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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 05.04.2005
Aktenzeichen: 8 U 229/04
Rechtsgebiete: SGB VII, ZPO


Vorschriften:

SGB VII § 27
SGB VII § 28
SGB VII § 34
SGB VII § 34 Abs. 3
SGB VII §§ 104 ff.
SGB VII § 108 Abs. 1
ZPO § 520 Abs. 3 Nr. 1
ZPO § 540 Abs. 1
Zu den Gründen, auf die die Befangenheit eines Sachverständigen gestützt werden kann.
Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers.

Der Beklagte ist Facharzt für Orthopädie und Durchgangsarzt in der X-Klinik in O1. Die Klägerin arbeitet in derselben Klinik im Zimmerservice. Am 5.11.2001 stürzte die Klägerin im Klinikgebäude und fiel auf ihren rechten Unterarm. Sie stellte sich am selben Tag bei dem Beklagten vor, der dann auch bis zum 3.12.2001 die weitere Behandlung der Klägerin übernahm.

Die Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, er habe lediglich ihre rechte Hand geröntgt und den Arm nur unzureichend untersucht, obwohl sie von Beginn bis zum Ende ihrer Behandlung über Schmerzen im Ellbogengelenk geklagt habe. Die am 3.12.2001 beim Beklagten gefertigten Röntgenbilder hätten gezeigt, dass eine schlecht verheilte sogenannte "Radiusköpfchenfraktur" im Ellbogengelenk vorgelegen habe, die wegen der Fehlbehandlung des Beklagten nicht mehr operativ zu richten gewesen sei. Deswegen müsse die Klägerin fortdauernde Beschwerden erleiden und die Bewegung ihres rechten Armes sei eingeschränkt.

Das Landgericht hat die Zeugen A und B Z1 vernommen und danach ein unfallchirurgisches Gutachten des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. med. Sv1 von der Chirurgischen Klinik ... des Klinikums "... " in O2 eingeholt, das den Parteien mit Schreiben vom 29.1.2004 übermittelt worden ist. Mit Schriftsatz vom 17.2.2004 hat die Klägerin den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, sie habe zwischenzeitlich erfahren, dass der Sachverständige mit dem Beklagten bzw. der X-Klinik ständig zusammen arbeite. Durch den Beklagten würden in nicht unerheblichem Umfang Patienten in das Klinikum des Sachverständigen vermittelt.

In seiner Stellungnahme zum Ablehnungsantrag hat der Gutachter angegeben, der Beklagte überweise nur wenige Patienten (ca. 5 Patienten pro Jahr) in die von dem Sachverständigen geleitete Klinik. Dies sei bei einem Durchgang von über 4.000 stationären Patienten pro Jahr eine absolut irrelevante Größe. Gelegentlich übersende der Beklagte bei speziellen Fragestellungen einzelne Patienten dorthin. Umgekehrt überweise der Sachverständige zahlreiche Patienten zur Reha-Behandlung in die X-Klinik. Dies beruhe auf einer Kooperationsvereinbarung zwischen den Verwaltungsabteilungen der Kliniken. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Sachverständigen vom 27.2.2004 (Bl. 121/122 d.A.) verwiesen.

Die Klägerin hat im Nachgang dazu vorgetragen, es bestünden zwischen dem Sachverständigen und dem Beklagten rege Geschäftsverbindungen. So operiere der Beklagte bzw. habe er seine Patienten selbst im Klinikum O2 unter Mitwirkung bzw. ggf. auch Anleitung des Gutachters operiert. Hierfür wurde Zeugenbeweis sowie die Parteivernehmung des Beklagten und des Sachverständigen angeboten.

In seinem Beschluss vom 30.3.2004 hat das Landgericht den Befangenheitsantrag der Klägerin gegen den Sachverständigen zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die dezidierten Ausführungen des Sachverständigen zu seinen beruflichen Berührungspunkten zum Beklagten könnten bei einer unbefangenen Partei nicht die Besorgnis rechtfertigen, der Sachverständige stünde ihr nicht mehr unparteiisch gegenüber. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Leseabschrift dieses Beschlusses (Bl. 131/132 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat im Nachgang dazu ihre Ansprüche hilfsweise auf die §§ 104 ff. SGB VII (Unfallversicherung) gestützt. Sie hat dazu vorgetragen, der Beklagte sei als Durchgangsarzt im Sinne der §§ 27, 28 und 34 SGB VII tätig geworden. Durch sein unsachgemäßes Vorgehen habe er die Folgen der Verletzung noch verschlechtert, was Ansprüche gegen den Unfallversicherungsträger nach sich ziehe. Bis zum Abschluss des sozialrechtlichen Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahrens müsste daher der vorliegende Rechtsstreit ausgesetzt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 21. 6. 2004 verwiesen (Blatt 149/150 d. A.).

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dem Beklagten sei keine Fehlbehandlung vorzuwerfen. Es seien auf jeden Fall keine relevanten Unfallfolgen eingetreten. Die Beweglichkeit des Ellbogengelenks sei nur in minimalem Umfang eingeschränkt. Eine Muskelminderung bestehe nicht und es seien auch keine sonstigen Anhaltspunkte für eine nennenswerte Schädigung der Klägerin ersichtlich. Hierbei hat sich das Landgericht uneingeschränkt und vollumfänglich auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sv1 gestützt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die Klägerin hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie in erster Linie die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils, hilfsweise die Verurteilung des Beklagten nach ihren erstinstanzlichen Anträgen begehrt.

Die Klägerin wirft dem Landgericht u.a. vor, dass es sich verfahrensfehlerhaft auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Sv1 gestützt und ihrem Ablehnungsantrag nicht stattgegeben habe. Wegen der regen Geschäftsverbindungen zwischen dem Sachverständigen und dem Beklagten sowie wegen der ihrer Ansicht nach unzureichenden körperlichen Untersuchung durch den Sachverständigen befürchte sie, dass wirtschaftliche Interessen des Sachverständigen in das Gutachten eingeflossen seien. Sie habe bereits erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass der Gutachter gehalten gewesen wäre, seine eingeräumten wirtschaftlichen und ggf. auch die persönlichen Verknüpfungen zwischen ihm und dem Beklagten vorab offen zu legen. Auch dies rechtfertigte die Besorgnis der Klägerin, dass der Sachverständige nicht unbefangen an die Begutachtung herangegangen sei.

Im übrigen wiederholt die Klägerin ihr erstinstanzliches Petitum, den Rechtsstreit bis zum Abschluss des sozialrechtlichen Verfahrens auszusetzen.

Die Klägerin beantragt,

das am 29.7.2004 verkündete Urteil des Landgerichts Hanau (Az.: 7 O 489/03) aufzuheben und den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Hanau zurückzuverweisen,

hilfsweise

das oben genannte Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 7.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 6.11.2001 zu zahlen,

sowie

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die aufgrund der ärztlichen Behandlung im Zeitraum vom 5.11.2001 bis 3.12.2001 entstanden sind, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Angriffe der Klägerin für unbegründet und verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit seinem bisherigen Vorbringen. Ein Verfahrensmangel liege nicht vor, weil sich das Landgericht mit Recht auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Sv1 habe stützen dürfen. Es werde bestritten, dass der Beklagte selbst seine Patienten im Klinikum O2 operiere und erst recht nicht unter Mitwirkung des Gutachters.

II.

1. Das Rechtsmittel der Klägerin ist zulässig. Es erfüllt die Anforderungen von § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Der Berufungsantrag richtet sich zwar in erster Linie darauf, eine Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils auszusprechen. Die Klägerin hat hilfsweise ihre Sachanträge gestellt, so dass die Berufungsanträge hinreichend bestimmt genug sind, um dem Gericht eine Entscheidung in der Sache möglich zu machen (vgl. dazu Zöller-Gummer ZPO 23. Aufl. Rdn. 28 zu § 520).

2. Eine Aussetzung des Verfahrens kommt nicht in Betracht, denn das unfallversicherungsrechtliche Verfahren der Klägerin mit der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege ist für den hiesigen Rechtsstreit nicht vorgreiflich. Das Verfahren nach § 108 Abs. 1 SGB VII hat nur Bindungswirkung im Hinblick auf die Frage, ob ein Versicherungsfall im Sinne der unfallversicherungsrechtlichen Vorschriften eingetreten ist (vgl. Schmitt, Kommentar zum SGB VII, 2. Auflage, Rn 6 zu § 108 SGB VII).

Dieser Versicherungsfall kann nur in der Ausgangsverletzung durch den Sturz und nicht in der nachfolgenden Behandlung liegen. Der Beklagte ist zwar auch als sog. "Durchgangsarzt" im Sinne von § 34 Abs. 3 SGB VII tätig geworden. Seine vermeintliche Fehlbehandlung führt jedoch nicht zu einem neuen Versicherungsfall im Sinne der o. g. Vorschriften und/oder hat auf den bereits eingetretenen Versicherungsfall keinerlei Auswirkungen. Die Klägerin übersieht mit ihrer Argumentation nämlich, dass sie dem Beklagten keine Fehler vorwirft, die er im Rahmen seiner öffentlich-rechtlichen Tätigkeit als Durchgangsarzt begangen haben soll, sondern nur solche, die bei der anschließenden Heilbehandlung eingetreten sein sollen. Damit können lediglich zivilrechtliche Ansprüche begründet werden (vgl. BGHZ 63, 265, 272 f.; Schmitt, Kommentar zum SGB VII aaO., Rn 13 zu § 34 SGB VII mit weiteren Nachweisen; vgl. dazu auch Lauterbach, Unfallversicherung (SBG VII) - Loseblattausgabe, 4. Auflage Rn 6 zu § 34 SGB VII).

3. Die Klägerin hat mit ihrer Berufung - vorerst - Erfolg. Das erstinstanzliche Urteil muss aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen werden, weil das erstinstanzliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet, der eine umfangreiche Beweisausnahme notwendig macht. Das Landgericht hat sich nämlich zu Unrecht auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sv1 gestützt, obwohl die Klägerin berechtigte Gründe für ihren Ablehnungsantrag vorgetragen hat. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und bei seinem Ablehnungsbeschluss den Vortrag der Klägerin nur unzureichend gewürdigt. Dies ist ein so schwerwiegender Verfahrensfehler, dass er die Aufhebung des Urteils rechtfertigt (vgl. dazu Baumbach/Albers, ZPO 59. Aufl., Rdn. 6 zu § 539).

a) Der Befangenheitsantrag ist noch rechtzeitig gewesen (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Klägerin hat den Sachverständigen zwar erst abgelehnt, nachdem er sein Gutachten erstattet hatte. Sie hat jedoch glaubhaft machen können, dass sie erst so spät, nämlich durch eine kanzleiinterne Besprechung ihres Prozessbevollmächtigten in der ersten Februarwoche 2004 von den geschäftlichen Verbindungen des Gutachters und des Beklagten erfahren hat.

b) Ob die von dem Gutachter geschilderte Geschäftsbeziehung zwischen seiner Klinik und der Klinik der Beklagten und die hieraus resultierenden wechselseitigen Überweisungen von Patienten die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, ist nicht einheitlich zu beantworten.

Nach der Rechtsprechung rechtfertigt zwar allein der Umstand, dass Geschäftsbeziehungen zwischen dem Sachverständigen und einer Partei bestehen, nicht ohne weiteres dessen Ablehnung (vgl. u.a. Baumbach- Hartmann, ZPO, 63. Auflage Rn 7 (Stichwort: Arzt) und Rn 11 zu § 406 ZPO, Stichwort: Geschäftsbeziehung; Zöller-Greger, ZPO, 23. Auflage, Rn 8 und 9 ZPO, jeweils mit weiteren Nachweisen). Entscheidend ist allein, ob sich aus der Art oder dem Umfang der Geschäftsbeziehungen Besonderheiten ergeben, die bei einer vernünftig denkenden Partei die Besorgnis erwecken können, der Sachverständige stehe der Streitsache nicht unbefangen gegenüber (vgl. dazu OLG Düsseldorf, MedR 2005, 42, 43; OLG München MDR 1998, 858; OLG Köln VersR 1989, 210; OLG Karlsruhe OLGZ 1984, 105; Zöller-Greger, ZPO, 23. Aufl. Rdn. 8 zu § 406 m.w.N.).

Selbst wenn sich aber allein aus dem Inhalt der Stellungnahme des Gutachters möglicherweise für eine unbefangene Partei noch keine Anfechtungsgründe ergeben, da nicht ersichtlich ist, dass der Gutachter wirtschaftlich von den vereinzelten Überweisungen des Beklagten abhängig wäre (vgl. dazu auch OLG Karlsruhe OLGZ 1984, 105, 106), rechtfertigen die Gesamtumstände aus der Sicht einer vernünftig denkenden Partei aber die Besorgnis der Befangenheit:

c) Die Klägerin hat nämlich darüber hinaus behauptet, der Beklagte führe in der Klinik des Gutachters selbst Operationen durch bzw. habe diese durchgeführt und dabei auch unter Mitwirkung und Anleitung des Gutachters gearbeitet. Diese Behauptung ist zwar zeitlich nicht näher konkretisiert worden, was der Klägerin als Außenstehender auch gar nicht möglich war. Gänzlich ausschließen kann man diese Behauptung von vorn herein nicht.

Diesen Vortrag durfte das Landgericht nicht einfach übergehen, wie es in dem Ablehnungsbeschluss und im Urteil geschehen ist. Es wäre erforderlich gewesen, den Sachverständigen in einer mündlichen Anhörung bzw. in einer schriftlichen Ergänzung mit dem Sachvortrag zu konfrontieren. Dies gilt hier umso mehr, als es der Sachverständige nicht für notwendig befunden hatte, seine Geschäftsbeziehungen zu dem Beklagten vor der Gutachtenerstellung zu offenbaren. Letzteres hätte sachgerechtem Verhalten des Sachverständigen entsprochen, der wie ein Richter gehalten ist, jeglichen Eindruck der Voreingenommenheit - durch jedwede Sachnähe zu einer Partei - zu vermeiden. Nach alldem durfte die Klägerin berechtigterweise Vorbehalte ihm gegenüber hegen.

In seinem Ablehnungsbeschluss ist das Landgericht auf die berechtigten und durchgreifenden Einwände der Klägerin nicht eingegangen. Es hat somit die berechtigte Besorgnis der Klägerin an der Befangenheit des Sachverständigen nicht ausräumen können. Deshalb durfte das Landgericht das Gutachten des Sachverständigen Prof. Sv1 nicht zur Grundlage seines Urteils machen.

Da das Urteil auf einem groben Verfahrensfehler des Landgerichts beruht und eine neuerliche Beweisaufnahme mit Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich wird, kam eine eigene Sachentscheidung des Senats nicht in Betracht. Das Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung und Verhandlung zurückzuverweisen.

Die Gerichtskostenentscheidung beruht auf § 8 GKG. Im übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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