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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 29.05.2007
Aktenzeichen: 8 U 10/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253
BGB § 280
Wenn der Patient nicht beweisen kann, dass ihm durch eine ohne hinreichende Aufklärung durchgeführte Strahlenbehandlung ein Gesundheitsschaden entstanden ist, so haftet der Arzt nur für die mit der Strahlenbehandlung einhergehenden Beeinträchtigungen. Das kann bei einer 82-jährigen Patientin, die sich rund zwei Wochen regelmäßigen Röntgenuntersuchungen unterzogen hat, ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 € rechtfertigen.
Gründe:

I.

Die im Jahre 1921 geborene Klägerin wurde von der Beklagten in der Zeit vom 31.1. bis 17.2.2003 wegen Rheuma an den Händen bestrahlt.

Amt 28.3.2003 wurde sie in die Klinik O1-... mit der Diagnose "Verdacht auf gastrointestinale Blutung" eingeliefert. Dort diagnostizierten die Ärzte u.a. "Verbrennungen der Fingerkuppen nach Bestrahlung wegen Arthrose". Am 12.12.2003 wurden der Klägerin Teile des Zeigefingers der linken Hand, am 22.1.2004 die ersten beiden Glieder des Mittelfingers der rechten Hand und am 25.5.2004 der restliche Zeigefinger der linken Hand amputiert.

Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld, wobei sie 12.000,-- € für angemessen hält, des weiteren Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit kein Forderungsübergang eingetreten ist.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte habe die Röntgenbestrahlung der Hände jeweils viel zu lange durchgeführt und auch nicht berücksichtigt, dass die Klägerin bei der Bestrahlung schon 82 Jahre alt gewesen sei. Vor allen Dingen sei die Klägerin aber niemals über die Risiken und möglichen Nebenwirkungen einer Strahlenbehandlung aufgeklärt worden. Wäre dies geschehen, so hätte sie sich nicht bestrahlen lassen.

Die Beklagte hat einen Behandlungsfehler in Abrede gestellt und geltend gemacht, dass die der Klage zugrunde liegenden Verletzungen der Klägerin in keinem Zusammenhang mit den durchgeführten Bestrahlungen stünden. Bei den von ihr gewählten Bestrahlungswerten seien die von der Klägerin behaupteten Bestrahlungsfolgen ausgeschlossen.

Nach Einholung eins Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. SV1 vom 30.11.2005 und Anhörung der Gutachterin am 15.5.2006 (Bl. 52 - 56, 70 - 72 d.A.) hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, ein Schmerzensgeld von 12.000,-- € an die Klägerin zu zahlen. Außerdem hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Bestrahlungsbehandlung in der Zeit vom 31.1.2003 bis 17.2.2003 noch entstehen werden, soweit kein Übergang auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte erfolgt ist. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Beklagten zwar kein Behandlungsfehler zur Last zu legen sei, dass sie jedoch wegen mangelhafter Aufklärung der Klägerin hafte. Die Sachverständige habe dargelegt, dass bei jedem Einsatz einer ionisierten Strahlung zu Therapiezwecken eine Aufklärung des Patienten über etwaige Nebenwirkungen erfolgen müsse. Dabei müsse auch nach sog. Co-Faktoren gefragt werden, etwa, ob die Patientin Medikamente einnehme. Die Beklagte sei dem Vortrag der Klägerin, sie hätte bei sachgerechter Aufklärung eine entsprechende Behandlung nicht vornehmen lassen, nicht entgegengetreten. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes habe das Gericht die eingetretenen Beeinträchtigungen an den Händen, die Verbrennungssymptome sowie insbesondere die Amputationen berücksichtigt. Die eingetretenen Folgen seien dem Handeln der Beklagten auch zurechenbar, da die Sachverständige sich sicher gewesen sei, dass das Verletzungsbild auf eine Verbrennung durch ionisierte Strahlungen zurückzuführen ist.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung erstrebt die Beklagte Abänderung des angefochtenen Urteils und Klageabweisung. Es fehle vorliegend an einer Kausalität der erfolgten röntgenologischen Bestrahlungen für die geltend gemachten Verletzungsfolgen. Die Sachverständige habe ausgeschlossen, dass die Röntgenbestrahlung ursächlich für die Nekrosebildung gewesen sei. Die Strahlendosis hätte um 50-mal höher sein müssen, um eine Nekrosebildung mit der Notwendigkeit einer Amputation auszulösen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach Ansicht der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob die Sachverständige die bei ihr eingetretenen Verletzungsfolgen vollständig habe aufklären können. Entscheidend sei allein, dass die Beklagte ihre Verpflichtung zur Aufklärung verletzt habe. Auch bei einem bloßen Aufklärungsfehler könne der behandelnde Arzt zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er bei einer im übrigen ordnungsgemäßen Behandlung den Patienten nicht hinreichend aufgeklärt habe. Die Sachverständige habe in ihrer Anhörung auch bekundet, dass es möglicherweise deshalb zu den Hautreaktionen bei der Klägerin gekommen sei, weil die verabreichte Dosis wesentlich höher als schriftlich niedergelegt gewesen sei. Die Beweislast habe sich umgekehrt, so dass die Beklagte hätte beweisen müssen, auf welchen anderen Ursachen die massive Schädigung der Klägerin beruht.

II.

Die Berufung der Beklagten hat zum überwiegenden Teil Erfolg. Die Beklagte schuldet der Klägerin für die unterbliebene Aufklärung hinsichtlich möglicher Folgen röntgenologischer Bestrahlung ein Schmerzensgeld von 1.500,-- €, während die Klage im übrigen abzuweisen war.

Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass der Beklagten ein Behandlungsfehler nicht zur Last zu legen ist. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass die Therapie indiziert war und nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt ist. Insbesondere sei auch die dokumentierte Strahlendosis zur Behandlung der Beschwerden der Klägerin angemessen gewesen. Das Bestrahlungsgerät sei in Ordnung gewesen. Ein Zusammenhang zwischen dem Alter der Klägerin und den Folgen der Strahlentherapie bestehe nicht. Die Einnahme bestimmter Medikamente könne sich zwar auf die Wirkung der Röntgenstrahlen auswirken; Anhaltspunkte hierfür seien aber nicht ersichtlich.

Ein Aufklärungsversäumnis ist der Beklagten nur insofern vorzuwerfen, als sie die Klägerin nicht über die mit einer Röntgenbestrahlung grundsätzlich verbundene Gefahr von Verbrennungen oder Nekrosebildung aufgeklärt hat. Die Sachverständige hat keine Hinweise darauf gefunden, dass eine sog. Grundaufklärung über mögliche Folgen von Strahlenbehandlungen erfolgt ist, bzw. dass die Klägerin nach sog. Co-Faktoren, wie z.B. der Einnahme bestimmter, die Strahlungsgefahr verstärkender Medikamente gefragt worden ist. Für die Folgen dieser Nichtaufklärung haftet die Beklagte ungeachtet des Umstandes, dass die tatsächlich durchgeführte Bestrahlung, die konkreten Verletzungen, insbesondere das Ausmaß der Nekrosebildung mit der Notwendigkeit von Amputationen nicht verursacht haben kann.

Steht fest, dass der Arzt den Patienten nicht oder nicht vollständig aufgeklärt hat, so hat der Patient darzulegen und zu beweisen, dass sein Gesundheitsschaden auf der Behandlung beruht, die mangels ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswidrig ist. Es findet, was die Ursächlichkeit anbelangt, keine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten statt (vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 2.Aufl. S. 253). Diesen Nachweis der Kausalität hat die Klägerin nicht führen können.

Die Sachverständige hat ausgeführt, dass das Bestrahlungsgerät intakt und ordnungsgemäß überprüft war und dass die gewählte Strahlendosis und Strahlendauer so, wie sie dokumentiert ist, nicht geeignet gewesen ist, die bei der Klägerin aufgetretenen Schäden zu verursachen. Ihr ist kein Fall aus der wissenschaftlichen Literatur bekannt, in dem bei einer normalen Strahlendosis derart pathologische Reaktionen aufgetreten wären. Anhaltspunkte dafür, dass die Dokumentation Mängel aufweist, sind nicht ersichtlich. Die Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass die Strahlendosis 50mal höher hätte sein müssen, um Schädigungen, wie sie bei der Klägerin eingetreten sind, auszulösen. Sie hat insoweit des weiteren zu bedenken gegeben, dass nicht alle Finger beider Hände betroffen waren, sondern an einer Hand nur ein Finger, an der anderen drei Finger. Eine überhöhte Strahlendosis hätte nach ihrer Auffassung aber beide Hände in gleichem Umfang treffen müssen.

Die Klägerin kann hinsichtlich der Kausalität eine für sie günstige Rechtsfolge auch nicht aus dem Umstand ableiten, dass die Sachverständige die Frage, woher die gravierenden Folgen der Klägerin gekommen sind, nicht hat beantworten können. Es ist nicht Aufgabe der Beklagten darzulegen und zu beweisen, dass und welche anderen möglichen Schadensursachen in Betracht kommen.

Auch wenn die Klägerin nicht hat beweisen können, dass ihre Gesundheitsschädigung auf der Bestrahlung durch die Beklagte beruht, bleibt die Beklagte - wenn auch in beschränktem Umfang - haftbar.

Ein völliger Haftungswegfall aus dem Gesichtspunkt der fehlenden Zurechenbarkeit setzt nämlich grundsätzlich voraus, dass der Patient wenigstens eine Grundaufklärung über Art und Schwere des Eingriffs erhalten hat. Vorliegend kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die Klägerin über das generelle Risiko informiert hat, das mit einer Strahlenbehandlung, auch wenn sie in zulässiger Dosis erfolgt, verbunden ist. Der Klägerin ist kein zutreffender Eindruck von der grundsätzlichen Gefahr vermittelt worden, die Röntgenbestrahlungen innewohnen, auch wenn ihre Dauer und Dosis den Regeln ärztlicher Kunst entspricht.

Der Senat geht aufgrund des Vortrags der Klägerin auch davon aus, dass sie sich nicht hätte bestrahlen lassen, wenn ihr die möglichen Folgen einer zulässigen und medizinisch indizierten Bestrahlung vor Augen geführt worden wären.

Die Beklagte haftet indessen nur für die unterbliebene Grundaufklärung über mögliche Strahlungsfolgen, nicht jedoch für die umfangreiche Nekrosebildung und die damit sowie mit den Amputationen verbundenen Schmerzen. Sie muss dafür einstehen, dass sie die Klägerin ohne deren Einwilligung einer - wenn auch indizierten und lege artis durchgeführten - Bestrahlung und den damit einhergehenden Beeinträchtigungen ausgesetzt hat.

Der Senat sieht hierfür ein Schmerzensgeld von 1.500,-- € als angemessen an.

Dem Feststellungsbegehren war nicht zu entsprechen. Es ist nicht ersichtlich, dass die behandlungsfehlerfrei vorgenommene Bestrahlung der Klägerin, auch wenn sie nicht von einer Einwilligung gedeckt war, Zukunftsschäden materieller oder immaterieller Art verursachen kann. Soweit Zukunftsfolgen denkbar sind, wären diese auf die Nekrosebildung sowie die Amputationen und damit auf Gesundheitsschäden zurückzuführen, die der Beklagten nicht kausal zugerechnet werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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