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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 18.08.2006
Aktenzeichen: 8 U 118/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
Unzureichende Präparation eines Zahnstumpfs führt zur Unbrauchbarkeit einer Prothese; 1500 € Schmerzensgeld für junge Frau, die rund zwei Jahre nach der Behandlung noch immer Schmerzen durch die gelockerte Teilkrone verspürt und sich umfangreichen Nachbehandlungen unterzogen hat.
Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen einer zahnärztlichen Fehlbehandlung.

Die Klägerin suchte den Beklagte am 16.7.2001 auf, um u.a. ihren Zahn 4 6 behandeln zu lassen. Der Zahn war damals durch ein Provisorium versorgt, nachdem die linguale (zungenseitige) Zahnwand gebrochen war. Der Beklagte erstellte die erforderlichen Heil- und Kostenpläne und präparierte am 13.11.2001 den Zahn 4 6 zur Aufnahme einer Teilkrone, die er im weiteren Verlauf zunächst provisorisch und dann definitiv eingliederte. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Krone bereits am 11. 12. 2001 endgültig zementiert und am 18. 2. 2002 - nachdem sie sich gelockert hatte - nochmals eingesetzt worden ist (so die Klägerin). Dem gegenüber behauptet der Beklagte, er habe die Krone erst am 18.2.2002 endgültig eingegliedert.

Am 18.12.2001 stellte der Beklagte der Klägerin seine Leistungen in Rechnung (vgl. Anlage K 2 - Bl. 17/18 d.A. in der vom Senat beigezogenen Akte des Amtsgerichts Langen (Az.: 56 C 345/02 - 10, im folgenden Beiakte). Die Klägerin verweigerte die Zahlung mit Schreiben vom 24. 3. 2002, nachdem ihre Krankenkasse die Kosten nicht in vollem Umfang übernommen hatte. Sie zahlte lediglich 1.129,98 € an den Beklagten. Dieser antwortete mit Schreiben vom 2.4.2002 und erläuterte die Höhe seines Honorars. Er versprach der Klägerin, bei seinem Rechenzentrum zu veranlassen, dass der noch offene Rechnungsbetrag bis zur Klärung dieser Frage ausgesetzt wird. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der in der Beiakte befindlichen Schreiben der Parteien (dort Bl. 11 und 12 d.A.) verwiesen. Am 17.4.2002 reichte das Rechenzentrum des Beklagten dennoch einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides über 165,78 € ein. Mit Schreiben vom 19.4.2002 legte die Beklagte dagegen Widerspruch ein.

Die Klägerin hat behauptet, die zahnärztlichen Leistungen des Beklagten seien mangelhaft gewesen. Das ergebe sich sowohl aus dem im Honorarrechtsstreit vom Amtsgericht Langen eingeholten Sachverständigengutachten des Zahnarztes Dr. SV1, O1 als auch aus dem von ihr eingeholten Privatgutachten des Zahnarztes Dr. X. Sie - die Klägerin - habe wegen der sich immer wieder ablösenden Teilkrone auf Zahn 4 6 fortwährend Zahnschmerzen erlitten. Durch den nachbehandelnden Arzt Dr. Y sei die Teilkrone vom Juli 2002 bis zum März 2004 insgesamt siebenmal wieder befestigt worden. Erst im Frühjahr 2004 habe Herr Dr. Y den Zahn endgültig fachgerecht behandeln können.

Der Beklagte hat eingewandt, die Klägerin habe ihm nicht die Möglichkeit gegeben, seine Leistung nachzuarbeiten. Deshalb würden Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche von vorn herein ausscheiden. Im übrigen sei es ausgeschlossen oder zumindest höchst unwahrscheinlich, dass der Dr. SV1 begutachtete Zahnstumpf 4 6 noch mit der ursprünglichen Präparation des Beklagten überein stimme.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin stünden keine Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen den Beklagten zu, weil sie ihm nicht die Möglichkeit gegeben habe, einen etwaigen Behandlungsfehler nachzuarbeiten. Sie habe nicht vorgetragen, dass es ihr unzumutbar gewesen sei, den Beklagten nach Abschluss der Behandlung nochmals aufzusuchen.

Die Klägerin hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel weiter verfolgt. Sie behauptet, sie habe den Beklagten bereits am 18. Februar 2002 um Nacherfüllung gebeten, weil sich die im Dezember 2001 definitiv eingegliederte Teilkrone gelockert habe. Weitere Nachbesserungsarbeiten habe sie ihm nicht mehr zubilligen müssen, nachdem er seine Honoraransprüche bereits im Frühjahr gerichtlich gegen sie geltend gemacht habe.

Die Klägerin beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.565,54 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 1.268,83 € seit dem 10.3.2003 und 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 1.565,54 € seit dem 1.7.2004 zu zahlen, sowie ein angemessenes Schmerzensgeld (mindestens 5.000,00 €) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1.7.2004 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurück zu weisen.

Der Beklagte verteidigt das Urteil mit seinem erstinstanzlichen Vorbringen.

Der Senat hat die Parteien auf seine Rechtsauffassung hingewiesen (Beschluss vom 6.9.2005, Bl. 95/96 d.A.). Er hat ferner ein weiteres Gutachten des Sachverständigen Dr. SV1 eingeholt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss vom 28. Dezember 2005 (Bl. 127/128 d.A.) sowie auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. SV1 vom 16.5.2006 (Bl. 144/146 d.A.) verwiesen.

II.

Das Rechtsmittel der Klägerin hat teilweise Erfolg. Sie kann von dem Beklagten wegen seiner fehlerhaften Behandlung Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen. Anspruchsgrundlage für den Ersatz der materiellen Schäden ist eine positive Vertragsverletzung des Behandlungsvertrages. Es greift das bis zum 31.12.2001 geltende Schuldrecht ein, weil der Behandlungsfehler schon vor diesem Zeitpunkt begangen worden ist (Artikel 229 § 5 EGBGB). Der Schmerzensgeldanspruch folgt aus § 847 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB a.F..

Dazu im Einzelnen:

1. Dem Beklagten ist ein Behandlungsfehler unterlaufen, weil er den Zahnstumpf des Zahnes 4 6 nicht ordnungsgemäß präpariert hat. Dies haben der schon im Vorprozess tätige Gerichtsgutachter Dr. SV1 und der von der Klägerin beauftragte Privatgutachter Dr. X - unabhängig voneinander - mit überzeugender Begründung festgestellt. Dr. SV1 hat klargestellt, dass die Versorgung eines Unterkieferseitenzahnes mit einer Teilkrone sowohl die Überkappung des hier frakturierten lingualen als auch zwingend die des buccalen (wangenseitigen) Höckers bedurft hätte. Darüber hinaus mussten durch Anlage sogenannter Kästen und Retentionsrillen ausreichende Friktionsflächen hergestellt werden, um ein Abscheren der Teilkrone zu verhindern. Dr. X und Dr. SV1 haben festgestellt, dass bei der Klägerin keines der beschriebenen Retentionselemente vorhanden gewesen ist (vgl. Bl. 71 sowie Bl. 105 der Beiakte).

Der Beklagte hat im hiesigen Schadensersatzprozess die Feststellungen der Sachverständigen nicht ernsthaft bestritten. Er muss sie deshalb gegen sich gelten lassen. Seinen Einwand, die von Herrn Dr. X und Herrn Dr. SV1 begutachtete Präparation stimme nicht mehr mit seiner ursprünglichen überein, weil die Teilkrone durch Herrn Dr. Y nachträglich noch mehrmals wieder eingegliedert worden sei, hat der vom Senat beauftragte Gutachter Dr. SV1 zurückgewiesen. Er hat klargestellt, dass schon zum Zeitpunkt seiner ersten Begutachtung der vom Beklagten an der lingualen Seite präparierte Zahnhöcker frakturiert gewesen ist. Dies müsse darauf zurückgeführt werden, dass der Beklagte den buccalen (zur Wange gerichteten) Höcker des Zahnes 4 6 nicht ausreichend präpariert habe. Die hierdurch für den Zahnstumpf entstandene Belastungssituation hatte der Sachverständige bereits in seinem ersten Gutachten näher erläutert. Dr. SV1 ist dementsprechend bei seiner Einschätzung geblieben, dass die Arbeit des Beklagten nicht den Regeln der zahnärztlichen Kunst entsprochen hat (Bl. 145/146 d.A.).

2. Den Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen der Klägerin steht nicht entgegen, dass sie es versäumt hätte, dem Beklagten Gelegenheit zur Nacharbeit seiner ungenügenden Präparation zu geben.

Der Senat geht davon aus, dass der Beklagte seine Arbeiten bereits am 11.12. 2001 definitiv abgeschlossen hat. Hierfür spricht seine eigene Rechnung vom 18.12. 2001, in der unter dem 13.11.2001 bereits die provisorische Eingliederung der Teilkrone und am 11.12.2001 die endgültige Eingliederung der Teilkrone abgerechnet worden ist (Bl. 17/18 d. Beiakte). Eine Rechnung für die vermeintliche Behandlung vom 18. Februar 2002 hat der Beklagte nie gestellt und auch in dem Vorprozess nie rechtshängig gemacht. Dies, sowie die vom Sachverständigen SV1 hervorgehobenen Dokumentationsmängel, lassen befürchten, dass der vom Beklagten vorgelegte Auszug aus der EDV-Karteikarte (Blatt 146 d. A.) nicht den tatsächlichen Behandlungsverlauf wiedergibt. Weitere Beweismittel dazu hat der Beklagte nicht vorgebracht. Dementsprechend hat der Beklagte bereits am 18.2.2002 eine erste Nachbesserung seiner Leistung vornehmen müssen, weil sich die Teilkrone gelockert hatte.

Im Juli 2002 ist dies wieder geschehen. Zu diesem Zeitpunkt musste die Klägerin dem Beklagten nicht nochmals die Chance einer Nachbesserung geben, weil das Vertrauensverhältnis zu ihm durch die zwischenzeitliche Auseinandersetzung so erheblich beeinträchtigt war, dass es ihr nicht mehr zumutbar war, in seiner Behandlung zu bleiben. Der Beklagte hatte das Vertrauen der Klägerin bereits im Rahmen des vorgerichtlichen Schriftwechsels vom Frühjahr 2002 nachhaltig erschüttert. Es ist zwar richtig, dass sich die Parteien lediglich über gebührenrechtliche Fragen und über die Erstattung seines Honorars durch die Krankenkasse auseinander gesetzt haben. Der Beklagte hatte der Klägerin aber versprochen, die weitere Durchsetzung seines Anspruchs über rund 160,00 € zurückstellen zu lassen, um ihr die Gelegenheit zu geben, mit ihrer Krankenkasse eine Einigung zu erzielen. Dieses Versprechen hat er jedoch nicht eingehalten, denn das für ihn tätige zahnärztliche Rechenzentrum Dr. A hat im April 2002 die Restforderung durch ein Mahnverfahren anhängig gemacht. Unter solchen Umständen kann man einem Patienten nicht zumuten, dass er dem Zahnarzt weitere Nacharbeiten zugesteht. Das gilt hier umso mehr, als die Präparation des Zahnstumpfs von vorn herein untauglich war.

3. Der Klägerin zustehenden Schadensersatzansprüche setzen sich wie folgt zusammen:

a) Die Klägerin kann von dem Beklagten Erstattung der Kosten für das Privatgutachten des Zahnarztes Dr. X vom 19.2.2003 in Höhe von 679,69 € verlangen. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin dieses Gutachten erst eingeholt hat, nachdem schon das Amtsgericht Langen in dem Honorarprozess angedeutet hatte, es werde wohl ein gerichtliches Sachverständigengutachten in Betracht kommen. Die Klägerin ist medizinischer Laie. Sie durfte sich fachlichen Rat der Landeszahnärztekammer einholen, um ihre Mängelansprüche in dem Vorprozess substantiieren zu können. Dem entsprechend sind auch die reklamierten Fahrtkosten und die Betreuungskosten in Höhe von 54,00 € sowie von 65,00 € erstattungsfähig. Diese Kosten sind vom Senat auf Grundlage des Vortrags in der Klageschrift nach § 287 ZPO geschätzt worden.

b) Die Klägerin kann ferner die an ihren nachbehandelnden Zahnarzt Dr. Y verauslagten Kosten in einer Höhe von 949,20 € vom Kläger zurückverlangen (Rechnung vom 9.6.2004 - Bl. 20/21 d.A.). Ein Abzug für die dort berechneten Verbrauchsmaterialien ist nicht erfolgt. Der Beklagte beruft sich pauschal auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.5.2004, Az.: III ZR 264/03 - NJW - RR 2004, 1198 - 1202). Dort ist aber lediglich festgestellt worden, dass nach § 4 Abs. 3 der seit 1987 geltenden Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) bestimmte Verbrauchsmaterialien des Zahnarztes mit den Gebühren abgegolten werden und nicht gesondert abzurechnen sind. Hier hat der Nachbehandler Dr. Y darauf Rücksicht genommen und im einzelnen aufgeführt, welche Materialien er verwendet hat. Abgerechnet werden u. a. Injektionen, die nach Ziffer 252 der GOÄ als nicht gebietsbezogene Sonderleistungen abrechnungsfähig sind. Der Beklagte hätte daher als sachkundige Partei im einzelnen vortragen können und müssen, warum die von Herrn Dr. Y abgerechneten Positionen nicht erstattungsfähig sind.

Unerheblich ist ferner der Einwand des Beklagten, unter dem 31.3.2004 seien Kosten für die Behandlung des Zahnes 2 6 abgerechnet worden. Aus einer Zusammenschau der Bestätigung von Herrn Dr. Y (Bl. 23 d.A.) und der Rechnung ergibt sich, dass hier ein Schreibfehler vorliegt und dass tatsächlich die streitbefangene Teilkrone des Zahnes 4 6 wieder eingegliedert worden ist.

Die Summe der vorgenannten Schadenspositionen abzüglich der dem Beklagten aus dem Vorprozess zustehenden und von ihr angerechneten Gegenansprüche (182,44 €) ergibt einen Gesamtbetrag von 1.565,45 €.

4. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 1.500,00 € zu. Sie musste in den rund zwei Jahren nach der Behandlung des Beklagten immer wieder Schmerzen im Zusammenhang mit der gelockerten Teilkrone hinnehmen und sich siebenmal zur Wiedereingliederung in die Zahnarztpraxis Dr. Y begeben. Darüber hinaus musste sie in vier Sitzungen von April bis zum Juni 2004 eine erneute Behandlung bei Herrn Dr. Y erdulden, um den Zahn 4 6 korrekt behandeln zu lassen. In vergleichbaren Fällen sind von den Gerichten in den vergangenen Jahren Schmerzensgeldbeträge in Höhe von 1.000,00 bis 1.500,00 € zugesprochen worden (vgl. die im Beschluss vom 6.9.2005 erwähnten Entscheidungen sowie OLG Köln OLGR 1995, 317). Der letztgenannte Betrag scheint hier angemessen aber auch ausreichend.

5. Die Zinsforderung der Klägerin beruht auf §§ 284, 288 ZPO. Der Beklagte ist mit Schreiben vom 28.2.2003 bzw. vom 24.6.2004 in Verzug gesetzt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Schuldnerschutzanordnungen sind in analoger Anwendung von § 713 ZPO unterblieben.

Gründe für einer Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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