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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 28.06.2007
Aktenzeichen: 6 WF 88/07
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 48 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Wert für das Scheidungsverfahren auf 2.000,00 € festgesetzt und zusätzlich Werte für eine Folgesache und einen im Zusammenhang mit der Scheidung abgeschlossenen Vergleich festgesetzt.

Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin gegen die Wertfestsetzung für das Scheidungsverfahren auf 2.000,00 € mit der Begründung, dass die beiderseitige Prozesskostenhilfebewilligung nicht dazu führen könne, dass nur der Mindeststreitwert festgesetzt werde, vielmehr müsse auch in diesem Fall das in drei Monaten erzielte Einkommen der Parteien zugrunde gelegt werden. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dabei ausgeführt, dass bei der Wertbemessung ausschließlich das Einkommen des Antragsgegners aus Rentenbezug maßgeblich sei und dieses in drei Monaten einen Betrag von 2.000,00 € nicht erreiche. Zusätzlich von den Parteien bezogene Sozialleistungen blieben für die Streitwertbemessung außer Betracht. Die Vertreterin der Staatskasse ist der Beschwerde entgegengetreten und verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Der Einzelrichter des Senats hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat zur Entscheidung gemäß §§ 66 Abs. 6 S. 2, 68 Abs. 1 S. 5 GKG vorgelegt.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist fristgemäß eingelegt. Der Beschwerdewert von 200,00 € ist erreicht, da sich die Gebühren für die Beschwerdeführer um mehr als 200,00 € erhöhen, wenn man für die Scheidung einen Wert zugrunde legt, der das gesamte Einkommen der Parteien in drei Monaten berücksichtigt.

Die Beschwerde ist auch begründet. Ob und inwieweit Sozialleistungen als Einkommen im Sinne des § 48 Abs. 3 S. 1 GKG anzusehen sind und dabei den Wert für das Ehescheidungsverfahren beeinflussen, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Im vorliegenden Fall geht es um Arbeitslosengeld II, welches die Antragstellerin bezieht, sowie um Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII, welche der Antragsgegner neben seiner Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält. In der Literatur wird vereinzelt die Auffassung vertreten, dass Sozialleistungen grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen seien (Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl., Ehesachen, Rdnr. 1268). In der Rechtsprechung wird teilweise differenziert zwischen der früheren Arbeitslosenhilfe bzw. heutigem Arbeitslosengeld II einerseits und Sozialhilfe andererseits. Das Oberlandesgericht Dresden hat die Berücksichtigung der Arbeitslosenhilfe bejaht, die Berücksichtigung von Sozialhilfe verneint (FamRZ 2002, S. 1640). Im übrigen ist die Berücksichtigung von Arbeitslosenhilfe bejaht worden durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (FamRZ 1994, S. 250), verneint worden durch das Oberlandesgericht Brandenburg (FamRZ 2003, S. 1676). Die Berücksichtigung von Arbeitslosengeld II, das die frühere Arbeitslosenhilfe abgelöst hat, ist bejaht worden von OLG Hamm (FamRZ 2006, S. 632), verneint worden vom OLG Düsseldorf (FamRZ 2006, S. 807) und dem Amtsgericht Lüdenscheid (FamRZ 2007, S. 750). Der 5. Senat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Beschluss vom 09.06.2000 - 5 WF 162/00, veröffentlicht in der Datenbank HeFam) hat bei der Arbeitslosenhilfe danach differenziert, ob eine Überleitungsmöglichkeit besteht oder nicht. Komme eine Überleitung von Unterhaltsansprüchen auf den Träger der Arbeitslosenhilfe gegen den anderen Ehegatten in Frage, handele es sich bei der geleisteten Arbeitslosenhilfe nur um einen Durchlaufposten, der das Einkommen nicht erhöhe. Scheide eine Überleitung aus, erhöhe die Arbeitslosenhilfe den Streitwert.

Der Senat folgt der Rechtsprechung des 5. Familiensenats generell für Sozialleistungen. Unabhängig von der Zweckbestimmung beeinflussen Sozialleistungen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien. Für die wirtschaftliche Situation der Parteien ist es unerheblich, aus welchen Quellen das bezogene Einkommen kommt. Ob ein Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich heute ein Einkommen hat, das gerade dem Existenzminimum entspricht oder ob er arbeitslos ist und einen entsprechenden Betrag als Sozialleistung, sei es nach SGB II, sei es nach SGB XII erhält, ist für seine wirtschaftliche Situation unerheblich. Ein Unterschied besteht nur dann, wenn Unterhaltsansprüche des Leistungsbeziehers gegen den anderen Ehegatten auf den Leistungsträger übergegangen sind oder übergeleitet worden sind bzw. übergeleitet werden können. In diesem Fall erhöhen diese Leistungen das Gesamteinkommen nicht, weil der andere Ehegatte aufgrund des übergegangenen Unterhaltsanspruchs diese Leistungen erstatten muss, mit der Folge, dass sich sein Einkommen schmälert. Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor. Beide Parteien sind ersichtlich nicht in der Lage dem anderen Unterhalt zu zahlen, so dass ein Übergang von Ansprüchen auf die Träger der Sozialleistungen ausgeschlossen ist.

Allerdings führt dies, wie das Amtsgericht Lüdenscheid zutreffend ausführt, dazu, dass der Mindestwert von 2.000,00 € praktisch keine Rolle mehr spielt. Dies liegt indessen daran, dass dieser Wert, abgesehen von einer Anpassung des Werts von 4.000,00 DM auf 2.000,00 € bei der Euroumstellung, seit dem Kostenänderungsgesetz vom 21.08.1975 (Bundesgesetzblatt I S. 2189), also in einem Zeitraum von mehr als 30 Jahren keine Änderung mehr erfahren hat. Die Lebenshaltungskosten haben sich in dieser Zeit mehr als verdoppelt (durchschnittlicher Index 1975 51,2, 2006 1. Halbjahr 109,7). Dies zeigt, dass ursprünglich ein Wert von 4.000,00 DM rechnerisch hätte unterschritten werden können bei Sozialhilfebezug beider Parteien. Der ursprünglich festgelegte Wert von 4.000,00 DM kann daher nicht als Begründung dafür herhalten, Sozialleistungen bei der Einkommensermittlung gemäß § 48 GKG nicht zu berücksichtigen.

Damit ist für die Streitwertbemessung folgendes Einkommen zugrunde zu legen:

 Antragstellerin 
Arbeitslosengeld II ohne Sozialversicherungsbeiträge 721,80 €
Antragsgegner 
Gesetzliche Rente 523,00 €
Antragsgegnerin Grundsicherung 168,00 €
Summe 1.412,00 €
Betrag in drei Monaten 4.236,00 €

Entsprechend war der Wert für das Scheidungsverfahren festzusetzen.

Trotz der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage ob und inwieweit Sozialleistungen für die Streitwertberechnung in Ehesachen eine Rolle spielen, konnte eine weitere Beschwerde nicht zugelassen werden, da die Zulassung der weiteren Beschwerde nur durch das Landgericht als Beschwerdegericht möglich ist (§§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 4 GKG).

Ende der Entscheidung

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