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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 12.11.2009
Aktenzeichen: 6 U 33/08
Rechtsgebiete: ZPO, GlüStV, VwGO


Vorschriften:

ZPO § 148
GlüStV § 4 Abs. 1
VwGO § 94
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

wird der Rechtsstreit entsprechend § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-316/07 (A1) ausgesetzt.

Gründe:

Die Entscheidung über den Klageantrag zu 1.1 und die Klageanträge zu 2. und 3., soweit sie auf den Klageantrag zu 1.1 zurückbezogen sind, hängt wesentlich von der Frage ab, ob die Art. 43 und 49 EG - ggf. unter Berücksichtigung der in der Bundesrepublik Deutschland für das Glücksspielrecht insgesamt geltenden Bestimmungen - der Begründung eines nationalen staatlichen Veranstaltungsmonopols auf Sportwetten und Lotterien (mit nicht nur geringem Gefährdungspotenzial) entgegenstehen.

Die Klage ist nach der Einschätzung des Senats, wie im Termin vom 15.10.2009 bereits erörtert wurde, nicht schon wegen fehlender Aktivlegitimation abzuweisen. Denn die Klägerin steht durch die Veranstaltung der B im Wettbewerb mit der Beklagten zu 1).

Andererseits ist die Vereinbarkeit des staatlichen Glücksspielmonopols mit dem Gemeinschaftsrecht für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht deswegen unerheblich, weil die Beklagte zu 1) ohne die nach § 4 I GlüStV erforderliche Erlaubnis handelt und der Erlaubnisvorbehalt für sich genommen unbedenklich sein mag. Gerade wegen der das staatliche Monopol begründenden Vorschriften ist der Beklagten zu 1) die von ihr beantragte Erlaubnis bisher versagt worden. Das Verhalten eines Unternehmens kann nicht allein deshalb als wettbewerbswidrig gewertet werden, weil das Unternehmen ohne eine erforderliche Genehmigung gehandelt hat, wenn es diese Genehmigung aufgrund gemeinschaftsrechtswidriger Vorschriften nicht erlangen konnte (vgl. BGH, GRUR 2008, 438, Tz. 22, 24 ODDSET).

Die Frage, ob das Veranstaltungsmonopol auf Sportwetten und Lotterien (mit nicht nur geringem Gefährdungspotenzial) mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht zu vereinbaren ist, ist bislang nicht hinreichend geklärt. Insbesondere geht es darum, ob für die Regelung des Glücksspielrechts eine sog. Gesamtkohärenz zu fordern ist oder doch jedenfalls eine übergreifende Gesamtwürdigung in dem Sinne, dass keine sektoralen Unterschiede bestehen dürfen, die zu dem Schluss führen, die Begründung eines staatlichen Monopols für bestimmte Glücksspiele sei letztlich durch das fiskalische Interesse motiviert. Konkret stellt sich die Frage, ob die Art. 43, 49 EG dahingehend auszulegen sind, dass sie einem maßgeblich mit der Bekämpfung von Spielsuchtgefahren begründeten nationalen staatlichen Veranstaltungsmonopol auf Sportwetten und Lotterien (mit nicht nur geringem Gefährdungspotenzial) entgegenstehen, wenn in diesem Mitgliedstaat andere Glücksspiele mit erheblichem Suchtgefährdungspotenzial (wie insbesondere das Automatenspiel) von privaten Dienstleistungsanbietern erbracht werden dürfen.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-42/07 (Liga ...) vom 08.09.2009 hat zu dieser Frage nach der Einschätzung des Senats noch keine hinreichende Klärung gebracht.

In dem genannten Fall diente das Schutzziel der Kriminalitätsbekämpfung der Rechtfertigung der beanstandeten Regelungen für Lotterien und Wetten im Internet. Die Spielteilnehmer sollten vor betrügerischen Machenschaften der im Ausland ansässigen Anbieter geschützt werden. Der vorliegende Rechtsstreit (Klageantrag zu 1.1) bezieht sich demgegenüber auf die Veranstaltung von Sportwetten über Wettbüros. Wenn das Schutzziel der Kriminalitätsbekämpfung in L1 den Ausschluss ausländischer, nicht gebietsansässiger, Anbieter von Glücksspielen im Internet rechtfertigt, so besagt dies noch nicht, dass das Schutzziel der Kriminalitätsbekämpfung auch einen Ausschluss privater, im Inland vertretener, Veranstalter von offline angebotenen Sportwetten rechtfertigt.

Die Frage ob das - gleichfalls legitime und bei der Neuregelung des Glücksspielrechts in Deutschland in den Vordergrund gestellte - Schutzziel der Bekämpfung von Spielsuchtgefahren und der Vermeidung übermäßiger Spielanreize durch die Begründung eines staatlichen Glücksspielmonopols in kohärenter Weise verfolgt werden kann, wenn andere, mindestens ebenso suchtgefährdende Glücksspielbereiche für Privatunternehmen zugänglich sind, wird durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-42/07 schon deshalb nicht geklärt, weil der EuGH dort auf das Schutzziel der Kriminalitätsbekämpfung abgestellt hat.

Der Senat sieht von einem eigenen Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG ab und wählt den Weg der Verfahrensaussetzung entsprechend § 148 ZPO. Die Aussetzung ist - ebenso wie im Verwaltungsprozess in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO (vgl. hierzu BVerwGE 123, 322, Juris-Rn 55 f.) - zulässig (vgl. OLG Saarbrücken, OLGR 2001, 408; Musielak, ZPO, 7. Auflage, § 148 Rn 16; a.A. Zöller, ZPO, § 148 Rn 3b). Gestützt wird diese Einschätzung durch die Überlegung, dass die Erfüllung der Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs, nicht als Rechtsmittelgericht in mitgliedstaatlichen Verfahren tätig zu werden, sondern verbindlich über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden, durch eine Vielzahl von gleichgelagerten, nichts zu einer Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen beitragenden Vorabentscheidungsersuchen eher beeinträchtigt denn gefördert werden könnte (vgl. BGH, GRUR 2005, 615 f. a.E.).

Die Aussetzung entspricht billigem Ermessen. Ein eigenes Vorabentscheidungsersuchen des Senats würde voraussichtlich zu einer erheblich längeren Verzögerung des Rechtsstreits führen.

Für den Klageantrag zu 1.2 und die hierauf zurückbezogenen Klageanträge zu 2. und 3. ist das beim EuGH anhängige Vorabentscheidungsersuchen nach der derzeitigen Einschätzung des Senats nicht vorgreiflich. Wie im Verhandlungstermin vom 15.10.2009 bereits erörtert wurde, stützt die Klägerin ihren jetzt nur noch gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Klageantrag zu 1.2 nach der Auffassung des Senats auf einen neuen Klagegrund, da sie den ursprünglich nur auf die Geschäftsführerstellung des Beklagten zu 2) bei der Beklagten zu 1) gestützten Antrag inzwischen damit begründet, dass dem Beklagte zu 2) die Domain "....com" gehöre und er insoweit auch als admin fungiere. Damit dürfte eine - nicht fristgerechte und somit unzulässige - Anschlussberufung vorliegen.

Von dem Erlass eines (klageabweisenden) Teilurteils hat der Senat indessen abgesehen, da es nach Lage der Sache, auch im Hinblick auf ein möglicherweise noch nachfolgendes Revisionsverfahren, unangemessen erscheint, den Rechtsstreit aufzuspalten (§ 301 II ZPO).

Die vorliegende Aussetzungsentscheidung bezieht sich auf die Rechtssache C-316/07 (A1), die mit den Rechtssachen C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 verbunden ist. Die dortige Vorlagefrage zu 1. lautet:

"Sind die Art. 43 und 49 EGV dahingehend auszulegen, dass sie einem innerstaatlichen Monopol auf bestimmte Glücksspiele wie z. B. Sportwetten entgegenstehen, wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat insgesamt an einer kohärenten und systematischen Politik zur Beschränkung des Glücksspiels fehlt, insbesondere weil die innerstaatlich konzessionierten Veranstalter zur Teilnahme an anderen Glücksspielen - wie staatlichen Lotterien und Kasinospielen - ermuntern, und ferner andere Spiele mit gleichem oder höherem mutmaßlichen Suchtgefährdungspotential - wie Wetten auf bestimmte Sportereignisse (wie Pferderennen) und Automatenspiel - von privaten Dienstleistungsanbietern erbracht werden dürfen?"

Außerdem ist beim EuGH das Verfahren C-46/08 (D Ltd.) anhängig. Die dortige zweite Vorlagefrage lautet:

"Ist Art. 49 EG dahingehend auszulegen, dass dieser einem maßgeblich mit der Bekämpfung von Spielsuchtgefahren begründeten nationalen staatlichen Veranstaltungsmonopol auf Sportwetten und Lotterien (mit nicht nur geringem Gefährdungspotenzial) entgegensteht, wenn in diesem Mitgliedstaat andere Glücksspiele mit erheblichem Suchtgefährdungspotenzial von privaten Dienstleistungsanbietern erbracht werden dürfen und die unterschiedlichen rechtlichen Regelungen zu Sportwetten- und Lotterien einerseits und anderen Glücksspielen andererseits auf der unterschiedlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder und des Bundes beruhen?"

Das Vorabentscheidungsverfahren in Sachen D hat den Vorzug, dass das Ersuchen den Bestimmungen des zur Zeit der Vorlageentscheidung bereits in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrages Rechnung trägt. Andererseits besteht die naheliegende Möglichkeit, dass bereits die Entscheidung des EuGH in der Sache A1 u.a. zu einer für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits hinreichenden Klärung der gemeinschaftsrechtlichen Fragen führt.

Da in der Sache A1 u.a. früher mit einer Entscheidung zu rechnen ist als in der Sache D, erschien es sachgerecht, den Rechtsstreit (lediglich) bis zur Entscheidung in jener Sache auszusetzen.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) sind nicht erfülllt.

Ende der Entscheidung

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