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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 13.09.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 853/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 304 Abs. 1
StPO § 305
StPO § 305 Abs. 1 Satz 1
StPO § 147 Abs. 1
StPO § 147 Abs. 1 2. Alt.
StPO § 467 Abs. 1
StPO § 473 Abs. 3
Das Recht auf Akteneinsicht erstreckt sich auch auf Tonaufzeichnungen einer Telefonüberwachung, deren Abhören nicht wegen technischer Schwierigkeiten abgelehnt werden kann.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

BESCHLUSS

In der Strafsache

gegen ...

wegen Verstoßes gegen das BtMG

hier: Einsicht in Beweismittel

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Angeklagten gegen die Versagung der Einsicht in die in der Anklageschrift genannten TÜ-Bänder am 13.9.2001 beschlossen:

Tenor:

Der Verteidigerin ist rechtzeitig vor der Hauptverhandlung Einsicht in die in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main als Beweismittel genannten TÜ-Bänder zu gewähren.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Dem Angeklagten wird Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt. Er ist bei der 17. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main angeklagt. Die Hauptverhandlung beginnt am 31.10.2001. In der Anklageschrift sind als Beweismittel u.a. "TÜ-Bänder - asserviert unter LÜ-Nr. .../01 -" genannt. Die Verteidigerin begehrt die Einsicht in die Bänder. In ihrem Antrag vom 29.5.2001 heißt es: "In der Sache ... beantrage ich namens und in Vollmacht meines Mandanten, ... 3. Bandkopien der gesamten Telefonüberwachung anzufertigen und 4. diese ebenfalls der Verteidigung zur Einsicht zu überlassen."

Nachdem der Vorsitzende der Strafkammer unter Hinweis auf die zeitaufwändige Prüfung und Weiterleitung dieses Gesuchs an die Staatsanwaltschaft die Verteidigerin gebeten hatte, auf die Dauer von vier Wochen von Abfragen abzusehen, wandte sich diese nach Ablauf des genannten Zeitraums an die Staatsanwaltschaft. Sie erhielt die nicht näher begründete Mitteilung, dass keine Möglichkeit bestehe, die Bänder zu kopieren. Mit Schriftsatz vom 6.7.2001 an das Gericht formulierte die Verteidigerin ihr Begehren nunmehr wie folgt:

"In der Strafsache ... hat die Staatsanwaltschaft mir mitgeteilt, dass derzeit keine Möglichkeit bestehe, Bandkopien der Telefonüberwachung zu fertigen und mir diese zur Einsicht zu überlassen, wie dies in anderen Verfahren üblicherweise gehandhabt wird. Ich beantrage deshalb, mir Gelegenheit zu geben, mit meinem Mandanten und einem Dolmetscher die asservierten TKÜ-Beweisbänder (es folgt die genaue Bezeichnung) durch Abhören in Augenschein zu nehmen. Ich beantrage des weiteren, die Bänder (es folgt die genaue Bezeichnung) beizuziehen und mir ebenfalls Gelegenheit zu geben, sie mit meinem Mandanten und einem Dolmetscher durch Abhören in Augenschein zu nehmen."

In einem Schreiben des Vorsitzenden an die Verteidigerin vom 10.7.2001 heißt es:

"Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft besteht keine Möglichkeit, von Tonbändern Kopien zu fertigen. Nach Beratung in der Kammer ist sie der Meinung, dass dies untunlich ist. Das Gericht wird den Leiter der Kriminalpolizei K ... Frankfurt am Main, Tel. ... , anschreiben, damit Ihnen dort im Polizeigewahrsam die Originalbänder vorgespielt werden können. Sie sollten daher dort eine Terminsvereinbarung treffen."

Die Polizei teilte der Verteidigerin mit, die Bänder seien bei der Staatsanwaltschaft; ein Vorspielen auf der Dienststelle der Polizei sei wegen der dünnen Personaldecke nicht möglich. Auch könne dem Beschuldigten nicht gestattet werden, sich in den Räumen der Dienststelle längere Zeit aufzuhalten. Mit Schreiben vom 20.7.2001 wies die Verteidigerin darauf hin, dass ihr angesichts der gegenteiligen Erfahrungen aus anderen Verfahren unverständlich sei, weshalb ihr jetzt keine Kopien zur Verfügung gestellt werden könnten. Mit Verfügung vom 25.7.2001 schrieb der Vorsitzende darauf:

"Wie Ihnen schon mitgeteilt wurde (Schreiben vom 10.7.2001) werden auf Anordnung des Gericht von den Tonbändern keine Kopien wegen der Gefahr technischer Störungen hergestellt. Eine Abhörung kann durch Sie im Polizeipräsidium unter Hinzuziehung eines Dolmetschers erfolgen. Ausgang wird dem Angeklagten Q. auf Grund der Mitteilung des KHK A. vom 16.07.2001 und aufgrund allgemeiner Erwägungen, nach denen Beweisunterlagen nicht dem Zugang durch Angeklagte unterliegen, versagt. Es wird davon ausgegangen, daß die Staatsanwaltschaft der Kriminalpolizei einen Bediensteten zur Verfügung stellt, der das Abspielen der Bänder selbst zur Vermeidung technischer Beeinträchtigungen ausführt. Dies dürfte trotz der personellen Schwierigkeiten möglich sein, da die Bänder lediglich eine Laufzeit von etwa 18 Stunden (so ist jedenfalls berichtet worden) haben."

Nachdem in der Folgezeit bis Ende August 2001 kein Termin zum Abhören der Bänder zustande kam, da sowohl die Polizei wie auch die Staatsanwaltschaft angaben, kein Personal dafür zur Verfügung stellen zu können, erhob die Verteidigerin mit Schriftsatz vom 27.8.2001 Beschwerde gegen die faktische Versagung ihres Einsichtsrechts. Mit der Übersendungsverfügung an das Beschwerdegericht vom 28.9.2001 vermerkte der Vorsitzende der Strafkammer Folgendes:

"Die Kammer hat die technischen Anlagen der Tonbandaufzeichnungen beim PP Ffm in Augenschein genommen. Danach ist folgendes festzustellen:

a) Das Abspielen von Aufzeichnungen in den dortigen Räumen ist nicht möglich a) Enge der Räume b) Sicherheitsrelevante, auch geheim zu haltende Gesichtspunkte sind zu beachten c) Überspielungen von Aufzeichnungen auf verschiedene Tonträger ist faktisch nicht möglich - CD-Aufzeichnungen, entzerrte, personalisierte Reden der abgehörten Personen, nicht bannbare Gefahr von Zerstörungen und Beschädigungen d) Kostenfaktor. Abspielgeräte sind Hochleistungsapparate, die zum Betrieb hochqualifizierte Bedienungen erfordern, die nicht vorhanden"

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main tritt der Beschwerde bei. Sie beantragt, die 17. Strafkammer dahingehend zu verpflichten, der Verteidigerin des Angeklagten das Abhören der Tonbandaufzeichnungen vor Beginn der Hauptverhandlung zu ermöglichen.

Die Beschwerde der Verteidigerin ist zulässig, § 304 Abs. 1 StPO. Nachdem der Vorsitzende der 17. Strafkammer schon mit Verfügungen vom 10. und 25.7.2001 die Anfertigung von Kopien der Bänder abgelehnt hatte, hat er mit dem Vermerk vom 28.8. 2001 deutlich gemacht, dass er - entgegen der am 10. und 25.7.2001 erteilten Bewilligung - nunmehr auch das Abhören der Aufzeichnungen beim PP Frankfurt am Main nicht mehr gestattet. Angesichts der darin zum Ausdruck gekommenen gänzlichen Versagung des Einsichtsrechts kommt es auf die bis dahin vorliegende faktische Nichtgewährung nicht mehr an.

§ 305 StPO steht der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen. Nach der genannten Norm unterliegen nicht der Beschwerde Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, wozu auch Verfügungen des Vorsitzenden zählen (h.M. OLG Düsseldorf, NStZ 1986, 138; OLG Köln, NJW 1981, 1523; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. 2001, Rdnr. 2 zu § 305). Soweit vertreten wird, dass die Verfügungen des Vorsitzenden nicht zu Entscheidungen im Sinne des § 305 StPO zu rechnen sind (Karlsruher Kommentar-Laufhütte, StPO, 4. Aufl., 1999, Rdnr. 12 zu § 141, OLG Koblenz wistra 83, 122), kann der Meinungsstreit dahinstehen, weil nach dieser Auffassung das Zulässigkeitshindernis des § 305 StPO ohnehin nicht greifen könnte.

Es handelt sich bei der die Akteneinsicht betreffenden Entscheidung nicht um eine solche im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO (OLG Brandenburg NJW 1996, 67, 68 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Entscheidung steht nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem späteren Urteil. Als nicht beschwerdefähige Entscheidungen sind nur solche zu verstehen, die der Urteilsvorbereitung dienen und bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung unterliegen. Hierzu zählen insbesondere solche Entscheidungen, die sich auf die Beweisaufnahme beziehen und gegebenenfalls vor der Urteilsfällung einer Änderung zugänglich sind. Dagegen benennt Satz 2 - und zwar lediglich als Beispielsfälle, in denen die Beschwerde zulässig ist - Maßnahmen und Entscheidungen, die bei der Urteilsfindung nicht noch einmal nachgeprüft werden, weil sie weder rückwirkend beseitigt noch nachgeholt werden können. So verhält es sich mit der Entscheidung über die Akteneinsicht. Ihre Rechtmäßigkeit wird weder bei der Urteilsfällung überprüft, noch wäre eine zuvor getroffene Entscheidung gegebenenfalls rückwirkend korrigierbar. Der Beschwerdemöglichkeit steht auch nicht entgegen, dass die verweigerte Akteneinsicht u.U. im Rahmen der Revision eine Rolle spielen kann und im Einzelfall unterschiedliche Entscheidungen des Beschwerdegerichts und des Revisionsgerichts denkbar wären. Das nimmt das Gesetz auch in anderen Fällen beschwerdefähiger, dem Urteil vorangehender Entscheidungen hin (§ 336 StPO). Diese Grundsätze müssen jedenfalls für die Versagung der Akteneinsicht vor Beginn der Hauptverhandlung gelten (Heidelberger Kommentar, StPO, 3. Auflage, 2001, Rdnr. 26 zu § 147). Die Entscheidung des Senats vom 5.3.1996 (3 Ws 131/96 - NStZ- RR 96, 238) steht dem nicht entgegen; sie hatte die Frage der Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die in laufender Hauptverhandlung versagte Einsicht in (ausländische) Akten ausdrücklich offen gelassen. In einem solchen Fall vermag schon eher an einen inneren Zusammenhang der Entscheidung mir der Urteilsfällung gedacht werden.

Die Beschwerde ist auch begründet. Der Senat hat eigene Erkundigungen beim K ... des PP Frankfurt am Main (Kriminalbeamte A. und W.) sowie bei Strafrichtern des Landgerichts Frankfurt am Main eingeholt. Danach stellt sich die Sachlage wie folgt dar:

Beim PP Frankfurt am Main stehen zwei Arten von Aufzeichnungsgeräten zur Verfügung: ältere Bandmaschinen, die mit einem Viertel der bei herkömmlichen Musikkassetten üblichen Geschwindigkeit aufnehmen und sog. "Beweisbänder" herstellen, sowie MOD-Geräte, die auf CD-Rom-ähnlichen Datenträgern digitalisiert aufnehmen und für die es lediglich ein - beim Zoll ausleihbares - tragbares Abspielgerät gibt. Die in dem vorliegenden Strafverfahren erstellten Aufzeichnungen befinden sich ausnahmslos auf Bändern, die bei der Staatsanwaltschaft asserviert sind. Von den Bändern können mittels eines herkömmlichen Kassettendecks Kopien erstellt werden; jedoch sind diese auf einem solchen Kassettendeck wegen der niedrigeren Geschwindigkeit nicht abhörbar. Zudem steht beim PP eine solche Kopierstation nicht zur Verfügung; in der Vergangenheit hat man sich mit privaten Geräten der Bediensteten beholfen. Die Bänder (Beweisbänder oder Kopien) können auf einem transportablen Auswertegerät abgehört werden, dessen Bedienung nicht schwer ist. Ein solches Gerät befindet sich derzeit beim Landgericht Frankfurt am Main (2. Strafkammer), weil dort kürzlich eine Vielzahl von Bändern durch die Verteidigung abgehört worden war. Ein Abhören der Bänder beim K ... des PP Frankfurt am Main ist ebenfalls möglich und wurde in der Vergangenheit auch vielfach praktiziert. Die Räumlichkeiten sind jedoch aufgrund der Enge für eine solche Vorgehensweise eher ungeeignet, zumal überdies nicht nur der laufende Dienstbetrieb empfindlich gestört, sondern auch nicht gewährleistet wäre, dass die dort aktuell betriebenen Ermittlungen mit dem erforderlichen Maß an Geheimhaltung vorgenommen werden könnten.

Der Senat, der keine Veranlassung hat, die Richtigkeit der ihm erteilten Auskünfte in Zweifel zu ziehen, sieht keinen Grund, die beantragte Einsicht in die Bänder zu versagen. Das Recht auf Einsicht ergibt sich aus § 147 Abs. 1 StPO. Tonaufzeichnungen gehören zu den Beweismitteln im Sinne des § 147 Abs. 1 2. Alt. StPO (Lüdersen in LR, 24. Auf. 1989, Rdnr. 107 zu § 147). Sie unterliegen der Akteneinsicht, wenn sie - wie hier - von der Staatsanwaltschaft verwertet wurden (KMR-Müller, StPO, Rdnr. 3 zu § 147). Die Besichtigung von Tonaufzeichnungen erfolgt in der Weise, dass der Verteidiger sie sich - gegebenenfalls auch mehrfach - auf der Geschäftsstelle oder dem Ort ihrer Verwahrung vorspielen lässt. Ist dies zu Informationszwecken nicht ausreichend, hat er einen Anspruch auf Herstellung einer amtlich gefertigten Kopie (Lüdersen in LR, 24. Auf. 1989, Rdnr. 111 zu § 147, Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., 2001, Rdnr. 19 zu § 147). Sind die Kopien ohne Erklärungen des Angeklagten oder eines Dolmetschers unverständlich, so ist deren Anwesenheit beim Abhören zu gestatten (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., 2001, Rdnr. 19 zu § 147; LG Köln StV 95, 12).

Fehlende personelle oder technische Ausstattung kann nicht dem gesetzlich verbürgten Einsichtsrecht entgegen gehalten werden. Wenn die Ermittlungsbehörden mithilfe technischer Einrichtungen Beweismittel schaffen und verwerten, ist auch sicherzustellen, dass diese von den Verfahrensbeteiligten - soweit deren Rechte reichen - eingesehen werden können. Da in der Anklage die TÜ-Aufzeichnungen als Beweismittel nur pauschal bezeichnet sind , ohne sie nach bestimmten Aufnahmen konkret zu benennen, erstreckt sich das Einsichtsrecht auch auf den gesamten Umfang der asservierten Bänder. Die Art und Weise der Einsichtsgewährung bleibt dem Vorsitzenden der 17. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main überlassen. Nach der dargestellten Sachlage bestehen verschiedene Möglichkeiten, ohne Gefährdung des Beweismittels die Einsicht zu realisieren. Die Auswahl der geeignetsten Möglichkeit obliegt nicht dem Senat. Auch vermag der Senat weder aus der Beschwerdeschrift noch dem vorliegenden Beschwerdeheft zu erkennen, ob die Voraussetzungen für eine Teilnahme des Angeklagten erfüllt sind. Insoweit wird ebenfalls der Vorsitzende zu befinden haben. Eine Versagung aus Gründen der Gefährdung des Beweismittels erscheint jedenfalls angesichts der Möglichkeit der Anfertigung von Kopien der Beweisbänder oder der Bedienung der Auswertestation durch einen Justiz- bzw. Polizeiangehörigen nicht stichhaltig.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.



Ende der Entscheidung

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