Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 29.01.2002
Aktenzeichen: 5 U 170/00
Rechtsgebiete: InsO, ZPO, BGB


Vorschriften:

InsO § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Altern.
InsO § 55
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 55 Abs. 2
InsO § 55 Abs. 2 S. 2
InsO § 55 Abs. 2 S. 1
InsO § 60 Abs. 1 S. 1
InsO § 61
InsO § 87
InsO § 108 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 108 Abs. 1
ZPO § 240 S. 2
ZPO § 546 Abs. 2 S. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
BGB § 826
Der Senat folgt der Rechtsprechung und Fachliteratur vorherrschenden Auffassung, wonach § 55 Abs. 2 S. 2 InsO für den Insolvenzverwalter unanwendbar ist, wenn zu seinen Gunsten nur ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Altern. InsO ausgesprochen ist. InsO § 55 Abs. 2
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 170/00

Verkündet am 29.01.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. September 2000 verkündete Urteil der 13. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000 Euro abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Sicherheiten können durch unbedingte und unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.

Der Wert der Beschwer für die Klägerin beträgt 43.597,21 Euro.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt aus teilweise eigenem, teilweise aus abgetretenem Recht der A Leasing GmbH für Betriebsfahrzeuge und Produktionsanlagen der Schuldnerin Leasingraten und Mietkaufraten, zu deren Berechnung auf Seite 4 der Klageschrift (Bl. 4 d.A.) Bezug genommen wird. Sie ist der Ansicht, gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 InsO geltend machen zu können.

Der Beklagte wurde am 29.3.1999 durch das Amtsgericht Leipzig als Insolvenzgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt eingesetzt. Zugleich ordnete das Amtsgericht an, dass Erfüllungen nur an den Insolvenzverwalter wirksam seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss verwiesen (Anlage K 2 zur Klageschrift, Bl. 7 d.A.).

Der Beklagte meldete sich mit Schreiben vom 1.4.1999, auf das ebenfalls zu den Einzelheiten verwiesen wird (Anlage K 3 zur Klageschrift, Bl. 8-11 d.A.) bei der Klägerin und teilte mit, dass der Geschäftsbetrieb fortgeführt werde. Mit Beschluss vom 1.6.1999 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet, was die Klägerin veranlasste, am 8.6.1999 die außerordentliche Kündigung aller Verträge zu erklären.

Die Klägerin sieht die streitgegenständlichen Mieten aus der Dauer der vorläufigen Insolvenzverwaltung als Masseverbindlichkeiten, weil § 55 Abs. 2 S. 2 InsO entsprechend für den vorläufigen Insolvenzverwalter anzuwenden sei, wenn für diesen ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt ausgesprochen worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 85.268,73 DM nebst 5,5 % Zinsen p.a. seit 10.9.1999 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil es sich nicht um eine Masseforderung, sondern um eine Insolvenzforderung handele, die zur Tabelle anzumelden sei. Eine Analogie sei für den sogenannten schwachen vorläufigen Konkursverwalter nicht möglich, weil dieser dem Sequester nach der Konkursordnung entspreche und der Insolvenzverwalter bei anderer Sicht unübersehbaren Haftungsrisiken aus § 61 InsO ausgesetzt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Entscheidungsgründe wird auf das am 27.9.2000 verkündete Urteil Bezug genommen (Bl. 48-53 d.A.).

Gegen das am 27.9.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 27.10.2000 bei Gericht eingegangene Berufung der Klägerin, die nach Verlängerungen der Berufungsbegründungsfrist bis 26.1.2001 und 26.2.2001 mit am 26.2.2001 zu Gericht gelangtem Schriftsatz gerechtfertigt worden ist.

Die Berufung wendet ein, das Landgericht habe die abstrakte Rechtsfrage unrichtig entschieden. Es habe auch nicht berücksichtigt, dass der Beklagte in solchem Umfang Befugnisse gehabt habe, dass er einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter gleichzustellen sei.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 85.268,73 DM nebst 5,5 % Zinsen p.a. hieraus seit 10.9.1999 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 26.1.2001 (Bl. 82-90 d.A.) und 27.11.2001 (Bl. 126-129 d.A.) sowie des Beklagten vom 30.7.2001 (Bl. 107-116 d.A.) und 11.9.2001 (Bl. 123-125 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und gerechtfertigt worden. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der Senat folgt der in Rechtsprechung und Fachliteratur vorherrschenden Auffassung, wonach § 55 Abs. 2 S. 2 InsO für den Insolvenzverwalter unanwendbar ist, wenn zu seinen Gunsten nur ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Altern. InsO ausgesprochen ist (wie hier auch OLG Köln, ZIP 2001, 1422; LAG Frankfurt am Main, ZInsO 2001, 562; LG Leipzig, ZIP 2001,1778; AG Leipzig, ZIP 2001, 1780; Jaffe/Hellert, ZIP 1999, 1204; Spliedt ZIP 2001, 1948; MüKo Hefermehl, InsO 2001, § 55 Rz. 216; a.A.: Bork, ZIP 1999, 781; derselbe ZIP 2001, 1421; LG Leipzig, NZI 2001, 217). Dass der Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Altern, auch in allgemeiner Form ausgesprochen werden kann, steht außer Zweifel (vgl. BGH NJW 1999, 2822). Ebenso steht außer Frage, dass die Regelung in § 55 Abs. 2 S. 2 InsO ihrer Stellung nach auf § 55 Abs. 2 S. 1 InsO, also auf den vorläufigen Verwalter mit Verfügungsbefugnis, zu beziehen ist, so dass eine direkte Anwendung dieser Bestimmung für den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt nicht in Betracht kommt.

Die von der Klägerin vertretene Analogie bedarf allerdings keiner Regelungslücke, weil es sich um eine - zurückhaltend anzuwendende (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. 2001, Einl. Rz. 45) - Erweiterung eines Ausnahmetatbestandes handelt, nämlich um die teleologische Reduktion der Regel des § 108 Abs. 2 InsO, wonach vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Forderungen Insolvenzforderungen sind. Die Gleichheit der Interessen läge zu der Ausnahmeregelung für den starken Insolvenzverwalter, d.h. den Insovenzverwalter mit Verfügungsbefugnis, ist zu verneinen, weil der Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt keine ausreichende Herrschaft über die Masse hat, die er nicht ohne Mitwirkung des Schuldners verpflichten kann. Er kann lediglich Maßnahmen des Schuldners zustimmen oder diese hindern. Deshalb ist es unangemessen, ihm gegenüber Masseverbindlichkeiten zu begründen und ihn bei Unzulänglichkeit persönlich gemäß § 61 InsO haften zu lassen. Bei entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 2 S. 2 InsO würde eine Haftungsgefahr bereits begründet, bevor der Insolvenzverwalter sich überhaupt einen Überblick über den Vermögensstand des Schuldners verschaffen konnte.

Es gibt auch keinen sachlichen Grund, lediglich § 55 Abs. 2 s. 2 InsO für den Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt entsprechend anzuwenden und eine Haftung für sonstige Verbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 2 S. 1 InsO auszunehmen. Würde jedoch auch § 55 Abs. 2 S.1 InsO entsprechend für den Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt angewendet, bestünde ein Widerspruch zur gefestigten Auslegung des § 240 S. 2 ZPO (vgl. BGH NJW 1999, 2822), weil die weitere Prozeßführung des Schuldners dann zur Entstehung einer Masseverbindlichkeit hinsichtlich der Prozeßkosten führen würde.

Die Klägerin kann eine entsprechende Anwendung des § 55 Abs. 2 S. 2 InsO auch nicht daraus herleiten, dass der Beklagte über einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt hinausgehende Befugnisse eingeräumt erhalten habe. Im Gegensatz zu den von Bork behandelten Konstellationen (vgl. ZIP2001,1522), in denen das Insolvenzgericht den Verwalter durch Einzelmaßnahmen befugt hatte, die Masse zu vertreten, gehen die Anordnungen hier bis auf die Empfangszuständigkeit für Erfüllungen nicht über den allgemeinen Zustimmungsvorbehalt hinaus, so dass eine nennenswerte zusätzliche Stärkung nicht vorliegt. Dessen ungeachtet darf die Analogie auch nicht von der Ausgestaltung des Einzelfalls abhängen, wie sich dies unter der Annahme darstellen würde, mit im Einzelfall gestärktem Einfluss des Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt würde dieser irgendwann in die Rechtsfolgen der Bestellung eines Verwalters mit Verfügungsbefugnis hineinwachsen. Dem stehen Gebote der Rechtsklarheit entgegen. Es wäre für die Beteiligten unerträglich, wenn es im Einzelfall vom nicht gesetzlich vertypten Umfang der Maßnahmen des Insolvenzgerichts abhinge und erst später gerichtlich zu beurteilen wäre, wer handeln darf, wer verpflichtet wird und wer haftet.

Der Beklagte hat auch nicht mit der Masse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO i.V.m. § 60 Abs. 1 S. 1 InsO oder § 826 BGB einzustehen. Ob in der Ausnutzung von Befugnissen eines Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt ein Mißbrauch rechtlicher Formen liegen kann, der zu einer Haftung des Insolvenzverwalters führt, kann hier dahinstehen. Anhaltspunkte für ein schuldhaft mißbräuchliches Verhalten des Beklagten oder eine vorsätzliche Schädigung der Klägerin sind nicht vorgetragen.

Handelt es sich bei der Klageforderung jedoch um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 108 Abs. 2 InsO, so kann diese gemäß § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden, woraus sich die Unzulässigkeit der Klage ergibt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 S. 1 und 108 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück