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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 07.06.2006
Aktenzeichen: 7 U 175/05
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 80
ZPO § 50
ZPO § 240
1. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers vor Einreichung der Klage führt nicht zur Unterbrechung des Rechtsstreits nach § 240 ZPO.

2. Eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzschuldner erhobene Klage ist wegen fehlender Prozessführungsbefugnis als unzulässig abzuweisen.

3. Weist das erstinstanzliche Gericht in Unkenntnis der bereits erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers die Klage durch Sachurteil ab, so ist die hiergegen eingelegte Berufung des Kägers zulässig, weil es dem Berufungsgericht im Hinblick darauf, dass das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen ist, und im Interesse eines umfassenden Rechtsschutzes möglich sein muss, das zu Unrecht ergangene Sachurteil abzuändern.


Gründe:

Mit der am 30.03.2005 eingereichten Klage macht der Kläger restliche Entschädigung aus einer Gebäudeversicherung geltend, die er bei der Beklagten auf der Grundlage der VGB 88 genommen hat. Er und seine frühere Ehefrau, die Streithelferin, sind hälftige Miteigentümer eines Einfamilienhauses, das am 18.11.2003 abgebrannt ist. Eine Realrechtsgläubigerin hat ihr Recht angemeldet und nur einer Zahlung auf ein bei ihr geführtes Sperrkonto zugestimmt. Die Beklagte hat den Zeitwertschaden mit 175.928,00 € errechnet und durch Zahlung an die Realrechtsgläubigerin reguliert. Den Neuwertschaden hat sie mit 226.751,00 € ermittelt. Wie erst im zweiten Rechtszug bekannt geworden ist, hatte das Amtsgericht - Insolvenzgericht - Wiesbaden (10 IK 250/04) bereits am 25.01.2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und einen Treuhänder bestellt (Bl. 261 f. d.A.).

Der Kläger hat einen Neuwertschaden von 285.000,00 € unter Hinweis auf einen Kostenvoranschlag der Fa. A für ein neues Fertighaus behauptet und die Zahlung von 109.072,00 € (285.000,00 € - 175.928,00 €) an sich begehrt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 109.072,00 € nebst Prozesszinsen zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat mangelnde Aktivlegitimation des Klägers wegen des Fehlens der Zustimmung der Streithelferin nach § 12 Nr. 1 Satz 2 VGB 88 und wegen der Grundpfandrechte der Bank geltend gemacht, darüber hinaus fehlende Fälligkeit der Neuwertspitze, weil der Kläger bis auf den Kostenvoranschlag nichts zur Sicherstellung des Wiederaufbaus vorgetragen habe, und zudem Leistungsfreiheit nach § 21 Nr. 1 VGB 88 wegen arglistiger Täuschung, die sie darin gesehen hat, dass der Kläger unter Vorlage einer Scheinrechnung Entschädigung für nicht vorgenommene Abrissarbeiten erlangt habe. Zudem hat sie die Höhe der Klageforderung angegriffen.

Das Landgericht hat sein die Klage abweisendes Sachurteil auf mangelnde Aktivlegitimation und Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 21 Nr. 1 VGB 88 gestützt.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, wegen der Erwägungen des Landgerichts im Einzelnen auf die Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das am 12.08.2005 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 07.09.2005 eingelegten und nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 14.11.2005 am 08.11.2005 begründeten Berufung, mit der er nunmehr Zahlung von insgesamt 109.072,00 € teils an sich und die Streithelferin als Gesamtgläubiger, teils an die Realgläubigerin sowie erstmals die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zu dem Ersatz weiteren aus dem Brand vom 18.11.2003 resultierenden Schadens verpflichtet sei.

Der Kläger macht geltend, dass die Zustimmung der Versicherten nach § 12 Nr. 1 VGB erst im Zeitpunkt der Zahlung vorliegen müsse. Er rügt, dass das Landgericht, soweit es eine Aktivlegitimation verneint habe, gebotene Hinweise unterlassen und deshalb eine Überraschungsentscheidung getroffen habe. Auch habe das Landgericht fehlerhaft eine arglistige Täuschung festgestellt. Auf einen Hinweis des Senats hin hat der Kläger ergänzend zur Sicherstellung des Wiederaufbaus vorgetragen und einen zwischen ihm und der Streithelferin einerseits sowie einem Bauunternehmen andererseits geschlossenen Vorvertrag zu einem Bauwerkvertrag vorgelegt. Hilfsweise stützt er den geltend gemachten Anspruch darauf, dass der Zeitwertschaden 226.485,00 € betrage und daher noch teilweise von der Beklagten auszugleichen sei. An seiner Auffassung, dass der Rechtsstreit gemäß § 240 ZPO unterbrochen sei, hat der Kläger im Senatstermin nicht mehr festgehalten.

Die frühere Ehefrau des Klägers ist ihm im zweiten Rechtszug als Nebenintervenientin beigetreten. Sie ist der Ansicht, dass der Rechtsstreit nicht nach § 240 ZPO unterbrochen, die Berufung zulässig, die Klage jedoch unzulässig sei.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger und die Nebenintervenientin als Gesamtgläubiger 29.615,22 € nebst Prozesszinsen zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die ... bank 79.456,78 € nebst Prozesszinsen zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weiter aus dem Brandschaden vom 18.11.2003 entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen,

sowie hilfsweise,

4. das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht Wiesbaden zurückzuverweisen.

Die Streithelferin des Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Gericht I. Instanz zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Soweit sie der Auffassung war, dass die Berufung mangels Prozessführungsbefugnis des Klägers unzulässig sei, und daher zuletzt einen Antrag auf Verwerfung der Berufung angekündigt hatte, hat sie daran im Senatstermin nicht mehr festgehalten. Indessen hält sie die geänderten Anträge des Klägers für im zweiten Rechtszug unzulässig.

Wegen des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im Übrigen Bezug genommen auf die im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf die gerichtlichen Hinweise in den Senatsbeschlüssen vom 24.01.2006 und 15.05.2006 sowie in dem Schreiben des Berichtserstatters vom 28.02.2006 und auf die Sitzungsniederschrift vom 07.06.2006.

Der Senat ist nicht an einer Sachentscheidung gehindert, weil das Verfahren nicht nach § 240 ZPO unterbrochen ist. Bereits aus der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes "Unterbrechung" ergibt sich, dass nur ein Vorgang, der bereits begonnen hat, durch ein Ereignis unterbrochen werden kann. Ist er noch nicht in Gang gekommen, so bewirkt das Ereignis keine Unterbrechung, sondern hindert vielmehr den Beginn des Vorgangs. Nach dem Wortsinn des § 240 ZPO kann mithin nur ein rechtshängiges Verfahren unterbrochen werden. Dem entspricht es, dass nach herrschender Ansicht ein isoliertes Prozesskostenhilfeverfahren jedenfalls durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers nicht unterbrochen wird, weil es an der Rechtshängigkeit fehlt (vgl. OLG Stuttgart OLGR 2004, 313 ff., zit. nach juris m.w.N.). Auch Sinn und Zweck der in § 240 ZPO getroffenen Regelung erfordern es nicht, den vom Insolvenzschuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeleiteten Rechtsstreit als von Anfang an unterbrochen zu behandeln. Wird nach Rechtshängigkeit das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet, so wird die Klage wegen des Verlustes der Prozessführungsbefugnis des Klägers (§ 80 Abs. 1 InsO) unzulässig. Zweck der dann von Gesetzes wegen eintretenden Unterbrechung ist es aber nicht, den Insolvenzschuldner vor einer Abweisung seiner Klage als unzulässig zu schützen. Vielmehr dient die Unterbrechung dazu, dem Insolvenzverwalter Gelegenheit zu geben zu entscheiden, ob er im Interesse der Insolvenzgläubiger versuchen will, den mit der Klage geltend gemachten Vermögensgegenstand durch Aufnahme des Prozesses zur Masse zu ziehen. Letztlich sollen damit die Inbesitznahme der Masse durch den Insolvenzverwalter einerseits und die Vermeidung einer unnützen Schmälerung der Masse andererseits unterstützt werden. Um diese Zwecke zu fördern, ist im Falle der Einleitung eines Aktivprozesses durch den Insolvenzschuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Unterbrechung des Verfahrens nicht notwendig. Denn der Insolvenzmasse droht in dieser Konstellation kein Verlust eines Vermögensgegenstandes, weil von Anfang an der Prozessgegner mangels Prozessführungsbefugnis des Klägers nicht zu einer Leistung an den Insolvenzschuldner verurteilt werden kann. Auch für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers eines isolierten Prozesskostenhilfeverfahrens wird darauf abgestellt, dass die Fortsetzung des Verfahrens nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für Antragsgegner und Masse unschädlich ist, weil das Prozesskostenhilfegesuch ohnehin in Anbetracht fehlender Prozessführungsbefugnis mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen werden muss (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.).

Die an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegt und begründete Berufung ist auch im Übrigen zulässig.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Antragsänderung im zweiten Rechtszug als Beschränkung des erstinstanzlichen Antrags - klägerische Berufungsanträge zu 1. und 2. - (vgl. dazu BGH NJW-RR 2005, 955 f. Rn 10 im juris-Ausdruck) und als Erweiterung des erstinstanzlichen Antrags aus identischem Klagegrund - klägerischer Berufungsantrag zu 3. - i.S. von § 264 Nr. 2 ZPO anzusehen sind oder ob eine echte Klageänderung anzunehmen ist. Denn liegt eine Klageänderung vor, so ist sie zum einen sachdienlich (§ 533 Nr. 1 ZPO) und kann zum anderen die Entscheidung des Senats über die geänderten Anträge auf Tatsachen gestützt werden, welche der Entscheidung ohnehin zugrunde zu legen sind (§ 533 Nr. 2 ZPO), weil mit einer an sich statthaften Berufung der gesamte aus den Akten ersichtlichen Prozessstoff ohne weiteres in die Berufungsinstanz gelangt, auch wenn er im ersten Rechtszug als unerheblich angesehen oder übersehen worden ist (BGHZ 158, 295 ff. Rn 33 im juris-Ausdruck).

Schließlich steht auch die gemäß § 80 InsO fehlende Prozessführungsbefugnis des Klägers der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen. Für Fälle fehlender oder zweifelhafter Prozessfähigkeit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch der Prozessunfähige ein zulässiges Rechtsmittel einlegen kann. Dies gilt nicht nur dann, wenn er ein mit fehlender Prozessfähigkeit begründetes Prozessurteil zur Überprüfung stellen will, sondern auch dann, wenn seine Klage mangels Erkennens seiner Prozessunfähigkeit durch Sachurteil abgewiesen worden ist. Im Interesse eines umfassenden Rechtsschutzes und im Hinblick darauf, dass die Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen ist, muss es dem Rechtsmittelgericht in derartigen Fällen möglich sein, ein zu Unrecht ergangenes Sachurteil abzuändern. Dass die prozessunfähige Partei im Rechtsmittelzug nicht diese Abänderung, sonder ein ihr günstiges Sachurteil über ihre Klage erstrebt, ist dabei unerheblich (BGHZ 143, 122 ff. Rn 20 im juris-Ausdruck). Dies alles gilt auch dann, wenn die ebenfalls von Amts wegen zu prüfende Prozessführungsbefugnis fehlt. Denn auch dann muss es dem Rechtsmittelgericht möglich sein, ein zu Unrecht ergangenes Sachurteil abzuändern.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Klage war von Anfang an unzulässig, weil der Kläger nicht prozessführungsbefugt war. Daher ist die Berufung mit der aus der Urteilsformel ersichtlichen klarstellenden Maßgabe zurückzuweisen. Die von dem Kläger und der Nebenintervenientin hilfsweise erstrebte Aufhebung und Zurückverweisung kommt nicht in Betracht, weil keiner der in § 538 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 ZPO genannten Fälle vorliegt.

Da seine Berufung keinen Erfolg hat, hat der Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Hiervon ausgenommen sind die der Nebenintervenientin erwachsenen Kosten, welche diese nach § 101 Abs. 1 Alt. 2 ZPO selbst zu tragen hat.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO vorliegt

Ende der Entscheidung

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