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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 09.08.2004
Aktenzeichen: 9 U 44/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 236
1. Die Wiedereinsetzungsgründe müssen gemäß § 236 II ZPO im Antrag bezeichnet werden. Dabei müssen diese Angaben hinreichend substantiiert sein.

2. Eines Hinweises des Gerichts auf Mängel des Wiedereinsetzungsgesuchs bedarf es grundsätzlich nicht, da ein Nachschieben oder Nachholen von relevanten Angaben nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 I ZPO unzulässig ist.

3. Es stellt einen Organisationsmangel dar, wenn der Anwalt sein Büropersonal nicht anweist, bei Berufungsbegründungsfristen eine Vorfrist einzutragen.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

9 U 44/04

In dem Rechtsstreit

...

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... am 9. August 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. April 2004 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung einschließlich der Wiedereinsetzung zu tragen.

Der Gebührenstreitwert für die Berufung wird auf 94.354,99 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit einer Vollstreckungsgegenklage gegen die Beklagte, die aus einer Grundschuld gegen ihn vorgeht, die der Kläger zur Absicherung eines Darlehens eingeräumt hat. Mit Urteil vom 27.4.04 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Gegen das am 6.5.04 zugestellte Urteil hat der Klägervertreter durch Schriftsatz vom 4.6.04, bei Gericht am 6.6.04 eingegangen, Berufung eingelegt. Die einen Wiedereinsetzungsantrag enthaltende Berufungsbegündungsschrift ist erst am 8.7.04 bei Gericht eingegangen. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages hat der Klägervertreter unter Hinwies auf eine entsprechende eidesstattliche Versicherung vom 8.7.04 (Bl. 200 d.A.) vorgetragen, die von ihm mit der Fristenkontrolle beauftragte Anwaltsgehilfin X habe eine Fristenkontrolle am 6.7.04 unterlassen und den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erst am Nachmittag des 7.7.04 festgestellt. Frau X sei eine absolut zuverlässige Fachkraft, der insoweit noch niemals ein Fehler oder ein Versäumnis unterlaufen sei.

II.

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 522 I 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 520 II 1 ZPO begründet wurde. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden, weil aus seinen Darlegungen in der Antragsschrift nicht darauf geschlossen werden kann, dass er bzw. sein Prozessvertreter, dessen Verschulden sich der Kläger nach § 85 II ZPO zurechnen lassen muss, ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert waren.

1. Die Wiedereinsetzungsgründe müssen gemäß § 236 II ZPO im Antrag bezeichnet werden. Dabei müssen diese Angaben hinreichend substantiiert sein. Welche Angaben geboten sind, ergibt sich aus der konkreten Sachlage. Es dürfen jedoch keine Fragen offen bleiben, weil jede Unklarheit und Unaufgeklärtheit, die ein Verschulden möglich erscheinen lässt, zu Lasten der säumigen Partei zu werten ist (Münchener Kommentar-Feiber ZPO, 2. Auflage, § 236 Rn 13). Bleiben die Umstände, die zur Fristversäumung geführt haben, unaufgeklärt, so ist die Wiedereinsetzung dann ausgeschlossen, wenn ein verschuldeter Umstand möglich erscheint (BGH VersR 1982, 1167; BAG NJW 1990, 2707). So ist es auch vorliegend. Warum die Anwaltsgehilfin X trotz ordnungsgemäßer Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im PC und Fristenkalender die Fristenkontrolle am 6.7.04 unterließ und die Akten dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht vorlegte bzw. ihn auf den Fristablauf hinwies, ist ungeklärt. Zwar hindert das Verschulden des Büropersonals eines Rechtsanwalts die Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Rechtsanwalt den Fehler seines Personals nicht durch eigene Auswahl-, Organisations-, Belehrungs- oder Überwachungsfehler ermöglicht hat und auch nicht sonst erkennen oder verhindern konnte (Münchener-Kommentar-Feiber, a.a.O., § 233 Rn 25). Im Hinblick auf die umfangreiche Rechtsprechung zu den diesbezüglichen Anforderungen an den Rechtsanwalt (vgl. den Überblick bei Zöller- Greger ZPO, 24. Auflage, § 233 Rn 23) wäre es deshalb erforderlich gewesen, dass der Prozessbevollmächtigte insbesondere vorträgt, welche allgemeinen und speziellen Weisungen er seinem Büropersonal im Hinblick auf die Fristenkontrolle gegeben hat und wie die Fristnotierung ausgestaltet war, welche Vorkehrungen er getroffen hat, um mögliche Fehlerrisiken auszuschließen, und inwieweit die Anwaltsgehilfin X aufgrund ihrer Ausbildung, Berufserfahrung und Zuverlässigkeit überhaupt in der Lage war, die an sie delegierte Aufgabe zu erfüllen. Gleichwohl hat der Kläger hierzu nichts vorgetragen. Danach ist nicht ausgeschlossen, dass ein eigenes Versehen des Klägervertreters an dem Fristversäumnis mitgewirkt hat, weil weder aufgezeigt wird, wie die Fristenkontrolle im Büro des Klägervertreters organisiert ist, noch sich abschätzen lässt, ob die Anwaltsgehilfin X den ihr übertragenen Aufgaben gewachsen war.

Eines Hinweises des Gerichts auf die Mängel des Wiedereinsetzungsgesuchs vor einer Entscheidung bedurfte es nicht, da ein Nachschieben oder Nachholen von relevanten Angaben nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 I ZPO grundsätzlich unzulässig ist (Zöller-Greger, a.a.O. § 237 Rn 6 a). Soweit es von der Rechtsprechung für beschränkt zulässig gehalten wird, den in der Antragsschrift geltend gemachten und mit Tatsachen bereits dargestellten Wiedereinsetzungsgrund später zu erläutern oder zu ergänzen (vgl. die Nachweise bei Musielak-Grandel ZPO, 1. Auflage 1999, § 234 Rn 1), liegt ein solcher Fall nicht vor. Die hier fehlenden Angaben sind so grundlegend, dass sie nicht als bloße Ergänzung fristgerechter Darlegungen angesehen werden können.

2. Zu diesen Substantiierungsmängeln kommt hinzu, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers sein Personal offenbar nicht angewiesen hat, Vorfristen zu notieren. Jedenfalls ergibt sich dies nicht aus der eidesstattlichen Versicherung der Anwaltsgehilfin X. Dies stellt einen Organisationsmangel dar, denn bei Berufungsbegründungsfristen ist die Eintragung von Vorfristen schon deshalb notwendig, weil zur Vorbereitung der Berufungsbegründung Zeit benötigt wird (Zöller-Greger, a.a.O., § 233 Rn 23 Stichwort "Fristbehandlung"; Münchener Kommentar-Feiber, a.a.O., § 233 Rn 89).

3. Darüber hinaus liegen Anhaltspunkte für ein den Prozessbevollmächtigten des Klägers selbst treffendes Organisationsverschulden auch darin, dass die Fristenüberwachung durch die krankheitsbedingte Reduzierung seiner Arbeitskraft - wie er im Schriftsatz vom 2.8.04 selbst angibt - "nicht mit letzter Sicherheit und Erfolg" möglich gewesen ist und (nur) deshalb "im Einverständnis mit den Sozien (...) die Überwachungstätigkeit in erster Linie auf die absolut zuverlässige Anwaltsgehilfin (...) übertragen" wurde. Aus diesen Darlegungen ergibt sich, dass die Fristenkontrolle in der Kanzlei des Klägervertreters üblicherweise unter Mitwirkung eines Rechtsanwalts stattgefunden hat, dies System aber während der Erkrankung des Klägervertreters nicht aufrechterhalten werden konnte. Es ist jedoch von einem Anwalt zu fordern, dass er bereits vorbereitend Maßnahmen ergreift, die sicherstellen, dass es auch während seiner Verhinderung zu keinen Fehlern bei der Fristenkontrolle kommen kann (Zöller-Greger, a.a.O., § 233 Rn 23 Stichwort "Krankheit").

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 I, 238 IV ZPO.

Ende der Entscheidung

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