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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 16.02.2007
Aktenzeichen: 7 U 104/06
Rechtsgebiete: AKB, VVG


Vorschriften:

AKB § 7 Abs. 1
VVG § 6 Abs. 3
Gemäß § 7 I (2) AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Dazu gehören auch Angaben zur Feststellung des Entschädigungsbetrages. Die Frage nach Vorschäden ist sachdienlich, da diese bedeutsam für die Feststellung des Wiederbeschaffungswertes sind.
Gründe:

I)

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm bedingungsgemäßen Versicherungsschutz aus der Fahrzeugversicherung wegen des Diebstahls seines Pkws ... in der Nacht vom 16. auf den 17.4.2005 in O1 in Polen zu gewähren.

Der Kläger füllte am 28.4.2005 die Schadensanzeige aus und verneinte die Frage "Sind während der Besitzzeit Beschädigungen am Fahrzeug eingetreten ?". Tatsächlich hatte der Kläger jedoch im Juli 2003 mit dem Fahrzeug unverschuldet einen Verkehrsunfall in Polen erlitten. Mit der Durchsetzung seiner Ansprüche hatte er einen Anwalt in Polen beauftragt, der sich mit Schreiben vom 22.8.2003 an die Beklagte mit der Bitte gewandt hatte, dem Kläger zu bescheinigen, dass er wegen dieses Unfalles seine bei der Beklagten bestehende Vollkaskoversicherung nicht in Anspruch genommen habe. Der Schaden wurde gegenüber dem Unfallgegner auf der Grundlage des Gutachtens des Ingenieurbüros A vom 31.7.2003 abgerechnet, das Reparaturkosten von 6.509,37 Euro sowie eine Wertminderung 1.800 Euro ausweist.

Die Beklagte hat sich im vorliegenden Rechtsstreit in Hinblick auf den nicht angegebenen Vorschaden auf Leistungsfreiheit gemäß §§ 6 VVG, 7 AKB wegen Verletzung der Auskunftsobliegenheit berufen.

Der Kläger hat die Falschangabe in der Schadensanzeige damit gerechtfertigt, dass er - auch 11 Tage nach dem Diebstahl - wegen des Diebstahls und der in seiner Folge sich ergebenden organisatorischen Probleme gestresst gewesen sei. Er habe den Unfall aus dem Jahre 2003 - dessen Schäden ordnungsgemäß repariert worden seien - schlicht vergessen gehabt, so dass keine wissentlich falsche Angabe vorliege. Erst nachdem er den Schriftsatz der Beklagten vom 8.11.2005 - in welchem der Grund für die zuvor erklärte Leistungsablehnung erläutert wird - erhalten habe, sei ihm gewahr geworden, was die Beklagte ihm vorwerfe. Er habe daraufhin sofort seine Anwältin angerufen und dieser gegenüber erklärt, dass er den Unfall völlig vergessen gehabt habe.

Darüber hinaus hat der Kläger sich darauf berufen, dass er den Unfall der Beklagten im Jahre 2003 telefonisch gemeldet und die Beklagte auch mit seinem Anwalt korrespondiert habe. Der Vorschaden sei der Beklagten mithin bekannt gewesen.

Durch Urteil vom 21.4.2006 - auf dessen Inhalt (Bl. 91 ff d.A.) wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird - hat das Landgericht die Klage wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung abgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung und rügt sowohl Verfahrensfehler als auch die Verletzung materiellen Rechts.

Dass er den Vorschaden im Eifer des Gefechts vergessen habe, sei nachvollziehbar und plausibel. Das Landgericht hätte ihn deshalb als Partei sowie seine Prozessbevollmächtigte als Zeugin hören müssen. Da der Vorschaden rückstandslos beseitigt worden sei, fehle es auch an dem erforderlichen schweren Verschulden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auf den Fahrzeug-Vollkaskoversicherungsvertrag-Nr.: ... aus dem Anlass des Diebstahls des Pkw mit der Fahrzeug-Ident-Nr.: ..., mit dem ehemaligen Kennzeichen: ..., am 16./17.04.2005 uneingeschränkt Vollkaskoversicherungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Kläger ist in der Sitzung vom 26.1.2007 hinsichtlich des nicht angegebenen Vorschadens persönlich angehört worden; auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 179 ff d.A.) wird Bezug genommen.

II)

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu recht abgewiesen.

Zwar bestehen entgegen der Auffassung der Beklagten keine Bedenken an der Zulässigkeit der Feststellungsklage, da diese in Hinblick auf das gemäß § 14 AKB vereinbarte Sachverständigenverfahren grundsätzlich geeignet ist, eine endgültige Klärung des streitgegenständlichen Anspruchs herbeizuführen. Die Klage ist jedoch unbegründet, da die Beklagte sich auf Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gemäß §§ 6 III VVG, 7 I, IV AKB berufen kann.

Gemäß § 7 I (2) AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Dazu gehören auch Angaben zur Feststellung des Entschädigungsbetrages.

Der Kläger hat objektiv unrichtige Angaben in der Schadensanzeige vom 28.4.2005 gemacht, indem er die Frage nach Beschädigungen am Fahrzeug während seiner Besitzzeit verneint und den reparierten Vorschaden aufgrund des Unfalles im Jahre 2003 nicht in der dafür vorgesehenen Rubrik eingetragen hat.

Die Frage nach Vorschäden ist sachdienlich, da diese bedeutsam für die Feststellung des Wiederbeschaffungswertes sind. Das insoweit vorauszusetzende Aufklärungsbedürfnis ist nicht deshalb entfallen, weil der Kläger den Unfall im Jahre 2003 telefonisch gemeldet und sein Anwalt mit der Beklagten korrespondiert hatte.

Ein Aufklärungsbedürfnis kann nur dann verneint werden, wenn der Versicherer umfassende und vollständige Kenntnis über den Vorschaden hat, was etwa dann anzunehmen sein kann, wenn der Versicherer den Vorschaden kurze Zeit zuvor selbst reguliert hat (vgl. hierzu BGH VersR 2005, 1185; OLG Oldenburg VersR 2005, 782). Allein die Möglichkeit, dass sich der Versicherer die erforderliche Kenntnis anderweitig hätte verschaffen können, genügt nicht. Insofern bedurfte es keiner weiteren Klärung, ob die Beklagte aufgrund der Ausgestaltung ihrer elektronischen Aktenverwaltung automatisch einen Hinweis auf die im Jahre 2003 angelegte Schadensakte erhalten hat. Der Beklagten war im Zusammenhang mit jenem Unfallereignis lediglich das Schreiben von Rechtsanwalt B vom 22.8.2003 zugegangen. Aus diesem ergab sich nur, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug (unverschuldet) an einem Unfall in Polen beteiligt gewesen ist. Detaillierte Kenntnisse über Art und Umfang des Schadens - insbesondere über den erforderlichen Reparaturaufwand - hatte die Beklagte in diesem Zusammenhang gerade nicht erhalten.

Steht - wie vorliegend - der Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung objektiv fest, dann wird gemäß § 6 III 1 VVG vermutet, dass die Falschangabe vorsätzlich erfolgt ist. Der Versicherungsnehmer hat diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Dies ist dem Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung gemäß § 141 ZPO nicht gelungen. Seine Behauptung, er habe beim Ausfüllen der Schadensanzeige den Unfall aus dem Jahre 2003 vergessen gehabt, ist nicht glaubhaft. Die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung sind nicht gegeben.

Wie der Kläger anlässlich seiner Anhörung eingeräumt hat, gestaltete sich die Abwicklung jenes Unfallschadens keineswegs unkompliziert. Die gegnerische Unfallversicherung verweigerte zunächst die Schadensregulierung. Der Kläger musste einen Rechtsanwalt in Polen beauftragen. Der Kläger meinte sich auch erinnern zu können, dass in dieser Angelegenheit ein Gerichtstermin stattgefunden hatte. Auch wenn er sich diesbezüglich nicht ganz sicher war, war die Schadensabwicklung mit der gegnerischen Unfallversicherung für den Kläger jedenfalls mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden. Des weiteren hat er auf Gutachtenbasis abgerechnet und gemeinsam mit einem Bekannten die Schäden an seinem Fahrzeug selbst beseitigt. Die Reparatur - deren Dauer im Gutachten mit sechs Arbeitstagen veranschlagt worden war -gestaltete sich langwierig, da der Kläger die erforderlichen Teile selbst beschaffte und Arbeiten nur in der Freizeit ausgeführt werden konnten.

Angesichts dessen ist es in keiner Weise nachvollziehbar, dass der Kläger den Vorschaden - der zum Zeitpunkt des Ausfüllens der Schadensanzeige noch keine zwei Jahre zurücklag - vergessen haben will. Dass er und seine Ehefrau dringend auf ein Fahrzeug angewiesen und deshalb an einer möglichst schnellen Schadensregulierung interessiert waren, ist nachvollziehbar. Eine über das Übliche hinausgehende Stresssituation, die ein Vergessen des Unfalles nachvollziehbar erscheinen ließe, lässt sich hieraus nicht herleiten. Dass der Kläger durchaus zu einem geordneten Ausfüllen der Schadensanzeige in der Lage war, belegen seine übrigen Angaben - wie z.B. zu verschleißbedingten Reparaturen - in jenem Formular.

Soweit der Kläger sich auf die Vernehmung seiner erstinstanzlich tätigen Prozessbevollmächtigten als Zeugin bezogen hat, war diesem Beweisantritt nicht nachzugehen. Es mag sein, dass der Kläger nach Erhalt des Schreibens vom 17.10.2005 dieser gegenüber angab, nicht zu wissen, welche unrichtigen Angaben ihm die Beklagte vorwerfe. Ein solches Verhalten lässt - ebenso wenig wie die angeblich sofortige Unterrichtung seiner Anwältin nach Erhalt des Schriftsatzes vom 8.11.2005 darüber, dass er den Unfall völlig vergessen habe - nicht darauf schließen, dass er den Vorschaden beim Ausfüllen der Schadensanzeige tatsächlich vergessen hatte, ist vielmehr auch mit einem bewussten Verschweigen des Vorschadens vereinbar.

Danach ist von einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung auszugehen, die allerdings folgenlos war, da die Beklagte aufgrund der von ihr angestellten Recherche Kenntnis von jenem Vorschaden erlangt hat. In einem solchen Fall wird der Versicherer nur dann von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn die Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, den Versicherungsnehmer außerdem ein erhebliches Verschulden trifft und er über den möglichen Verlust seines Anspruchs ausreichend belehrt wurde (vgl. Römer, VVG-Komm., 2. Aufl. § 6 VVG Rz. 39). Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Dass das Verschweigen eines Vorschadens, der vorliegend zudem erheblich war, generell geeignet ist, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, liegt auf der Hand.

Des weiteren trifft den Kläger auch ein erhebliches Verschulden. Umstände, die das Verhalten des Klägers in einem milderen Licht erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. Das Verschweigen des in Rede stehenden Vorschadens stellt kein lässliches Versehen dar, das auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag. Ausweislich des Gutachtens des Ingenieurbüros C beliefen sich die Reparaturkosten auf 6.509,37 Euro. Es handelte sich insofern um alles andere als einen Bagatellschaden. Selbst nach ordnungsgemäß durchgeführter Reparatur verblieb ein merkantiler Minderwert, welchen der Gutachter auf 1.800,-Euro geschätzt hat. Angesichts der in Eigenregie durchgeführten Reparatur hatte die Beklagte im übrigen ein gesteigertes Interesse an der ordnungsgemäßen Unterrichtung über den Vorschaden, was auch dem Kläger bewusst sein musste.

Darüber hinaus ist der Kläger im Schadensanzeigeformular - in Fettdruck direkt über der Unterschriftsleiste - über die Folgen einer Verletzung der Aufklärungspflicht belehrt worden. Die Belehrung enthält insbesondere den erforderlichen Hinweis, dass der Verlust des Versicherungsschutzes auch dann droht, wenn dem Versicherer durch die Verletzung der Aufklärungspflicht keine Nachteile entstehen.

Die Beklagte kann sich danach auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungspflicht berufen.

Da das Rechtsmittel des Klägers ohne Erfolg geblieben ist, waren ihm die Kosten der Berufung aufzuerlegen (§ 97 I ZPO). Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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