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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 08.06.2005
Aktenzeichen: 6 UF 301/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1579
Zur Teilverwirkung des Ehegattenunterhalts durch leichtfertige Beschuldigungen des Kindesmissbrauchs.
Gründe:

I)

Die Parteien, mittlerweile geschiedene Eheleute, streiten um Trennungsunterhalt für den Zeitraum Februar 2004 bis zur Rechtskraft der Scheidung, mit deren Eintritt Anfang Juni 2005 zu rechnen ist. Der Beklagte ist selbständiger X. und Y. und wohnt mietfrei im eigenen Hause. Nach den insoweit übereinstimmenden Erklärungen der Parteien im Einzelrichtertermin vom 18.05.2005 hat er in den Jahren 2001 bis 2003 im Durchschnitt nach Steuern und Vorsorgeaufwendungen mtl. netto rd. 8.600,00 € ((8.680,00 + 9.259,00 + 7.883,00) : 3) verdient. Die Klägerin hat während des Zusammenlebens im ehelichen Hause ein YYY betrieben, das sie im Zuge der Trennung aufgegeben hat. Sie wohnt seit April 2004 in dem nur weniger Meter von der ehelichen Wohnung entfernten Hause ihres neuen Lebenspartners, der als XXX erwerbstätig ist. Sie hat in der Zeit bis zur Scheidung keine eigene Arbeitsstelle gefunden.

Die Parteien haben eine gemeinschaftliche Tochter T., geb. ..., über deren sorgerechtliche Zuordnung sie im abgetrennten Verfahren vor dem Familiengericht noch streiten. Insoweit hat das Familiengericht durch Beschluss vom 24.02.2004 zunächst das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter auf den Beklagten übertragen. Nachdem sich das Kind in der Folgezeit bereits etwa halbtätig bei der Klägerin aufgehalten hat, haben sich die Parteien dahin geeinigt, dass ein familienpsychologisches Gutachten eingeholt werden und bis dahin das Sorgerecht bei beiden Eltern verbleibt, wobei sich das Kind hauptsächlich bei der Klägerin aufhalten soll.

Unter den Parteien ist unstreitig, dass der Beklagte in den Monaten Februar bis Juni sowie August bis November 2004 an die Klägerin monatlich 1.165,63 € Trennungsunterhalt gezahlt hat. Im Juli 2004 hat er 843,63 € gezahlt und ab Dezember 2004 entsprechend dem amtsgerichtlichen Urteil monatlich 755,00 €. Daneben hat er ihr während der Trennungszeit durchgängig einen PKW Golf zur Benutzung überlassen und bis Ende 2004 die Kosten für KfZ-Steuer und Versicherung übernommen. Außerdem hat er durchgängig die Kosten ihrer Krankenversicherung (mtl. 262,49 €) getragen.

In 1. Instanz hat sich der Beklagte gegen das Begehren der Klägerin nach höherem Unterhalt vor allem mit dem Verwirkungseinwand verteidigt. Er hat sich darauf berufen, dass die Klägerin aus intakter Ehe ausgebrochen und eine Beziehung zu ihrem neuen Partner aufgenommen und am 29.01.2004 durch unwahre Angaben gegenüber der Polizei seine vorläufige Ausweisung aus der ehelichen Wohnung erreicht habe. Vor allem aber macht er geltend, dass ihn die Klägerin in diesem Zusammenhang zu Unrecht missbräuchlichen Umgangs mit der gemeinsamen Tochter beschuldigt habe, was auch in die Öffentlichkeit gedrungen sei und ihm in seinem beruflichen und sozialen Umfeld erhebliche Probleme bereitet habe.

II)

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin über die freiwillig erbrachten Leistungen hinaus für die Zeit von Februar bis August 2004 rückständigen Trennungsunterhalt in Höhe von 3.822,59 € nebst Zinsen sowie laufend ab September 2004 mtl. 1.755,00 € und ab November 2004 mtl. 755,00 € abzüglich der bis zur letzten mündlichen Verhandlung vom Beklagten erbrachten Leistungen zu zahlen. Es hat den eheangemessenen Unterhaltsbedarf der Klägerin einschließlich ihres Wohnbedarfs konkret auf mtl. 2.105,00 € festgesetzt und dabei als Eigeneinkommen ein Haushaltsführungsentgelt (neuer Partner) von mtl. 350,00 € und ab November 2004 ein fiktives Erwerbseinkommen von mtl. 1.000,00 € berücksichtigt. Dem Verwirkungseinwand des Beklagten ist es vor allem mit der Begründung nicht gefolgt, dass - verkürzt wiedergegeben - die Äußerungen der Klägerin über den möglichen Kindesmissbrauch von niemandem ernst genommen worden sei und dem Beklagten im Ergebnis kein Nachteil daraus entstanden sei.

III)

Die Klägerin verlangt mit ihrer Berufung rückständigen Unterhalt bis Dezember 2004 in Höhe von insgesamt 8.540,70 € nebst Zinsen sowie ab Januar 2005 laufenden Trennungsunterhalt von monatlich 1.855,00 € und ab Mai 2005 von mtl. 1.400,00 €. Sie beruft sich darauf, dass ihr konkreter Unterhaltsbedarf höher sei als vom Amtsgericht angesetzt. Sie meint, dass ihr erst ab Mai 2005 eine eigene Erwerbsobliegenheit obliege und behauptet, dass sie in ihrem Beruf als Kosmetikerin neben der anteiligen Betreuung der Tochter nur mtl. 400,00 € - 455,00 € netto verdienen könne.

Der Beklagte erstrebt in 2. Instanz Klageabweisung und verfolgt seinen Verwirkungseinwand weiter. Insoweit beruft er sich vor allem darauf, dass ihn die Klägerin in ihrer Zeugenaussage vor der Polizei am 12.02.2004 zu Unrecht des Kindesmissbrauchs beschuldigt habe, dass sie ihn in einem Telefongespräch mit seiner neuen Partnerin (Fr. Y.) als "Kinderficker" bezeichnet habe und diese Beschuldigungen in seinem beruflichen Umfeld bekannt geworden seien.

Durch Beschluss vom 01.04.2005 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Dieser hat die Parteien im Verhandlungstermin vom 18.05.2005 persönlich angehört. Auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls wird Bezug genommen. Die Akten xxx Js yy/04 der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Darmstadt waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

IV)

Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen, das Rechtsmittel des Beklagten hat teilweise Erfolg.

Die Klägerin hat während der Zeit des Getrenntlebens gegen den Beklagten gemäß § 1361 Abs. 1, 2 BGB dem Grunde nach Anspruch auf Unterhalt, weil sie ihren Unterhaltsbedarf durch die Erträgnisse einer eigenen Erwerbstätigkeit als Kosmetikerin nicht decken konnte.

2 ) Nach Maßgabe der Berechnung im Beschluss (EA) vom 01. April 2005, auf den insoweit Bezug genommen wird, bemisst der Senat den eheangemessenen Bedarf der Klägerin für die Monate Februar und März 2004 mit mtl. 1.505,00 €, für die Monate April bis Dezember 2004 mit mtl. 2.105,00 € und ab Januar 2005 mit mtl. 2.205,00 €, weil der Beklagte ab diesem Zeitpunkt Steuer und Versicherung für den von der Klägerin genutzten Pkw nicht mehr getragen hat. Dieser Wert liegt erheblich unterhalb der Hälfte derjenigen Mittel (mtl. 5.370,00 €), die nach der Darstellung des Beklagten seit Jahren als Privatentnahme aus dem Gewinn des Steuerberatungsunternehmens entnommen und für den Lebensunterhalt der Familie verbraucht worden sind. Die Frage, ob der Beklagte den Trennungsunterhalt aus Einkommensteilen bestreiten muss, die während intakter Ehe der Vermögensbildung zugeführt worden sind, stellt sich daher nicht.

3) Mit dem Amtsgericht rechnet der Senat der Klägerin ab April ein (teil)bedarfsdeckendes Versorgungsentgelt von ihrem neuen Partner in Höhe von mtl. 350,00 € zu. Dieser Betrag entspricht der in Ziff. 6 der Unterhaltsgrundsätze des OLG Frankfurt (FamRZ 2003, 1528) bezeichneten Regelpauschale, von der abzuweichen hier kein Anlass besteht.

4) Wie der Senat bereits im Beschluss vom 1. April 2005 begründet hat, oblag der Klägerin auch angesichts des Umstandes, dass sie während der Trennung das gemeinschaftliche Kind anteilig betreut hat, bereits ab November 2004 die Aufnahme einer Teilerwerbstätigkeit. Nachdem sie nunmehr tatsächliche, aber erfolglose Bemühungen um eine Teilerwerbstätigkeit dargelegt hat, mag ihr - insoweit abweichend von dem im Senatsbeschluss v. 1. April 2005 geschätzten Wert - ein erzielbares Geringverdienereinkommen (mtl. netto 400,00 €) unterstellt werden.

5) Abweichend von der Beurteilung des Amtsgerichts erachtet der Senat jedoch wegen der von der Klägerin gegen den Beklagten erhobenen Missbrauchsvorwürfe eine Herabsetzung ihres Unterhaltsanspruchs aus Billigkeitsgründen nach § 1579 Nr. 6 BGB für geboten.

a) Die sexuelle Gewalt gegen Kinder, insbesondere die eigenen, ist ein Tatbestand, der nicht nur strafrechtlich sanktioniert, sondern auch durch eine besondere gesellschaftliche Ächtung gekennzeichnet ist. Ein Elternteil, der sich solcher Übergriffe gegen sein minderjähriges Kind schuldig gemacht hat, verliert nach der Lebenserfahrung in seinem familiären, sozialen und beruflichen Umfeld erheblich an Ansehen und wird diesen Makel möglicherweise sein ganzes Leben lang nicht mehr los.

Es kommt hinzu, dass die Aufklärung dieses Tatbestandes außerordentlich schwierig ist, denn sie erfordert in der Rege die Einvernahme des Kindes, die dieses bei aller Behutsamkeit zusätzlich belasten und psychisch beschädigen kann. Aus diesem Grunde erachtet der Senat den leichtfertig und ohne hinreichend gravierende Anhaltspunkte gegen einen Elternteil geäußerten Verdacht eines solchen Missbrauchs als ein schwerwiegendes Fehlverhalten i.S.d. § 1579 Nr. 6 BGB, insbesondere dann, wenn er als Mittel im Rahmen einer Trennungsauseinandersetzung gebraucht wird. Dies gilt auch, wenn der sexuelle Missbrauch nicht positiv und ausdrücklich behauptet, sondern nur angedeutet wird und im Ergebnis nicht zu strafrechtlichen Ermittlungen geführt hat. Ist ein Verdacht erst einmal in der Welt, lässt er sich nicht mehr einfangen.

b) Dass der Klägerin ein solches Fehlverhalten zur Last fällt, ergibt sich bereits aus ihrer Zeugenaussage, die sie am 12.02.2004 bei der Polizei in Lampertheim zu Protokoll gegeben hat. So beinhalten etwa die Formulierungen

"dass meinerseits der Verdacht vorliegt, dass meine Tochter mit meinem Ehemann ein sehr intimes Verhältnis hat und ich mir überlege, ob ich ihn anzeige"

und

"Hintergrund dazu ist, dass meine Tochter meinem Mann hörig ist. Er badet mit ihr zusammen, wäscht sie, d.h. er sagt, sie müsse sich gründlich waschen und seift sie dann selber von oben bis unten, einschließlich dem Intimbereich, ein".

Er cremt sie auch mit einer Körperlotion von oben bis unten ein. T. schläft jetzt jeden Abend mit meinem Mann im Ehebett im Hause meiner Schwiegereltern"

nicht nur vage Andeutungen, sondern die konkrete Bezichtigung sexuell motivierter Handlungen des Beklagten in Bezug auf die gemeinsame Tochter.

Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass der Beklagte in seinem im Sorgerechtsverfahren eingereichten Schriftsatz vom 02.04.2004 die von ihr als missbräuchlich bezeichneten Verhaltensweisen zugegeben habe. Aus dem Zusammenhang des Textes ergibt sich vielmehr, dass sich der Beklagte mit seinem Ausführungen dagegen wehren will, dass Maßnahmen der Körperpflege als sexuell motiviert interpretiert werden.

c) Der Senat bestreitet damit der Klägerin nicht das Recht, aus auch nur subjektiver Besorgnis um das Wohl der gemeinschaftlichen Tochter wegen des Verdachts des Missbrauchs gegen den Beklagten bei den Ermittlungsbehörden Anzeige zu erstatten. Dies hat sie jedoch gar nicht getan. Sie hat ihre Aussage im Zusammenhang eines gegen den Beklagten wegen eines in seinen Einzelheiten streitigen Akts häuslicher Gewalt geführten Ermittlungsverfahrens erstattet, in dem es vornehmlich um die Benutzung der ehelichen Wohnung gegangen ist und in dessen weiterem Verlauf sie die Überprüfung ihrer Missbrauchsvorwürfe durch die Ermittlungsbehörden auch nicht weiter verfolgt, aber gleichwohl - zuletzt im Einzelrichtertermin - aufrecht erhalten hat. Dies spricht dafür, dass es ihr gar nicht um die Verifizierung ihres Verdachts und den Schutz der gemeinschaftlichen Tochter gegangen ist. Vielmehr erscheinen die Missbrauchsbeschuldigungen der Klägerin in ihrem konkreten Zusammenhang als unverhältnismäßiges und sachlich nicht gerechtfertigtes Instrument in der Trennungsauseinandersetzung, das unterhaltsrechtlich nicht ohne Sanktion bleiben darf.

Angesichts dieser Wertung bedarf es keiner Beweisaufnahme darüber, ob der Beklagte in seinem beruflichen Umfeld auf die Beschuldigungen angesprochen worden ist und dadurch Nachteile erlitten hat. Durch ihre Aussage vor der Polizei hat die Klägerin jedenfalls die Gefahr einer solchen Entwicklung geschaffen.

d) Angesichts des Umstandes, dass der Beklagte aus seiner freiberuflichen Tätigkeit als X. ein weit überdurchschnittliches Einkommen erzielt und durch den an die Klägerin zu zahlenden Unterhalt in seiner Lebensführung nicht übermäßig belastet wird, genügt jedoch zum unterhaltsrechtlichen Ausgleich des Fehlverhaltens eine maßvolle Herabsetzung ihres Anspruchs auf Trennungsunterhalt. Insoweit erachtet es der Senat als billig und ausreichend, wenn ihr Anspruch unter Berücksichtigung des Haushaltsführungsentgelts und des erzielbaren Eigeneinkommens für die Monate Februar bis November 2004 auf die vom Beklagten tatsächlich gezahlten Beträge und ab November 2004 auf mtl. 1.100,00 € herabgesetzt wird. Dieser Unterhalt bleibt zwar hinter dem Bedarf zurück, der den individuellen Lebensverhältnissen der Parteien entspricht, liegt aber immer noch oberhalb des sog. angemessenen Selbstbehalts (Unterhaltsgrundsätze a.a.O. Ziff. 21.4) von 1.000,00 €, wobei noch gar nicht berücksichtigt ist, dass der Beklagte der Klägerin während der Trennungszeit zusätzlich einen PKW zur Verfügung gestellt und ihre Krankenversicherung getragen hat.

e) Eine weitere Herabsetzung des Unterhalts wegen der übrigen Verwirkungsvorwürfe des Beklagten ist aus Billigkeitsgründen nicht geboten. Die in das Wissen der Zeuginnen Dr. Y., V., U. und Dr. P.-H. gestellten Umstände wären, ihre Wahrheit unterstellt, durch die Herabsetzung des Unterhalts mit abgedeckt. Einer Beweisaufnahme bedarf es daher nicht. Das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang der Zwangsvollstreckung aus dem amtsgerichtlichen Urteil mag unfreundlich sein, entspricht aber den anwaltlichen Gepflogenheiten. Der Hergang des Gerangels der Parteien vom 29.01.2004, das zur vorübergehenden Ausweisung des Beklagten aus der Ehewohnung geführt hat, ist auch angesichts der Bekundungen des Kindes in seiner Anhörung vor dem Familienrichter unaufgeklärt. Daher ist auch unklar, ob die Beschuldigungen der Klägerin unzutreffend waren oder nicht.

Insgesamt verbleibt es daher bis einschließlich November 2004 bei dem Unterhalt, den der Beklagte in diesem Zeitraum freiwillig an die Klägerin gezahlt hat. Ab Dezember 2005 bis zur Rechtskraft der Ehescheidung ergibt sich ein Nachzahlungsbetrag von mtl. 345,00 €.

V)

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Ziff. 8, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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