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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 11.07.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 652/06
Rechtsgebiete: GVG, StPO


Vorschriften:

GVG § 140 a
StPO § 269
StPO § 270
StPO § 367 I
1. Wurde im Ausgangsverfahren die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und richtet sich der Wiederaufnahmeantrag gegen den Schuldspruch, hat ein Amtsgericht über den Wiederaufnahmeantrag zu befinden.

2. Wird stattdessen das Landgericht mit dem Wiederaufnahmeantrag befasst, kann es die Sache an das sachlich und örtlich zuständige Amtsgericht abgeben.


Gründe:

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Bad Hersfeld verurteilte den Antragsteller am 14.5.2003 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten. Die hiergegen gerichtete Berufung des Antragstellers hat er ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Strafausspruch beschränkt. Auf dieses Rechtsmittel hin änderte das Landgericht Fulda, das von der Wirksamkeit dieser Beschränkung ausging, mit Urteil vom 26.11.2003 das amtsgerichtliche Urteil dahin ab, dass die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft führte zur Aufhebung des Urteils, soweit in ihm Strafaussetzung zur Bewährung gewährt worden war und zur Zurückverweisung der Sache im Umfange der Aufhebung an das Landgericht Fulda (Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13.7.2004, das ebenfalls von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgeht). Durch Urteil vom 12.5.2005 verwarf dieses die Berufung des Angeklagten.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 17.11.2005 - gerichtet an das Amtsgericht Bad Hersfeld und dort eingegangen am selben Tage - stellte der Antragsteller einen gegen das Urteil dieses Gerichts vom 14.5.2003 gerichteten Antrag auf Wiederaufnahme und begehrte zugleich Weiterleitung an das zuständige Gericht. Das Amtsgericht Bad Hersfeld übermittelte mit Verfügung vom 22.12.2005 die Sache der Staatsanwaltschaft Gießen, welche sie mit dem Antrag, das Begehren als unzulässig zu verwerfen, der kleinen Strafkammer des Landgerichts Gießen vorlegte. Diese erklärte sich mit Beschluss vom 19.6.2006 für (sachlich) unzuständig und "verwies" die Wiederaufnahmesache an das Amtsgericht Gießen. Dieses vertrat mit Verfügung vom 23.6.2006 die Auffassung, das Landgericht Gießen sei zuständig, weil der Sache nach die Unwirksamkeit der Beschränkung der Berufung geltend mache, so dass "Ziel der Wiederaufnahme daher ein (neuerliches) landgerichtliches Urteil" sei, und legte die Sache dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.

Das Oberlandesgericht hat in dem Zuständigkeitsstreit als das gemeinschaftliche obere Gericht das zuständige Gericht für das Wiederaufnahmeverfahren zu bestimmen (§ 14 StPO). Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass die Klärung der Zuständigkeitsfrage auch von der Zulässigkeit der erfolgten Abgabe vom Landgericht an das Amtsgericht abhängt (vgl. (Senat, StV 1996, 533 mwN - für die Frage der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses).

Das Landgericht Gießen hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Zuständigkeit des Amtsgerichts Gießen für das Wiederaufnahmeverfahren bejaht.

Gem. §§ 367 I 1 StPO, 140a I 1 GVG entscheidet im Wiederaufnahmeverfahren ein anderes Gericht mit gleicher sachlicher Zuständigkeit als das Gericht, gegen dessen Entscheidung sich der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens richtet. Ein - wie hier - mit Ziel des Freispruchs gegen den Schuldspruch gerichteter Wiederaufnahmeantrag, richtet sich, wenn - wie vorliegend - die Strafsache mehrere Instanzen durchlaufen hat, gegen das Urteil, das den Schuldspruch enthält. Dies ist, wenn die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war und das Landgericht nicht mehr über die Schuldfrage befunden hatte, das Urteil des Amtsgerichts. Mithin ist in einem solchen Falle das zur Entscheidung über die Wiederaufnahme berufene Gericht gleicher sachlicher Zuständigkeit ebenfalls ein Amtsgericht (OLG Koblenz, NStZ-RR 1998, 18; 1997, 111; OLG Oldenburg, StV 1992, 102; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 140a GVG Rn 6; Schmidt, in: KK-StPO, 5. Aufl., § 140a GVG Rn 5; Gössel, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 367 Rn 8 - jew. mwN). So liegt die Sache hier. Erstinstanzlich hat das Amtsgericht - Schöffengericht - Bad Hersfeld entschieden, das Landgericht hat die erfolgte Berufungsbeschränkung für wirksam erachtet und sich demzufolge auf die Entscheidung zum Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Soweit der Antragsteller Ausführungen zum "fehlenden Verzichtswillens" des Antragstellers bei der damaligen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch macht, mag darin, wie das Amtsgericht Gießen in seiner Verfügung vom 23.6.2006 meint, durchaus der Vortrag liegen, die Beschränkung sei unwirksam gewesen. Indes ist die Annahme nicht gerechtfertigt, der Antragsteller wolle diesen Verfahrensmangel als Wiederaufnahmegrund geltend machen (was dazu führen könnte, dass insoweit das Landgericht Gießen über die Wiederaufnahme zu befinden hätte, vgl. OLG Köln JMBlNW 1957, 131, 132; Meyer-Goßner, § 140a Rn 6). Hiergegen spricht bereits, dass sich der Antrag nur gegen das amtsgerichtliche Urteil richtet. Ferner ist als Wiederaufnahmegrund nur § 359 Nr. 5 StPO genannt. Schließlich ist bei einem anwaltlich vertretenen Antragsteller nicht anzunehmen, dass er sich auf einen gesetzlich als Wiederrufsgrund nicht vorgesehenen Verfahrensmangel - der Katalog des § 359 StPO ist abschließend (allgem. Meinung, vgl. nur Meyer-Goßner, § 359 Rn 1) - berufen will. Vielmehr wollte er - wie sich aus den Formulierungen S. 3 2. Absatz mit S. 3 letzter Satz der Antragsbegründung ergibt - lediglich seine Ansicht verdeutlichen, dass der damals erklärte teilweise Rechtsmittelverzicht der "Überprüfung der gesamten Tatsachenfeststellung im Wiederaufnahmeverfahren", also auch derjenigen zum Schuldspruch nicht entgegenstehe.

Das Landgericht war ferner befugt, die Wiederaufnahmesache an das Amtsgericht formlos abzugeben (h.M OLG Oldenburg, StV 1992, 102; Meyer-Goßner, § 367 Rn 5; Schmidt, § 367 Rn 7, 8; Paulus, in: KMR-StPO, § 367 Rn 7; Peters, Fehlerquellen im Strafprozess III. 132). Die Gegenmeinung (Gössel, § 367 Rn 37) lässt nur eine Verweisung vom niederen an das höhere Gericht analog § 270 StPO zu, hält hingegen - in entsprechender Anwendung des § 269 StPO - die Annahme des Gerichts höherer Ordnung, das Gericht niederer Ordnung sei zuständig, für unbeachtlich (ebenso: Frister/Deiters, in: SK-StPO, § 367 Rn 4). Nach dieser Meinung müsste also das Probationsverfahren vor dem Landgericht durchgeführt werden und könnte dessen fehlender sachliche Zuständigkeit erst durch die Anordnung der Erneuerung der Hauptverhandlung vor dem Amtgerichts an. § 354 III StPO Rechnung getragen werden (Gössel aaO). Das würde indes dazu führen, dass der Instanzenzug im Probationsverfahren verändert wird. Hierfür gibt es keinen sachlichen Grund (i.E. ebenso OLG Oldenburg, StV 1992, 102; OLG Koblenz, NStZ-RR 1996, 18 und OLG Köln, JMBlNW 1957, 131, 132). Dies gilt erst Recht dann, wenn das Gericht höherer Ordnung nicht auf einem dafür vorgesehenen gesetzlichen Weg mit der Widerrufssache "befasst" worden ist, also weder vom Antragsteller des Probationsverfahrens angerufen wurde, noch das Gericht gegen dessen Entscheidung sich das Wiederaufnahmebegehren richtet, den Antrag dem Gericht höherer Ordnung zugeleitet hat. So liegt die Sache hier aber. Der Antragsteller hat sich an das Amtsgericht Bad Hersfeld gewandt. Dieses hat das Begehren kommentarlos an die Staatsanwaltschaft übermittelt, statt das Gericht, an das weitergeleitet werden soll, zu benennen. Die Staatsanwaltschaft, die über die Zuständigkeitsfrage nicht zu befinden hatte, hat dann in deren Verkennung die Sache dem Landgericht vorgelegt.

Wegen der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgericht Gießen kann auf die diesbezüglichen, in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen der Kammer verwiesen werden. Deshalb war wie erkannt zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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