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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 19.11.2003
Aktenzeichen: 9 U 70/98
Rechtsgebiete: BNotO, ZPO


Vorschriften:

BNotO § 18
ZPO § 383 I Ziff. 6
ZPO § 387
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Notar über das, was ihm bei Ausübung seines Amtes bekannt geworden ist, ein Zeugnisverweigerungsrecht für sich in Anspruch nehmen kann.

2. Zur Streitwertfestsetzung beim Zwischenstreit über das Zeugnisverweigerungsrecht.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES ZWISCHENURTEIL

9 U 70/98

Verkündet am 19. November 2003

In dem Rechtsstreit

hier: Zwischenstreit über die Aussagepflicht des Notars S.,

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ...... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Zeuge Notar S. nicht verpflichtet ist, zu dem Beweisthema A I aus dem Beweisbeschluss des Senats vom 17. Mai 2000 auszusagen.

Die Beklagten haben die Kosten des Zwischenstreits zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Streitwert für den Zwischenstreit wird auf 69.812,- € festgesetzt.

Tatbestand:

Im vorliegenden Rechtsstreit fordert der Kläger als Rechtsanwalt Anwaltsgebühren von den Beklagten als Gesellschafter der ehemaligen S. Grundstücksgesellschaft Suhl. Die Beklagten bestreiten den Anspruch nach Grund und Höhe und haben hilfsweise die Aufrechnung mit einer Schadenersatzforderung wegen behaupteter fehlerhafter Beratung und Vertretung erklärt. Insbesondere stützen sie dies auf den Umstand, dass der Beklagte sie nicht zu dem Notartermin vom 24.2.95 nach Suhl begleitet hat und er deshalb dafür verantwortlich sei, dass der am 25.2.95 durch Notar S. beurkundete Vertrag mit den Investoren (Käufer) nicht die Verpflichtung der Käuferseite enthalte, eine zum Zwecke der Finanzierung benötigte unbeschränkte Bürgschaft auf erstes Anfordern beizubringen, was letztlich dazu geführt habe, dass die Durchführung des Vertrages gescheitert sei und zum Eintritt eines beträchtlichen Schadens geführt habe.

Dem Notar S. ist mit Schriftsatz vom 23.7.98 der Streit verkündet worden - er ist dem Rechtsstreit nicht beigetreten.

Der Senat hat unter dem 17.5.00 einen Beweisbeschluss (Bl. 2238 ff. d.A.) verkündet, wonach u.a. Notar S. als Zeuge zu den Umständen der Beurkundung vom 23.2.95 vernommen werden soll. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss verwiesen.

Während die Beklagten Notar S. von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden haben, verweigern dies die Investoren. Notar S. hat deshalb mit Schreiben vom 17.8.00 an den Landgerichtspräsidenten Meiningen um Entscheidung gebeten, ob er berechtigt sei auszusagen. Mit Schreiben vom 9.1.00 hat der Landgerichtspräsident Meiningen mitgeteilt, dass Notar S. hinsichtlich der Beweisthemen aus dem Beweisbeschluss vom 17.5.00 zur Verschwiegenheit verpflichtet sei.

Der Versuch der Beklagten, hiergegen im Rechtsweg nach § 111 BNotO vorzugehen, ist gescheitert. Das Thüringer OLG und der BGH haben die Anträge der Beklagten als unzulässig zurückgewiesen, weil sie nicht antragsberechtigt seien.

Der Zeuge beruft sich nach wie vor auf ein Aussageverweigerungsrecht.

Die Beklagten meinen, die Entscheidung des Landgerichtspräsidenten Meiningen sei rechtswidrig. Für Notar S. bestehe im vorliegenden Rechtsstreit keine Schweigepflicht.

Dem Notar sei im vorliegenden Rechtsstreit der Streit verkündet worden. Er sei deshalb berechtigt, auch solche Tatsachen zu offenbaren, die eventuell der Schweigepflicht unterliegen, da dies zur Wahrung seiner eigenen Interessen notwendig sei, und zwar gerade in Hinblick auf einen gegen ihn unter Umständen noch zu führenden Regressprozess. Eine Durchbrechung der Schweigepflicht dürfe auch nicht erst dann infrage kommen, wenn für den Notar eine "notstandsähnliche Situation" vorliege, wie der Landgerichtspräsident Meiningen meine.

Die Schweigepflicht beziehe sich zudem nicht auf dasjenige, was offenkundig sei oder seiner Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfe. Werde, wie vorliegend, einem Notar am Tag vor der geplanten Protokollierung eines umfangreichen Vertragswerkes zu einem wichtigen Punkt dieses Vertrages von der Käuferseite mit Fax ein Änderungsverlangen zugeleitet, dann sei dies schriftliche Änderungsverlangen gerade dazu bestimmt, an den anderen Vertragspartner weitergeleitet zu werden. Ein irgendwie geartetes Geheimhaltungsinteresse der Käuferseite sei dabei naturgemäß völlig ausgeschlossen.

Es komme hinzu, dass die Verschwiegenheitspflicht ausschließlich im Interesse der Beteiligten bestehe, nicht aber von Dritten. Es sei mit dem Zweck des § 18 BNotO nicht zu vereinbaren, wenn der Kläger, der hier als Dritter anzusehen sei, als einziger von der Schweigepflicht profitieren würde.

Schließlich sei ein Notar zur Zeugnisverweigerung im Zivilprozess nur bezüglich solcher Tatsachen berechtigt, die ihm im Sinne des § 383 I Ziff. 6 ZPO anvertraut worden seien. Zu diesen "anvertrauten Tatsachen" gehörten jedoch nicht die Amtshandlungen des Notars selbst und nur auf solche beziehe sich der Beweisbeschluss.

Die Beklagten beantragen,

durch Zwischenurteil festzustellen, dass Notar S. nicht berechtigt ist, als Zeuge die Aussage zu den Behauptungen der Beklagten, wie sie sich aus Ziffer A I des Beweisbeschlusses vom 17.5.00 ergeben, zu verweigern.

Der Zeuge Notar S. beantragt sinngemäß,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Kläger hat sich zum Zwischenstreit nicht geäußert.

Entscheidungsgründe:

Über die Rechtmäßigkeit der Weigerung des Notars S., das Zeugnis zu den Behauptungen der Beklagten aus dem Beweisbeschluss des Senats vom 17.5.00 zu verweigern, war gemäß § 387 ZPO durch Zwischenurteil zu entscheiden. Die Prüfung hatte sich dabei auf das Beweisthema A I zu beschränken - zu den Behauptungen des Klägers, zu denen der Notar ebenfalls als Zeuge benannt ist (Beweisthema A II 2), ist der Zwischenstreit nicht eröffnet, weil der Kläger die Unzulässigkeit der Zeugnisverweigerung insoweit nicht gerügt hat (Zöller-Greger ZPO, 23. Aufl., § 387 RN 2).

In der Sache selbst war festzustellen, dass Notar S. nicht verpflichtet ist, zu dem Beweisthema A I auszusagen.

1. Ausgangspunkt für die Prüfung ist § 383 I Ziffer 6 ZPO. Hiernach sind u.a. Personen zur Zeugnisverweigerung berechtigt, denen kraft ihres Amtes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung geboten ist. In Bezug auf Notare enthält die Vorschrift eine inhaltliche Verweisung auf § 18 BNotO, der - entgegen der Ansicht der Beklagten - als lex specialis zu § 383 I Ziff. 6 ZPO angesehen werden muss (streitig, wie hier: Arndt/Lerch/Sandkühler BNotO, 4. Aufl., § 18 RN 25 und ausführlich: Kanzleiter DNotZ 1981, 662; a.A. OLG München DNotZ 1981, 709). Bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen Notar S. die Aussage verweigern darf, ist danach allein auf den Tatbestand des § 18 I BNotO abzustellen.

2. Eine Prüfung der Frage, ob dem Zeugen S. ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Landgerichtspräsident Meiningen diese Frage im Rahmen des Verfahrens nach § 18 III BNotO bereits abschlägig entschieden hat, denn der Senat ist an diese Entscheidung nicht gebunden (Schippel BNotO, 7. Aufl., § 18 RN 63).

3. Die Verschwiegenheitspflicht nach § 18 I BNotO bezieht sich auf alles, was dem Notar bei Ausübung seines Amtes bekannt geworden ist; es ist nicht notwendig, dass die fragliche Tatsache dem Notar anvertraut wurde. Die Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auf den gesamten Inhalt der Verhandlungen und alles, was aus Anlass der Verhandlungen zur Kenntnis des Notars oder seiner Hilfspersonen gekommen ist. Ebenso sind unwichtig oder gleichgültig erscheinende Dinge und die eigenen Äußerungen des Notars bei der Verhandlung oder Beurkundung geheim zu halten (vgl. Schippel a.a.O., § 18 RN 6).

Bei Anlegung dieser Definition ist Notar S. auch zur Verschwiegenheit über die Umstände verpflichtet, die unter A I des Beweisbeschlusses vom 17.5.00 aufgeführt sind. Der angebliche Eingang eines Fax des Herrn W. und dessen Inhalt sind unzweifelhaft Tatsachen, die die Verhandlungen der Parteien selbst betreffen.

Gleiches gilt auch für die Behauptungen der Beklagten, Notar S. habe danach mit dem Kläger telefoniert, ihn über die verlangten Vertragsänderungen unterrichtet, woraufhin der Kläger keine Bedenken geäußert habe. Insoweit handelt es sich teilweise um eigene Äußerungen des Notars bei der Verhandlung und im Übrigen jedenfalls um Umstände, die diesem aus Anlass der Verhandlungen zur Kenntnis gelangt sind.

4. Die Verschwiegenheitspflicht besteht grundsätzlich auch gegenüber Behörden und Gerichten (Arnd/Lerch/Sandkühler-Sandkühler, a.a.O., RN 22 f. und 66 ff.). Es ist auch kein Ausnahmetatbestand ersichtlich, der sich aus besonderen Anzeige-, Auskunfts-, Mitteilungs- oder Beistandspflichten des Notars ergeben könnte.

5. Da ihm eine Befreiung von seiner Verschwiegenheitspflicht nicht von allen an den einschlägigen Verhandlungen beteiligten Personen erteilt wurde und auch die übrigen Befreiungstatbestände des § 18 II BNotO nicht vorliegen, müsste Notar S. nur dann aussagen, wenn ein anderer Ausnahmetatbestand eingreifen würde. Dies ist indes - wie nachfolgend dargestellt - nicht der Fall.

Nach § 18 I 3 BNotO besteht die Verschwiegenheitspflicht nicht für offenkundige Tatsachen oder solche, die ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Offenkundig ist eine Angelegenheit, wenn sie einem größeren Kreis von Personen bekannt geworden ist, der nicht durch individuelle Beziehungen verbunden ist (Arnd/Lerch/Sandkühler-Sandkühler, a.a.O., RN 56). Hiervon kann man nicht ausgehen.

Zu Angelegenheiten, die ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen, zählen Tatsachen, die ganz belanglos sind und unter keinem Gesichtspunkt aus irgendeinem Grund zu irgendeiner Zeit Bedeutung gewinnen können (Arnd/Lerch/Sandkühler-Sandkühler, a.a.O., RN 58 mit weiteren Nachweisen). Auch hiervon kann man nicht ausgehen, selbst wenn man "die Bedeutung" allein auf die Parteien der hier relevanten Verhandlungen, also nicht die Parteien dieses Prozesses, beziehen wollte.

Der Verschwiegenheitspflicht unterliegen ferner solche Angelegenheiten nicht, die die geschützten Personen nicht geheim halten wollten, deren Offenlegung vielmehr gerade ihrem wirklichen oder mutmaßlichen Willen entspricht (OLG Köln DNotZ 1981, 713). Auf diesen Punkt rekurrieren auch die Beklagten, wenn sie anführen, das Geheimhaltungsinteresse der Käuferseite sei entfallen, weil ihr schriftliches Änderungsverlangen gerade dazu bestimmt gewesen sei, der anderen Vertragsseite vorgelegt zu werden. Die Beklagten stellen jedoch unzulässigerweise darauf ab, dass das Geheimhaltungsinteresse schon dann entfällt, wenn eine Verhandlungspartei der anderen gegenüber bestimmte Absichten oder Verhandlungsziele offenbart. Das Geheimhaltungsinteresse kann sich aber auch darauf beziehen, dass bestimmte Umstände nicht über den Kreis der Personen hinaus bekannt werden, die an den Verhandlungen beteiligt waren.

Eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht kann darüber hinaus nach den Grundsätzen der Güterabwägung im Einzelfall gerechtfertigt sein (Arnd/Lerch/Sandkühler-Sandkühler, a.a.O., RN 60 ff.).

So kann es dem Notar erlaubt sein, zur eigenen Interessenwahrung geheimzuhaltende Tatsachen zu offenbaren. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Notar sich in der Lage sieht, dass gegen ihn selbst Schadenansprüche geltend gemacht werden. In diesem Fall ist er von der Verschwiegenheitspflicht schon dann befreit, wenn ihm im Vorprozess der Streit verkündet wurde (Arnd/Lerch/Sandkühler-Sandkühler, a.a.O., RN 63; Schippel, a.a.O., RN 50).

Zwar ist dem Notar S. vorliegend von der Beklagtenseite der Streit verkündet worden und es stehen auch Schadenersatzansprüche gegen ihn im Raum. Der Ausnahmetatbestand ist jedoch - entgegen der Auffassung der Beklagten - so zu verstehen, dass es dem Notar in den Fälle eigener Interessenwahrung freisteht, auszusagen oder nicht (vgl. Schippel, a.a.O.: "Der Notar ist berechtigt,..."). Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass er auch verpflichtet ist auszusagen. Die von ihm selbst getroffene Abwägung ist nicht gerichtlich nachprüfbar.

Schließlich greift auch der Einwand der Beklagten nicht durch, der hier als Dritter anzusehende Kläger dürfe nicht als einziger von der Schweigepflicht profitieren, weil die Verschwiegenheitspflicht ausschließlich zugunsten der Beteiligten bestehe. Das Argument verfängt schon deshalb nicht, weil es unterstellt, hier komme lediglich der Kläger in den Genuss der Verschwiegenheitspflicht des Notars. Es ist aber gar nicht überschaubar, aus welchen Gründen die Käuferseite Notar S. eben nicht von seiner Schweigepflicht entbunden hat. Sie mag schützenwerte Gründe hierfür haben.

Die in der Kommentarliteratur und Rechtsprechung aufgeführten weiteren Fallgestaltungen, bei denen es zu einer Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht kommt (z.B. Pflichtenkollision des Notars oder Kenntnis des Notars von Straftaten), sind nicht einschlägig.

- - -

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 574 II ZPO (neue Fassung) vorliegen.

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 3 ZPO und ist nach freiem Ermessen festzusetzen (vgl. die Nachweise bei Schneider-Herget Streitwertkommentar, 11. Aufl., RN 5202 ff.). Wegen der Bedeutung der Aussage des Zeugen für die Berufung der Beklagten war hier von einem Viertel des Hauptsachewertes (546.163,- DM = 279.248,70 €) auszugehen (in Anlehnung an OLG Köln MDR 83, 321).



Ende der Entscheidung

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