare Vermögenslage aufweist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23.12.1993 - 3 Ws 767/93 -, 09.10.1995 - 3 Ws 658/95 - und 11.07.2000 - 3 Ws 723/00 -), die sich - ausgehend von den in der Anklageschrift enthaltenen Tatvorwürfen - namentlich aus seiner Verstrickung in betrügerische Geschäftstätigkeiten ergibt.

Die Anordnung der Lösungssumme beruht auf §§ 111 d Abs. 2 StPO, 923 ZPO.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht der Anordnung des Arrests hier nicht entgegen. Der Senat hat die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Kammerbeschluß vom 14.06.2004 - 2 BvR 1136/03 -) im Zusammenhang mit der Arrestanordnung erforderliche Abwägung zwischen dem Eigentumsrecht des Angeklagten und dem Sicherstellungsinteresse des Staates bzw. der Geschädigten vorgenommen. Er hat hierbei bedacht, daß das möglicherweise strafrechtlich erlangte Vermögen des Angeklagten zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein - wenn auch dringender - Tatverdacht besteht und noch nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist. Ausgehend von diesen Grundsätzen überwiegt hier - zumal nicht ersichtlich ist, daß durch die vorläufige Sicherungsmaßnahme das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Angeklagten entzogen wird - deutlich das Sicherungsinteresse der im jeweiligen Einzelfall mit Beträgen von bis zu über 70.000 € geschädigten Opfern.

Obwohl der Arrest zur Zeit vorrangig der Sicherung von tatbedingten Ersatzansprüchen der Geschädigten dient, hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den dinglichen Arrest auch zur Sicherung eines möglichen Wertersatzverfalls anzuordnen. Nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. Senatsbeschluß vom 27.02.1996 - 3 Ws 135-138/96 und 3 Ws 163-164/96 -; ebenso Meyer-Goßner, 47. Auflage, § 111 b StPO, Rdnr. 7; Nack in Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Auflage, § 111 b, Rdnr. 20) muß bei der Arrestanordnung noch nicht entschieden werden, ob die Ansprüche des Staates oder wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB die Ansprüche der Verletzten zu sichern sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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