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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 29.01.2009
Aktenzeichen: 6 U 90/08
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 7
Es stellt eine unzulässige belästigende Werbung (§ 7 UWG) dar, wenn ein Unternehmen das mit Grabmalen handelt, kurz nach einem Todesfall gegenüber den Angehörigen schriftlich auf seine Angebote hinweist. Nach Ablauf von zwei Wochen seit dem Todesfall ist die Versendung entsprechender Werbeschreiben - soweit sie sachlich gehalten sind - dagegen wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden.
Gründe:

I.

Der Beklagte, der u.a. mit Grabmalen handelt, wandte sich am ....2007 mit dem nachfolgend wiedergegebenen Schreiben (Bl. 6 d.A.) an eine Frau X, nachdem am gleichen Tag in O1er Tageszeitungen eine von Frau X aufgegebene Todesanzeige eines Angehörigen erschienen war:

"Sehr geehrte Frau X, durch Informanten wurde uns mitgeteilt, dass unsere Mitbewerber und Bestatter, um zum schnelleren Verkaufsabschluss zu kommen, das Gerücht verbreiten, wir hätten unsere Steinmetzwerkstatt beim Gewerbeamt, Handwerkskammer sowie Finanzamt abgemeldet. Dieses entspricht nicht der Wahrheit. Jedoch möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir nach wie vor für unsere Kunden verfügbar sind."

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten in Anspruch. Sie hält eine unzumutbare Belästigung gemäß § 7 UWG stets dann für gegeben, wenn aus Anlass eines Todesfalles Angehörige des Verstorbenen innerhalb einer Schonfrist von vier Wochen nach dem Todesfall zu Werbezwecken angeschrieben werden.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 540 I Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 32 ff. d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat dem Unterlassungsantrag unter Klageabweisung im Übrigen für einen Zeitraum von drei Wochen nach dem Todesfall und dem Zahlungsantrag in vollem Umfang stattgegeben.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung.

Beide Parteien wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie die nachfolgenden Ausführungen unter Ziff. II. Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Beklagten ist insgesamt zulässig. Dies gilt auch für die Anfechtung des Zahlungsausspruchs. Der Beklagte hat die Berufung auch insoweit ausreichend begründet (§ 520 ZPO). Indem er sich gegen die Annahme des Landgerichts, er habe wettbewerbswidrig gehandelt, gewandt hat, hat der Beklagte nicht nur die Voraussetzungen des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs in Abrede gestellt, sondern auch die Voraussetzungen des Zahlungsanspruchs, da dieser nur im Falle einer berechtigten Abmahnung besteht.

In der Sache hat die Berufung des Beklagten nur zum Teil Erfolg.

Der Beklagte hat durch das beanstandete Schreiben unzumutbar belästigend geworben und somit einen Wettbewerbsverstoß begangen (§§ 3, 7 I UWG in der bis zum 29.12.2008 gültigen Fassung).

Bei dem Schreiben vom ....2007 handelte es sich um Werbung und damit zugleich um eine Wettbewerbshandlung (§ 2 I Nr. 1 UWG a.F.), da das Schreiben Äußerungen mit dem Ziel der Absatzförderung beinhaltete.

Das Landgericht hat einen Verstoß gegen § 7 UWG (a.F.) zu Recht bejaht. Die besonderen Voraussetzungen von § 7 II Nr. 1 UWG (a.F. - vgl. § 7 I 2 UWG n.F.) sind allerdings nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist eine unzumutbare Belästigung insbesondere dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Empfänger die betreffende Werbung nicht wünscht. Die Regelung betrifft jedoch lediglich die Art und Weise, in der die Werbung übermittelt wird, nicht den Inhalt der Werbung (vgl. Hefermehl/ Köhler/ Bornkamm, UWG, 26. Auflage, § 7 Rn 17). Außerdem muss der Empfänger seinen entgegenstehenden Willen in irgendeiner Weise für den Werbenden erkennbar zum Ausdruck gebracht haben (a.a.O., § 7 Rn 20). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.

Es liegt aber ein Verstoß gegen den Grundtatbestand (§ 7 I UWG a.F.) vor. Eine Werbung, mit der kurz nach einem Todesfall den Angehörigen des Verstorbenen die Fertigung eines Grabsteins oder andere auf den Trauerfall bezogene Leistungen angeboten werden, ist geeignet, die Gefühle der Hinterbliebenen zu verletzen, da sie es als pietätlos empfinden werden, wenn unmittelbar nach dem Verlust eines nahen Angehörigen der Trauerfall zum Gegenstand geschäftlicher Bemühungen gemacht wird. Neben diesem Gesichtspunkt der Gefühlsmissachtung kann im Einzelfall auch der Gesichtspunkt der Gefühlsausnutzung für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung relevant werden, da nach dem Verlust eines Angehörigen die Fähigkeit zu abgewogenen Nachfrageentscheidungen beeinträchtigt sein kann und dies durch die Art der Werbung, etwa bei einem Hausbesuch oder auch durch ein gefühlsbetont aufgemachtes Kondolenzschreiben (vgl. hierzu LG Konstanz, WRP 2003, 661 f.), ausgenutzt werden kann. Der Gesichtspunkt der Gefühlsausnutzung kommt im vorliegenden Fall indes nicht zum Tragen, da es sich bei dem beanstandeten Schreiben des Beklagten um eine sachlich gehaltene schriftliche Werbung ohne in diesem Zusammenhang unangebrachte Beileidsbezeugungen handelt, die nicht geeignet erscheint, die Entschließungsfreiheit des angesprochenen Verbrauchers zu beeinträchtigen. Abzustellen ist hier somit allein auf den Gesichtspunkt der Gefühlsmissachtung. Eine Missachtung der Gefühle der Hinterbliebenen kann allerdings auch für sich allein ausreichen, um die Annahme einer unzumutbaren Belästigung gemäß § 7 UWG zu rechtfertigen. Der Schutz der Intimsphäre hat Vorrang vor dem wirtschaftlichen Gewinnstreben; daher haben werbliche Maßnahmen im Hinblick auf einen Trauerfall in gewissem Umfang zurückzutreten (vgl. BGH, GRUR 1967, 430, 431 - Grabsteinaufträge I; GRUR 1971, 317, 318 - Grabsteinwerbungen II).

Die Bestimmungen der Richtlinie 2005/ 29/ EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie), die bei der Auslegung der UWG-Normen zu beachten sind, führen nicht zu einer anderen, von der früheren Rechtsprechung abweichenden Einschätzung. Insbesondere müssen hier für die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes nicht die Voraussetzungen des Art. 8 (vgl. auch Art. 9 c) der UGP-Richtlinie erfüllt sein, der eine tatsächliche oder voraussichtliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers erfordert. Denn nach dem Erwägungsgrund 7 der UGP-Richtlinie bezieht sich die Richtlinie nicht auf die gesetzlichen Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstandes; insoweit bleiben einzelstaatliche Werbeverbote möglich. Dementsprechend zwingen die Vorschriften der UGP-Richtlinie nicht zu einer einengenden Interpretation des § 7 UWG (vgl. Hefermehl/ Köhler/ Bornkamm, UWG, § 7 Rn 3 a.E.).

Die Frage, ob und in welchem Umfang schriftliche Werbung nach einem Todesfall zu unterbleiben hat, um die Gefühle der Hinterbliebenen nicht in unzumutbarer Weise zu verletzen, ist bislang - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Die BGH-Entscheidungen "Grabsteinaufträge I" vom 01.02. 1967 (GRUR 1967, 430, 431) und "Grabsteinwerbungen II" vom 12.03.1971 (GRUR 1971, 317) betrafen unaufgeforderte Haus- bzw. Vertreterbesuche zu Werbezwecken. Derartige Besuche hat der BGH generell, nicht nur innerhalb einer vierwöchigen Wartefrist, als unzulässig angesehen (BGH, GRUR 1971, 317, 318 - Grabsteinwerbungen II). Diese Einschätzung kann auf schriftliche Werbung, die den Werbeadressaten viel weniger belastet als ein unaufgeforderter Hausbesuch, nicht ohne weiteres übertragen werden. Vielmehr hat der BGH im Hinblick auf die Berufsausübungsfreiheit des Werbenden nach Art. 12 GG sogar darauf hingewiesen, dass es dem Werbenden freistehe in anderer Weise, etwa durch Werbeprospekte, für sein Unternehmen zu werben (BGH, a.a.O., S. 319; s.a. BVerfG, NJW 1972, 573, 574).

Der Rechtsprechung der Instanzgerichte können zwar Hinweise darauf entnommen werden, dass schriftliche Werbung in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit einem Trauerfall als anstößig angesehen wird. Für die verbreitete Geltung einer Wartefrist von vier oder wenigstens drei Wochen Dauer, wie sie die Klägerin für geboten hält, ergeben sich aus der Instanzrechtsprechung jedoch keine Anhaltspunkte.

In der Entscheidung des LG Konstanz vom 19.12.2002 (WRP 2003, 661 f.), auf die sich die Klägerin im Wesentlichen beruft, wurde zwar ein Werbeschreiben als wettbewerbswidrig angesehen, das in einem Zeitraum von weniger als drei Wochen nach dem Todesfall den Angehörigen des Verstorbenen zugesandt wurde. Im dortigen Fall war jedoch neben dem zeitlichen Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die auffallend gestaltete Werbesendung ein unaufgefordertes Kondolenzschreiben enthielt und so in aufdringlicher Art und Weise im eigenen kommerziellen Interesse eine besondere Anteilnahme am Tod des Verstorbenen suggerierte. Weitere Entscheidungen, die die Klägerin genannt hat (OLG München, GRUR-RR 2003, 117 f. = Bl. 82 f. d.A.; LG Berlin, MD 2006, 947 f. = Bl. 78 ff.) betreffen anders gelagerte Sachverhalte, deren Einschätzung sich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lässt.

Einschlägig ist hingegen die Entscheidung des LG Hamburg vom 25.11.1981 (WRP 1982, 362 f.), die ebenfalls eine schriftliche Werbung für Grabsteine nach einem Trauerfall betraf. Das LG Hamburg hat eine solche Werbung jedenfalls dann für zulässig gehalten, wenn der Trauerfall (mehr als) zwei Wochen zurückliegt und keine besonderen Umstände hinzutreten.

Auch das OLG Oldenburg (NJW-RR 1987, 813, 814) hat die schriftliche Werbung nach einem Todesfall nur dann als wettbewerbswidrig angesehen, wenn besondere Umstände hinzukommen, wobei solche Umstände auch in einer besonders kurzen zeitlichen Nähe zum Todesfall liegen könnten.

Über die Zulässigkeit einer Werbung für Grabpflege-Dienste verhält sich die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 14.01.1982 (WRP 1982, 274 f.). Das OLG Düsseldorf hat eine schriftliche, sachlich gehaltene, Werbung mehr als zwei Wochen nach dem Todesfall als wettbewerbskonform angesehen.

Im Einklang mit der vorstehend referierten Rechtsprechung sieht der erkennende Senat eine schriftliche Werbung für Grabsteine, auch wenn sie sich auf eine sachlich gehaltene Information beschränkt und inhaltlich keine weiteren Gründe zur Beanstandung bietet, wegen unzumutbarer Belästigung als wettbewerbswidrig an, wenn diese Werbung bereits kurz nach dem Todesfall betrieben wird. Eine unzulässige zeitliche Nähe zum Todesfall ist ohne weiteres gegeben, wenn die Werbung noch vor der Veröffentlichung einer Todesanzeige übermittelt wird, sofern diese ihrerseits in üblicher zeitlicher Nähe zum Todesfall in Auftrag gegeben wurde. Aber auch eine Werbung am Tag der Veröffentlichung der Traueranzeige stellt eine grobe Missachtung der Gefühle der Hinterbliebenen dar und ist daher wettbewerbswidrig.

Der Beklagte hat sich demzufolge wettbewerbswidrig verhalten. Es entlastet ihn nicht, dass er sich nach dem Text des Werbeschreibens gegen geschäftsschädigende Gerüchte von Konkurrenten wehren wollte. Denn der Beklagte hat nicht dargetan, dass er derartigen Gerüchten, ihre Existenz unterstellt, nicht auf andere Weise angemessen hätte entgegentreten können.

Da die Klägerin mit ihrem Klageantrag in einer von der konkreten Verletzungshandlung zulässigerweise abstrahierenden Form eine Erstreckung des Verbots auf eine mehrwöchige Wartefrist erstrebt, ist jedoch vorliegend eine genauere zeitliche Abgrenzung erforderlich. Der Senat hält eine Frist von zwei Wochen nach dem Todesfall, innerhalb derer einschlägige Werbeschreiben unabhängig von ihrer Aufmachung und ihrem konkreten Inhalt zu unterbleiben haben, für angemessen und geboten.

Hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Angehörigen des Verstorbenen nach dem Trauerfall hierauf bezogene Werbebemühungen zunächst als pietätlos und ungehörig empfinden werden, wobei mit wachsendem zeitlichen Abstand das Verständnis für derartige Werbesendungen allerdings zunehmen wird. Mag die von einem vereinzelten Werbeschreiben ausgehende Belästigung für sich allein genommen noch hinnehmbar erscheinen, so besteht doch die Gefahr, dass Mitbewerber ebenfalls geneigt sein werden, möglichst frühzeitig nach dem Bekanntwerden eines Todesfalles auf sich aufmerksam zu machen, um wirtschaftlich nicht ins Hintertreffen zu geraten (vgl. BGH, GRUR 1967, 430, 431 unter II. 1. b) - Grabsteinaufträge I; GRUR 2004, 699, 701 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I).

Andererseits ist dem durch die Berufsausübungsfreiheit geschützten Interesse der Anbieter von Grabmalen an gezielter werblicher Ansprache Rechnung zu tragen, die aus der Sicht des Werbenden möglichst frühzeitig erfolgen soll, um die geschäftliche Entscheidung des Beworbenen noch beeinflussen zu können. Eine Wartefrist von zwei Wochen trägt den wechselseitigen Interessen nach der Einschätzung des Senats angemessen Rechnung. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass das Aufstellen eines Grabsteins für ein Erdgrab aus statischen Gründen ohnehin erst nach etwa sechs Monaten möglich sei, ergibt sich daraus keine entscheidende Relativierung des geschäftsbezogenen Interesses an einer möglichst frühzeitigen Werbung. Denn zum einen kann ein Grabmal im Falle einer Urnenbestattung wesentlich früher aufgestellt werden und zum anderen können auch im Falle einer Erdbestattung die auf die Aufstellung und die Gestaltung eines Grabsteins bezogenen Entscheidungen schon alsbald nach dem Todesfall getroffen oder jedenfalls in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.

Der Unterlassungsanspruch besteht in gleicher Weise gemäß § 7 I 1 UWG in der ab dem 30.12.2008 gültigen Fassung. Die schriftliche Werbung gegenüber Angehörigen von Verstorbenen in einem Zeitraum von zwei Wochen nach dem Todesfall stellt eine wegen unzumutbarer Belästigung unzulässige geschäftliche Handlung dar.

Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ist in vollem Umfang begründet (§ 12 I 2 UWG). Der Umstand, dass die Abmahnung teilweise unbegründet war, weil mit ihr eine zu weit gehende, auf eine Wartefrist von vier Wochen bezogene, Unterlassungserklärung verlangt wurde, ändert nichts daran, dass die durch den berechtigten Teil der Abmahnung ohnehin entstandenen Kosten von dem Abgemahnten in vollem Umfang zu tragen sind (vgl. Senat, WRP 1991, 326).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I ZPO und berücksichtigt das Maß des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war zuzulassen, weil die Frage, ob für schriftliche Werbung nach einem Trauerfall eine Wartefrist einzuhalten und wie diese Frist gegebenenfalls zu bemessen ist, grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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