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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 08.08.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 730/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
StPO § 112 a
StPO § 119
StPO § 240
StPO § 245
1. Eine Dauerbesuchserlaubnis kann aufgrund des erforderlichen organisatorischen Aufwandes, der einen erheblichen Eingriff in den üblichen Ablauf einer Justizvollzugsanstalt darstellt, regelmäßig nicht erteilt werden.

2. Ausnahmsweise muss einem psychiatrischen Sachverständiger zur Erstellung eines Gutachtens zur Frage strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Angeklagten eine Besuchserlaubnis erteilt werden, weil die allein aus den gesetzlichen Haftgründen nach §§ 112, 112a StPO vollzogene Untersuchungshaft darf das Recht des Angeklagte auf die Stellung präsenter Beweismittel nicht untergraben.


Gründe:

I.

Der Angeklagte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28.6.2006 beantragt, der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. X zu jeweils unüberwachten Besuchen in der Justizvollzugsanstalt ... "als Hilfsperson der Verteidigung" eine Dauerbesuchserlaubnis zu erteilen.

Mit Verfügung vom 29.6.2006 hat der Vorsitzende der 4. Strafkammer eine Dauerbesuchserlaubnis mit optischer Besuchsüberwachung erteilt.

Mit Schriftsatz vom 7.7.2006 hat der Verteidiger beantragt, die Dauerbesuchserlaubnis ohne optische Überwachung anzuordnen. Bei optischer Überwachung würden die Gespräche in einem Besuchsraum geführt, in dem auch für andere Familienbesuche stattfänden. Die von der Verteidigung intendierten therapeutischen Gespräche könnten hier nicht stattfinden. Die Vertraulichkeit des Wortes sei nicht gewahrt. Die Konzentration auf das Gespräch sei nicht gewährleistet.

Daraufhin hat der Vorsitzende mit der angefochtenen Verfügung die Dauerbesuchserlaubnis widerrufen, auf die Möglichkeit überwachter Gespräche aufgrund von Einzelbesuchserlaubnissen verwiesen und um Darlegung gebeten, wegen welcher Erkrankung welche Therapie gewählt werden solle. Über die Erteilung einer neuen Dauerbesuchserlaubnis solle erst nach Anhörung des ärztlichen Dienstes der JVA zu einer Therapie entschieden werden.

Mit Schriftsatz vom 25.7.2006 hat der Verteidiger im Namen des Angeklagten Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden vom 10.7.2006 eingelegt und beantragt, eine unüberwachte Dauerbesuchserlaubnis für die Sachverständige Dr. X zu erteilen. Die Verteidigung habe das Recht, eine qualifizierte Hilfsperson zu integrieren und sei nicht gehalten, über die Art und Weise der Tätigkeit Rechenschaft abzulegen. Es sei das offenkundige Bestreben der Verteidigung, eine weitere gutachterliche Bewertung "zur Persönlichkeit und Geschichte des Angeklagten und zum angeblichen Tatgeschehen" einzuholen. Im Übrigen werde das Selbstladungsrecht des Verteidigers unterlaufen.

Die 4. Strafkammer des Landgerichts hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Besuchserlaubnis ist aufgrund des Beschwerdevorbringens antragsgemäß zu erteilen.

Untersuchungsgefangenen dürfen nach § 119 Abs. 3 StPO nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung der Vollzugsanstalt erfordert. Dabei ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (BVerfG NJW 1976, 1311 mwN.).

Eine Dauerbesuchserlaubnis kann aufgrund des erforderlichen organisatorischen Aufwandes, der einen erheblichen Eingriff in den üblichen Ablauf einer Justizvollzugsanstalt darstellt, regelmäßig nicht erteilt werden (Senatsbeschluss vom 15.09.1997 - 3 WS 907/97). Dient eine Besuchserlaubnis der Führung therapeutischer Gespräche, liegt es nahe, vor deren Erteilung eine Stellungnahme des ärztlichen Dienstes einzuholen und zu prüfen, welche Eingriffe in den Ablauf der Justizvollzugsanstalt damit verbunden sind. Der Fall liegt hier aber aufgrund der Beschwerdebegründung anders.

Die begehrte Besuchserlaubnis für die Ärztin Dr. X zielt darauf, neben dem bereits im Ermittlungsverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. SV1 ein weiteres fachärztliches Gutachten einzuholen.

Entscheidend ist darauf abzustellen, dass die Versagung der Besuchserlaubnis für einen vom Angeklagten beauftragten Sachverständigen sein Beweisantragsrecht berühren kann. Ein Angeklagter hat einen Anspruch darauf, unter den in §§ 220, 245 Abs. 2 StPO genannten Voraussetzungen präsente Beweismittel in die Hauptverhandlung einzuführen. Ein von der Verteidigung vorgeladener Sachverständiger ist aber nur dann ein präsentes Beweismittel, wenn er in der Hauptverhandlung auf die Erstattung seines Gutachtens vorbereitet ist und auf dieser Grundlage unmittelbar zur Sache gehört werden kann (BGHSt 6, 289,291; 23, 176, 183, 185). Der Sachverständige muß sein Gutachten mithin aufgrund des Wissens erstatten, das er zum Zeitpunkt seiner Vernehmung bereits erworben hat. Daraus erwächst der Verteidigung, will sie in der Hauptverhandlung einen Sachverständigen präsentieren, die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass dieser rechtzeitig und ausreichend vorbereitet ist (BGH StV 1997, 562, 563, Widmaier, StV 1985, 526, 528). Ein psychiatrischer Sachverständiger wird sein Gutachten zur Frage strafrechtlicher Verantwortlichkeit in aller Regel durch eine Exploration des Angeklagten vorbereiten. Befindet sich der Angeklagte in Freiheit, kann er sich - und zwar unabhängig davon, ob er bei der Exploration durch den gerichtlichen Sachverständigen mitgewirkt hat - der Exploration durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen unterstellen. Wird hingegen Untersuchungshaft vollzogen, bedarf es einer Besuchserlaubnis für den Sachverständigen. Die allein aus den gesetzlichen Haftgründen nach §§ 112, 112a StPO vollzogene Untersuchungshaft darf das Recht des Angeklagte auf die Stellung präsenter Beweismittel nicht untergraben (BGH StV 1997, 562, 563). Wenn dem Besuchswunsch des Sachverständigen Gründe entgegengehalten werden, die den ordnungsgemäßen Betrieb der Haftanstalt gewährleisten sollen, ist die Schwere der zu erwartenden Störung gegen die Bedeutung des Beweismittels für den Angeklagten sorgsam abzuwägen und - wegen der Überprüfbarkeit dieser Entscheidung nach § 336 Abs.1 StPO - darzulegen (BGH aaO). Ausgehend von der Bedeutung des psychiatrischen Gutachtens für den Angeklagten A, das sich auch zu Fragen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB verhalten soll, sind die Beeinträchtigungen im Anstaltsbetrieb hinzunehmen. Da die Dauerbesuchserlaubnis der Exploration des Angeklagten dient, beschränkt sich die Beeinträchtigung des Anstaltsbetriebs - anders als bei Dauerbesuchserlaubnissen im Regelfall - auf eine überschaubare Anzahl von Besuchen. Die Begutachtung erfordert vorliegend voraussichtlich auch keine Zusatzuntersuchungen, die eine länger andauernde Ausführung notwendig erscheinen lässt. Eine hierdurch bedingte besondere Belastung im ordnungsgemäßen Betrieb der Haftanstalt ist nicht zu erwarten.

Eine Beeinträchtigung der Arbeit des im Ermittlungsverfahren bestellten Sachverständigen und eine Verzögerung der Hauptverhandlung, was einer Erteilung entgegenstehen könnte (BGH aaO), ist ebenfalls nicht ersichtlich. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. SV1 liegt seit dem 4.1.2006 vor. Die Besuche der Sachverständigen Dr. X können von daher Explorationstermine des gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht behindern. Gleiches gilt für die am 1.9.2006 beginnende Hauptverhandlung.

Es sind auch keine Tatsachen für den Verdacht ersichtlich, dass ein Fehlverhalten der beauftragten Sachverständigen vorliegen könnte, was entsprechend dem Katalog des § 138 a Abs. 1 und 2 StPO zu ihrer Ablehnung führen würde (BGH aaO, Widmaier aaO).

Die Besuche sind ohne optische und akustische Überwachung zu genehmigen. Der Senat hat mit Beschluss vom 19.04.1983 - 3 Ws 248/83 (StV 1983,289) einen unüberwachten Besuch eines Untersuchungsgefangenen durch einen Mitarbeiter der Drogenberatung bewilligt. Um die Entstehung des für die Durchführung eines therapeutischen Gesprächs erforderlichen Vertrauensverhältnisses zwischen einem Therapiewilligen und dem Mitarbeiter einer Drogenberatung nicht zu beeinträchtigen, ist es im Einzelfall gerechtfertigt, für eine erfolgversprechende Durchführung des Gesprächs von einer Überwachung durch einen Vollzugsbeamten abzusehen. Dies gilt für Explorationsgespräche eines Sachverständigen erst recht. Dem Sachverständigen muss es ermöglicht werden, ein Gutachten fachgerecht zu erstellen. Dies setzt adäquate Untersuchungsbedingungen voraus. Die Exploration sollte unter fachlich akzeptablen Bedingungen durchgeführt werden, bei denen ein diskretes, ungestörtes und konzentriertes Arbeiten möglich ist (verl. Boetticher u.a., Mindestanforderungen an Prognosegutachten, zur Veröffentlichung vorgesehen in NStZ 2006 Heft 10). Eine Überwachung der Gespräche stünde dem entgegen.

III.

Die Kosten und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.

Ende der Entscheidung

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