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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 11.06.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 452/01 (StVollz)
Rechtsgebiete: StVollzG, StPO, StGB, GVG


Vorschriften:

StVollzG § 116
StPO § 267
StGB § 57
GVG § 13
GVG § 25
GVG § 48 a
Zu den Voraussetzungen der Rückverlegung eines Strafgefangenen in den geschlossenen Vollzug, und zu den Anforderungen an ein in diesem Zusammenhang einzuholendes Gutachten.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

3 Ws 452/01 (StVollz)

Verkündet am 11.06.2001

In der Strafvollzugssache ...

wegen Verlegung in den geschlossenen Vollzug,

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgericht Frankfurt am Main auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß der Strafvollstrekkungskammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. März 2001 am 11. Juni 2001 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung ­auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde- an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert wird für beide Instanzen einheitlich auf 2.000.- DM festgesetzt.

Gründe:

I. Der Antragsteller verbüßt derzeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern. Er war auf der Grundlage eines externen fachpsychiatrischen Gutachtens seit Beginn der Vollstreckung am 21.9.1998 im offenen Vollzug unterbracht. Zwei weitere Gutachten bzw. Stellungnahmen von Fachpsychologen in der Folgezeit befürworteten den Verbleib des Verurteilten in dieser Vollzugsform. Mit Verfügung vom 16.1.2001 widerrief die Vollzugsbehörde auf der Grundlage der Stellungnahme einer externen Psychologin vom 1.1.2001, die am 3.1.2001 vorlag, die Einweisung des Antragstellers zum offenen Vollzug und ordnete dessen Verlegung in den geschlossen Vollzug der sozialtherapeutischen Anstalt an. Durch den angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und in gleicher Weise begründete Rechtsbeschwerde des Gefangenen, die auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 StVollzG erfüllt. Die Nachprüfung der Entscheidung ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

II. Die Rechtsbeschwerde mußte auf die erhobene Sachrüge schon deswegen (vorläufigen) Erfolg haben, weil die Beschlußgründe eine rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht ermöglichen (st. Rspr. des Senats, zuletzt Beschl. v. 1.6.2001 ­ 3 Ws 501-502/01 <StVollzG> m.z.w.Nachw.; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Aufl., § 115 Rdnr. 9 m.w.Rspr.Nachw.). Hiernach sind an die Gründe der Beschlußentscheidung der Strafvollstreckungskammer grundsätzlichen die gleichen Anforderungen zu stellen wie gem. § 267 StPO an die Gründe eines strafgerichtlichen Urteils. Die Strafvollstreckungskammer hat deshalb in ihrer Entscheidung die tatsächlichen Feststellungen und die wesentlichen rechtlichen Erwägungen so vollständig wiederzugeben, daß sie dem Rechtsbeschwerdegericht, das an die tatsächlichen Feststellungen der Strafvollstreckungskammer grundsätzlich gebunden ist, die ihm obliegende rechtliche Überprüfung ermöglichen. Daraus folgt, daß die Beschlußgründe alle Tatsachenfeststellungen enthalten muß, die für diese rechtliche Nachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unabdingbar sind. Diesen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung in einem entscheidenden Punkte nicht gerecht.

Die Vollzugsbehörde hat in ihrem Bescheid vom 16.1.2001 den Widerruf der Einweisung des Gefangenen in den offenen Vollzug ausweislich des angefochtenen Bescheids im wesentlichen wie folgt begründet: Der Gefangenen habe sich als ungeeignet für diese Vollzugsform erwiesen, weil nach drei probatorischen Sitzungen bei einer Gerichtspsychiaterin und der anschließenden erneuten Untersuchung durch eine Diplompsychologin (D.-C.) feststehe, daß er erhebliche und prognostisch negativ zu wertende Persönlichkeitsdefizite aufweise, seine Täterschaft und inzwischen die Notwendigkeit jeglicher Therapie, insbesondere einer weitergehenden therapeutischen Aufarbeitung der Verurteilung zugrunde liegenden Delikte leugne. In der Stellungnahme vom 1.1.2001 habe Frau D.-C. hervorgehoben, daß vor allem die zu erkennende Verdrängung primitiver Triebbedürfnisse prognostisch ungünstig zu bewerten sei und diese therapeutisch aufgearbeitet werden müßten. Ferner sei bei niedrigen Niveau seiner Ich- Funktionen eine rigide, zwanghafte Persönlichkeitsstruktur mit der Tendenz zu depressiven Verstimmungen zum Vorschein gekommen, die mit einer hohen inneren Aggressionsspannung einhergehe. Bei ähnlichen Situationen wie derjenigen, in der sich der Verurteilte bei Begehungen seiner Taten befunden habe, könne es deshalb zu Rückfällen kommen. Hieraus zog die Vollzugsbehörde den Schluß, daß der Verurteilte durchaus in der Lage sei, sich eine ähnliche Situation zu schaffen, wie sie seinerzeit zu seinen Straftaten geführt habe und verneinte deshalb seine weiter Eignung für den offenen Vollzug.

Ferner wird in dem angefochtenen Beschluß mitgeteilt, daß die ursprüngliche Einweisung des Verurteilten in den offenen Vollzug und sein über 2 jähriger Verbleib in dieser Vollzugsform, der beanstandungsfrei verlief, auf einem externen psychiatrische Fachgutachten (Dr. M.) sowie auf zwei fachpsychologischen Gutachten bzw. Stellungnahmen (Frau D., Dipl. Psyh. G.) beruhte, die die Eignung des Verurteilten für diese Vollzugsform bzw. deren Fortbestand, insbesondere die fehlende Gefahr eines Mißbrauchs der dadurch gewährten weitestgehenden Vollzugslockerung verneint hätten.

Mit welchen diagnostisch-prognostischen Methoden die Grundlagen für diese unterschiedlichen sachverständigen Einschätzungen ermittelt wurden, teilt der angefochtene Beschluß nicht mit. Dies wäre aber erforderlich gewesen.

Der Vollzugsbehörde steht bei Fragen, die eine persönliche Wertung enthalten, wie die (fehlende) Eignung für den offenen Vollzug und die Gefahr eines Mißbrauchs dieser Vollzugsform ein Beurteilungsspielraum zu (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 7.3.1997 ­ 3 Ws 125/7 <StVollz> m.z.w.Nachw., BGHSt 30, 320; Calliess/Müller-Dietz; § 11 Rdnr. 6 m.w.Rspr.Nachw.). Die Gerichte haben nur zu überprüfen, ob die Entscheidung der Vollzugsbehörde auf einem ausreichend ermittelten Sachverhalt beruht, den richtigen Begriff des Versagungs- bzw. Widerrufsgrundes zugrunde gelegt und sich im Rahmen des eingeräumten Beurteilungsermessens gehalten hat. Wenn die Vollzugsbehörde sich bei ihrer Entscheidung auf das Gutachten oder die Stellungnahme eines Sachverständigen stützt, so ist es unerläßlich, daß dessen wesentlichen tatsächlichen Grundlagen angegeben werden (vgl. für das Strafurteil <§ 267 StPO> BGHSt 12, 312; Senat, Beschl. v. 23.8.199 ­3 Ss 264/99 m.w.Nachw. auf die Senats Rspr.). Zu diesen gehört auch die Angabe, mit welchen diagnostisch-prognostischen Methoden sich der/die Sachverständige die Grundlagen seiner / ihrer Einschätzung geschaffen hat. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ­wie im vorliegenden Fall- die Sachverständige, auf die sich die Vollzugsbehörde stützt, die Zweifel an der Eignung des Gefangenen für die Vollzugsform und die Gefahr eines Rückfalls auf Gründe stützt, die in der Persönlichkeit des Verurteilten begründet sind, die den Sachverständigen, die die vorangegangen Gutachten verfaßt haben, in denen die Delikte der Sache nach als lebensphasisch bedingt eingeschätzt und deswegen die Eignung für den offenen Vollzug bejaht und die Mißbrauchs- bzw. Rückfallgefahr verneint wurden, an sich nicht entgangen sein dürften. Ohne Mitteilung, welche individuelle Persönlichkeitsforschung, Lebenslaufbeurteilung, psychodiagnostische Tests, Explorationen und Beobachtungen die Sachverständige im einzelnen durchgeführt hat, kann ihre Schlußfolgerung, die Delikte, die der derzeitigen Vollstreckung zugrunde liegen, seien persönlichkeitsbedingt, nicht nachgeprüft werden (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 7.3.1997 ­ 3 Ws 125/97). Ferner kann nicht nachvollzogen werden, ob die Vollzugsbehörde aus vertretbaren Gründen der sachverständigen Einschätzung der Dipl. Psych. D.-C. den Vorzug vor den zuvor erstellten sachverständigen Stellungnahmen gegeben hat, zumal auch hier die erforderlichen Angaben zum Nachvollzug deren davon abweichender Einschätzungen fehlen. Schließlich läßt sich nur bei Mitteilung der erwähnten tatsächlichen Grundlagen überprüfen, ob der von der Vollzugsbehörde aus der sachverständigen Einschätzung gezogene Schluß, die Leugnung der Tat und der fehlende Therapiewille lasse auf Mißbrauchs- und Rückfallgefahr schließen, der rechtlichen Überprüfung des Beurteilungsermessen standhält.

Zu letzterem Punkt weist der Senat für die neuerliche Entscheidung noch auf folgendes hin:

Bei der Frage des Wegfalls der Eignung für den offenen Vollzug wegen der Gefahr eines Mißbrauchs dieser Vollzugsform dürfen nicht die selben strengen Anforderungen an die Erfüllung einer günstigen Prognose gestellt werden, wie sie der Entscheidung nach § 57 StGB zugrunde zu legen sind (Calliess/Müller-Dietz, § 10 Rdnr. 8). Es darf also nicht darauf abgestellt werden, ob der Gefangene bei einem Leben in Freiheit sich die Bedingungen schaffen könnte, die seinerzeit zu seinen Straftaten führten. Vielmehr darf er aus dem offenen Vollzug wegen Bestehens einer Mißbrauchsgefahr nur abgelöst werden, wenn zu befürchten ist, daß er unter den gelockerten Bedingungen des offenen Vollzugs rückfällig wird. Aus dem Bestreiten der Berechtigung der Verurteilung seitens des Gefangenen kann eine derartige Mißbrauchsgefahr nicht ohne weiteres geschlossen werden (vgl. Senat, Beschl. v. 15.8.2000 ­3 Ws 840/00; OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.3.2001 ­ 4 WS 55/2001 ­zur Veröffentlichung in Heft 8 der NStZ-RR 2001 vorgesehen). Eine Rückverlegung in den geschlossen Vollzug aus behandlerischen Gründen ist hingegen nur zulässig, wenn sie unerläßlich ist (Calliess/Müller-Dietz, § 10 Rdnr. 10; Ittel, in: Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl., § 10 Rdnr. 11). Dies ist nur dann der Fall, wenn eine bestimmte Behandlung, hier Sozialtherapie notwendig ist, diese nur im geschlossenen Vollzug durchgeführt werden kann (vgl. Calliess/Müller-Dietz a.a.O.; Lesting, in: AK-StVollzG, 4. Aufl., § 10 Rdnr. 20) und hierdurch die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, daß der Verurteilte bei seiner Entlassung in die Freiheit nicht wieder rückfällig wird (vgl. Lesting, § 10 Rdnr. 21). Nach diesen Maßstäben wird das Beurteilungsermessen von der Strafvollstreckungskammer überprüft werden müssen, wenn sich ­ auch unter Einbeziehung der dargestellten Grundlagen der jeweiligen Beurteilungen der Sachverständigen- herausstellen sollte, daß es als solches rechtlich nicht zu beanstanden ist, daß sich die Vollzugsbehörde der Einschätzung der Sachverständigen D.-C. bei der Entscheidung über den Widerruf der Einweisung in den offen Vollzug angeschlossen hat.

Nach alledem war der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Die Festsetzung des Gegenstandswertes für beide Rechtszüge beruht auf den §§ 13, 25, 48 a GVG.



Ende der Entscheidung

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