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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 10.01.2006
Aktenzeichen: 8 W 97/05
Rechtsgebiete: HessStraßenG


Vorschriften:

HessStraßenG § 10
Zur Unwirksamkeit einer Übertragung der Räum- und Streupflicht von der Gemeinde auf den Anwohner einer Straße.
Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage wegen Verletzung der Räum- und Streupflicht.

Die Antragstellerin beabsichtigte, am 01.02.2005 gegen 8.20 Uhr auf dem ... Weg in O1 zu Fuß die an der Durchfahrtsstraße gelegene Bushaltestelle zu erreichen. In der Nacht und an den Tagen zuvor hatte es mehrfach geschneit. Auf der Fahrbahn des ... Weges hatte sich in der gesamten Breite eine durchgängige Schnee- und Eisschicht von mehreren Zentimetern Dicke gebildet, die von dem Fahrzeugverkehr festgefahren und vom Fußgängerverkehr festgetreten worden war. Der ... Weg verfügt weder rechts noch links über Gehwege.

Die Antragstellerin hat vorgetragen, sie sei auf der linken Fahrbahnseite des ... Weges, in Höhe des Anwesens des Antragsgegners, gefallen und habe sich dabei erheblich verletzt. Sie ist der Auffassung, dass der Antragsgegner verpflichtet gewesen wäre, eine durchgehend benutzbare Gehfläche zu räumen bzw. abzustumpfen. Dabei beruft sie sich auf die Straßenreinigungssatzung der Gemeinde O1 (Ablichtung Bl. 8/17 d.A.).

Das Landgericht hat der Antragstellerin Prozesskostenhilfe versagt, weil ihre beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Die Gemeinde O1 habe die Räum- und Streupflicht bezüglich des ... Weges nicht wirksam auf die Anlieger übertragen. Da der ... Weg keinen Gehweg besitze und auch nicht in einer Fußgängerzone oder in einem verkehrsberuhigten Bereich liege, sei der Randbereich dieser Straße nicht durch die Grundstückseigentümer sondern durch die Gemeinde zu räumen. Dies gelte auch für die Beseitigung der Schnee- und Eisglätte.

Die Antragstellerin hat gegen den Beschluss form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel weiter verfolgt. Sie ist der Auffassung, dass die Gemeinde den allgemeinen Winterdienst zum Inhalt der allgemeinen Straßenreinigungspflicht gemacht und somit auf alle Anlieger der Fahrbahn erstreckt habe. Aus § 2 Abs. 3 in Verbindung mit §§ 10, 11 der Reinigungssatzung ergäbe sich nicht, dass der Winterdienst lediglich für Gehwege bestehe. In Ermangelung einer Befestigung oder Abgrenzung müssten die Anlieger einen an der Grundstücksgrenze beginnenden Streifen von 1 m abstumpfen bzw. räumen. Außerdem könne sich die Antragstellerin auf § 11 Abs. 3 S. 2 der Reinigungssatzung berufen, wonach die Anwohner Straßenteile, die dem Fußgängerverkehr dienten, in einer Mindesttiefe von 1,5 m bei Eisglätte abstumpfen müssten. Da es den Fußgängern durch § 25 Abs. 1 S. 2 StVO auferlegt sei, auf der Fahrbahn am rechten oder linken Fahrbahnrand zu gehen, habe der Antragsgegner entlang seiner Grundstücksgrenze einen sicheren Fußgängerweg herstellen müssen.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Antragstellerin stützt ihre Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche auf §§ 823 Abs. 1, 253 BGB, indem sie dem Antragsgegner eine Verletzung der Räum- und Streupflicht vorwirft. Es lässt sich jedoch derzeit nicht feststellen, dass der Antragsgegner aufgrund der gemeindlichen Reinigungssatzung oder aufgrund anderer Bestimmungen verpflichtet gewesen wäre, die Fahrbahn des ... Wegs vor seinem Anwesen für den Fußgängerverkehr zu räumen oder abzustumpfen:

Die Antragstellerin hat sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf einer Gemeindestraße, d.h. einer öffentlichen Straße bewegt. Die Reinigung, Räumung und Streuung öffentlicher Straßen obliegt gemäß § 10 Abs. 4 des Hessischen Straßengesetzes (im folgenden: StraßenG) den Gemeinden. Die Gemeinde O1 war zwar berechtigt, ihre Sicherungspflichten durch Satzung teilweise auf die Anlieger zu übertragen. Sie musste sich aber im Rahmen der durch § 10 Abs. 5 und Abs. 3 StraßenG erteilten Ermächtigung halten und darüber hinaus klare Regelungen schaffen, die die Sicherung der Gefahrenquellen zuverlässig garantierten (vgl. OLG Frankfurt vom 19. 11. 2003 (1 U 62/03) zitiert bei juris; Palandt-Sprau, BGB, 65. Aufl. Rn. 50 zu § 823 BGB m.w.N.).

Die hier einschlägige Ermächtigungsgrundlage in § 10 Abs. 5 und Abs. 3 StraßenG hat folgenden Wortlaut:

§ 10 Abs. 3:

Die Reinigungspflicht umfasst auch die Verpflichtung, die Gehwege und Überwege für Fußgänger vom Schnee zu räumen und bei Schnee- und Eisglätte zu streuen. Soweit in Fußgängerzonen (Zeichen 242 StVO) und in verkehrsberuhigten Bereichen (Zeichen 325 StVO) Gehwege nicht vorhanden sind, gilt als Gehweg ein Streifen von 1,5 m Breite entlang der Grundstücksgrenze.

...

§ 10 Abs. 5:

Die Gemeinden sind berechtigt, durch Satzung die Verpflichtung zur Reinigung im Sinne der Abs. 1 bis 3 ganz oder teilweise den Eigentümern oder Besitzern der durch öffentliche Straßen erschlossenen Grundstücke aufzuerlegen oder sie zu den entsprechenden Kosten heranzuziehen.

...

Die Gemeinde O1 hat dementsprechend durch die §§ 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 ihrer Reinigungssatzung die Räum- und Streupflicht für Gehwege und Überwege sowie für Fußgängerzonen und verkehrsberuhigte Bereiche wirksam auf die Anwohner umgelegt. Diese Bestimmungen halten sich im Rahmen von § 10 Abs. 3 StraßenG. Die Antragstellerin kann sich hierauf jedoch nicht berufen, da der ... Weg nach ihrem eigene Vorbringen nicht über Gehwege verfügt und es sich auch nicht um eine Fußgängerzone oder einen verkehrsberuhigten Bereich handelt.

Die einzige Vorschrift, die von der Antragstellerin herangezogen werden könnte, ist § 11 Abs. 3 S. 2 der örtlichen Reinigungssatzung, wonach "...dem Fußgängerverkehr dienende sonstige Straßenteile" abgestumpft werden müssen. Diese Bestimmung geht jedoch über die o. g. Ermächtigungsgrundlage hinaus, weil eine solche Regelung in § 10 Abs. 3 StraßenG nicht enthalten ist. In Abweichung zu andern Bundesländern hat der hessische Gesetzgeber davon abgesehen, den Gemeinden einen weitergehenden Spielraum für die Übertragbarkeit der Räum- und Streupflicht zuzubilligen. Deshalb sind auch die von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Hamm zum Straßenreinigungsgesetz NRW hier nicht relevant (vgl. dazu auch Kodal/ Krämer - Bauer, Straßenrecht, 6. Aufl. Kap. 41, Rn 22.1). Vielmehr ist § 11 Abs. 3 Satz 2 der örtlichen Reinigungssatzung von O1 mangels Ermächtigungsgrundlage unwirksam (vgl. bereits OLG Frankfurt OLG-Report 1992, 91, 92 zu einer wortgleichen Satzungsbestimmung; dazu außerdem Böhm, Hessisches Straßengesetz, 2. Aufl. Anm. 2, 1. Abs. sowie Anm. 3 d, Seite 83 Mitte zu § 10 StraßenG).

Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass hier eine "Rutschbahn" im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 2 der Gemeindesatzung vorgelegen hätte. Was darunter zu verstehen ist, bleibt völlig unklar, so dass diese Regelung schon mangels hinreichender Bestimmbarkeit keine Delegation der Streupflicht enthält.

Die weiteren Überlegungen der Antragstellerin zur Übertragung der Straßenreinigungspflicht in § 6 der Ortssatzung sind nicht relevant. Zum einen geht die speziellere Regelung in §§ 10, 11 der Satzung den allgemeinen Bestimmungen vor, weswegen es lediglich darauf ankommt, ob die Räum- und Streupflicht für den hier relevanten Straßenabschnitt wirksam delegiert auf die Anlieger worden ist. Außerdem setzt § 10 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StraßenG engere Grenzen für die Übertragbarkeit der Räum- und Streupflicht als für die der allgemeinen Reinigungspflicht (vgl. Böhm a.a.O. Anm. 3 d zu § 10 StraßenG).

Im Ergebnis hat somit die Gemeinde O1 die ihr möglicherweise am Unfalltag obliegenden Räum- und Streupflichten für die Fahrbahn des ...weges nicht wirksam auf den Antragsgegner übertragen. Er kann nach derzeitigem Sach- und Streitstand für die Folgen des bedauerlichen Unfalls nicht in Anspruch genommen werden.

Da die Beschwerde der Antragstellerin erfolglos blieb, hat sie gemäß § 97 Abs. 1 ZPO i. V. Ziffer 1811 in Anlage 1 zum GKG die Gerichtskosten des Prozesskostenhilfeverfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.

Ende der Entscheidung

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