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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 05.11.2003
Aktenzeichen: 3 Ws 981/03
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 11 II
Auf die Länge des Strafrestes, das Leugnen der Tat oder die Verknüpfung dieser beiden Umstände allein kann das Bestehen von Flucht- oder Missbrauchsgefahr i. S. des § 11 II StVollzG nicht gestützt werden. Vielmehr ist - vom Ausnahmefall einer eindeutigen Sachlage abgesehen - eine Gesamtabwägung aller nach Erfahrungswissen im konkreten Fall für die Gefahr relevanten Umstände erforderlich.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

3 Ws 981/03 (StVollz)

Entscheidung vom 5. November 2003

In der Strafvollzugssache

wegen Vollzugslockerung

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel vom 8. Juli 2003 am 5. November 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Kassel zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert wird für beide Instanzen auf 1000.- € festgesetzt.

Gründe:

Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Gefangenen, der gegen die in der Vollzugsplanfortschreibung der Anstalt vom 20.2.2003 enthaltene Ablehnung, ihm Lockerungen zu gewähren, gerichtet war, zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und -was die Sachrüge anbelangt- in gleicher Weise begründete Rechtsbeschwerde des Gefangenen. Das Rechtsmittel ist auch i.S. des § 116 StVollzG zulässig, da es geboten erscheint, die Nachprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.

Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Die Entscheidung des Landgerichts ist schon deshalb rechtlich zu beanstanden, weil sie den Begründungsanforderungen nicht genügt. Die Beschlussentscheidung einer Strafvollstreckungskammer in Strafvollzugssachen muss die tatsächlichen Feststellungen und wesentlichen rechtlichen Erwägungen so vollständig wiedergeben, dass sie eine rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ermöglichen (§§ 120 I StVollzG, 267 I StPO vgl. Senat, Beschl. v. 18.3.1997 - 3 Ws 133/97 mwN - st. Rspr. der Obergerichte).

Hieran fehlt es, weil dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen ist, ob die Anstalt die in der Vollzugsplanfortschreibung enthaltene Versagung von Vollzugslockerungen zureichend begründet hat.

Die im Vollzugsplan selbst enthaltenen Begründung für die Ablehnung hat die Kammer zwar wiedergegeben. Mit den dort niedergelegten Ausführungen hat die Anstalt indes allenfalls ihrer Begründungspflicht im Vollzugsplan selbst genügt. Dort muss sie nämlich nur eine Begründung der Versagung in ihren Grundzügen liefern (vgl. Senat aaO, OLG Hamm, ZfStrVo 1979, 63; OLG Nürnberg, ZfStrVo 1982, 308). Für eine gerichtliche nachprüfbare Rechtfertigung ist sie entgegen der Ansicht der Kammer nicht zureichend.

Einer gerichtlichen Nachprüfung hält die auf § 11 II StVollzG gestützte Versagung von Vollzugslockerungen -vom hier nicht gegebenen Ausnahmefall einer eindeutigen Sachlage abgesehen (vgl. Senatsbeschl. v. 6.2.2001 - 3 Ws 59/01 (StVollz) mwN) - nämlich nur stand, wenn sie alle Gesichtspunkte des konkreten Einzelfalls ermittelt und gegeneinander abwägt, die nach Erfahrungswissen im konkreten Fall für die Gefahr einer Flucht des Gefangenen bzw. für die Gefahr der Begehung neuer Straftaten relevant sind (Senat, Beschl. v. 6.2.2001 aaO und NStZ 1982, 349, 350 wN bei Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 9. Aufl., § 11 Rn 17 a.E.).In die Gesamtabwägung ist namentlich die Persönlichkeit des Gefangenen, die Art und Weise sowie die Motive der Tat, das Nachtatverhalten, die Entwicklung des Gefangenen im Vollzug sowie die Bedingungen, unter denen die Vollzugslockerung erfolgt, einzustellen (Senat aaO). Auf die Länge des Strafrestes (vgl. Senat, NStZ 1983, 93) und das Leugnen der Tat (vgl. Senat, Beschl. v. 11.3.1999 - 3 Ws 218/99 - mwN - jew. zu § 57 I StGB; OLG Saarbrücken, NJW 1999, 433) allein oder auf die Verknüpfung dieser beiden Umstände - wie hier in der Vollzugsplanfortschreibung vom 20.3.2003 maßgeblich geschehen - allein kann die Fluchtoder Missbrauchsgefahr nicht gestützt werden (vgl. auch Calliess/Müller-Dietz, § 11 Rn 18). Das Vollzugsverhalten, auf das zur weiteren Begründung abgestellt wird, ist dort nicht dargestellt. Gleiches gilt für die in früheren Vollzugsplankonferenzen und - fortschreibungen, namentlich derjenigen vom 8.8.2002, enthaltenen Umstände. Zu den übrigen einzustellenden Gesichtpunkten verhält sich die Begründung überhaupt nicht.

Im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren hätte die Vollzugsbehörde nach alledem eine den dargestellten Anforderungen genügende, gerichtlich nachprüfbare Begründung nachliefern müssen (Senat, Beschl. 18.3.1997 aaO mwN). Ob dies geschehen ist, kann der Senat indes wegen der Lückenhaftigkeit der Gründe des angefochtenen Beschlusses nicht nachprüfen. Die darin enthaltene Bemerkung, die Anstalt hätte zum Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung nicht Stellung genommen, ist unzutreffend, weil diese mit Schriftsatz vom 20.6.2003, eingegangen noch vor Beschlussfassung, nämlich am 30.6.2003, auf diesen erwidert hat. Der Senat kann diese Begründung indes nicht inhaltlich überprüfen, weil sie - zu Unrecht - nicht in die Beschlussgründe aufgenommen wurde. Erst Recht ist es den Vollzugsbehörden versagt, eine Begründung erst im Rechtsbeschwerdeverfahren nachzuliefern. Soweit die Kammer zu einzelnen Abwägungsgesichtspunkten ergänzende Ausführungen gemacht hat, kann der Senat nicht überprüfen, ob sich die Kammer - wie es geboten wäre - darauf beschränkt hat, die Ausübung des Berurteilungsermessens der Anstalt auf Fehler zu überprüfen oder aber ihr Beurteilungsermessen unzulässig an die Stelle des behördlichen gesetzt hat.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf den §§ 13, 25, 48a GKG.



Ende der Entscheidung

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