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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 06.01.2009
Aktenzeichen: 8 U 31/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 253
BGB § 280
ZPO § 145
ZPO § 246
1. Zur Fehlerhaftigkeit einer nicht mehr rekonstruierbaren Überkronung (Zahnarzthaftung).

2. 2.500 € Schmerzensgeld; mehrmalige untaugliche Anpassungsversuche; Nachbehandlung erforderlich; keine außerordentlichen Beeinträchtigungen (Schmerzen; Probleme bei der Nahrungsaufnahme); Klägerin hat acht Monate gewartet, bis sie eine ordnungsgemäße Nachbehandlung in Angriff nehmen ließ; auch besonders langwierige Fehlerbehebung in Uni-Zahnklinik grundsätzlich ersatzfähig (hier: Fahrtkosten zu 45 Sitzungen).


Gründe:

I.

Die Klägerin war Patientin des mitverklagten Zahnarztes A, der bei der Beklagten angestellt war und der die Klägerin in der Praxis der Beklagten in O1 behandelt hat.

Gegenstand der Behandlung war der Ersatz zweier fehlender Backenzähne im Unterkiefer (36 und 46) durch zwei Brücken. Der Zahnarzt A führte entsprechende Maßnahmen zwischen dem 10.10.2002 und 11.11.2002 durch. Die Klägerin war mit dem Zahnersatz nicht zufrieden und litt unter Schmerzen und Problemen bei der Nahrungsaufnahme.

Die Klägerin nahm im Januar 2003 Rücksprache mit der Krankenkasse. In deren Auftrag erstattete der Zeuge Z1 ein Gutachten vom 4.4.2003, in dem Mängel beschrieben werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichte Kopie verweisen wird (Bl. 18 d.A.). Eine Nachbesserung beanspruchte die Klägerin wegen eines aus ihrer Sicht gestörten Vertrauensverhältnisses nicht mehr. Einer entsprechenden Aufforderung unter Fristsetzung durch Anwaltschriftsatz kam die Klägerin nicht nach.

Am 12.12.2003 begann eine Behandlung der Klägerin in der O2er Universitätszahnklinik, die am 1.11.2005 abgeschlossen wurde. Gegenstand war erneut die prothetische Versorgung der oben genannten Befunde.

Mit der näher dargelegten Behauptung behandlungsfehlerhaften Vorgehens hat die Klägerin von der Beklagten und dem Zahnarzt A erstinstanzlich verlangt

1. Ein Schmerzensgeld von mindestens 7.500 € nebst Zinsen seit dem 18.10.2003;

2. weiteren materiellen Schadensersatz in Höhe von insgesamt 2.143,75 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit (Zuzahlung für die Behandlung in der Zahnklinik, Fahrtkosten in die Zahnklinik).

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und Behandlungsfehler in Abrede gestellt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin stünden keine vertraglichen oder deliktischen Ansprüche zu.

Es handele sich um einen "gemischttypischen" Vertrag, auf dessen Beurteilung im Streitfall Werkvertragsrecht Anwendung finde, weil die handwerkliche Ausführung der Prothesen im Vordergrund stehe und nicht die ärztliche Behandlung. Anspruchsgrundlage könne daher § 634 Nr. 4 BGB i.V.m. § 636 BGB sein (hier: Schadensersatz, Aufwendungsersatz). Damit sei die Klägerin aber "gem. §§ 636, 281 BGB ausgeschlossen", weil sie die Behandlung grundlos abgebrochen habe und der Aufforderung, sich zu einer Nachbehandlung (notfalls: Neuanfertigung) einzufinden, nicht gefolgt sei. Bei vorangegangenem zweimaligen Nacharbeiten in der Phase des Probetragens könne nicht substantiiert von einem Behandlungsfehler gesprochen werden.

Die Inanspruchnahme könne (auch deliktisch) nicht auf eine fehlerhafte Behandlung gestützt werden. Die Beklagte habe sich nach § 831 BGB exkulpiert. Der Zahnarzt A habe - mit 30jähriger Berufserfahrung - keiner besonderen Überwachung bedurft.

Eine deliktische Haftung könne hier nicht weiter gehen als diejenige aus Vertrag, weil die vertraglich geschuldete Handlung der deliktischen Handlung entspreche und die Haftung nach Vertragsrecht ausgeschlossen sei. Wenn der Patient die vertragsrechtlich vorgesehenen Schadensbeseitigungsmaßnahmen verweigere, so sei eine Haftung des Arztes zumindest nach § 254 BGB ausgeschlossen.

Soweit die nicht sofort gelungene Eingliederung der Prothesen überhaupt einen Mangel oder Behandlungsfehler darstelle, seien die in diesem Zeitraum eingetretenen und nicht abgrenzbaren Beeinträchtigungen wegen Geringfügigkeit nicht entschädigungsfähig.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt. Der mitverklagte Zahnarzt A ist im Verlauf des Berufungsverfahrens verstorben. Durch Senatsbeschluss vom 18.11.2008 wurde das Verfahren, soweit es den Zahnarzt A (vormals: Beklagter zu 2)) betrifft, abgetrennt und ausgesetzt.

Die damit hier nur noch gegen die Beklagte gerichtete Berufung wird im Wesentlichen auf folgende Gründe gestützt:

Das Landgericht habe zu Unrecht Werkvertragsrecht zu Grunde gelegt.

Das Landgericht habe (vor dem Hintergrund der vorgenannten unrichtigen rechtlichen Einordnung) den Sachverhalt hinsichtlich der behaupteten Behandlungsfehler nicht vollständig aufgeklärt. Der Zahnarzt A habe fehlerhaft gehandelt hinsichtlich der Bissabnahmen. Auf Grund der Verwendung zu weichen Materials (Wachsschablonen) sei es zur Herstellung nicht passender und damit "untauglicher" Brücken gekommen. Dies wird auch in zweiter Instanz unter Beweis gestellt u.a. durch Anregung der Einholung eines Sachverständigengutachtens (Bl. 125 d.A.).

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von wenigstens 7.500 € zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.10.2003;

2. die Beklagte zu weiterem Schadensersatz von 2.143,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (10.1.2006) zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung des Beklagtenvorbringens erster Instanz.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. SV1 und durch dessen mündliche Erläuterungen sowie durch Vernehmung des (sachverständigen) Zeugen Z1 in der Senatsverhandlung vom 18.11.2008. Wegen der Beweisfragen wird auf den Beweisbeschluss vom 23.10.2007 (Bl. 123 d.A.), die Ladungsverfügung vom 4.8.2008 (Bl. 245 d.A.) und den Beweisbeschluss vom 18.11.2008 (Bl. 268 d.A.) verwiesen, wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Gutachten vom 26.5.2008 (Bl. 218 ff d.A.) und auf die Sitzungsniederschrift vom 18.11.2008 (Bl. 267 ff d.A.).

II.

1. Das Berufungsurteil entfaltet Wirkung lediglich im Rechtsstreit zwischen der Klägerin und der Beklagten (vormals: zu 1)). Es erfasst die Rechtsbeziehung zwischen der Klägerin und dem mitverklagten, inzwischen verstorbenen Zahnarzt A nicht, weil insoweit eine Verfahrensabtrennung stattgefunden hat (§ 145 Abs. 1 ZPO), wodurch der Prozessrechtslage nach dem Aussetzungsantrag des Prozessbevollmächtigten des Zahnarztes A (§ 246 Abs. 1 ZPO) Rechnung getragen wurde.

2. Die Beklagte schuldet der Klägerin immateriellen und materiellen Schadensersatz aus Schlechterfüllung eines Dienstvertrags. Die nach dem Klagevortrag maßgebliche Rechtslage ist dem Dienstvertragsrecht zu entnehmen. Lediglich im engen Bereich der Herstellung einer Prothese kommt die Anwendung von Werkvertragsrecht in Betracht (eingehend dazu mit zahlreichen weiteren Nachweisen Schellenberg, VersR 2007, 1344 ff, 1345). Hier wird mangelhaftes ärztliches Vorgehen behauptet, auf Grund dessen die Prothese (zahntechnisch mangelfrei hergestellt) von Anfang an nicht gepasst haben soll, was durch Nachbearbeitungen nicht behebbar gewesen sei.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Zahnarzt A die Klägerin fehlbehandelt hat. Der Zahnarzt A war Erfüllungsgehilfe der Beklagten, so dass sie für sein Fehlverhalten einzustehen hat (§ 278 BGB).

Der (sachverständige) Zeuge Z1 hat die Klägerin zur Anfertigung seines Gutachtens untersucht und gelangte dabei zu der Feststellung, dass "das Therapiemittel nicht funktionstüchtig werden konnte", weil der Kronenrand nicht die Präparationsgrenze erreichte und die beschliffene Zahnsubstanz freilag (Bl. 18 d.A.). Er kam zu dem Schluss, dass eine Neuanfertigung notwendig sei. Der Zeuge Z1 hat sich zwar an die Untersuchung der Klägerin nicht mehr zu erinnern vermocht. Er hat aber glaubhaft erklärt, wie er üblicherweise zu solchen gutachterlichen Feststellungen gelangt, woraufhin der Senat keine Zweifel daran hat, den klaren Feststellungen in seinem schriftlichen Gutachten zu folgen. Der Sachverständige Dr. SV1 hat ausgeführt, dass unter Zugrundelegung dieser Feststellungen des Zeugen Z1 die Schlussfolgerung zutrifft, dass der vom Zahnarzt A eingesetzte Zahnersatz untauglich war, die Defizite nicht durch Anpassungsmaßnahmen behebbar waren und eine Neuanfertigung erforderlich war, um die Klägerin mit einem ordnungsgemäßen Zahnersatz zu versorgen. Auch diese Schlussfolgerung ist zur Überzeugung des Senats nicht ernsthaft zu bezweifeln.

Dem Klageanspruch kann nicht wirksam entgegengehalten werden, die Klägerin habe sich Nachbesserungsangeboten der Beklagten verweigert. Es trifft zwar zu, dass die Klägerin sich nach dem 11.11.2002 dort nicht mehr eingefunden hat. Unstreitig ist aber auch der von der Beklagten selbst in erster Instanz gehaltene Vortrag, dass die Brücken am 31.10.2002 eingesetzt worden waren und am 1.11.2002 und 11.11.2002 bereits Nachbearbeitungsmaßnahmen vorgenommen worden waren, die nicht zu einer ordnungsgemäßen Versorgung geführt hatten (sondern sogar zu einem Durchschleifen der Porzellanschicht, Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 27.7.2006, S. 5 f). Daraus folgt, dass am 11.11.2002 jedenfalls derjenige Zustand erreicht war, den der Zeuge Z1 begutachtet und der aus den zuvor genannten Gründen fehlerhaft und nicht anpassungsfähig war.

Unabhängig davon, ob ein Nachbesserungsrecht der Beklagten in einem solchen Fall grundsätzlich anzuerkennen wäre, war die Klägerin bei dieser Sachlage jedenfalls aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt gehalten, weitere Behandlungsversuche bei der Beklagten durchführen zu lassen.

Die Beklagte hat die Klägerin für die erlittenen immateriellen Beeinträchtigung durch Zahlung eines Schmerzensgeldes zu entschädigen, das der Senat in Höhe von 2.500 € für angemessen hält. Zu diesen Beeinträchtigungen zählen die untauglichen Anpassungsversuche des Zahnarztes A und die Notwendigkeit, sich erneut einer prothetischen Behandlung zu unterziehen, weil diejenige der Beklagten unzureichend war. Dazu zählen ferner die Beeinträchtigungen, die während der Zeit der unzureichenden prothetischen Versorgung eingetreten sind. Zu berücksichtigen ist auch, dass diese Beeinträchtigungen (Schmerzen, Probleme bei der Nahrungsaufnahme) nicht von außerordentlicher Heftigkeit gewesen sein können, weil sich nur so erklären lässt, dass die Klägerin noch nach der Untersuchung durch den Zeugen Z1 (4.4.2003) bis zur Erstuntersuchung in der Zahnklinik O2 am 12.12.2003 vergleichsweise lange Zeit verstreichen ließ, bis sie eine ordnungsgemäße zahnärztliche Versorgung in Angriff nehmen ließ. Auch die geschilderten Schwierigkeiten bei der Suche nach einem behandlungsbereiten Nachbehandler machen diesen Zeitraum bei schwersten Beeinträchtigungen nicht nachvollziehbar, zumal dann auch an eine schnelle notfallmäßige Behandlung zu denken gewesen wäre, der sich kein Arzt ohne weiteres entziehen darf.

Als materiellen Schadensersatz schuldet die Beklagte der Klägerin einen Ersatz der notwendigen Aufwendungen, die angefallen sind, um sich im Rahmen einer Nachbehandlung mit ordnungsgemäßem Zahnersatz versorgen zu lassen. Damit schuldet sie den Ersatz von Fahrtkosten zur Nachbehandlung in Höhe von 1.404 €. Denn diese Aufwendungen wären nicht angefallen, wenn die Klägerin von der Beklagten bzw. dem Zahnarzt A ordnungsgemäß versorgt worden wäre. Weil nicht vorgebracht und auch sonst nicht erkennbar ist, dass die Klägerin im Rahmen dieser Nachbehandlung mehr als nur eine ordnungsgemäße Standardversorgung beabsichtigt und erzielt hat, stand es ihr auch unter Berücksichtigung einer Schadensminderungspflicht durchaus frei, diese Nachversorgung in einer Universitätszahnklinik durchführen zu lassen. Daher hat die Beklagte die hierbei entstandenen Fahrtkosten der Klägerin zu ersetzen, ohne dem entgegenhalten zu können, bei einem niedergelassenen routinierten Zahnarzt hätte es einer geringeren Anzahl von Sitzungen bedurft. Die Klägerin hat zum Zwecke der Nachbehandlung 45 Fahrten zur Universitätszahnklinik unternommen. Alle diese Fahrten sind zu ersetzen. Absetzungen sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Wurzelbehandlung vorzunehmen. Der Sachverständige Dr. SV1 hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass nach den Behandlungsunterlagen der Universitätszahnklinik O2 am Zahn 37 eine Wurzelbehandlung vorgenommen wurde. Offenkundig war die Wurzelbehandlung aber erforderlich, um die Klägerin ordnungsgemäß zu versorgen. Dafür, dass sie auch dann erforderlich geworden wäre, wenn der Zahnarzt A die Klägerin ordnungsgemäß versorgt hätte, fehlt jeder Anhalt.

Die Beklagte schuldet der Klägerin hingegen nicht den Ersatz von Zuzahlungen für die neuen Brücken (739,75 €), die die Nachbehandler eingegliedert haben. Die Beklagte hat insoweit eingewandt, es handele sich um Kosten, die die Klägerin ohnehin im Rahmen der streitgegenständlichen Zahnversorgung für Zahnersatz hätte aufbringen müssen. Dem ist die Klägerin nicht entgegengetreten.

3.

Die zuerkannten Zinsen folgen hinsichtlich des Schmerzensgeldes aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB unter Zugrundelegung einer von der Klägerin bereits zu Recht eingeräumten Prüfungspflicht bis einschließlich 17.10.2003. Im Übrigen folgen die zuerkannten Zinsen aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

Die Kostenverteilung folgt dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens (§ 92 ZPO). Die Kostenentscheidung erfasst die notwendigen Auslagen des verstorbenen Zahnarztes A aus den oben genannten Gründen nicht.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 708 Nr. 10 ZPO). Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Weil zudem eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht stattfindet (§ 26 Nr. 8 EGZPO), unterbleiben Schuldnerschutzanordnungen (§ 713 ZPO).

Der Streitwert des Berufungsverfahrens folgt aus den Anträgen der Klägerin.

Ende der Entscheidung

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