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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 18.01.2008
Aktenzeichen: 13 AR 37/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 38 Abs. 1
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
Ein Verweisungsbeschluss, der auf der Anwendung des § 38 Abs. 1 ZPO auf eine zwischen Rechtsanwälten getroffene Gerichtstandsvereinbarung beruht, entbehrt jeglicher gesetzlicher Grundlage und ist daher nicht bindend im Sinne des § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT Beschluss

Geschäftszeichen: 13 AR 37/07

In dem Rechtsstreit

beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 13. Zivilsenat, am: 18.01.2008 durch den Senat

Westphalen, Richterin am Oberlandesgericht Feddersen, Richter am Amtsgericht Panten, Richter am Oberlandesgericht

Tenor:

Das Landgericht Hamburg wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Die Klägerin, eine Rechtsanwaltssozietät bürgerlichen Rechts, begehrt mit der vor dem Landgericht Hamburg erhobenen Klage die Feststellung, die in Hamburg wohnhafte Beklagte, ihrerseits Rechtsanwältin, habe keinen Anspruch auf Rückzahlung von Anwaltshonorar.

Die Beklagte mandatierte die Klägerin zwecks Beratung und Vertretung im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einer Rechtsanwaltspartnerschaftsgesellschaft sowie einer Rechtsanwaltssozietät bürgerlichen Rechts, zahlte an die Klägerin jeweils Honorar auf deren Zwischenkostennoten und ist nunmehr der Auffassung, die Klägerin sei überzahlt.

Der zwischen den Parteien geschlossene Mandatsvertrag enthält folgende Bestimmung:

"Für Kaufleute, Selbständige und Gesellschaften (Unternehmer, § 14 BGB) gilt, dass Gerichtsstand für alle unmittelbar oder mittelbar mit dem Vertrag zusammenhängenden Streitigkeiten, gleich welcher Art, München ist; Erfüllungsort ist ebenfalls München. Unternehmer und Rechtsanwälte vereinbaren wegen der Unternehmereigenschaft des Mandanten zugleich die Unternehmereigenschaft der Rechtsanwälte für die Wirksamkeit dieser Gerichtsstandsvereinbarung."

Die Klägerin ist der Auffassung, der persönliche Anwendungsbereich des § 38 ZPO sei mangels Kaufmannseigenschaft der Beklagten nicht eröffnet, welche durch das Mandat lediglich in ihrer privaten Sphäre, nämlich ihrer Stellung als Gesellschafterin, nicht hingegen als Unternehmerin betroffen sei. Die Klägerin hat lediglich hilfsweise Verweisung an das Landgericht München I beantragt.

Die Beklagte hält die Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 ZPO für wirksam, weil die Parteien die Unternehmereigenschaft der Beklagten ausdrücklich vereinbart hätten. Im Übrigen könnten Rechtsanwälte ebenso wie Kaufleute wirksam Gerichtsstandsvereinbarungen treffen. Mithin sei das Landgericht München I zuständig.

Mit Beschluss vom 5.2.2007 hat sich das Landgericht Hamburg für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München I verwiesen. Zur Begründung hat es u.a. Folgendes ausgeführt: Zwar seien weder die Klägerin noch die Beklagte Kaufleute und deshalb nach dem Wortlaut des § 38 Abs. 1 ZPO nicht prorogationsfähig. Jedoch schließe sich das Gericht der Auffassung an, wonach für die Angehörigen der rechtsberatenden Berufe kein Prorogationsverbot bestehen könne. Sinn und Zweck des § 38 Abs. 1 ZPO sei der Verbraucherschutz, welcher hier ersichtlich nicht betroffen sei. Ein Art. 3 Abs. 1 GG genügender sachlicher Grund, dem einzelnen Rechtsanwalt sowie der Sozietät (GbR) die Prorogation nicht zu erlauben, sie hingegen der Rechtsanwalts-GmbH zu gestatten, bestehe nicht.

Den zunächst vom Landgericht München I erlassenen Beschluss vom 17.4.2007, mit welchem das Verfahren an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen wurde, hat das Oberlandesgericht München auf die Beschwerde der Beklagten mit Beschluss vom 22.8.2007 aufgehoben. Sodann hat das Landgericht München I durch Beschluss vom 16.10.2007 den Rechtsstreit erneut an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen und zur Begründung ausgeführt, der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Hamburg entbehre der gesetzlichen Grundlage und sei deshalb nicht bindend.

Das Landgericht Hamburg hat das Verfahren dem Hanseatischen Oberlandesgericht zur Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt.

II.

Die Voraussetzungen der Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO liegen vor (1.). Zuständig ist das Landgericht Hamburg gemäß §§ 12, 13 ZPO, dessen Verweisung unwirksam und daher nicht nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend ist (2.).

1. Die Voraussetzungen der Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Hanseatische Oberlandesgericht liegen vor. Zunächst hat das als erstes Gericht mit der Sache befasste Landgericht Hamburg sich durch gemäß § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren Beschluss vom 5.2.2007 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München I verwiesen. Sodann hat das Landgericht München I durch ebenfalls unanfechtbaren Beschluss vom 16.10.2007 den Rechtsstreit an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.

2. Das Landgericht Hamburg ist örtlich gemäß §§ 12, 13 ZPO für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Sein Verweisungsbeschluss vom 5.2.2007 ist unwirksam und deshalb nicht nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung entfällt die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses - abgesehen von dem hier nicht relevanten Fall der Verletzung des rechtlichen Gehörs - erst dann, wenn die Verweisung jeder rechtlichen Grundlage entbehrt, willkürlich erscheint und deshalb aus rechtsstaatlichen Gründen nicht mehr hingenommen werden kann (siehe etwa BGH NJW 1984, S. 740; BGH NJW-RR 1993, S. 1091; BGH NJW 1993, S. 1273). Die Rechtsprechung hat etwa einen Verweisungsbeschluss für willkürlich gehalten, der offensichtlich unrichtig war (BayObLG, Beschluss v. 23.10.2003, Az. 2Z AR 3/03). Ist hingegen die dem Verweisungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsauffassung vertretbar, so kommt die Einstufung als willkürlich nicht in Betracht (Hans. OLG Hamburg, MDR 2002, 1210; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 16.2.2004, Az. 15 AR 1/04).

Bei Anlegung dieses Maßstabs erweist sich der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Hamburg als unwirksam.

Die dem Verweisungsbeschluss zugrunde liegende Auffassung, es sei geboten, auch Rechtsanwälten die Prorogationsfähigkeit zuzubilligen, mag de lege ferenda berechtigt sein, ist jedoch mit der geltenden Fassung des § 38 Abs. 1 ZPO unvereinbar. § 38 Abs. 1 ZPO verleiht seinem Wortlaut nach - neben juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie öffentlich-rechtlichen Sondervermögen - allein Kaufleuten die Prorogationsfähigkeit. Diese Regelung ist nicht in der durch das Landgericht Hamburg gefundenen Weise auslegungsfähig. Vielmehr überschreitet diese Anwendung in krasser Weise den Wortlaut des § 38 Abs. 1 ZPO und entbehrt daher jeglicher gesetzlicher Grundlage. Bekanntermaßen bestimmt der Wortsinn die Grenze der Auslegung, da das außerhalb des möglichen Wortsinns Liegende nicht als Inhalt des Gesetzes gelten kann (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 343). Die Bedeutung des in § 38 Abs. 1 ZPO genannten Kaufmannsbegriffs ist durch die gesetzliche Definition des Kaufmannsbegriffs (§§1 ff. HGB) festgeschrieben, dem die Rechtsanwälte als Angehörige eines freien Berufs nicht unterfallen. Raum für richterliche Rechtsfortbildung ist mangels einer hierzu ggf. berechtigenden planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes (zu diesem Begriff Larenz, a.a.O., S. 373) nicht eröffnet. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der am 1.4.1974 in Kraft getretenen Gerichtsstandsnovelle (BGBl I S. 753) den zuvor geltenden Grundsatz der Prorogationsfreiheit durch ein grundsätzliches Prorogationsverbot ersetzt und die restriktive Fassung des Absatzes 1 des § 38 ZPO auch bei sonstigen Änderungen dieser Vorschrift - zuletzt durch Gesetze vom 27.7.2001 (BGBl I 1887) sowie vom 22.6.1998 (BGBl I 1474) - sachlich unverändert beibehalten (Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 38 Rdz. 1).

Ob Art. 3 Abs. 1 GG eine Erweiterung des § 38 Abs. 1 ZPO erfordert, wie das Landgericht Hamburg meint, weil die Prorogation gemäß § 59c Abs. 1 BRAO auch der Rechtsanwalts-GmbH offenstehe und ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Einzelanwälten und Sozietäten in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht existiere, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen. Wollte man hieraus das Verdikt der Verfassungswidrigkeit des § 38 Abs. 1 ZPO ableiten, so läge ggf. die Verwerfung dieser nachkonstitutionellen Vorschrift im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG in der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts. Eine Erweiterung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 38 Abs. 1 ZPO ist indes allein Sache des Gesetzgebers.

Die Berufung auf die Auffassung Vollkommers (in: Zöller, ZPO, § 38 Rdz. 18), der unter Hinweis auf die Änderung der Rechtsprechung zum privilegierten Erfüllungsortgerichtsstand der Freiberufler für die Ausweitung der Prorogationsfähigkeit der rechtsberatenden Berufe plädiert, vermag die fehlende gesetzliche Grundlage der Verweisung nicht zu ersetzen.

Ende der Entscheidung

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